Eine Frage der Abwägung

Bereits im Herbst 2020 habe ich hier über eine Sitzung des Kinder- und Jugendausschusses zu den Folgen von Corona berichtet. Damals habe ich mich gefragt, was sich aus der großen Betroffenheit über die dramatischen Auswirkungen des ersten Lockdowns für Kinder und Jugendliche für die Zukunft ergibt. Diese Frage ist inzwischen beantwortet: (Fast) nichts. Nach halbherzigen Versuchen, den Schulbetrieb bei steigenden Inzidenzzahlen aufrecht zu erhalten, ist dasselbe passiert wie im Frühjahr 2020. Das normale Leben der Kinder und Jugendlichen ist über ein halbes Jahr lang den strikten Maßnahmen zur Senkung der Inzidenz zum Opfer gefallen. Eine altersabhängige Differenzierung der Corona-Maßnahmen gab und gibt es bis auf wenige Ausnahmen nicht.

Das sind keine Entscheidungen des Münchner Stadtrates oder seiner Ausschüsse gewesen. Es ist die Folge der Corona-Strategie des Freistaats und des Bundes. Dennoch hat der Kinder- und Jugendhilfeausschuss des Münchner Stadtrates am vergangenen Dienstag auf Antrag der SPD und der Grünen einmal mehr dieses Thema aufgegriffen. Im Rahmen einer umfangreichen Expertenanhörung wurden Vertreterinnen von Kinderärzten und der Schulverwaltung sowie einige Kinder und Jugendliche angehört. Damit sollten die Stadträtinnen und Stadträte einen Eindruck der Lage bekommen und Anregungen erhalten, was die Stadt München unternehmen kann, um die Situation zu verbessern. Die Ergebnisse werden in naher Zukunft in eine Beschlussvorlage des Sozialreferats einfließen.

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Das 365-EUR-Ticket – alle wollen es, aber es kommt (erstmal) nicht

Endlich wieder richtige Kommunalpolitik, möchte man nach der letzten Vollversammlung am vergangenen Mittwoch ausrufen. Die am Anfang der Sitzung von Wolfgang Schäuble, dem Leiter des Krisenstabes, erläuterte Corona-Lage ist so erfreulich, dass es keines weiteren Berichts bedarf. Stattdessen geht es hier um die Einführung eines 365-EUR-Tickets für alle für den öffentlichen Nahverkehr in München. Im Folgenden werden die Hauptargumente aus der Diskussion des Stadtrats zusammengefasst und mit ein paar eigenen Gedanken ergänzt.

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Vision Zero – ein ehrgeiziges Ziel

Nein, das wird kein weiterer Bericht zum Dauerthema Corona. Anders als man vielleicht denken könnte, bezeichnet „Vision Zero“ nicht den Versuch, die Inzidenz in München auf Null zu bringen. Der Ausgangsgedanke ist aber ähnlich, denn es geht darum, jegliches Todesopfer in München zu vermeiden – und zwar im Straßenverkehr.

Ausweislich der aktuellen Unfallstatistik 2020 sind von insgesamt 17 Verkehrstoten in 2020 in München über zwei Drittel Fußgänger und Radfahrer.

Auszug aus dem Sicherheitsreport 2020

Während die Unfallzahlen in 2020 insgesamt rückläufig sind – die Pandemie hat den Verkehr deutlich reduziert – , gilt das nicht für getötete Fußgänger und für Unfälle mit Radfahrern, deren Zahlen deutlich angestiegen sind. Das ist nicht wirklich überraschend, wenn man bedenkt, wie viele Münchnerinnen und Münchner im letzten Jahr aufs Rad umgestiegen sind.

Bereits 2018 hat der Stadtrat die Vision Zero als Ziel der Münchner Verkehrspolitik festgelegt. In der Sitzung des Mobilitätsausschusses am vergangenen Mittwoch hat das zuständige Referat mit einer Vorlage über die aktuelle Situation berichtet und die nächsten Schritte erläutert, um die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer in München zu verbessern. Dabei zeigt sich wie bei der Pandemiebekämpfung, dass ein geringeres Risiko durch Verhaltensänderungen nur schwer zu erreichen ist. Wirksame technische Lösungen lassen viel zu lange auf sich warten.

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Bescheidene Ergebnisse

Die Stadt München unterstützt Unternehmensgründungen in vielfältiger Weise. Neben der Bereitstellung von günstigen Gewerbeflächen zählt dazu auch der Innovationswettbewerb der Stadt. Damit sollen Startups gefördert werden, die besonders innovative Lösungen für praktische Aufgabenstellungen der Stadtverwaltung entwickeln. Eine prima Idee, wie ich finde. Startup-Preise gibt es inzwischen jede Menge, aber nicht für Projekte, mit denen sich die Arbeit einer kommunalen Verwaltung verbessern lässt. Neben einem Preisgeld von 1500 EUR bekommen die Gewinner Zugang zu weiteren Förderprogrammen und die Möglichkeit, ihre Entwicklungen im Rahmen einer Testphase in der Stadtverwaltung zu realisieren.

