Wohnen in München: Ohne konsequenten Neubau wird es nicht besser

Corona verändert vieles, vielleicht auch den Münchner Wohnungsmarkt. Wird das Homeoffice dauerhafter Bestandteil der Arbeitswelt, steigt die Nachfrage nach größeren Wohnungen. Gleichzeitig sinkt die Bedeutung der Entfernung zum Arbeitsplatz, wenn die physische Anwesenheit vielleicht nur noch zweimal pro Woche erforderlich ist. Da könnte eine größere Wohnung im weiteren Münchner Umland deutlich attraktiver sein als eine kleine Stadtwohnung für das gleiche Geld.

Allerdings sind solche Veränderungen nicht kurzfristig zu erwarten. Die Mieten in München werden auch bei einem längeren Lockdown nicht sofort dramatisch fallen. Und so lohnt es sich, einen tieferen Blick auf den Bericht zur Wohnungssituation für die Jahre 2018/2019 zu werfen, der am vergangenen Mittwoch im Stadtplanungsausschuss vorgestellt worden ist. Und die Debatte über zwei aktuelle Bauprojekte in derselben Ausschusssitzung zeigt beispielhaft, welche Flächen noch verfügbar sind und wie schwierig es ist, beim Wohnungsbau tatsächlich voranzukommen.

Zunächst ein paar Zahlen: Die mittlere Nettokaltmiete in München pro Quadratmeter beträgt gegenwärtig 11,69 EUR. Das klingt zunächst nicht besonders hoch, aber dieser Wert wird durch viele Altverträge bestimmt. Bei einer Neuvermietung im Bestand – also kein Neubau – liegt der Durchschnittswert bei 18,67 EUR. Wer jetzt seine Wohnung verliert, beispielsweise durch Eigenbedarfskündigung, und eine neue Wohnung sucht, muss im Schnitt 60% mehr Miete für die gleiche Wohnfläche bezahlen. Das bringt viele Münchner in große Schwierigkeiten. Noch deutlicher wird das Problem, wenn man die Situation einer jungen Familie bedenkt, die eine neue Wohnung mit 50% mehr Wohnfläche benötigt. Da steigen die Mietkosten – im statistischen Mittel – fast auf das zweieinhalbfache.

Warum ist das so ? Die Kurzantwort lautet, dass der Zuzug nach München den Wohnungsneubau seit Jahren übersteigt. Dadurch entsteht ein Nachfragedruck, der die Preise ständig steigen lässt und der mit den begrenzten Möglichkeiten der Kommunalpolitik nur in Teilbereichen des Wohnungsmarktes beeinflusst werden kann.

Über 100.000 Personen ziehen seit 2009 jedes Jahr nach München und schließen zu den aktuellen Mietpreisen neue Verträge ab. München hat eine vergleichsweise junge Bevölkerung mit einem Durchschnittsalter von 41 Jahren. Zwar ziehen auch Münchner weg, aber es bleibt ein Nettowachstum der Bevölkerung von etwa 20.000 – 30.000 Personen pro Jahr. Der Umzug nach München erfolgt häufig im Alter von 25 – 40 Jahren und spiegelt die guten Beschäftigungsmöglichkeiten der Stadt wieder. Bevorzugte Stadtteile von Neumünchnern liegen im Zentrum. Später allerdings – möglicherweise als Folge eine Familiengründung – erfolgt der Umzug an den Stadtrand oder ins Umland.

Durchschnittlicher Wohndauer in den 24 Münchner Stadtbezirken; (Quelle: Bericht zur Wohnungssituation 2018 – 2019)

Die Neubürger verfügen in aller Regel über eine höhere Kaufkraft und führen damit zu einem Verdrängungswettwerb im Wohnungsmarkt zu Lasten einkommenschwächerer Bevölkerungsgruppen, die schon länger in München wohnen.

Welche Möglichkeiten hat die Kommunalpolitik, auf die Wohnungssituation Einfluss zu nehmen? Da gibt es zum einen regulatorische Maßnahmen. Neben der bundesweit geltenden Mietpreisbremse können kommunale Erhaltungssatzungen räumlich begrenzt den Mietanstieg dämpfen, wie bereits hier ausführlich erläutert. Davon macht die Stadt umfangreich Gebrauch, wie man an der nachfolgenden Grafik sehen kann:

Gebiete mit einer Erhaltungssatzung (blau umrandet), zumeist innerhalb des mittleren Rings (gelb) gelegen und damit in dem Bereich, in dem der größte Verdrängungswettbewerb auf dem Mietmarkt herrscht. (Quelle: Bericht zur Wohnungssituation 2018 – 2019)

Darüber hinaus kann die Stadtverwaltung über ihre eigenen Wohnungsbaugesellschaften o.ä. günstige Mietpreise für etwa 85.000 Wohnungen bereitstellen. Das sind allerdings nur knapp 11% der 800.000 Wohnungen in München.

Wohnungen städtischer Baugesellschaften (braun) und private Sozialwohnungen (gelb für den Bestand und hellgelb für geplante Neubauten) im zeitlichen Verlauf seit 2010. (Quelle: Bericht zur Wohnungssituation 2018 – 2019)

Neben städtischen Wohnungen spielen insbesondere Sozialwohnungen eine wichtige Rolle, die ein Bauträger errichten muss, um für ein neues Projekt eine Baugenehmigung von der Stadt zu bekommen. Allerdings muss die Sozialbindung – aufgrund einer Leitentscheidung des Bundesgerichtshofs – nach einigen Jahren wegfallen. Ohne ständigen Neubau nimmt daher der Bestand an Sozialwohnungen in München kontinuierlich ab, vgl. die abnehmende Größe der gelben Balken in der Grafik oben.

Und damit kommt man zum wichtigsten Instrument der Wohnungspolitik. Solange der Nachfragedruck auf München so hoch ist, kann Entspannung nur durch konsequenten Neubau von Wohnungen erreicht werden. Allerdings sind die dafür noch zur Verfügung stehenden Flächen auf Münchner Stadtgebiet sehr begrenzt:

Verteilung der bebauten Flächen und aktuelle Wohnungsbauprojekte auf Münchner Stadtgebiet. Man erkennt, wie wenig Freiraum noch vorhanden ist und wie klein die laufenden Bauprojekte im Vergleich zu einem Wohnungsbestand von 800.000 Wohnungen sind. (Quelle: Bericht zur Wohnungssituation 2018 – 2019)

Die Notwendigkeit eines aktiven Wohnungsbaus ist daher Konsens bei allen Fraktionen im Stadtrat. Trotzdem fällt bei der konkreten Entscheidung eine Abwägung zugunsten des Wohnungsbaus manchen Stadträten überraschend schwer. So jedenfalls mein Fazit aus der Debatte am vergangenen Mittwoch im Stadtplanungsausschuss.

Weitgehende Übereinstimmung bestand im Stadtrat für das Projekt der sogenannten „Orleanshöfe“ auf dem Gebiet des alten Güterbahnhofs nordöstlich des alten Ostbahnhofs. Auf den ersten Blick erscheint die Fläche für eine (Wohn-) Bebauung ziemlich ungeeignet. Eingeklemmt zwischen der vielbefahrenen Orleansstraße und den Gleisen liegt ein langes schmales Rechteck, das sich vom Ostbahnhof bis zum Haidenauplatz erstreckt.

Das Grundstück der geplanten „Orleanshöfe“ auf dem Gelände des alten Güterbahnhofs am Ostbahnhof. (Quelle: Anlage 2 zur Vorlage des Planungsreferats)

Die enorme Nachfrage in München hat jedoch den Grundstückseigentümer bewogen, das Gelände zu entwickeln und dazu einen städtebaulichen Wettbewerb zu veranstalten, dessen Ergebnis in der Ausschusssitzung am Mittwoch vorgestellt wurde. Zum Glück, wie ich finde, hat sich das Preisgericht nicht für einen der extremen Entwürfe entschieden, beispielsweise dieses Monstrum aus Ziegelsteinen,

Einer der Entwürfe für die Bebauung des alten Güterbahnhofs am Ostbahnhof – Blickrichtung vom Haidenauplatz. (Quelle: Anlage 3 zur Vorlage des Planungsreferats)

sondern für eine etwas luftigere Gebäudestruktur aus drei getrennten Blöcken mit immerhin fast 500 neuen Wohnungen:

Der 1. Preis des Wettbewerbs für die Orléanshöfe. Der Turm wird zu einem Hotel gehören, während sich die Wohnungen im mittleren Bereich dahinter Richtung Ostbahnhof erstrecken. (Quelle: Anlage 3 zur Vorlage des Planungsreferats)

Fast alle Fraktionen im Stadtrat fanden das Konzept überzeugend und haben den entsprechenden Planungen zugestimmt, sodass hier in den nächsten Jahren Wohnbebauung auf einer bislang ungenutzten Bahnbrachfläche entstehen kann.

