Es ist eine Binsenweisheit, dass München eine reiche Stadt ist, vielleicht die reichste Stadt Deutschlands. Ebenso offensichtlich ist jedoch die Tatsache, dass es auch in München viel Armut gibt. Aber wie liegen die Dinge genau? Und wie haben sie sich in den letzten Jahren verändert? Seit 1987 gibt die Stadtverwaltung alle fünf Jahre einen Armutsbericht heraus, „eine faktengestützte Grundlage“ wie es die 3. Bürgermeisterin Verena Dietl in der Einführung zum aktuellen Bericht ausdrückt.
Die nachfolgenden Zeilen reichen nicht aus, die über 300 Seiten des Armutsberichts 2022 zusammenzufassen und zu kommentieren. Daher sollen nur einige Aspekte erläutert werden, die mir bei der Durchsicht und in der Diskussion im Sozialausschuss am vergangenen Dienstag besonders aufgefallen sind.
Bereits im Herbst 2020 habe ich hier über eine Sitzung des Kinder- und Jugendausschusses zu den Folgen von Corona berichtet. Damals habe ich mich gefragt, was sich aus der großen Betroffenheit über die dramatischen Auswirkungen des ersten Lockdowns für Kinder und Jugendliche für die Zukunft ergibt. Diese Frage ist inzwischen beantwortet: (Fast) nichts. Nach halbherzigen Versuchen, den Schulbetrieb bei steigenden Inzidenzzahlen aufrecht zu erhalten, ist dasselbe passiert wie im Frühjahr 2020. Das normale Leben der Kinder und Jugendlichen ist über ein halbes Jahr lang den strikten Maßnahmen zur Senkung der Inzidenz zum Opfer gefallen. Eine altersabhängige Differenzierung der Corona-Maßnahmen gab und gibt es bis auf wenige Ausnahmen nicht.
Das sind keine Entscheidungen des Münchner Stadtrates oder seiner Ausschüsse gewesen. Es ist die Folge der Corona-Strategie des Freistaats und des Bundes. Dennoch hat der Kinder- und Jugendhilfeausschuss des Münchner Stadtrates am vergangenen Dienstag auf Antrag der SPD und der Grünen einmal mehr dieses Thema aufgegriffen. Im Rahmen einer umfangreichen Expertenanhörung wurden Vertreterinnen von Kinderärzten und der Schulverwaltung sowie einige Kinder und Jugendliche angehört. Damit sollten die Stadträtinnen und Stadträte einen Eindruck der Lage bekommen und Anregungen erhalten, was die Stadt München unternehmen kann, um die Situation zu verbessern. Die Ergebnisse werden in naher Zukunft in eine Beschlussvorlage des Sozialreferats einfließen.
Die Gefahren des Virus für die Gesundheit der Bevölkerung stehen seit einem Jahr uneingeschränkt im Mittelpunkt der Politik. Die wirtschaftlichen Schäden der getroffenen Maßnahmen haben demgegenüber weniger Gewicht. Beispielsweise zwingt der monatelange Lockdown den Einzelhandel in einen brutalen und weitgehend unumkehrbaren Strukturwandel, bei dem auch in München viele Läden und ihre Beschäftigen auf der Strecke bleiben – trotz aller staatlichen Unterstützungsmaßnahmen.
Die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche spielen bei der Entscheidung über Infektionsschutzmaßnahmen eine noch weit geringere Rolle, jedenfalls dann, wenn es um mehr geht als um die Sicherstellung der fortlaufenden Wissensvermittlung mit Homeschooling oder Wechselunterricht. Welche Belastungen und psychische Schäden über Monate andauernde Kontaktbeschränkungen in einem Alter verursachen, in dem Gleichaltrige für die Ausbildung der eigenen Persönlichkeit wichtiger sind als die eigenen Eltern, lässt sich nur vermuten.