In einer Vorlage, die heute im Ausschuss für Arbeit und Wirtschaft diskutiert worden ist, werden die Ergebnisse des Innovationswettbewerbs in 2019 und 2020 erläutert und Pläne für den Wettbewerb 2021 vorgestellt. Dabei zeigt sich leider, dass der Ertrag an praktisch umsetzbaren Innovationen bislang eher gering ausgefallen ist.

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Wie viele Wohnungsbaugesellschaften braucht München?

Die – allmählich abklingende – Corona Pandemie bremst die Kommunalpolitik in München immer noch aus. Viele Ausschusssitzungen des Stadtrats entfallen und in der monatlichen Vollversammlung nimmt die Diskussion zur Pandemielage jedes Mal soviel Zeit in Anspruch, dass viele andere Themen vertagt werden müssen, beispielsweise die Beschlussfassung über die in diesem Bericht diskutierte Vorlage der Verwaltung.

Worum geht es dabei ? Für viele Münchner Haushalte wird es immer schwieriger, die hohen Mieten des freien Wohnungsmarktes zu bezahlen. Da kommt den beiden Wohnungsbaugesellschaften GWG und GEWOFAG große Bedeutung zu. Allerdings verfügen sie mit ca. 67.000 Wohnungen zusammen über nicht einmal 10% des gesamten Wohnungsbestandes der Stadt. Zum Vergleich: In Wien sind fast 25% aller Wohnungen in der Hand des Wiener Gemeindebaus. Ein schnelles Wachstum der Anzahl günstiger Wohnungen in München ist nicht zu erkennen. Im Gegenteil, selbst bei der Bebauung von städtischen Grundstücken braucht es immer wieder private Investoren. Deren Neubauten stellen jedoch nur zum Teil günstigen Wohnraum bereit und das auch nur über einen begrenzten Zeitraum. Das wirft die Frage auf, ob nicht eine einzige, größere Wohnungsbaugesellschaft deutlich leistungsfähiger wäre. Die Vorlage des Stadtplanungsreferats, deren Diskussion am Mittwoch leider vertagt worden ist, erläutert das Für und Wider einer Fusion der beiden Gesellschaften.

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Eine vorbildliche Fragestunde

Zu den besonders ermüdenden Aspekten der Corona-Pandemie gehört die Berichterstattung in den Medien. Im Fernsehen werden in immer gleichen Talkrunden von immer gleichen Protagonisten die immer gleichen Argumente ausgetauscht. Auch in der Presse hat sich fast jede Journalistin und jeder Journalist inzwischen positioniert, entweder um nach viel strengeren (aber angeblich kürzeren) Maßnahmen zu rufen oder um vieles für übertrieben und in der Abwägung für falsch zu halten. Negative Nachrichten stehen im Vordergrund, denn „gloom and doom“ bringt die meiste Aufmerksamkeit. Umso erfreulicher war es, am vergangenen Donnerstag einer Fragestunde der Stadträtinnen und Stadträte im Gesundheitsausschuss zuzuhören. Hier stand nicht die Bewertung, sondern die – durchaus schwierige – Erarbeitung von Fakten zur Pandemielage in München im Vordergrund.

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Kein Kaninchenzüchterverein

Bezirksausschüsse und Bürgerversammlungen sind die Wurzeln der Politik in München. In jedem der 25 Stadtbezirke gibt es einen Ausschuss aus gewählten Bürgerinnen und Bürgern, der vom Stadtrat angehört werden muss, wenn Pläne der Stadt den jeweiligen Bezirk betreffen.

Die 25 Stadtbezirke Münchens (Quelle: Wikimedia)

Die Größe der Ausschüsse richtet sich nach der Anzahl der Bewohner im jeweiligen Stadtbezirk und liegt in München zwischen 15 und 45 Mitgliedern.

Nach der Bayrischen Gemeindeordnung muss in jedem Stadtbezirk einmal im Jahr eine Bürgerversammlung stattfinden. Bürgerinnen und Bürger beschließen dort Empfehlungen, mit denen sich der jeweilige Bezirksausschuss und der Stadtrat befassen muss.