Ganz anders bei einem sehr viel kleineren, aber bereits seit vielen Jahren heftig umstrittenen Projekt am Münchner Stadtrand in Waldperlach. Hier möchte ein Investor in ökologischer Holzbauweise 80 Wohnungen auf einem seit Jahren ungenutzten und verrottenden Sportgelände errichten:

Vergleich zwischen Istzustand mit der verfallenen Sportanlage und der Bebauungsplanung für 80 Wohnungen. (Quellen: Google Maps und Vorlage des Planungsreferats)

Man könnte denken, dass vor dem oben geschilderten Hintergrund die geplante maßvolle Bebauung – mit dreistöckigen Häusern niedriger als der umgebende Baumbestand und in der Summe ohne neue Flächenversiegelung – ebenso wie die oben erläuterten Orleanshöfe auf allgemeine Zustimmung stoßen müsste. Dem war jedoch nicht so.

Wie bei vielen anderen Neubauprojekten hat sich eine Bürgerinitiative in der Nachbarschaft gegründet, die inzwischen jeden nur denkbaren Einwand gegen den Bau der 80 Wohnungen vorgebracht hat. Die Vorlage des Planungsreferats setzt sich daher auf über 150 Seiten mit jedem einzelnen Argument gegen die neuen Wohnungen auseinander, einschließlich einer detaillierten Umweltprüfung (…..“Die Fläche wird von Fledermäusen der Region nur sehr sporadisch als Jagd- bzw. Nahrungshabitat genutzt“ …..). Im Ergebnis ist durch den Neubau im Vergleich mit dem Istzustand keine dauerhafte Beeinträchtigung der Umwelt zu erwarten, auch wenn das Projekt in einem Landschaftsschutzgebiet liegt.

Die Stadträte der GRÜNEN hat das nicht überzeugt. Hier sind offensichtlich noch so kleine ökologische Bedenken wichtiger als der dringend benötigte Neubau von Wohnungen. Mit diesem Ansatz kann es aus meiner Sicht nicht gelingen, die Wohnungsprobleme Münchens erfolgreich anzugehen und den weiteren Anstieg der Mieten zumindest zu bremsen.

Glücklicherweise – und für mich durchaus überraschend – hat die CSU bei diesem Projekt der Versuchung widerstanden, sich vor den Karren der Bürgerinitiative der Anwohner spannen zu lassen und der Vorlage zugestimmt. Damit konnte die SPD-Fraktion auch ohne die Stimme ihres Koalitionspartners im Ausschuss dafür sorgen, dass die Planungen für die neuen Wohnungen fortgesetzt werden können. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch für weitere Projekte zum Wohnungsbau auf die eine oder andere Weise Mehrheiten im Münchner Stadtrat finden, um zumindest etwas den Druck aus dem Münchner Wohnungsmarkt zu nehmen.

Die aktuelle Corona-Lage der Stadt: Fehlender Impfstoff und fehlende Flexibilität staatlichen Handelns

Wieder einmal sind die Beratungen zum Thema Corona des Stadtrats ein Anlass für mich, Informationen und Gedanken zur aktuellen Situation in München zusammenzustellen. Um es kurz vorab zu sagen: Nach einem Jahr der Pandemie liegt das Maximum der zweiten Welle hoffentlich hinter uns, denn viele Kennzahlen sinken. Hingegen könnte die Lernkurve, wie man Risiken durch Corona wirksam verringern kann, noch ansteigen, nicht nur auf Bundes- und Landesebene, sondern auch bei der Verwaltung der Stadt München.

Die nachfolgende Darstellung orientiert sich am Vortrag des Leiters der Branddirektion Wolfgang Schäuble und der nachfolgenden Diskussion im Stadtrat in der Vollversammlung am vergangenen Mittwoch.

1. Die Inzidenz

Der Verlauf der Inzidenz in München zeigt dieses Bild:

Verlauf der 7-Tage Inzidenz in München seit Beginn der Pandemie. Die Schlösser zeigen die verschiedenen Stufen des Lockdowns in der zweiten Welle (Quelle: Präsentation von Wolfgang Schäuble)

Die aktuelle Inzidenz (<70) ist inzwischen niedriger als in der Spitze der ersten Welle (~100). Ihr Rückgang um zwei Drittel innerhalb eines Monats ist in etwa genauso stark wie im April.

2. Die Situation in den Kliniken Münchens

Auch hier zeigt sich eine positive Entwicklung, vgl. das Diagramm, das Herr Schäuble in seinem Vortrag gezeigt hat.

Belegung der Normalstationen (gelb) und Intensivstationen (rot) Münchner Krankenhäuser mit Corona-Patienten. Die tagesaktuellen Werte findet man hier. (Quelle: Präsentation von Wolfgang Schäuble)

Auf den Normalstationen ist die Belegung mit Corona-Patienten seit Weihnachten um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Auf den Intensivstationen sinken die Zahlen etwas langsamer, von in der Spitze ca. 180 auf jetzt unter 100. Das liegt immer noch weit über den Zahlen aus der ersten Welle.

3. Todesfälle

Keine klaren Daten gibt es zum zeitlichen Verlauf der am Coronavirus verstorbenen Münchner. Zwar werden seit einigen Tagen hier Zahlen veröffentlicht. Auf Nachfrage in der Vollversammlung hat die Leiterin des Gesundheitsreferats, Beatrix Zurek, aber auf große Unsicherheiten und Verzögerungen bei diesen Angaben verwiesen. Ein Rückgang der Mortalität ist jedenfalls (noch) nicht zu erkennen.

Die Altersverteilung der bislang etwa 800 Todesfälle war nicht Gegenstand der Präsentation im Stadtrat. Allerdings findet man diese Information auf muenchen.de. Hier die aktuelle Grafik:

Die Altersverteilung der an Corona verstorbenen Münchner und Münchnerinnen zeigt die extreme Altersabhängigkeit des Corona-Risikos: 60% aller Opfer sind über 80 und nur etwa 5% unter 60.

Diese Daten erscheinen mir wichtig – insbesondere zur Einordnung der weiteren Diskussion in der Vollversammlung (siehe unten unter 6.)

4. Kontaktnachverfolgung

Inzwischen hat die Stadtverwaltung ein Team aus mehr als 400 Personen zur Kontaktnachverfolgung aufgebaut, darunter 148 Soldaten der Bundeswehr. Wie Herr Schäuble ausgeführt hat, ist damit der angestrebte Schlüssel von 5 Mitarbeitern pro 20.000 Einwohner erreicht und das Team voll einsatzfähig.

Leider gab es keine Aussage darüber, ob mit diesem Team vielleicht jetzt schon, bei einer Inzidenz von etwa 70, die Nachverfolgung gelingt. Auch vom Stadtrat wurde diese Frage nicht gestellt. Eine 7-Tage Inzidenz von 70 führt in München zu etwa 150 Neuinfektionen pro Tag. Das bedeutet, dass 2-3 Mitarbeiter einen Tag lang Zeit haben, um alle Kontakte eines Coronafalls zu erreichen und gegebenenfalls unter Quarantäne zu stellen. Das sollte zu schaffen sein, vorausgesetzt, der/die Infizierte kann (und will) sich an alle Kontakte erinnern. Diese Voraussetzung hängt allerdings nicht von der Inzidenz ab.

5. Impfungen

Die Impfverordnung des Bundesgesundheitsministeriums definiert drei Gruppen erhöhter Priorität für das Impfen:

Priorisierung beim Impfen (vereinfachte Darstellung auf den Seiten des Bundesgesundheitsministeriums). Zur Gruppe 1 gehören auch die Mitarbeiter ambulanter Pflegedienste.

Diese Priorisierung geht auf die Empfehlungen der ständigen Impfkommission (STIKO) zurück. Ihre Begründung dafür ist ein lesenswertes Dokument mit einer Gesamtdarstellung aller aktuellen Erkenntnisse über COVID 19, einschließlich der zugelassenen Impfstoffe. Anders als viele Corona-Maßnahmen berücksichtigen die Empfehlungen der STIKO die extreme Altersabhängigkeit des Risikos (vgl. die Abbildung oben). Zusätzlich hat das bayrische Gesundheitsministerium festgelegt, dass innerhalb der Gruppe 1 Impfungen vorrangig in Pflegeheimen stattfinden sollen.

Laut Herrn Schäuble fallen in die Prioritätsgruppe 1 in München bereits 120.000 Personen, von denen bislang nur etwa 10% geimpft werden konnten. Warum ist das so? Größtes Problem ist natürlich der fehlende Impfstoff. Gegenwärtig können aufgrund der Liefersituation nur etwa 1000 Personen pro Tag geimpft werden. Die bereits vorhandenen Impfzentren Münchens sind auf 40.000 Impfungen pro Tag ausgelegt und auch diese Zahl könnte – wenn genug Impfstoff vorhanden wäre – noch gesteigert werden.

Aber auch die Logistik der Impfstoffverteilung durch den Freistaat ist problematisch. So wird beispielsweise der Moderna-Impfstoff in einem Zustand vom Freistaat geliefert, der – zur Vermeidung von Erschütterungen – innerhalb der Stadt keinen weiteren Transport zulässt, was die Versorgung der Altenheime mit diesem Impfstoff quasi unmöglich macht. Die Verteilung der Impfdosen in Bayern ist nach Aussage von Herrn Schäuble bislang auf den ländlichen Raum ausgerichtet und muss für München (und andere Großstädte) noch angepasst werden. Entsprechende Gespräche mit dem bayrischen Gesundheitsministerium sind im Gange.

