Vor einigen Monaten habe ich schon einmal darüber berichtet, wie Bürgerinnen und Bürger versuchen können, direkt auf die Münchner Kommunalpolitik Einfluss zu nehmen. Die Behandlung des aktuellen Bürgerbegehrens „Grünflächen erhalten“ in der Vollversammlung des Stadtrats am vergangenen Mittwoch zeigt, dass dabei Erwartungen entstehen können, die später vielleicht bitter enttäuscht werden.
Website des Bürgerbegehrens „Grünflächen erhalten“
Am Mittwoch hat der Stadtrat mit einer Mehrheit aus Grünen und CSU beschlossen, die Forderungen des Bürgerbegehrens zu übernehmen, sodass es nicht zu einer Abstimmung der Bürgerschaft kommt. Dennoch wird diese Entscheidung kaum Auswirkungen auf die zukünftige Stadtplanung und Baupolitik in München haben.
In einem der ersten Stadtratsberichte habe ich 2020 auf die zwei verschiedenen Wege hingewiesen, wie in Wien bzw. Amsterdam die Verkehrswende gelungen ist. Die Diskussion des Stadtrats in der Vollversammlung am vergangenen Mittwoch gibt Anlass, diese Gedanken noch einmal aufzugreifen. Auf der Tagesordnung stand ein ca. 600 Mio. EUR teurer Vorhaltebau am Hauptbahnhof für eine Station einer weiteren U-Bahnlinie (U9) durch die Innenstadt.
Geplante Streckenführung der zukünftigen U9 (Quelle: Stadtwerke München)
Mit der U9 sollen die Linien U3 und U6 entlastet werden. Zudem würde eine neue Direktverbindung zum Hauptbahnhof geschaffen.
Die Kosten der U9 können gegenwärtig nur geschätzt werden. Sie liegen voraussichtlich irgendwo zwischen 4 und 10 Mrd. EUR. Verbindliche Förderzusagen vom Bund oder Freistaat Euro dafür gibt es bislang nicht.
In Krisen muss man auf neue Umstände reagieren. Strategien, die gestern noch richtig waren, sind heute nicht mehr sinnvoll, wenn sich wesentliche Voraussetzungen geändert haben. So waren die harten Coronamaßnahmen am Anfang der Pandemie ebenso nötig, wie sie jetzt falsch wären. Dank der Impfung ist das Krankheitsrisiko inzwischen viel niedriger als in 2020.
Gleiches gilt in der aktuellen Gaskrise. Neue Entwicklungen verlangen das Überdenken bislang gefasster Beschlüsse. Ein aktuelles Beispiel aus München ist die überraschende Verlautbarung der Stadtwerke München (SWM), dass im kommenden Winter die Fernwärme in München grundsätzlich ohne den Betrieb der Gaskraftwerke der SWM erzeugt werden kann. Bislang galt die Annahme, dass diese Gaskraftwerke durchgehend laufen müssten, damit es in den mit Fernwärme geheizten Wohnungen Münchens nicht kalt wird, vgl. hier.
Vor diesem Hintergrund haben die Fraktionen der grün-roten Rathauskoalition ihre Meinung zum Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Isar 2 geändert und in der Vollversammlung am vergangenen Mittwoch erklärt, dass sie einem begrenzten Weiterbetrieb im Grundsatz zustimmen können. Welche Überlegungen diesem Umschwung zugrunde liegen, und welche Unklarheiten es dabei noch gibt, soll nachfolgend erläutert werden.
Wir befinden uns in einer Energiekrise. Der Blick auf die Nebenkostenabrechnung – jedenfalls die kommende – zeigt, dass die Heizkosten sich gerade vervielfachen, unabhängig davon, welcher Energieträger (Öl, Erdgas, Fernwärme, etc….) zum Einsatz kommt. Bislang ist aus der Energiekrise keine Versorgungskrise geworden. Noch kommt der Strom aus der Steckdose und das Gas aus der Leitung. Aber die unvorhersehbaren Handlungen von Wladimir Putin im Rahmen seines Angriffskrieges gegen die Ukraine könnten schon in den nächsten Tagen zu einem völligen Stopp der Gaslieferungen nach Deutschland führen.
Vor diesem Hintergrund hat die CSU-Fraktion im Stadtrat zum wiederholten Male den Antrag gestellt, der Oberbürgermeister solle sich auf Bundesebene für eine längere Laufzeit des Kernkraftwerks Isar 2 einzusetzen. In der heutigen Vollversammlung des Stadtrates gab es dazu eine intensive Debatte mit jeder Menge Schuldzuweisungen. Daneben waren aber auch interessante Argumente zum Für und Wider eines Weiterbetriebs des letzten Atomkraftwerks in Bayern zu hören. Darüber soll im Folgenden berichtet werden, zusammen mit ein paar eigenen Gedanken, was in dieser schwierigen Lage der richtige Weg sein könnte.