Wenig überraschend hat die Pandemie auch hier Sand ins politische Getriebe gestreut. So tagen viele Bezirksausschüsse seit April 2020 nur noch in einer reduzierten „Ferien-“ Besetzung. Seit Frühjahr 2020 hat keine Bürgerversammlungen mehr stattgefunden. In der gestrigen Sitzung des Verwaltungs- und Personalausschusses des Stadtrats hat das Direktorium der Stadtverwaltung Vorschläge präsentiert, um Bürgerversammlungen wieder zu ermöglichen und um die weitere Tätigkeit der Bezirksausschüsse in der Pandemie auf eine solide rechtliche Grundlage zu stellen. Wie in der „großen“ Politik zeigt sich, dass eine Verringerung von Infektionsrisiken ohne Einschränkung demokratischer Prozesse schwierig ist. Auch die vielgelobte Digitalisierung kann nur zum Teil Abhilfe schaffen.

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Zwei Hochhäuser und ein Bürgergutachten

Ein zentrales Thema der Kommunalpolitik ist die Stadtentwicklung. Was wo in München gebaut wird hat wesentlichen Einfluss auf die Wohnungssituation, den Verkehr und damit auf das Leben der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt. Neben der Planung neuer Stadtviertel, über die auf diesen Seiten immer wieder berichtet worden ist, steht zur Zeit das Paketpostareal im Zentrum vieler Diskussionen. Seit 2019 gibt es einen Vorschlag, wie dieses Gebiet in Zukunft bebaut werden soll, einschließlich zweier Hochhäuser mit über 150m Höhe. Der Stadtrat ist sich der Brisanz dieser Planung bewusst – immerhin gab es 2004 in München einen Bürgerentscheid gegen Bauten, die höher sind als die Frauenkirche. Daher wurde in der Vollversammlung Ende Januar beschlossen, im Rahmen einer intensiven Beteiligung der Münchnerinnen und Münchner ein sogenanntes Bürgergutachten einzuholen. In einer aktuellen Vorlage für die Sitzung des Stadtplanungsausschusses am Mittwoch erläutert die Verwaltung, wie solch ein Gutachten erstellt wird.

Im Folgenden wird zunächst kurz das Bauprojekt vorgestellt und dann der Frage nachgegangen, was das geplante Bürgergutachten leisten kann und was nicht.

Die Paketposthalle liegt östlich des Hirschgarten auf der Nordseite der Bahngleise:

Lage der Paketposthalle östlich des Hirschgartens (Quelle: Google Maps)

Das riesige Tonnengewölbe der Paketposthalle ( 150m x 124m) wurde in den 60er Jahren als überdachter Bahnhof für Waggons erbaut, mit denen die Post damals – umweltfreundlich – Pakete mit der Bahn transportiert hat. Der Entwurf für die neue Nutzung und Umgestaltung des gesamten Areals ist in einem Projektkonzept der Architekten Herzog & de Meuron erläutert. Es lohnt sich, die sieben Seiten dieses Dokuments mit seinen detaillierten Bildern einmal anzusehen, um einen Eindruck der Planungen zu gewinnen – trotz der manchmal etwas verschwurbelten Architektensprache („Das durchaus utopische Moment einer Belebung der Paketposthalle hat im Fall Münchens eine Tradition, die sich im Konsens zwischen Bevölkerung und Stadt mehrfach als erfolgreich erwiesen hat.“)

Kern des Entwurfes ist die Idee, die Paketposthalle als offenen, aber überdachten Veranstaltungsplatz zu nutzen. Südlich und westlich der Halle sollen zwei Türme mit relativ kleiner Grundfläche und einer Höhe von jeweils 155m entstehen.

Schematische Darstellung der Lage der beiden Hochhäuser neben der Paketposthalle (Quelle: Google Maps mit eigenen Hinzufügungen gemäß dem Projektentwurf von Herzog & de Meuron)

Die weitere Bebauung des Areals wird mehrere sechsstöckige Wohnblöcke umfassen und schließt damit an die ähnliche Wohnbebauung unmittelbar östlich der Paketposthalle an.

Was ist nun von diesem Projekt zu halten? Die Idee, das riesige Tonnengewölbe der Paketposthalle für eine vielfältige kulturelle Nutzung zu öffnen, ist sicher ein Gewinn. Damit wird für die stark steigende Anzahl an Bewohnern im gesamten Neubaugebiet nördlich der Gleise ein attraktives städtisches Zentrum mit einem ganz eigenen Charakter geschaffen, vgl. die Bilder des Projektkonzepts. Dabei verzichtet die Planung auf eine Erschließung des Geländes durch Straßen. Das Areal wird somit autofrei und ist über die unmittelbar südlich verlaufende Stammstrecke der S-Bahn hervorragend an den öffentlichen Nahverkehr angebunden.