Leider war nicht zu erfahren, ab wann mit einer Durchimpfung der Altenheime der Stadt zu rechnen ist. Für die weitere Strategie, insbesondere beim Testen, wäre das eine wesentliche Information (siehe nächster Abschnitt).

6. Münchens Teststrategie

Nach der geltenden 11. Bayrischen Infektionsschutzverordnung muss das Personal von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen sich „mindestens an drei verschiedenen Tagen pro Woche“ einem Test unterziehen. Im Dezember hat die Münchner CSU-Fraktion beantragt, diese Testpflicht in München auf ein tägliches Testen auszudehnen. In der Vollversammlung wurde der Antrag vom stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Prof. Theiss in einer engagierten Rede mit dem großen Infektions- und Sterberisiko der hochbetagten Heimbewohner begründet. Ziel aller Maßnahmen müsse es sein, die Mortalität von Corona in München so schnell wie möglich zu senken. Die Stadt übertreffe auch in vielen anderen Bereichen der sozialen Fürsorge die Vorgaben des Freistaates und man könne sich nicht auf die Mindestanforderungen der geltenden Infektionsschutzverordnung zurückziehen.

Prof. Theiss – als Mediziner vom Fach – hat dazu bereits Anfang Dezember einen lauten „Wutausbruch“ in den sozialen Medien an seinen Parteifreund Markus Söder gerichtet:

Ich habe bisher aus parteiinterner Loyalität geschwiegen, aber was zu viel ist, ist zu viel. Bei allem Respekt vor Amt und Person – im Kampf gegen Corona brauchen wir weniger Herrenchiemsee und mehr Ehrlichkeit bzw. politische Treffsicherheit. [……] Hier [in den Heimen] gibt es bis jetzt keine schlüssigen Sicherheits- und Testkonzepte. Ab heute zweimal Mitarbeitertesten pro Woche kann doch nicht unser Ernst und nicht alles sein.“

Leider ist er damit nicht durchgedrungen, denn die geforderten schlüssigen Sicherheitskonzepte gibt es in Bayern weiterhin nicht. Zwar muss inzwischen dreimal pro Woche getestet werden, aber die Vorschrift verlangt nicht einmal, dass diese Tests gleichmäßig über die Woche verteilt werden. Die Folge sind nach einem Jahr Pandemie fast 4000 verstorbene Heimbewohner, etwa die Hälfte aller Coronatoten im Freistaat.

Der CSU-interne Frieden ist dann wohl dadurch wiederhergestellt worden, dass mit dem vorliegenden Antrag nunmehr die Stadt München in die Verantwortung genommen werden soll, das tägliche Testen des Pflegepersonals in den Heimen der Stadt sicherzustellen . Der Stadtrat hat diesen Antrag jedoch abgelehnt und ist mehrheitlich den Argumenten der Leiterin des Gesundheitsreferats in der Vollversammlung gefolgt, wonach

– dreimaliges Testen pro Woche ausreichend sei;

– tägliche Tests von den Heimen nicht durchgeführt werden könnten; und

– die strikte Umsetzung von Hygienekonzepten in den Heimen ohnehin wichtiger sei, worauf in Zukunft verschärft geachtet werde.

Aus meiner Sicht ist dieses Ergebnis höchst bedauerlich. Es zeigt wie unter einem Brennglas, woran es bei der wirksamen Bekämpfung des gefährlichen Virus fehlt, nämlich der Fähigkeit der staatlichen Verwaltung, nicht nur mit allgemein gültigen Verboten, sondern auch mit eigenem Verwaltungshandeln flexibel und gezielt auf die Anforderungen der Pandemie zu reagieren. Wie schlimm Corona in Pflegeheimen wütet, ist seit der ersten Welle im Frühjahr bekannt. Auch auf diesen Seiten ist auf die fehlenden Tests immer wieder verwiesen worden (vgl. hier und hier). Sowohl der Freistaat als auch das Gesundheitsreferat der Stadt München ignorieren mit ihrer lückenhaften Teststrategie für Heime grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse und werden damit ihrer Verantwortung für die Gesundheit der Heimbewohner nicht gerecht. Im Einzelnen:

Drei Schnelltests pro Woche sind nicht ausreichend. Das kann man sich anhand folgender Grafik leicht überlegen:

Empfindlichkeit von PCR und Schnelltests im Vergleich über den Zeitverlauf einer typischen Corona-Infektion. Man sieht, dass Schnelltests deutlich weniger empfindlich sind als PCR Tests. Dafür bekommt man das Ergebnis innerhalb weniger Minuten. Das Bild stammt aus einer Veröffentlichung aus dem Frühjahr, wo die Bearbeitungszeit von PCR-Tests mit mehreren Tagen teilweise noch sehr lange war (Quelle: Larremore et al.)

Wird ein infizierter Pfleger beispielweise am 3. Tag seiner Infektion mit einem Schnelltest getestet, kann die Viruslast, die die Gefahr einer Ansteckung bestimmt, noch unter der Detektionsgrenze liegen. Am nächsten Tag (4. Tag im Schaubild oben) ist diese Person jedoch bereits hochansteckend. Erfolgt jetzt kein neuer Schnelltest, wird die Infektion ins Heim getragen. Prof. Drosten hat daher in seinem bekannten Podcast immer wieder darauf hingewiesen, dass die Aussagekraft eines Schnelltest auf maximal 24h begrenzt ist.

Es führt daher kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass mit der Testung nach der geltenden bayrischen Infektionsschutzverordnung viele Infektionen unentdeckt bleiben – mit den bekannten tödlichen Folgen.

Schaffen es die Pflegeheime jeden Tag zu testen? Wohl kaum, denn das häufig unterbesetzte Personal ist schon jetzt überlastet. Insoweit trägt das zweite Argument der Leiterin des Gesundheitsreferats. Aber Schnelltests könnten, wie Prof. Theiss zu Recht ausgeführt hat, auch von anderen Personen durchgeführt werden, beispielsweise Sanitätssoldaten oder Medizinstudenten. Das geht vielleicht nicht von heute auf morgen, aber das Problem der hohen Infektionszahlen in Pflegeheimen ist seit der ersten Welle im Frühjahr bekannt. Hier fehlt es ganz offensichtlich an der bereits oben genannten Flexibilität im Verwaltungshandeln, um kurzfristig nach unkonventionellen Lösungen zu suchen. Und wenn das in der Vergangenheit versäumt worden ist, sollte wenigstens jetzt damit begonnen werden, auch auf kommunaler Ebene.

Ist die Anwendung strenger Hygienekonzepte die bessere Lösung ? Jedenfalls nicht, wenn damit die ständige Desinfektion von Oberflächen gemeint ist. Hier ist die Wissenschaft längst zur der Einsicht gelangt, dass „Schmierinfektionen“ kein relevanter Übertragungsweg für den Coronavirus sind. Wer das nicht glaubt, findet den aktuellen Forschungsstand in diesem Aufsatz in „Nature“. Maßgeblich ist die Übertragung durch Tröpfchen und Aerosole. Das lässt sich zuverlässig nur durch tägliches Testen des Pflegepersonals ausschließen. Masken, auch FFP2 Masken, reichen dazu nicht aus.

Im Ergebnis ist die Entscheidung des Stadtrates, auf ein tägliches Testen zu verzichten, ein schwerer Fehler. Gleiches gilt für die insoweit mangelhafte Infektionsschutzverordnung des Freistaats. Es bleibt nur zu hoffen, dass das Impfen aller Heimbewohner in naher Zukunft abgeschlossen wird. Dann käme es auf die richtige Teststrategie nicht mehr an.

Automatisiertes Fahren in München – auf der Suche nach der Zukunft

So wie der Impfstoff hoffentlich bald die Corona-Pandemie beendet, so glauben manche, dass sich auch die Verkehrsprobleme Münchens im Wesentlichen mit technischen Lösungen überwinden lassen. Ein großer Hoffnungsträger sind selbstfahrende Fahrzeuge, die – elektrisch angetrieben – keine Emissionen verursachen und mit künstlicher Intelligenz den begrenzten Straßenraum viel effizienter nutzen als der motorisierte Individualverkehr der Gegenwart.

Ob das so kommt, ist natürlich unsicher und kann – wie bei einem Impfstoff – nur durch Testen ermittelt werden. Eine aktuelle Vorlage des Kreisverwaltungsreferats für die Vollversammlung des Stadtrats am vergangenen Mittwoch befasst sich mit zwei Forschungsprogrammen zu diesem Thema. EASYRIDE läuft seit 2018 und untersucht den Einfluss staatlicher Regulierungen auf die Nutzung von On-Demand-Diensten mit automatisierten Fahrzeugen. Das neue Programm TEMPUS betrifft den Aufbau konkreter Feldversuche zum automatisierten Fahren im Münchner Norden ab 2021. Innerhalb von 30 Monaten sollen durch verschiedene Teilprojekte („Arbeitspakete, AP“) sechs „Milestones“ erreicht werden:

Zeitliche und inhaltliche Planung des Forschungsprojekts TEMPUS

Dazu wird die Expertise von BMW, Siemens, mehreren Universitäten und der städtischen Verwaltung zusammengebracht. Finanziert wird das Programm vom Bundesverkehrsministerium mit fünf Millionen Euro. Da hat der Stadtrat nicht lange diskutiert, sondern nach kurzer Debatte mit großer Mehrheit zugestimmt – auch weil dafür fast kein Geld der Stadt benötigt wird.