Wer diese Seiten öfter besucht, wird bemerkt haben, dass seit Ende November keine neuen Beiträge erschienen sind. Warum? Weil die öffentliche Kommunalpolitik in München eines der ersten Opfer der Omikronwelle geworden ist. Nach mehreren roten Warnhinweisen der Corona-App auf den Mobiltelefonen von Mitgliedern des Stadtrates wurden öffentliche Ausschusssitzungen Ende November von einem Tag auf den anderen durch Online-Beratungen ersetzt. Die Öffentlichkeit bleibt damit außen vor, denn die Zugangsdaten werden nicht bekanntgemacht. Lediglich Vollversammlungen wurden einmal im Monat auf muenchen.de gestreamt. Der interessante Teil der kommunalpolitischen Willensbildung, nämlich der intensive Austausch von Argumenten, bleibt allerdings auch hier auf der Strecke. Wenn wie am 2. Februar in einer Sitzung mehr als 50 Themen beraten und abgestimmt werden müssen, ist eine tiefergehende Debatte kaum möglich.
Das ist schade und wirft die Frage auf, ob der weitgehende Verzicht auf öffentliche Ausschusssitzungen durch die von Omikron ausgehende Infektionsgefahr tatsächlich gerechtfertigt war und immer noch ist. Damit ist man mitten drin in der Problematik, wie die aktuelle Situation einzuschätzen ist. Ist die höhere Infektiosität von Omikron der entscheidende Gesichtspunkt (die gefürchtete „Omikronwand“)? Oder ist diese Variante so harmlos, dass es auf die hohen Infektionszahlen nicht mehr ankommt? Dazu ist in den vergangenen Wochen viel geschrieben und noch viel mehr in unzähligen Talkshows gesagt worden, ohne dass für mich belastbare Erkenntnisse herausgekommen wäre.
Nein, diese Überschrift ist kein Druckfehler und auch kein Aprilscherz im Oktober. Ganz im Gegenteil, dieses Thema war Gegenstand ernsthafter Beratungen im Mobilitätsausschuss und in der Vollversammlung am vergangenen Mittwoch. Worum geht es dabei?
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde München weitgehend autogerecht wiederaufgebaut, vgl. beispielsweise den damals geschaffenen mehrspurigen Altstadtring. In den 70er und 80er Jahren wurden erste Radwege angelegt. Die sahen (und sehen heute noch) häufig so aus wie hier in der Balanstraße:
Radweg in der Balanstraße
Der weniger als einen Meter breite Radweg geht auf Kosten des ohnehin schmalen Bürgersteigs. Vielleicht war damals weniger die Förderung des Radverkehrs beabsichtigt als vielmehr, die gesamte Straßenfläche für den Autoverkehr freizuhalten.
Inzwischen haben sich die verkehrspolitischen Vorstellungen geändert und viele dieser alten Radwege liegen in Tempo 30 Zonen. Das bringt die Frage mit sich, ob ein Rückbau sinnvoll ist.
Vor dem Auftreten des Coronavirus waren drohende Fahrverbote für Dieselfahrzeuge eines der größten Aufregerthemen der Politik. Insbesondere in Stuttgart und München sind an vielbefahrenen Straßen die Belastungen mit Feinstaub und Stickoxiden immer noch zu hoch. Wie bereits an anderer Stelle berichtet, werden die Werte zwar allmählich besser. Sie liegen aber immer noch über den zulässigen Grenzen. In München gilt das unter anderem für die Landshuter Allee.
In der gestrigen Vollversammlung wurde von einem Forschungsprojekt berichtet, das in den nächsten Wochen beginnen soll. Große Filtersäulen entlang der Landshuter Allee sollen Stickoxide und Feinstaub aus der Luft herausfiltern. Im Stadtrat traf das auf allgemeine Zustimmung, nicht zuletzt, weil der Freistaat fast alle Kosten des Projekts trägt. Worum es dabei geht und was aus meiner Sicht davon zu halten ist, wird im Folgenden erläutert.
Endlich wieder richtige Kommunalpolitik, möchte man nach der letzten Vollversammlung am vergangenen Mittwoch ausrufen. Die am Anfang der Sitzung von Wolfgang Schäuble, dem Leiter des Krisenstabes, erläuterte Corona-Lage ist so erfreulich, dass es keines weiteren Berichts bedarf. Stattdessen geht es hier um die Einführung eines 365-EUR-Tickets für alle für den öffentlichen Nahverkehr in München. Im Folgenden werden die Hauptargumente aus der Diskussion des Stadtrats zusammengefasst und mit ein paar eigenen Gedanken ergänzt.