Umstritten ist jedoch die Höhe der Türme, die – eineinhalbfach so hoch wie die Frauenkirche – nicht nur das bebaute Areal, sondern über Jahrzehnte hinaus das gesamte Stadtbild Münchens maßgeblich beeinflussen werden. Braucht es das, damit München – endlich – seine von manchen als provinziell empfundene Abneigung gegenüber Hochhäusern überwindet? Bereits bei der Vorstellung des Entwurfs der Hochhausstudie vom Januar 2021 deuteten sich solche Vorstellungen im Planungsreferat an, wenn in der Präambel der Studie ausgeführt wird:

Hochhäuser werden als selbstverständlicher Teil der Stadt verstanden. Nur indem sich Hochhäuser, durch verständliche und wiederkehrende Prinzipien, als erkennbarer Typus zeigen, können sie ein alltäglicher Bestandteil der Stadt werden.

Genau das ist die Frage, ob Hochhäuser in München wirklich „selbstverständlich“ oder „alltäglich“ sein müssen, oder ob nicht der besondere Charme Münchens als „größtes Dorf Deutschlands“ auch darin liegt, auf solche Bauten bislang verzichtet zu haben. Objektive Wahrheiten gibt es dazu nicht, aber jede Menge Meinungen und Diskussionen.

Wie bereits erwähnt, hat der Stadtrat daher im Januar beschlossen, ein Bürgergutachten zu diesem Bauprojekt erstellen zu lassen, denn

ein Bürgergutachten [eignet sich] gerade für polarisierende Projekte und zur Lösung von kontroversen Problemen, da Meinungen nicht nur abgefragt, sondern komplexe Fragestellungen angemessen diskutiert werden. Vor allem werden die unterschiedlichen Perspektiven und Planungskonflikte offen angesprochen und dargestellt. […] Ziel ist es, Vorschläge zur weiteren Entwicklung zu erarbeiten und in einem Gutachten festzuhalten.“

(Auszug aus der aktuellen Vorlage)

Wie das funktionieren soll, zeigt schematisch folgende Abbildung:

Die vier Phasen zur Erstellung eines Bürgergutachtens (Quelle: Vorlage des Stadtplanungsreferats)

Die Grundidee besteht darin, dass 100 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger sich vier Tage lang unter Anleitung einer neutralen Leitung intensiv mit dem Projekt beschäftigen und danach ihre Überlegungen in einem Gutachten zusammenstellen. Die Teilnehmer werden dazu in sogenannte Planungszellen von etwa 25 Personen aufgeteilt, die sich mit einzelnen Themenfeldern befassen, wie der Stadtbildverträglichkeit, dem Klimaschutz, dem sozialen Miteinander und vielen weiteren Aspekten, auf die das geplante Bauprojekt Auswirkungen hat.

Die Diskussion der Teilnehmer in den Planungszellen folgt einer durch die neutrale Leitung vorgegebenen Struktur: Vorträge von Fachleuten und Beteiligten gehören ebenso dazu wie Ortstermine zur Besichtigung des Areals. Laut Vorlage sind auf diese Weise in Deutschland bereits über 100 Bürgergutachten erstellt worden, davon zwei in München, zuletzt 2017 zur Neugestaltung des Viktualienmarktes.

Betrachtet man exemplarisch die über 80 Seiten des Bürgergutachtens zum Viktualienmarkt, erkennt man die Stärken dieses Werkzeugs: Die vielen unterschiedlichen Aspekte, die einen attraktiven Markt in der Mitte Münchens ausmachen, konnten detailliert von den Gutachterinnen und Gutachtern herausgearbeitet werden. Vielfältige Alltagserfahrungen sind dabei mit eingeflossen und haben der Stadtverwaltung hilfreiche Anregungen bei der anstehenden Umgestaltung der Marktstände gegeben.

Beim Paketpostareal liegt die Sache möglicherweise anders. Denn hier geht es im Kern um die einfache Frage, ob man dem Bau der Türme in der geplanten Höhe zustimmt oder eben nicht. Eine Konsenslösung ist da kaum vorstellbar. Zu groß scheint mir der Gegensatz zwischen den Verfechtern des Hochhausbaus einerseits und denjenigen, die am Ergebnis des Bürgerentscheids von 2004 festhalten wollen.