Daran gibt es nichts zu kritisieren. Denn nur durch wissenschaftlich begleitetes Ausprobieren gewinnt man neue Erkenntnisse, ob und wie das automatisierte Fahren funktioniert und welchen Beitrag es zur Lösung der vielfältigen Verkehrsprobleme Münchens beitragen kann.

Allerdings hat mich das Studium der Vorlage und der beiden Forschungsprojekte ins Nachdenken gebracht, was man realistischerweise in einem hochverdichteten städtischen Raum erwarten kann, wenn die technischen Probleme des automatischen Fahrens eines Tages gelöst sind. Dabei bin ich auf Seiten des ADAC gestoßen, die gut verständlich den Stand der Technik und die weitere Entwicklung des autonomen Fahrens erläutern. Aus verkehrspolitischer Perspektive besonders interessant ist eine Abbildung, mit der ein bekannter deutscher Fahrzeughersteller die Zukunft des innerstädtischen Verkehrs illustriert:

Zukunftsszenario auf den Seiten des ADAC zum autonomen Fahren

Was sieht man hier? Einen Straßenraum, der überall breite Fahrradwege vorsieht, genau wie vom Münchner Radlbegehren gefordert. Und wenn man die Verkehrsteilnehmer zählt, stehen vier Radfahrer und drei Busse gerade mal zwei fahrenden Fahrzeugen des motorisierten Individualverkehrs gegenüber. Eine gläserne Fahrradparkanlage an einer U-Bahn Station nimmt über 20 parkende Räder auf, während man nur wenige parkende Autos im Bild erkennen kann. Und dazwischen jede Menge Fußgänger. Wenn das die Zukunft mit autonomen Fahrzeugen ist, bin ich begeistert.

Leider habe ich den Verdacht, dass diese Vision des innerstädtischen Verkehrs, auch wenn sie von einem namhaften Automobilhersteller kommt, (noch) nicht konsensfähig ist, jedenfalls nicht im Münchner Stadtrat. Denn in der Debatte am Mittwoch haben Stadträte von CSU und FDP nachdrücklich Platz für autonom fahrende Autos eingefordert. Die Auseinandersetzung über die richtige Verteilung des Straßenraums in München wird also andauern, unabhängig davon, ob Autos durch Menschen oder Computer gesteuert werden.

Mit diesen Gedanken verabschieden sich die Stadtratsberichte nach 47 Beiträgen in 2020 in eine kombinierte Weihnachts- / Coronapause. Sobald die Münchner Kommunalpolitik in 2021 wieder Fahrt aufnimmt, geht es auch hier weiter.

Kein Alkoholkonsum am Hauptbahnhof

Der Hauptbahnhof ist zur Zeit eine riesige Baustelle. Das Eingangsgebäude ist abgerissen und wird in den nächsten Jahren durch einen kompletten Neubau ersetzt. Aber auch die Regeln in und um den Bahnhof haben sich geändert. Denn seit 2017 ist es verboten, im Bahnhofsbereich Alkohol zu konsumieren, seit 2018 sogar rund um die Uhr. Und das hat nichts mit Corona zu tun. Damit soll die hohe Anzahl von Ordnungswidrigkeiten und „Roheitsdelikten“ (Raub, Körperverletzung, etc.) durch alkoholisierte Personen verringert werden. Da die geltende Verordnung demnächst ausläuft, musste der Kreisverwaltungsausschuss am Dienstag entscheiden, ob das Alkoholverbot verlängert werden soll und wie die Stadt mit der „Steherszene“ im Bahnhofsbereich umgeht.

Ausgangspunkt war eine Vorlage des Kreisverwaltungsreferats (KVR), in der die Entwicklung der Sicherheitslage am Hauptbahnhof seit 2017 nachgezeichnet wird. Denn das Verbot kann nach geltender Rechtslage nur dann bestehen bleiben, wenn „an den in der Verordnung bezeichneten Orten aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums regelmäßig, d.h. nicht nur vereinzelt oder gelegentlich, Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten begangen werden.“ Den räumlichen Bereich der Verordnung sieht man hier:

Der Bahnhofsbereich in München – das Alkoholverbot gilt nur im inneren Bereich (dunkelblau). Die anderen Bereiche dienen als Vergleichsgebiete; Quelle: Anlagen zur Vorlage des KVR.

Die vorgelegten Daten zur Sicherheitslage am Hauptbahnhof sind etwas diffus. Sowohl der begonnene Umbau des Bahnhofs als auch die Corona-Pandemie erschweren genaue Vergleiche. Erkennbar ist allerdings, dass mit der Einführung des Alkoholverbots rund um die Uhr die Anzahl der Straftaten im inneren Bereich (dunkelblau) deutlich stärker zurückgegangen ist als im gesamten Stadtgebiet (-28% im Vergleich mit – 1%). Fraglich ist allerdings, ob das Verbot nur eine Verdrängung in angrenzende Gebiete bewirkt. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang der nördliche Bahnhofsbereich mit dem Botanischen Garten genannt (der mittelblaue Bereich im Bild oben). Hier ist es laut Polizeibericht in der Tat in den letzten Monaten zu einem Anstieg der Delikte gekommen.

Neben der Begründung der reinen Ordnungsmaßnahmen erläutert die Anlage 10 der Vorlage die Anstrengungen der Stadt, alkoholabhängigen Personen eine Alternative anzubieten, nämlich die Begegnungsstätte „D3“ am Anfang der Dachauer Straße. Der Ansatz ist der gleiche wie bei den bislang vom Freistaat verhinderten Drogenkonsumräumen. Suchtgefährdete Personen können im D3 – in Maßen – mitgebrachten Alkohol konsumieren und erhalten Unterstützung und Therapieangebote. Betrieben wird die Einrichtung von der Caritas. In ihrem Bericht bestätigt die Leitung des D3, dass viele Besucher sich vorher an verschiedenen Bereichen des Bahnhofs aufgehalten haben. Allerdings hat auch hier Corona alles verändert. Starke Begrenzungen der Besucher behindern die Arbeit der Begegnungsstätte. Gleichzeitig ist der Bedarf nach Unterstützung weiter gestiegen, auch von Personen, die sich bislang nicht im Bahnhofsbereich aufgehalten haben.

Aus meiner Sicht geht der Ansatz der Verwaltung, die Sicherheitslage am Bahnhof durch eine Kombination aus Verboten und Angeboten für alkoholabhängige Mitbürger zu verbessern, in die richtige Richtung. Allerdings werden damit die Probleme nicht kurzfristig gelöst, schon gar nicht in Zeiten der Pandemie, die immer mehr Personen in wirtschaftliche Notlagen bringt und damit das Risiko von Alkoholmissbrauch erhöht.

Im Stadtrat war die Verlängerung des Alkoholverbots allerdings umstritten, mit Ablehnung von beiden Enden des politischen Spektrums: Sowohl die Bayernpartei als auch die LINKE haben gegen eine Fortführung des Verbots gestimmt. Die einen, weil es eine unangemessene Einschränkung der persönlichen Freiheit sei, und die anderen als untauglichen Versuch, Suchtkranke aus dem Bahnhofsbereich einfach zu vertreiben. Auch bei den Grünen gab es wohl Vorbehalte gegen das Alkoholverbot, ohne dass in der Debatte klar wurde, warum eigentlich. Im Rahmen der Abstimmung mit der SPD, die die Vorlage unterstützt, hat man sich jedoch auf den Kompromiss verständigt, das Verbot zunächst nur um zwei Jahre zu verlängern und mit einer umfassenden Evaluation zu begleiten. Ob der Erkenntnisgewinn dabei wesentlich über das hinausgeht, was bereits der aktuellen Vorlage und ihren Anlagen zu entnehmen ist, erscheint mir zweifelhaft. Denn die nächsten zwei Jahre werden ohnehin noch von der Sondersituation der Corona-Pandemie und dem Umbau des Bahnhofs geprägt sein und wenig Neues über einen „Normalzustand“ am Bahnhof erkennen lassen.

Corona und die Folgen (V)

Wie hoch wird der finanzielle Schaden der Corona-Pandemie für die Stadt München? Und was folgt daraus? Diese Fragen kann niemand seriös beantworten, weil niemand weiß, wie lange die Pandemie noch die Gesundheit und das (Wirtschafts-) Leben in der Stadt beeinträchtigen wird. Zahlen aus der gestrigen Sitzung des Finanzausschusses erlauben jedoch eine erste (Mindest-) Abschätzung – es sind schon jetzt etwa 2 Milliarden Euro.