Die – allmählich abklingende – Corona Pandemie bremst die Kommunalpolitik in München immer noch aus. Viele Ausschusssitzungen des Stadtrats entfallen und in der monatlichen Vollversammlung nimmt die Diskussion zur Pandemielage jedes Mal soviel Zeit in Anspruch, dass viele andere Themen vertagt werden müssen, beispielsweise die Beschlussfassung über die in diesem Bericht diskutierte Vorlage der Verwaltung.
Worum geht es dabei ? Für viele Münchner Haushalte wird es immer schwieriger, die hohen Mieten des freien Wohnungsmarktes zu bezahlen. Da kommt den beiden Wohnungsbaugesellschaften GWG und GEWOFAG große Bedeutung zu. Allerdings verfügen sie mit ca. 67.000 Wohnungen zusammen über nicht einmal 10% des gesamten Wohnungsbestandes der Stadt. Zum Vergleich: In Wien sind fast 25% aller Wohnungen in der Hand des Wiener Gemeindebaus. Ein schnelles Wachstum der Anzahl günstiger Wohnungen in München ist nicht zu erkennen. Im Gegenteil, selbst bei der Bebauung von städtischen Grundstücken braucht es immer wieder private Investoren. Deren Neubauten stellen jedoch nur zum Teil günstigen Wohnraum bereit und das auch nur über einen begrenzten Zeitraum. Das wirft die Frage auf, ob nicht eine einzige, größere Wohnungsbaugesellschaft deutlich leistungsfähiger wäre. Die Vorlage des Stadtplanungsreferats, deren Diskussion am Mittwoch leider vertagt worden ist, erläutert das Für und Wider einer Fusion der beiden Gesellschaften.
Ein weiteres Mal bestimmt Corona die Diskussion in der Vollversammlung des Stadtrates. Am vergangenen Mittwoch hat der Leiter des städtischen Krisenstabes Wolfgang Schäuble aktuelle Daten zur Entwicklung der Coronalage in München präsentiert, die im Folgenden genauer betrachtet werden. Dabei zeigt sich, dass mit fortschreitender Impfung die Zusammenhänge komplizierter werden und sich die Einschätzung der Situation in München nicht mehr nur auf die allgemeine Inzidenz stützen sollte.
Natürlich sind die Infektionszahlen ein ganz wichtiger Parameter des Geschehens hier in München. Das von Herrn Schäuble dazu präsentierte Schaubild sieht wie folgt aus:
Verlauf der Fallzahlen in verschiedenen Altersgruppen in München seit Oktober 2021 (Quelle: Vortrag von Wolfgang Schäuble im Livestream)
Anders als die auf muenchen.de tagesgenau präsentierten Daten sind hier die Infektionen auch nach Altersgruppen aufgeschlüsselt. Der Verlauf war dabei zwischen Oktober und Januar in allen Altersgruppen im Wesentlichen gleich mit einem starken Anstieg im Oktober / November, dem Höhepunkt der zweiten Welle kurz vor Weihnachten und dem starken Rückgang im Januar.
Der Verlauf in den Monaten Februar und März ist jedoch anders, hier nochmal im Detail dargestellt:
Verlauf der Fallzahlen in den letzten Wochen in den Altersgruppen.
Wie Herr Schäuble in der Vollversammlung zutreffend bemerkt hat, ist der Effekt der Impfungen unübersehbar: Während die Fallzahlen seit Mitte Februar in den drei Altersgruppen 20 – 80 wieder steigen, sind in der Altersgruppe 81+ seit Ende Februar praktisch keine Infektionen mehr aufgetreten. Das finde ich beeindruckend, auch und gerade unter Berücksichtigung der Tatsache, dass laut den Angaben auf muenchen.de die Mutation B.1.1.7 in München inzwischen einen Anteil von 86% einnimmt.
Was folgt daraus für die weitere Entwicklung? Herr Schäuble hat sich damit nur kurz befasst und Überlegungen über die zu erwartende Beanspruchung der Kliniken angestellt (dazu unten mehr).
Hier soll zunächst noch einmal festgehalten werden, dass der Schutz der Altersgruppe 81+ in München erhebliche Auswirkungen auf mögliche Opferzahlen der Pandemie in der dritten Welle hat:
Altersverteilung der Todesfälle in München seit Beginn der Pandemie (Quelle: muenchen.de)
Über 60% der ca. 1100 Todesfälle der Pandemie in München betreffen die Altersgruppe >80. Diese Gruppe ist ab jetzt glücklicherweise im Wesentlichen geschützt, wie der Verlauf der Infektionszahlen im Februar und März eindrücklich zeigt. Damit reduzieren sich auch die zu erwartenden Opfer in der dritten Welle um 60%. Würde es gelingen, auch die Altersgruppe 61 – 80 noch vor einem großen Anstieg der Inzidenzen zu impfen, wäre die dritte Welle kein wirkliches Problem mehr, da die Anzahl der Todesfälle in der Altersgruppe unter 61 vergleichsweise gering ist.