Vor diesem Hintergrund kann das neue Bürgergutachten allenfalls neue Argumente entwickeln und in die Diskussion einbringen, die von den politischen Entscheidungsträgern in Verwaltung, Parteien oder auch Anwohnerinitiativen, etc. bislang noch nicht gesehen oder aufgegriffen worden sind. Es sollte jedoch nicht die verantwortliche Entscheidung der Stadträtinnen und Stadträte ersetzen. Das Ergebnis darf nicht als eine Art Umfrage zum vermeintlichen Bürgerwillen über das Hochhausprojekt missverstanden werden. 100 Münchnerinnen und Münchner sind eine viel zu geringe Anzahl, um repräsentativ die Meinung der Stadtbevölkerung abbilden zu können. Zudem werden sie möglicherweise durch die vorgegebene Strukturierung ihrer Arbeit und durch das Leitungsteam – bewusst oder unbewusst – zu bestimmten Schlüssen geführt.

Letztlich wird daher das Gutachten die Debatte, ob in München die bisherige Zurückhaltung beim Hochhausbau aufgegeben werden soll, zwar bereichern, aber nicht beenden. Im Gegenteil, sollte sich der Stadtrat am Ende für eine Genehmigung der beiden Türme entscheiden, wäre es für mich nicht überraschend, wenn es zu einer Neuauflage des Bürgerentscheids von 2004 kommt. Damals haben sich die Münchnerinnen und Münchner mit einer denkbar knappen Mehrheit von 50,8% gegen den Bau von Hochhäusern entschieden, die im Bereich des mittleren Rings liegen und die Frauenkirche überragen. Wie eine Neuauflage dieser Abstimmung ausgehen würde, kann ich nicht vorhersagen.

Die dritte Welle in München

Ein weiteres Mal bestimmt Corona die Diskussion in der Vollversammlung des Stadtrates. Am vergangenen Mittwoch hat der Leiter des städtischen Krisenstabes Wolfgang Schäuble aktuelle Daten zur Entwicklung der Coronalage in München präsentiert, die im Folgenden genauer betrachtet werden. Dabei zeigt sich, dass mit fortschreitender Impfung die Zusammenhänge komplizierter werden und sich die Einschätzung der Situation in München nicht mehr nur auf die allgemeine Inzidenz stützen sollte.

Natürlich sind die Infektionszahlen ein ganz wichtiger Parameter des Geschehens hier in München. Das von Herrn Schäuble dazu präsentierte Schaubild sieht wie folgt aus:

Verlauf der Fallzahlen in verschiedenen Altersgruppen in München seit Oktober 2021 (Quelle: Vortrag von Wolfgang Schäuble im Livestream)

Anders als die auf muenchen.de tagesgenau präsentierten Daten sind hier die Infektionen auch nach Altersgruppen aufgeschlüsselt. Der Verlauf war dabei zwischen Oktober und Januar in allen Altersgruppen im Wesentlichen gleich mit einem starken Anstieg im Oktober / November, dem Höhepunkt der zweiten Welle kurz vor Weihnachten und dem starken Rückgang im Januar.

Der Verlauf in den Monaten Februar und März ist jedoch anders, hier nochmal im Detail dargestellt:

Verlauf der Fallzahlen in den letzten Wochen in den Altersgruppen.

Wie Herr Schäuble in der Vollversammlung zutreffend bemerkt hat, ist der Effekt der Impfungen unübersehbar: Während die Fallzahlen seit Mitte Februar in den drei Altersgruppen 20 – 80 wieder steigen, sind in der Altersgruppe 81+ seit Ende Februar praktisch keine Infektionen mehr aufgetreten. Das finde ich beeindruckend, auch und gerade unter Berücksichtigung der Tatsache, dass laut den Angaben auf muenchen.de die Mutation B.1.1.7 in München inzwischen einen Anteil von 86% einnimmt.

Was folgt daraus für die weitere Entwicklung? Herr Schäuble hat sich damit nur kurz befasst und Überlegungen über die zu erwartende Beanspruchung der Kliniken angestellt (dazu unten mehr).

Hier soll zunächst noch einmal festgehalten werden, dass der Schutz der Altersgruppe 81+ in München erhebliche Auswirkungen auf mögliche Opferzahlen der Pandemie in der dritten Welle hat:

Altersverteilung der Todesfälle in München seit Beginn der Pandemie (Quelle: muenchen.de)

Über 60% der ca. 1100 Todesfälle der Pandemie in München betreffen die Altersgruppe >80. Diese Gruppe ist ab jetzt glücklicherweise im Wesentlichen geschützt, wie der Verlauf der Infektionszahlen im Februar und März eindrücklich zeigt. Damit reduzieren sich auch die zu erwartenden Opfer in der dritten Welle um 60%. Würde es gelingen, auch die Altersgruppe 61 – 80 noch vor einem großen Anstieg der Inzidenzen zu impfen, wäre die dritte Welle kein wirkliches Problem mehr, da die Anzahl der Todesfälle in der Altersgruppe unter 61 vergleichsweise gering ist.