Am schlimmsten sind die Ausfälle der Gewerbesteuer. Geschäfte und Unternehmen, die wegen des Lockdowns keine Umsätze erwirtschaften, zahlen auch keine Steuern. Die Entwicklung der Gewerbesteuer in Vergangenheit und Zukunft (Schätzung) zeigt folgendes Schaubild aus den Unterlagen der Stadtkämmerei für die Ausschusssitzung:

Entwicklung der Gewerbesteuereinnahme 2015 – 2024. Die grauen Balken bezeichnen die Gewerbesteuerumlage, die München an den Bund und den Freistaat abführen muss. Rot markiert ist der – einmalige – Ausgleich der Gewerbesteuerausfälle in 2020 durch den Bund von 630 Millionen; Quelle: Vorlage zum Antrag der SPD-Fraktion für mehr Unterstützung der Kommunen, rote Markierung hinzugefügt

Man erkennt unmittelbar, dass der eigentliche Einbruch der Gewerbesteuer (netto, blaue Linie) erst in 2021 kommt, da im laufenden Jahr alle Kommunen und damit auch München eine einmalige Erstattung der Ausfälle der Gewerbesteuer aus dem Bundeshaushalt bekommen haben (der „Wumms“ von Olaf Scholz). Im Vergleich zu 2020 fehlen damit mindestens 400 Millionen Euro Gewerbesteuer allein in 2021. Und ob es danach tatsächlich wieder aufwärts geht, steht in den Sternen.

Insgesamt bewertet die Stadtkämmerei die Finanzlage in der Mittelfristigen Finanzplanung gegenwärtig so:

Alleine bei den Steuern und ähnlichen Abgaben muss die Einnahmeerwartung in den Jahren 2021 bis 2023, also im Zeitraum von nur 3 Jahren, in einer Größenordnung von 2 Mrd. € gegenüber der bisherigen Finanzplanung 2019 bis 2023 […] zurückgenommen werden.

Was ergibt sich daraus ? Welche unmittelbaren Auswirkungen wird das auf die Stadt München und ihrer Bürger haben? Dazu muss man etwas länger ausholen:

In den letzten Jahren hat die Stadt München den Schuldenstand deutlich zurückgeführt. Das kann man an einem Schaubild der Stadtkämmerei auf muenchen.de ablesen:

Entwicklung des Schuldenstands der Stadt München seit 2007

Das sieht – bis auf 2020 – ganz gut aus. Es ist aber ein unvollständiges Bild, da gleichzeitig ein erheblicher Investitionsrückstau entstanden ist, beispielsweise bei den Schulen, dem Wohnungsbau oder dem Ausbau des ÖPNV. Daher war die Planung der Stadtkämmerei mit Zustimmung des Stadtrates schon 2019 davon ausgegangen, dass die Schulden ab 2020 wieder steigen werden, bis auf auf ungefähr 5 Mrd. Euro in 2023. Mit Corona sind das jetzt über 7 Mrd. Euro bis zum Jahr 2024 geworden.

Wie muss man einen solchen Betrag bewerten? Das hängt von der weiteren Zinsentwicklung ab. In der Sitzung hat der Kämmerer erläutert, dass man bisher (langfristig) von etwa 4% Zinsen ausgegangen sei. Dann würde die gesamte Zinslast pro Jahr bei fast 300 Mio. Euro liegen. Zum Vergleich: Der Finanzhaushalt der Stadt umfasst etwa 7 Mrd. Euro. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, kann die Stadt jedoch nur über einen Teil ihres Haushaltes frei verfügen – geschätzt ungefähr 3 Mrd. Euro. Der Rest betrifft Zahlungen, zu denen die Stadt gesetzlich verpflichtet ist oder sich langfristig gebunden hat, z.B. mit den Kosten für das eigene Personal. Die genannten Zinsen verringern daher in Zukunft jedes Jahr die tatsächlichen Gestaltungsmöglichkeiten um etwa 10 %, und dabei ist eine Tilgung der Schulden noch nicht berücksichtigt. Wenn allerdings die Zinsen niedriger ausfallen – was zumindest gegenwärtig der Fall zu sein scheint – ist die Belastung entsprechend geringer.

In der Ausschusssitzung gab es eine kurze, aber intensive Diskussion dazu. Die FDP-Fraktion hat angeregt, mit einer „Rasenmäherkürzung“ um 10% in allen Referaten die Verschuldung zu begrenzen. Insbesondere sollte auf „nice-to-have“ Projekte der Rathauskoalition wie weitere Radwege verzichtet werden. Das traf erwartungsgemäß bei der grün-roten Mehrheit nicht auf Zustimmung. Der Hinweis auf den Radwegeausbau ist in der Tat wenig hilfreich, da es dabei um Beträge geht, die bei dem erwarteten Schuldenstand von 7 Mrd. Euro keine nennenswerte Rolle spielen.

Ob eine „Rasenmäherkürzung“ der richtige Weg ist, erscheint mir schwierig zu beurteilen. In den letzten Monate habe ich den Sparwillen der Stadträte bei Einzelentscheidungen häufig vermisst, vergleiche hier und hier. Mit vielen kleinen Beschlüssen große Einsparvolumina zu erreichen, ist politisch schwierig. Umgekehrt halte ich das Argument aus der SPD-Fraktion für richtig, dass ein unterschiedsloses Kürzen das Ende des politischen Gestaltungswillens des Stadtrates in finanziell schwierigen Zeiten wäre.

Vielversprechend erscheint mir, die Liste „Große Vorhaben„, die der Kämmerer ebenfalls vorgelegt hat, noch einmal kritisch zu prüfen. Dort finden sich viele Großprojekte, die in den nächsten Jahren dreistellige, manchmal auch vierstellige Millionenbeträge kosten werden. Da kann sich jeder aussuchen, was sie oder er für verzichtbar hält oder was deutlich bescheidener ausfallen sollte. Meine persönlichen Favoriten sind zum einen die aufwändige Sanierung des Gasteigs mit geplanten 450 Mio. Euro und der teure Ausbau der S8 zum Flughafen, der mit einer Tieferlegung der Strecke in Ismaning mit bis zu 1,8 Mrd. zu Buche schlagen soll. Damit hätte man den Corona-Schaden – soweit gegenwärtig absehbar – schon wieder eingespart.

Drogenkonsumräume – nicht in Bayern

Das Thema Drogen ist nicht erst seit Corona in der öffentlichen Wahrnehmung auf dem Rückzug – allerdings zu Unrecht. 2019 hat München mit 53 Drogentoten bundesweit den dritten Platz „erobert“ und liegt inzwischen vor Köln und Frankfurt. Vergleicht man die Bundesländer, nimmt Bayern einen traurigen Spitzenplatz ein. Warum sich daran sobald nichts ändern wird, konnte man in der heutigen Sitzung des Gesundheitsausschusses erfahren.

Viele Städte versuchen mit sogenannten Drogenkonsumräumen („Drückerstuben“), Begleitrisiken des Drogenkonsums wie Infektionskrankheiten zu minimieren, indem saubere Spritzen bereitliegen und der eigene Konsum mitgebrachter Drogen vor Ort toleriert wird. Gleichzeitig wird dort mit geschultem Personal eine Anlaufstelle geschaffen, in der Drogenabhängige niederschwellig Hilfe und den Einstieg in eine Therapie finden können. Ein willkommener Nebeneffekt solcher Räume ist, dass der Drogenkonsum in der Öffentlichkeit (z.B. Parks) weniger in Erscheinung tritt. In Frankfurt ist mit diesem Ansatz die Anzahl der Drogentoten von 142 im Jahr 1992 auf aktuell etwa 20 pro Jahr zurückgegangen.

Diese Zusammenhänge hat auch die Münchner CSU-Stadtratsfraktion erkannt und 2018 einen Antrag für ein Modellprojekt gestellt. Danach soll in München im Umfeld einer Universitätsklinik ein Drogenkonsumraum eingerichtet werden und der Betrieb von der Klinik wissenschaftlich begleitet werden. Die Begründung des Antrag ist überzeugend formuliert, hier ein Auszug:

„Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass die hohe Sterblichkeit von drogenabhängigen Menschen durch entsprechende Therapieangebote reduziert werden kann. Drogenkonsumräume wie die geplante Ambulanz können die unmittelbaren Konsumrisiken reduzieren sowie die Implementierung stabilisierender und präventiver Strategien erleichtern.

Der Stadtrat ist diesem Antrag in der Vollversammlung vom 4. Oktober 2018 mit großer Mehrheit gefolgt. Allerdings kann die Stadt München solch einen Drogenkonsumraum nur mit Zustimmung des Freistaates einrichten, vgl. § 10a Betäubungsmittelgesetz:

(1) Einer Erlaubnis der zuständigen obersten Landesbehörde bedarf, wer eine Einrichtung betreiben will, in deren Räumlichkeiten Betäubungsmittelabhängigen eine Gelegenheit zum Verbrauch von mitgeführten, ärztlich nicht verschriebenen Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt wird (Drogenkonsumraum).

Nun könnte man denken, dass der Freistaat solch eine Erlaubnis innerhalb weniger Monate erteilt, wenn die Stadt München dies mit guten Gründen auf einen Antrag der CSU-Stadtratsfraktion hin für sinnvoll hält. Dies umso mehr, da Nürnberg ebenfalls solch einen Modellversuch starten möchte und sich auch der 78. Bayrische Ärztetag kürzlich dafür ausgesprochen hat, vgl. die heutige Vorlage des Gesundheitsreferats.

