Möchte man verstehen, wie der Stadtrat die Kommunalpolitik der Stadt München bestimmt, könnte man die Bayrische Gemeindeordnung und viele andere Vorschriften studieren, um sich ein solides theoretisches Fundament zu erarbeiten. Für den juristischen Laien ein hartes Brot. Ein eher pragmatischer Zugang besteht darin, einfach zuzuschauen. Da begreift man schnell, wie es im Grundsatz funktioniert. Und das geht so:
Stellen Sie sich vor, Sie möchten etwas in München verändern, vielleicht in der Verkehrspolitik – immer ein heißes Eisen der Kommunalpolitik – oder in der Förderung einer Kultur- / Sporteinrichtung oder im Hinblick auf den sozialen Wohnungsbau, usw. Der erste Schritt besteht darin, dass Sie sich an einen Stadtrat wenden. Sie kennen keinen Stadtrat? Kein Problem, hier ist die Liste aller Münchner Stadträte mit Emailadressen.
Wenn Sie ein Mitglied des Stadtrats von Ihrem Anliegen überzeugen, wird er oder sie als nächstes einen entsprechenden Antrag stellen. Das sieht zum Beispiel so aus:
Man könnte jetzt darüber rätseln, wie es zum kommunalpolitischen Programm der Münchner CSU passt, einen Antrag zu stellen, der die Fahrbahn für Autos reduziert, aber das ist hier nicht das Thema. Es geht darum, wie ein solcher Antrag im Stadtrat weiter behandelt wird. Anders als man es vielleicht erwarten würde, wird über den Antrag an sich nicht beraten oder abgestimmt. Das unterscheidet den Stadtrat von Landesparlamenten und dem Bundestag.
Stattdessen erstellt die Stadtverwaltung aus dem Antrag zunächst eine sogenannte „Vorlage“, die nach Prüfung des Sachverhaltes und der rechtlichen Rahmenbedingungen Vorschläge enthält, ob und wie eine Umsetzung erfolgen kann. Diese Vorlage und nicht der Antrag wird im Stadtrat beraten und abgestimmt. Anträge müssen in der Regel innerhalb von sechs Monaten zu einer Vorlage führen.
Alle bislang unbehandelten, noch „offenen“ Anträge lassen sich in einer Datenbank der Stadtverwaltung recherchieren. Wenn man sich das anschaut, klingt manches wie bei „Wünsch Dir Was“. Es ist daher sinnvoll, dass die Verwaltung jeden Antrag erst einmal prüft und daraus eine Vorlage erarbeitet. Gleichzeitig wird es dadurch den Stadträten leichter, das Handeln der Stadtverwaltung durch Anträge politisch zu gestalten. Nicht jeder technische oder juristische Aspekt muss schon bei Antragstellung vollständig durchgedacht sein.
Vorlagen können auch von der Stadtverwaltung selbst ausgehen, beispielswiese wenn aktuelle Landes- oder Bundesgesetze eine konkrete Umsetzung durch die Stadt verlangen oder wenn der Oberbürgermeister von sich aus ein bestimmtes Thema aufgreift.
Wie sieht nun eine Vorlage aus, die in den Stadtrat bzw. einen Ausschuss zur Beratung eingebracht wird? Auch dazu ein Beispiel, der Einfachheit halber wieder aus dem Bereich der Verkehrsplanung:
In dieser Vorlage werden mehrere Varianten der Verkehrsführung an den Ein- und Ausgängen einer neuen Tiefgarage am Altstadtring erläutert. Unter II. findet sich der „Antrag der Referentin“. Dieser Antrag der Leiterin des Referats für Stadtplanung und Bauordnung ist nicht zu verwechseln mit einem Antrag aus dem Stadtrat, der so einer Vorlage möglicherweise zugrunde liegt.
Der Stadtrat kann einer Vorlage der Verwaltung nicht nur zustimmen oder sie ablehnen, sondern sie auch inhaltlich abändern. Das sieht man an folgendem Beispiel: Für die neue Aufteilung des Verkehrsraumes auf der Ostseite des Altstadtrings hatte die Verwaltung in der obigen Vorlage zunächst den nachfolgend gezeigten Querschnitt vorgesehen:
Diese Vorlage ist zunächst im Ausschuss für Stadtplanung und Bauordnung diskutiert worden. ABER, eine Mehrheit hat der Antrag der Referentin dort nicht gefunden. Es gab nachhaltige Bedenken, den Altstadtring von ursprünglich drei auf nur noch eine Fahrspur für die Autos zu reduzieren. Die weitere Behandlung der Vorlage wurde daher in die Vollversammlung des Stadtrates vertagt mit der klaren Anweisung an das Referat, noch einmal nach einer Lösung zu suchen, die zwei Fahrspuren ermöglicht. Und siehe da, in der Sitzung des gesamten Stadtrates eine Woche später gab es eine überarbeitete Vorlage mit folgender Aufteilung des Straßenraumes:
Dies ist dann so beschlossen worden. Man mag das inhaltlich bewerten, wie man möchte, aber es zeigt beispielhaft das Wechselspiel zwischen Verwaltungsvorlagen und der Diskussion und Entscheidungsfindung im Stadtrat. Erst die kritischen Nachfragen aus dem Stadtrat – im vorliegenden Fall war entscheidend, dass die SPD Fraktion bei der Besprechung der ursprünglichen Vorlage im Ausschuss Bedenken hatte, ob Rettungsfahrzeuge auf dem reduzierten Altstadtring schnell genug durchkommen – hat zu einer Lösung geführt, die zunächst von der Verwaltung als unmöglich betrachtet worden ist. Dabei muss man aber fairerweise sagen, dass der gesamte Sachverhalt oben etwas vereinfacht dargestellt worden ist.
Auf Stadtratsberichte.de finden sich meine wöchentlichen Berichte und Kommentierungen zu aktuellen Anträgen, Vorlagen und Entscheidungen im Münchner Stadtrat, um Ihnen, liebe Leser, damit zu ermöglichen, der Münchner Kommunalpolitik besser zu folgen. Die Themen betreffen dabei weit mehr als nur die Verkehrsplanung der Stadt. Schauen Sie rein!
Ihr Stadtratsberichterstatter