Aber genau hier hakt es und das liegt nicht an der Münchner Kommunalpolitik, sondern an der verfehlten Impfstrategie des Freistaats. Denn schaut man sich an, wie die Impfdosen in Bayern bislang verteilt worden sind, sieht man Folgendes:

Verteilung der Impfdosen in Baden-Württemberg, Bayern und Berlin im Vergleich: Man erkennt, dass nur in Berlin mehr als doppelt so viele Ältere geimpft worden sind wie andere Empfänger. (Quelle: RKI Digitales Impfmonitoring vom 28.3.)

Bayern und auch Baden-Württemberg haben nur geringfügig mehr Impfdosen an die altersbedingten Risikogruppen verteilt als an Empfänger mit beruflicher Indikation (Ärzte, Pfleger, aber auch Polizisten, Lehrerinnen und Lehrer, etc.). Ganz anders in Berlin: Hier ist man offensichtlich der Empfehlung der Ständigen Impfkommission gefolgt und hat nicht dem Druck einzelner Interessengruppen nachgegeben. Berlin hat zwar auch sein Klinikpersonal geimpft, ist aber trotzdem viel weiter als Bayern bei der Impfung der gefährdeten Bevölkerungsteile. Während in Bayern noch lange nicht alle der etwa 830.000 80+ -Jährigen geimpft sind, ist diese Gruppe in Berlin bereits durchgeimpft. Zudem sind dort schon über 60.000 Personen unter 80 geimpft worden (in Berlin gibt es nur etwa 211.00 Personen über 80). In München steht laut Aussage der Leiterin des Gesundheitsreferats, Beatrix Zurek, die Impfung aller Impfwilligen, die 81 Jahre und älter sind, kurz vor dem Abschluss.

Die weitere Entwicklung der dritten Welle in München wird durch zwei gegenläufige Effekte bestimmt:

Herr Schäuble hat in seinem Vortrag bereits daraufhin gewiesen, dass die Patienten auf den Intensivstationen der Kliniken der Stadt „jünger“ werden, mit der Präzisierung, dass es sich dabei im Wesentlichen um die Altersgruppe 60 – 80 handelt. Das ist wenig überraschend, da diese Personengruppe aufgrund ihres Alters einerseits immer noch stark gefährdet ist und andererseits weiterhin auf eine Impfung warten muss. Problematisch ist die längere Verweildauer dieser Patienten im Krankenhaus und auf den Intensivstationen als die Altersgruppe 80+, die bislang einen großen Teil der Patienten ausgemacht hat.

Andererseits sind durch die bereits erfolgten Impfungen auch erhebliche Entlastungen in den Krankenhäusern in der dritten Welle gegenüber der zweiten Welle zu erwarten. Das kann man an folgendem Schaubild des RKI zur Altersverteilung der Krankenhauseinweisungen erkennen:

Krankenhausbelegung durch die verschiedenen Altersgruppen während der zweiten Welle (Quelle: RKI-Berichte)

Fällt die Altersgruppe 80+ (orangefarbene Linie) weg, weil sie sich wegen der bereits erfolgten Impfung nicht mehr infiziert, reduziert sich die Belastung der Krankenhäuser um etwa 40%. Würden auch die 60 – 79 jährigen (blaue Linie) geimpft, wäre die zusätzliche Entlastung noch einmal fast genauso groß.

Wie sich die beiden gegenläufigen Effekte in der dritten Welle auswirken, ist schwer vorherzusagen. Klar ist aber, worauf es jetzt ankommt: Maßgeblich für die Verringerung von Todeszahlen und eine Überlastung des Gesundheitssytems ist nicht die Inzidenz insgesamt, sondern das Vermeiden von Erkrankungen der noch ungeschützten, aber massiv gefährdeten Altersgruppe 61 – 80. Diese Gruppe muss so schnell wie möglich geimpft werden, ohne Verzögerungen durch das Impfen weiterer Berufsgruppen jüngeren Alters. Gelingt dies nicht und steigt die Inzidenz in dieser Altersgruppe weiter an, so wie es sich auf dem Schaubild von Herrn Schäuble oben abzeichnet, kommen die Kliniken irgendwann an ihre Grenzen und die Zahlen der Pandemieopfer werden noch einmal deutlich zunehmen, in München und auch anderswo. Als Alternative bleibt dann nur noch der allgemeine Lockdown, um die Inzidenz in allen Altersgruppen und damit auch in der Gruppe 60 – 80 zu senken. Die Kollateralschäden einer solchen Vorgehensweise sind enorm.