Dem ist allerdings nicht so. Im Gegenteil, wie aus der Vorlage hervorgeht, hat es das bayrische Gesundheitsministerium bislang nicht einmal für nötig befunden, auf die entsprechende Anfrage des Oberbürgermeisters vom 16. Januar 2020 auch nur zu antworten. Die für die Einrichtung eines Drogenkonsumraumes erforderliche Rechtsverordnung des Freistaates ist daher nicht in Sicht.

Erheiternd war bei diesem traurigen Thema nur der Erklärungsversuch der Sprecherin der CSU-Stadtratsfraktion. Die Abgeordneten des Landtages seien halt „mehrheitlich vom Land“ . Mit anderen Worten ist eine moderne Drogenpolitik, die in vielen Städten Deutschlands Erfolg hat, den CSU-Landtagsabgeordneten aus dem ländlichen Raum einfach nicht vermittelbar.

Die Energiewende der Stadtwerke – in Zukunft vielleicht auch regional

Manches geht schneller als man denkt. Die Stadtwerke München haben bei der Stromerzeugung bereits 2008 die Energiewende eingeläutet und eine „Ausbauoffensive Erneuerbare Energien“ begonnen. Durch erhebliche Investitionen an vielen Standorten in Europa ist es gelungen, etwa 6,0 TWh/ Jahr regenerativen Strom zu erzeugen. Das sind ungefähr 80% des gesamten Stromverbrauchs Münchens von gegenwärtig etwa 7,2 TWh/ Jahr. Das Ziel einer vollständigen regenerativen Stromversorgung der Stadt ist damit zum Greifen nahe. In der gestrigen Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Wirtschaft wurde dazu ein Zwischenbericht vorgelegt. Darin wird auch auf den Hauptkritikpunkt an der Ausbauoffensive eingegangen, nämlich dass der weitaus größte Teil des regenerativen Stroms nicht regional erzeugt wird, sondern mit Windkraftanlagen in der Nordsee.

Grundlage des Zwischenberichts ist ein externes Gutachten (vorgelegt in zwei Teilen, hier und hier) des Hamburg Instituts, einer Beratungsgesellschaft für Fragen der Energieversorgung mit regenerativen Energien. Auf fast 50 Seiten werden alle Aspekte der Ausbauoffensive beleuchtet und insbesondere die Potenziale einer stärkeren regionalen Energieversorgung untersucht.

Für 2035 rechnen die Stadtwerke mit einem Bedarf von maximal 8,4 TWh/Jahr, wenn bis dahin fast 40% der 900.000 Fahrzeuge in München elektrisch unterwegs sind. Die Ausbauoffensive soll daher fortgesetzt werden, um 2025 eine regenerative Deckung von 100% zu erreichen und danach den weiter steigenden Stromverbrauch bedienen zu können.

Zum Kritikpunkt der regenerativen Energieerzeugung fernab von München steht im Gutachten Folgendes: Die Betrachtung des erzeugten und des verbrauchten Stroms ist tatsächlich rein bilanziell, d.h. es wird die Strommenge, die von den Stadtwerken in ihren regenerativen Anlagen in Europa erzeugt wird, mit dem Verbrauch in München verglichen, unabhängig davon, wo der Strom der städtischen Verbraucher physikalisch herkommt, z.B. aus dem noch nicht abgeschalteten Kohlekraftwerk München Nord. Das ist aber bei einem elektrischen Verbundnetz, wie es in Europa existiert, ganz unvermeidbar. Vereinfachend betrachtet kann man sich dazu eine Art „europäischen Stromsee“ vorstellen, der Zuflüsse und Abflüsse hat. Durch die Errichtung von Windkraftanlagen in Norwegen haben die Stadtwerke seit 2008 einen neuen regenerativen Zufluss zu diesem Stromsee geschaffen, der fast genauso groß ist, wie der Abfluss, den München entnimmt.

Aus meiner Sicht ist diese Berechnungsmethode zulässig und etwas anderes als der „moderne Ablasshandel“, wenn für eine Flugreise CO2-Kompensationszahlungen geleistet werden. Dabei steht nämlich der CO2 Erzeugung durch das Flugzeug gerade keine tatsächliche CO2-Entnahme aus der Atmosphäre gegenüber, sondern nur das (vage) Versprechen des Zahlungsempfängers, mit dem Geld ein Projekt zu finanzieren, das irgendwann zu einer CO2-Speicherung, beispielsweise in einem Baum, führen soll.

In jedem Fall lässt das Gutachten keinen Zweifel daran, dass der schnelle Aufbau der regenerativen Energieerzeugung lokal und regional im erfolgten Umfang unmöglich gewesen wäre. In der Tat leisten die bislang in München und Umgebung installierten regenerativen Kraftwerke gerade 0.46 TWh/ Jahr, also nur etwa 6% des verbrauchten Stroms, vgl. die folgende Tabelle aus dem Gutachten:

Übersicht der regenerativen Kraftwerke der Stadtwerke in München und Umgebung. Die vierte Spalte zeigt wieviel Strom damit in 2019 erzeugt worden ist.

Dabei springt der mit 0,3% vernachlässigbare Anteil der Photovoltaik ins Auge. Das überrascht, denn bundesweit liegt der Anteil der solaren Stromerzeugung immerhin bei 9%.

Grundsätzlich gibt es in München viele Dachflächen, die für die Photovoltaik geeignet wären aber ungenutzt bleiben. Das Gutachten verweist auf frühere Studien, die Potenziale zwischen 700 GWh/ Jahr und 5 TWh/ Jahr angeben, letzteres nur als sogenanntes „technisches Potential“, d.h. wenn wirklich auf jedem Dach eine Solarzelle installiert würde. Anschaulich werden diese Betrachtungen durch eine genaue Karte Münchens, die bereits 2010 erstellt worden ist. Da kann man jede Dachfläche sehen, die grundsätzlich für die Stromerzeugung geeignet wäre – einschließlich der Südseite der Frauenkirche!

Ausschnitt der Karte zu potentiellen Nutzung von Solarenergie in München von 2010

Das Gutachten des Hamburg Instituts kommt zu dem Ergebnis, dass mit erheblichen Anstrengungen etwa 1,8 TWh/Jahr durch Photovoltaik lokal erzeugt werden könnten – ein Vielfaches der gegenwärtigen Solarstromproduktion in München. Andere Möglichkeiten zur Steigerung der regionalen Stromerzeugung scheiden demgegenüber aus, denn ein weiterer Ausbau der Wasserkraft führt zu ökologischen Schäden und neue Windkraftanlagen werden in Bayern praktisch nicht mehr genehmigt.

Warum stockt dann der Ausbau der Solarenergie in München? Das Gutachten fasst die fehlenden politischen Voraussetzungen so zusammen:

Fehlende politische Voraussetzungen für einen schnellen Ausbau der Solarenergie in Städten; Quelle: Gutachten des Hamburg Instituts

Die kommunalpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten der Stadt München stehen erst an dritter Stelle. Für einen umfangreichen Ausbau der Solarenergie fehlt es am politischen Willen des Freistaats und insbesondere im Bund. Auch die aktuelle Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) wird daran voraussichtlich nichts ändern, denn die geltenden Beschränkungen des Ausbaus der Solarenergie sollen erhalten bleiben, damit der Strompreis nicht steigt.

Dr. Florian Bieberbach, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Stadtwerke, hat in der Sitzung auf Fragen der Stadträte hin, diese Analyse bestätigt. Darüber hinaus bräuchten die Stadtwerke Zugriff auf mehr Dachflächen in der Stadt. Über die komplizierten rechtlichen Dreiecksbeziehungen, die dafür jedoch notwendig sind, wurde bereits hier berichtet.

Trotzdem will der Stadtrat einen neuen Anlauf zum Ausbau der Solarenergie in München nehmen. Nach einer hitzigen Debatte, die jedoch nicht inhaltliche Aspekte sondern nur formale Einwendungen der CSU-Fraktion gegen die Antragsformulierung der grün-roten Rathausmehrheit betraf, hat der Ausschuss mit großer Mehrheit die Stadtwerke beauftragt, die Ausbauoffensive fortzusetzen. Der Anteil an regional erzeugtem Ökostrom soll bis 2035 auf 35% des Stromverbrauchs der Münchner Haushalte gesteigert werden. Ob und gegebenenfalls wann dieses ehrgeizige Ziel tatsächlich erreicht wird, erscheint mit jedoch bei den geltenden bundes- und landespolitischen Rahmenbedingungen mehr als unsicher.

Erhaltungssatzungen zum Mieterschutz – ein komplexes Thema

Der anhaltende Druck auf den Münchner Wohnungsmarkt ist ein Dauerproblem, das sich auch durch ständigen Wohnungsbau nicht lösen lässt. Die Anzahl der jährlich fertig gestellten neuen Bauobjekte kann bestenfalls den Zuzug nach München ausgleichen. Schon gar nicht können die wenigen Neubauprojekte in den inneren Stadtbezirken die enorme Nachfrage bedienen. Die Folge ist eine fortgesetzte Verdrängung von alteingesessenen Bewohnern – die bekannte Gentrifizierung. Durch Luxussanierungen oder die Umwandlung in Eigentumswohnungen werden Mieter aus ihrer vertrauten Nachbarschaft gedrängt und müssen günstigeren Wohnraum suchen. Inzwischen sind in München davon nicht nur einkommensschwache Bevölkerungsgruppen betroffen, sondern auch Haushalte mit durchschnittlichem Einkommen (ca. 4000 EUR / Monat).