Aber genau hier hakt es und das liegt nicht an der Münchner Kommunalpolitik, sondern an der verfehlten Impfstrategie des Freistaats. Denn schaut man sich an, wie die Impfdosen in Bayern bislang verteilt worden sind, sieht man Folgendes:
Verteilung der Impfdosen in Baden-Württemberg, Bayern und Berlin im Vergleich: Man erkennt, dass nur in Berlin mehr als doppelt so viele Ältere geimpft worden sind wie andere Empfänger. (Quelle: RKI Digitales Impfmonitoring vom 28.3.)
Bayern und auch Baden-Württemberg haben nur geringfügig mehr Impfdosen an die altersbedingten Risikogruppen verteilt als an Empfänger mit beruflicher Indikation (Ärzte, Pfleger, aber auch Polizisten, Lehrerinnen und Lehrer, etc.). Ganz anders in Berlin: Hier ist man offensichtlich der Empfehlung der Ständigen Impfkommission gefolgt und hat nicht dem Druck einzelner Interessengruppen nachgegeben. Berlin hat zwar auch sein Klinikpersonal geimpft, ist aber trotzdem viel weiter als Bayern bei der Impfung der gefährdeten Bevölkerungsteile. Während in Bayern noch lange nicht alle der etwa 830.000 80+ -Jährigen geimpft sind, ist diese Gruppe in Berlin bereits durchgeimpft. Zudem sind dort schon über 60.000 Personen unter 80 geimpft worden (in Berlin gibt es nur etwa 211.00 Personen über 80). In München steht laut Aussage der Leiterin des Gesundheitsreferats, Beatrix Zurek, die Impfung aller Impfwilligen, die 81 Jahre und älter sind, kurz vor dem Abschluss.
Die weitere Entwicklung der dritten Welle in München wird durch zwei gegenläufige Effekte bestimmt:
Herr Schäuble hat in seinem Vortrag bereits daraufhin gewiesen, dass die Patienten auf den Intensivstationen der Kliniken der Stadt „jünger“ werden, mit der Präzisierung, dass es sich dabei im Wesentlichen um die Altersgruppe 60 – 80 handelt. Das ist wenig überraschend, da diese Personengruppe aufgrund ihres Alters einerseits immer noch stark gefährdet ist und andererseits weiterhin auf eine Impfung warten muss. Problematisch ist die längere Verweildauer dieser Patienten im Krankenhaus und auf den Intensivstationen als die Altersgruppe 80+, die bislang einen großen Teil der Patienten ausgemacht hat.
Andererseits sind durch die bereits erfolgten Impfungen auch erhebliche Entlastungen in den Krankenhäusern in der dritten Welle gegenüber der zweiten Welle zu erwarten. Das kann man an folgendem Schaubild des RKI zur Altersverteilung der Krankenhauseinweisungen erkennen:
Krankenhausbelegung durch die verschiedenen Altersgruppen während der zweiten Welle (Quelle: RKI-Berichte)
Fällt die Altersgruppe 80+ (orangefarbene Linie) weg, weil sie sich wegen der bereits erfolgten Impfung nicht mehr infiziert, reduziert sich die Belastung der Krankenhäuser um etwa 40%. Würden auch die 60 – 79 jährigen (blaue Linie) geimpft, wäre die zusätzliche Entlastung noch einmal fast genauso groß.
Wie sich die beiden gegenläufigen Effekte in der dritten Welle auswirken, ist schwer vorherzusagen. Klar ist aber, worauf es jetzt ankommt: Maßgeblich für die Verringerung von Todeszahlen und eine Überlastung des Gesundheitssytems ist nicht die Inzidenz insgesamt, sondern das Vermeiden von Erkrankungen der noch ungeschützten, aber massiv gefährdeten Altersgruppe 61 – 80. Diese Gruppe muss so schnell wie möglich geimpft werden, ohne Verzögerungen durch das Impfen weiterer Berufsgruppen jüngeren Alters. Gelingt dies nicht und steigt die Inzidenz in dieser Altersgruppe weiter an, so wie es sich auf dem Schaubild von Herrn Schäuble oben abzeichnet, kommen die Kliniken irgendwann an ihre Grenzen und die Zahlen der Pandemieopfer werden noch einmal deutlich zunehmen, in München und auch anderswo. Als Alternative bleibt dann nur noch der allgemeine Lockdown, um die Inzidenz in allen Altersgruppen und damit auch in der Gruppe 60 – 80 zu senken. Die Kollateralschäden einer solchen Vorgehensweise sind enorm.