Die neue bayrische Grundsteuer

Wie bereits in einem Bericht vor einigen Tagen am Rande erläutert, muss die Grundsteuer von allen Münchnerinnen und Münchnern bezahlt werden, entweder direkt als Eigentümer einer Immobilie oder als Mieter, auf den die Grundsteuer über die Nebenkosten umgelegt wird. Ein trockenes und schwieriges Thema, das aber alle angeht. Am vergangenen Dienstag wurde die geplante Neuregelung der Grundsteuer in Bayern im Finanzausschuss des Stadtrats vorgestellt und – durchaus streitig – diskutiert.

Zum Hintergrund: Bislang wurde die Grundsteuer in ganz Deutschland nach folgender Formel bestimmt:

Grundsteuer = Einheitswert x Grundsteuermesszahl x Hebesatz

Der Einheitswert sollte nach der bisherigen Rechtslage den Wert des jeweiligen Grundstücks bzw. der Wohnung oder des Hauses widerspiegeln. Die Grundsteuermesszahl ermöglicht, Grundstücke mit unterschiedlicher Bebauung (Gewerbe, Wohnungen oder Einfamilienhaus, etc.) unterschiedlich zu besteuern. Durch den vom Stadtrat festzulegenden Hebesatz kann jede Stadt für sich die Höhe der Grundsteuer bestimmen. Sie bekommt auch die Einnahmen aus der Grundsteuer – in München immerhin über 300 Mio EUR pro Jahr.

Problematisch war in der Vergangenheit die Festlegung der Einheitswerte. Hier wurde in Westdeutschland auf veraltete Datenbestände von 1964 zurückgegriffen und in den neuen Bundesländern sogar auf Daten von 1935. Mit dem Urteil vom 10. April 2018 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass diese Vorgehensweise nur noch bis Ende 2024 zulässig ist. Zum 1. Januar 2020 wurde daher die Grundsteuer in einem Bundesgesetz neu geregelt. Allerdings können die Länder davon abweichen und selber entscheiden, wie im jeweiligen Land die Grundsteuer bestimmt wird. Von dieser Öffnungsklausel hat der Freistaat Gebrauch gemacht und im vergangenen Dezember einen eigenen Entwurf für die neue bayrische Grundsteuer vorgelegt. Die wichtigsten Inhalte des Entwurfs hat der Stadtkämmerer am vergangenen Dienstag in einer Vorlage für den Ausschuss zusammengefasst.

Ein ganz zentraler Aspekt betrifft die Frage, was überhaupt besteuert wird. Bislang war es der Wert eines Grundstücks und des gegebenenfalls darauf befindlichen Gebäudes. Die gesetzliche Regelung des Bundes hält daran fest. In Zukunft sollen die Einheitswerte unter Berücksichtigung mehrerer Parameter neu berechnet werden. Maßgeblich sind dann unter anderem das Alter des Gebäudes, aber auch mögliche Erträge wie Nettokaltmieten. Die Erfassung all dieser Parameter ist nicht einfach und bringt gegebenenfalls einen großen Verwaltungsaufwand mit sich.

Der Entwurf des Freistaates geht einen ganz anderen Weg. Hier wird nicht der Wert besteuert, sondern die Fläche, die viel einfacher zu erfassen ist. Zur Rechtfertigung hat man das sogenannte „Äquivalenzprinzip“ erfunden, das in der Vorlage so zusammengefasst ist:

„Es wird davon ausgegangen, dass dem einzelnen Grundstückseigentümer in der Regel umso mehr Aufwand für bestimmte lokale öffentliche Leistungen seiner Gemeinde zuordenbar sei, je größer das Grundstück ist. Ausgangspunkt sind die physikalischen Flächengrößen von Grundstück und Gebäude. […] Beispiele für lokale öffentlichen Leistungen im Sinne des Gesetzes sind der Schutz des Privateigentums durch Brandschutz oder Räumungsdienste, Infrastrukturausgaben, Ausgaben für Kinderbetreuung und Spielplätze, Ausgaben für kulturelle Einrichtungen und Ausgaben zugunsten der Wirtschaftsförderung.“

Nach dem Äquivalenzprinzip fällt für die Villa in Altbogenhausen der gleiche Betrag an wie für ein Anwesen gleicher Größe in Milbertshofen. Bei einem Ansatz, der auf den Wert abstellt, wäre das ganz anders.