Eine vorausschauende Stadtplanung kann dabei nicht tatenlos zusehen. Geht die „Münchner Mischung“, d.h. das Nebeneinander von verschiedenen Einkommensgruppen in einem Stadtteil verloren, drohen langfristig amerikanische Verhältnisse mit „Gated Communities“ auf der einen und sozialen Brennpunkten auf der anderen Seite. Die Stadt München hat daher bereits 1987 erste Erhaltungssatzungen erlassen, um den Verdrängungsprozess zu bremsen. In der Ausschusssitzung am vergangenen Mittwoch wurden zwei Erhaltungssatzungen behandelt, eine Verlängerung in Sendling und eine neues Gebiet in Schwabing. Grund genug einmal zu untersuchen, was dieses Werkzeug der Stadtplanung leisten kann und wie es in München zur Anwendung kommt. Wer sich einen vollständigen Überblick zu diesem Thema verschaffen möchte, findet hier eine gut lesbare Broschüre des Stadtplanungsreferats.

Grundsätzlich hat ein Vermieter beim Umgang mit seinem Eigentum freie Hand. So kann er beispielsweise Modernisierungen durchführen oder auch ein Mehrparteienhaus aufteilen, um Wohnungen einzeln zu verkaufen. Allerdings hat die SPD-geführte Bundesregierung bereits 1976 den Städten die Möglichkeit gegeben, steuernd einzugreifen. Im § 172 BauGB findet sich seitdem folgende Regelung:

„Die Gemeinde kann [… ] durch eine […] Satzung Gebiete bezeichnen, in denen […] zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung […] der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen der Genehmigung bedürfen.

Die Stadt kann damit typische Vorgänge, die mit einer Gentrifizierung verbunden sind, prüfen und untersagen. Allerdings enthält § 172 BauGB auch Ausnahmen, in denen eine Genehmigung erteilt werden muss. Die ist beispielsweise der Fall, wenn ein Vermieter einen „zeitgemäßen [keinen Luxus!] Ausstattungszustand einer durchschnittlichen Wohnung“ herstellen möchte, was natürlich zu höheren Mieten führt. Im Ergebnis kann eine Erhaltungssatzung die Aufwertung eines Gebietes nicht verhindern, sondern nur verlangsamen. Das erscheint mir auch richtig, weil bei einer Blockade jeglicher Entwicklungsmöglichkeiten viele Vermieter das wirtschaftliche Interesse an ihren Immobilien verlieren würden, die dann faktisch einem fortschreitenden Verfall preisgeben wären.

Wo liegen Gebiete mit Erhaltungssatzung in München? Ein Frage, die sicher viele Mieter und Vermieter interessiert. Die Stadtverwaltung bietet dazu eine interaktive Karte an (danke Digitalisierung!). Ein Klick auf das entsprechende Gebiet liefert zwei Links zu einer Detaildarstellung und zum Wortlaut der dort geltenden Satzung. Hier ein Beispiel:

Interaktive Karte zu Gebieten in München mit einer Erhaltungssatzung

Wie man sieht, liegen die meisten Gebiete etwas verstreut innerhalb des Mittleren Rings. Das wirft die Frage auf, nach welchen Kriterien Erhaltungssatzungen erlassen werden. Warum sind beispielsweise in Sendling manche Teile abgedeckt und andere nicht?

Ein Blick in eine der Vorlagen des Stadtplanungsschusses vom Mittwoch hilft da weiter. Seit 1987 hat die Stadtverwaltung einen umfangreichen Katalog von Indikatoren entwickelt, anhand dessen der Stadtrat über den Erlass einer Erhaltungssatzung entscheidet:

Indikatoren für den Erlass einer Erhaltungssatzung; Quelle: Vorlage zur Erhaltungssatzung Sendling-Westpark

Vereinfacht gesprochen zeigt das Aufwertungspotential das Alter der jeweiligen Bausubstanz und damit die Wahrscheinlichkeit, dass von Vermietern umfangreiche Modernisierungen vorgenommen werden. Die Gentrifizierungsdynamik drückt das Risiko aus, dass reine Marktkräfte im jeweiligen Gebiet die Mietpreise bestimmen, beispielsweise wenn demnächst viele Wohnungen aus einer Sozialbindung fallen, die bislang die Mieten gedeckelt hat. Die Verdrängungsgefahr wird durch die wirtschaftliche Situation der Bewohner bestimmt und gibt somit an, wie stark sie von Mietpreisanstiegen bedroht sind.

Für jeden Indikator wird ein Vergleich mit Durchschnittswerten für den gesamten Stadtbezirk, für das Gebiet innerhalb des Mittleren Rings und für München insgesamt vorgenommen. Das sieht in der aktuellen Vorlage für die Erhaltungssatzung Sendling-Westpark so aus:

Vergleich der Indikatoren mit Durchschnittswerten für den Stadtbezirk, das gesamte Gebiet innerhalb des mittleren Rings und München insgesamt; Quelle: Vorlage zur Erhaltungssatzung Sendling-Westpark (Hervorhebung hinzugefügt)

In Sendling-Westpark zeigen nur wenige Indikatoren deutliche Abweichungen von den Durchschnittswerten. Maßgebliche Überlegung für die vorgeschlagene Erhaltungssatzung ist wohl die hohe Verdrängungsgefahr aufgrund der niedrigen Kaufkraft und des großen Anteils an Haushalten mit sehr geringen Nettoeinkommen (Indikatoren VG07 und VG08).

So präzise die Erfassung der einzelnen Indikatoren ist, so unscharf erscheint mir jedoch die Bewertung der Ergebnisse. Eine klare Regel, wie viele Indikatoren sich von Durchschnittswerten unterscheiden müssen, um den Erlass einer Erhaltungssatzung zu rechtfertigen, lässt sich nicht erkennen. Noch deutlicher wurde das bei der zweiten Vorlage zu einer weiteren Erhaltungssatzung in Schwabing, die hier nicht im einzelnen diskutiert werden soll. Im Ergebnis werden die Indikatoren nicht gegeneinander abgewogen oder aufaddiert, sondern dienen als ein Reservoir möglicher Begründungen für eine letztlich politisch zu treffende Entscheidung.

Die Diskussion der beiden Vorlagen im Stadtplanungsausschuss verlief entlang vorhersehbarer Fronten. Die FDP war strikt dagegen, mit dem Argument, dass mit den Erhaltungssatzungen Renditemöglichkeiten von privaten Eigentümern eingeschränkt würden, die eine oder mehrere Wohnungen zur privaten Altersvorsorge erworben hätten. Die SPD hat als Wortführer der Rathauskoalition bei diesem Thema die Vorlage vehement verteidigt, unterstützt von den Grünen, die inzwischen auch ihre eigene bürgerliche Wählerklientel von den rasant ansteigenden Mieten bedroht sehen. Auch die CSU hat zugestimmt. Die Notwendigkeit, steuernd in den überhitzten Münchner Mietmarkt einzugreifen, wird damit von einer großen Mehrheit des Stadtrates anerkannt. Das erscheint auch mir die richtige Entscheidung zu sein.

Ob die beiden Erhaltungssatzungen aber wirklich Bestand haben, wird sich möglicherweise erst vor den Gerichten herausstellen. Um dafür gut gerüstet zu sein, wird das Stadtplanungsreferat ein umfassendes Rechtsgutachten in Auftrag geben. Das wird hoffentlich klären, ob die erläuterte Vorgehensweise zum Erlass von Erhaltungssatzungen in München so auch in Zukunft Bestand haben kann oder ob das Verfahren verändert werden muss.

Kinderbetreuung – Muss man wirklich alles fördern?

Die Suche nach Krippen- oder Kindergartenplätzen ist in München nicht einfach. Zwar hat sich die Lage in den letzten Jahren deutlich verbessert, aber der Versorgungsgrad ist in vielen Stadtteilen immer noch unzureichend. Daher versucht die Stadtverwaltung ständig, ihre eigenen Betreuungskapazitäten zu steigern. Gleichzeitig werden Einrichtungen privater Träger mit erheblichen Mitteln gefördert. So standen am Dienstag auf der Tagesordnung des Ausschusses für Kinder- und Jugendhilfe zwei neue städtische Projekte sowie Zuschüsse für insgesamt vier private Neubauten. Schaut man sich die entsprechenden Unterlagen im Detail an, kann man jedoch ins Staunen kommen, wer mit einem Millionenbetrag in Zeiten knapper öffentlicher Haushalte gefördert wird.