In Bayern tritt damit in Zukunft an die Stelle des Einheitswertes der sogenannte „Grundsteuerausgangswert“, der sich sehr einfach berechnet: Dazu multipliziert man die Grundstückfläche mit einem Äquivalenzbetrag von 0,04EUR/qm und die Nutzfläche eines gegebenenfalls darauf befindlichen Gebäudes mit einem Äquivalenzbetrag von 0,50EUR/qm. Wie unter dem alten Recht gibt es auch im Entwurf eine Grundsteuermesszahl, die den Gebäudetyp berücksichtigt und beispielsweise für sozialen Wohnungsbau eine Reduzierung um 25% vorsieht. Auch die Möglichkeit der Gemeinde, das Grundsteueraufkommen in seiner Höhe durch den Hebesatz selbst zu bestimmen, bleibt nach dem Entwurf erhalten. Die neue Formel sieht damit so aus:

Grundsteuer = [Fläche x Äquivalenzbetrag] x Grundsteuermesszahl x Hebesatz

Allerdings werden nach Aussage des Stadtkämmerers die bayrischen Städte bei den geplanten Äquivalenzbeträgen von 0,04EUR bzw. 0,50EUR die Hebesätze verdoppeln müssen, um insgesamt das gleiche Steueraufkommen wie bisher zu erreichen. Die Ausschussmitglieder waren sich darin einig, dass dies keine populäre Entscheidung des Stadtrats sein wird, vor allem, wenn die Öffentlichkeit irrtümlich glaubt, damit würde die Grundsteuer gegenüber dem Istzustand verdoppelt.

Unter der Annahme einer Verdopplung des Hebesatzes sind die Veränderungen der zu zahlenden Grundsteuer gegenüber den bisher gezahlten Beträgen eher gering, wie man den folgenden Modellrechnungen für beispielhafte Münchner Immobilien entnehmen kann:

Modellrechnungen zur neuen bayrischen Grundsteuer in München. Die Verschiebungen sind eher gering, aber begünstigen in erste Linie Gewerbetreibende und verteuern Wohnraum. (Quelle: Vorlage der Stadtkämmerei)

Worum ging dann der Streit im Ausschuss ? Im Wesentlichen um Aspekte, die im Entwurf des Freistaats nicht geregelt sind:

SPD und Grüne haben deutlich die fehlende Streichung der Umlagefähigkeit kritisiert. Damit kann auch in Zukunft der Vermieter die Grundsteuer auf den Mieter umlegen. Erwartungsgemäß sahen die Stadträte von FDP und CDU das ganz anders. Ihr Argument ist, dass ohne die Umlagefähigkeit die Grundsteuer einfach in einer entsprechend erhöhten Kaltmiete versteckt würde, so dass sich auch dann für die Mieter nichts ändern würde.

Aus meiner Sicht ist das Gegenargument von FDP und CDU nicht stichhaltig. Denn außerhalb der bayrischen Großstädte ist solch ein Mietanstieg am Markt vielleicht gar nicht durchsetzbar. In Ballungszentren wie München kann und wird der Mietpreisanstieg durch verschiedene Vorschriften mehr und mehr eingeschränkt (Mietpreisbremse etc.). Im Ergebnis wäre daher eine Streichung der Umlagefähigkeit der Grundsteuer für die Mieter durchaus von Vorteil.

Ein weiterer Kritikpunkt von SPD und Grünen betrifft die fehlende Baulandsteuer (auch „Grundsteuer C“ genannt). Nach dem vorliegenden Entwurf gibt es keine Möglichkeit zur Erhöhung der Grundsteuer für erschlossene, aber unbebaute Flächen einer Gemeinde. Das sieht auch der Bayrische Städtetag kritisch, der sich unter der Führung des Augsburger Bürgermeisters Gribl (CSU) bereits in einer Presseerklärung geäußert hat:

Die Grundsteuer C ist ein unverzichtbares Instrument zur Flächenmobilisierung für den Wohnungsbau. Damit können baureife Grundstücke, solange sie nicht bebaut sind, mit einer Steuer belegt werden. Der Bayerische Städtetag erwartet, dass der Freistaat diese bundesrechtlich vorgesehene Möglichkeit in Bayern in einem Landesgrundsteuergesetz umsetzt.“

In der Tat erscheint es unverständlich, warum nicht einmal den großen Städten Bayerns, die alle mit steigenden Mieten kämpfen, diese Steuerungsmöglichkeit eröffnet wird, die ja auch der Bund in seinem Entwurf vorgesehen hat. Denn mit einer höheren Grundsteuer auf Flächen, auf denen Wohnungen entstehen könnten, die aber – aus welchen Gründen auch immer, vielleicht auch zur Spekulation auf steigende Bodenpreise – nicht bebaut sind, steigt der Handlungsdruck für deren Eigentümer.

Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich die Staatsregierung von dieser Kritik – auch aus den eigenen Reihen – noch beindrucken lässt und wie die neue Grundsteuer in Bayern endgültig aussehen wird.