Bei den nicht-städtischen Trägern von Kinderbetreuungseinrichtungen gibt es verschiedene Anbieter. Beispielsweise betreiben die beiden Kirchen zahlreiche Kindergärten. Vielfach haben sich auch Eltern zusammengetan und selbst eine gemeinnützige Kita aufgebaut. Inzwischen gibt es aber auch eine wachsende Anzahl kommerziell betriebener Krippen und Kindergärten, darunter einige, die monatliche Gebühren im vierstelligen Bereich verlangen.

Dagegen ist aus meiner Sicht nichts einzuwenden. Kinderbetreuung und frühkindliche Erziehung sind Dienstleistungen, deren Preis, wenn sie von privater Seite angeboten werden, durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Wer sich beispielsweise als „bilinguale Premium-Kita“ versteht, ausgestattet mit „Bibliothek und Sauna“ für die Kleinen sowie einem eigenen Koch, der jeden Tag „Lebensmittel ausschließlich aus regionaler und biologisch-dynamischer Landwirtschaft“ frisch zubereitet, kann für eine Ganztagesbetreuung in München ohne Probleme weit über 1200 EUR verlangen, zzgl. einer Verpflegungspauschale von 161 EUR. Da bleibt man dann auch unter sich, wie mit entsprechenden „Testimonials“ zufriedener Eltern zum Ausdruck gebracht werden soll:

Als Unternehmerpaar bietet […..] genau den passenden Betreuungsansatz für uns: Absolute Flexibilität, anspruchsvolle Pädagogik und einen tollen Rundum-Service.

Die Kids sind bei […] einfach super aufgehoben. Es macht ihnen sehr viel Spaß jeden Tag. Und wenn ich es mal nicht ganz pünktlich schaffe, werde ich auch nicht schief angeguckt. Dr. [….] Geschäftsführerin.

Nur, muss solch eine Einrichtung mit einem Millionenbetrag durch Steuergelder gefördert werden, insbesondere in Zeiten, in denen jeder Euro zweimal umgedreht werden muss ?

Bei den Betriebskosten erfolgt eine Förderung durch die Stadt München nur dann, wenn die Gebühren abhängig vom Einkommen der Eltern gestaffelt sind und bestimmte Höhen nicht überschreiten oder es sich um eine gemeinnützige Eltern-Kind-Initiative handelt. Dem liegt der Grundgedanke zugrunde, dass öffentliche Fördergelder nur dann eingesetzt werden sollten, wenn eine Betreuungseinrichtung breiten Bevölkerungskreisen zugänglich ist. Kommerzielle Krippen bzw. Kindergärten, die aufgrund ihrer Gebührenhöhe den weitaus größten Teil der Elternschaft ausschließen, gehören nicht dazu.

Anders sieht die Situation bei den Investitionskosten aus. Gemäß einer der Vorlagen für die Sitzung am Dienstag soll die private Kinderbetreuungseinrichtung, von deren Website die obigen Zitate stammen, für einen Neubau in Harlaching einen Baukostenzuschuss von 1,7 Mio EUR erhalten. Dabei handelt es sich nicht um einen Kredit, sondern um eine direkte Auszahlung. Dafür verpflichtet sich die geförderte GmbH für 25 Jahre dort eine Krippe und einen Kindergarten zu betreiben. Damit bezahlt die Stadt München den größten Teil der Baukosten einer kommerziellen Betreuungseinrichtung, die aufgrund ihrer Gebühren nur einem ganz kleinen Teil der Münchner Bevölkerung zugänglich sein wird und deren Betreiber nach 25 Jahren frei über eine Immobilie in Bestlage verfügen können. In der Vorlage wird zwar darauf hingewiesen, dass Teile oder sogar der gesamte Betrag durch den Freistaat Bayern refinanziert werden. Doch auch dort sind die Mittel begrenzt, insbesondere in Zeiten einer Pandemie mit ihren wirtschaftlichen Folgen.

Nun könnte man einwenden, dass mit dieser Förderung immerhin Betreuungsplätze geschaffen werden, von denen es immer noch zu wenige gibt, auch in Harlaching. Dem ist entgegenzuhalten, dass man mit dem genannten Betrag auch andere Träger unterstützen könnte, die Betreuungsangebote für Kinder schaffen, die nicht nur aus einer ganz exklusiven Bevölkerungsgruppe kommen. Aus meiner Sicht gilt hier nichts anderes als bei der Förderung von Wohnraum, der in München ebenfalls knapp ist. Da käme niemand auf den Gedanken, einem Investor 60% der Baukosten für Luxuswohnungen zu bezuschussen mit dem Argument, dass damit jedenfalls neuer Wohnraum geschaffen wird.

Möglicherweise ist der Grund für diese verfehlte Förderung, dass es bislang keine Regeln gibt, mit der ein Investitionskostenzuschuss für Kinderbetreuungseinrichtungen an eine sozialverträgliche Gebührenstruktur gekoppelt wird. Die Ablehnung der Förderung im Einzelfall durch den Stadtrat könnte daher rechtlich problematisch sein und vor Gericht scheitern. Im Ergebnis wird jetzt ein siebenstelliger Betrag für eine Einrichtung aufgewendet, die sicher nicht dazu dient, die Stadtgesellschaft zusammenzuführen. Denn die so wichtige soziale Durchmischung wird dort eher verhindert als gefördert.

Wirklich überraschend war für mich, dass keine der Stadtratsfraktionen im Ausschuss dazu Stellung genommen hat. Im Gegenteil, die Vorlage wurde ohne jeden Einwand einfach durchgewunken. Maßgeblich war wohl die Überlegung, dass bei einer kompletten Refinanzierung des Zuschusses durch den Freistaat die Stadt ohne eigenen Kosten zusätzliche Krippen- und Kindergartenplätze bekommt – egal welcher Art.

Corona und die Folgen (IV)

Die Pandemie beschäftigt weiterhin in vielfältiger Weise die Kommunalpolitik der Stadt München. Mehrere Berichte auf diesen Seiten haben sich mit der aktuellen Situation in den städtischen Krankenhäusern befasst. Auch die erheblichen Einnahmeausfälle im städtischen Haushalt waren und sind immer wieder Gegenstand von Beratungen des Stadtrates. Die heutige Sitzung des Sozialausschusses (zusammen mit dem Ausschuss für Kinder- und Jugendhilfe) hat deutlich gezeigt, wer von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und der Infektionsschutzmaßnahmen am schlimmsten betroffen ist.

Die Anzahl der Münchner, die Hilfe wegen Überschuldung suchen, ist in den vergangenen Monaten dramatisch angestiegen. Waren es im Februar ungefähr 500 Personen, die Kontakt zur städtischen Schuldner- und Insolvenzberatung aufgenommen haben, ist diese Zahl im Juli auf fast 1400 gestiegen. Arbeitsplatzverlust, beispielsweise in der Gastronomie oder im Kulturbereich, führen bei vielen Betroffenen zu existentiellen Nöten. Die Folgen des aktuellen „Lockdown light“ sind da noch nicht mit berücksichtigt.

Überschuldung geht häufig mit dem Verlust der eigenen Wohnung einher. Die Anträge für Sozialwohnungen beim Amt für Wohnen und Migration haben um fast 20% zugenommen, von ca. 30.000 in 2019 auf voraussichtlich 35.000 in 2020. Täglich erkundigen sich 600 – 800 Anrufer beim Servicetelefon der Stadt über die Unterstützungsmöglichkeiten bei der Suche nach günstigem Wohnraum.

Vor diesem Hintergrund erscheint es mir trotz der miserablen Finanzlage der Stadt nachvollziehbar, wenn das Sozialreferat mit seiner heutigen Sitzungsvorlage zusätzliche Stellen zur Beratung von in Not geratenen Münchnerinnen und Münchner schaffen möchte. Dafür werden Personalkosten von jährlich ca. 1.3 Mio EUR beantragt, allerdings befristet für die nächsten drei Jahre. Damit sollen die langen Verfahrensdauern – vier Monate bis zu einem Beratungstermin bei der Schuldnerberatung und sechs Monate bis zu einen Wohnungsbescheid – verkürzt werden.

Zum Vergleich: Das Gesamtbudget des Sozialreferats für 2021 liegt gemäß der ebenfalls heute vorgelegten Haushaltsplanung bei knapp 1,5 Mrd EUR und ist damit geringfügig höher als in 2020.

Bestandteile des Aufwandsbudgets des Sozialreferats 2019 – 2021 (Planung); Quelle: S. 4 der Vorlage zur Haushaltsplanung

Wo es im Haushalt des Sozialreferats Einsparmöglichkeiten gibt, soll bis Mitte 2021 im Rahmen einer detaillierten „Aufgabenkritik“ genauer untersucht werden. Die Anzahl der Mitarbeiter ist bereits rückläufig, von rechnerisch etwa 3700 Vollzeitbeschäftigen in 2018 auf 3637 in 2020.

Die Stadträte haben den zusätzlichen Stellen für die oben genannten Beratungsangebote mit großer Mehrheit zugestimmt. Allerdings waren sie optimistischer im Hinblick auf das baldige Ende der Pandemie, so dass auf einen Änderungsantrag der Grünen und SPD hin die Befristung der meisten Stellen auf zwei Jahre verkürzt worden ist. Es bleibt zu hoffen, dass wir dann das Virus und seine Folgen tatsächlich hinter uns haben.