Um für München etwas Licht ins Dunkel zu bringen, hat das Sozialreferat einen umfangreichen Bericht erstellt, der in der gestrigen Sitzung des Ausschusses für Kinder- und Jugendhilfe diskutiert worden ist. Wichtige Inhalte daraus werden im Folgenden zusammengefasst und kommentiert:
1. Die aktuelle Lage
Der Bericht zeigt, wie schwierig es ist, harte Daten zur Situation der Kinder und Jugendlichen in München zusammenzustellen. Psychische Belastungen und Entwicklungsstörungen lassen sich – anders als Inzidenzzahlen – nicht einfach zählen. Nur dann, wenn die Situation völlig eskaliert und es in einer Familie zu häuslicher Gewalt gekommen ist, findet das einen Niederschlag in der Polizeistatistik. Und da ist für den ersten Lockdown im vergangenen April mit seinen strengen Ausgangsbeschränkungen ein deutlicher Anstieg zu erkennen:
Damit werden aber die tatsächlichen Gefährdungen von Kindern und Jugendlichen nicht vollständig erfasst, wie sich aus einem anderen Datensatz des Berichts ableiten lässt: In normalen Zeiten gibt es in München etwa 80 Inobhutnahmen pro Monat, wenn Kinder in ihren Familien akut gefährdet sind und daher in Pflegefamilien untergebracht werden müssen. Im April /Mai 2020 ist diese Zahl – genau entgegen dem Verlauf der häuslichen Gewalt – auf etwa 50 Fälle gesunken. Wie im Bericht vermutet, liegt dies sicher nicht an einer Verbesserung der Situation in den Familien, sondern daran, dass in dieser Zeit übliche „Warnmelder“ von misshandelten Kindern wie Kitas und Schulen geschlossen waren. Gefährdete Kinder sind damit einfach aus dem Blickfeld verschwunden.
Weitere aussagekräftige Zahlen sind dem Bericht nicht zu entnehmen, da das Jugendamt kaum eigene Statistiken erhebt. Die Rückmeldungen der Kooperationspartner der Stadt bei der Kinder- und Jugendhilfe gehen aber alle in die gleiche Richtung, nämlich dass die Situation sich mit dem andauernden zweiten Lockdown deutlich verschlechtert hat, insbesondere in Familien, in denen die Situation der Kinder und Jugendlichen ohnehin schon schwierig ist. Worum es dabei geht, zeigt folgender Auszug aus dem Bericht:
Bestätigt wird diese Analyse für München durch die im Bericht zitierte COPSY-Studie zur bundesweiten Situation von Kindern und Jugendlichen (die allerdings auch nur auf Daten aus dem ersten, vergleichsweise kurzen Lockdown im Frühjahr 2020 beruht).
2. Maßnahmen des Sozialreferats im zweiten Lockdown
Das Sozialreferat und die freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe haben mit einer Vielzahl von Anpassungen flexibel auf den zweiten Lockdown reagiert, um so gut es geht die vielfältigen Unterstützungsangebote der Stadt München fortführen zu können. Dabei ist es unter anderem gelungen, die 164 Kinder- und Jugendtreffs der Stadt offen zu halten. Gleichzeitig wurden neue Formate wie „Walk and Talk“ oder Gespräche an der Haustür eingesetzt, um so die Betreuungsarbeit wenigstens teilweise fortführen zu können.
Als besonders schwierig wird jedoch die Kontaktaufnahme zu neuen Kindern oder Familien betrachtet, von denen noch keine Daten vorliegen und die daher nicht proaktiv angesprochen werden können. Auch ist bei online-Angeboten oder Telefonaten anders als im persönlichen Gespräch nicht immer die erforderliche Vertraulichkeit gegeben.
Insgesamt gewinnt man aus dem Bericht den Eindruck, dass die Verantwortlichen im Sozialreferat und bei den freien Trägern mit großem Engagement alle Möglichkeiten ausnützen, um die Beratungs- und Unterstützungsangebote der Kinder- und Jugendhilfe im zweiten Lockdown aufrecht zu erhalten.
Im Ausschuss wurde der Bericht mit großer Betroffenheit zur Kenntnis genommen. Von allen Fraktionen wurde geäußert, dass Kinder und Jugendliche nach einem Jahr Pandemie-bedingter Einschränkungen die Solidarität und Unterstützung der Erwachsenen verdient hätten. Allerdings gelte dies immer unter Berücksichtigung des Infektionsschutzes, zumal auch in München die Inzidenz gerade wieder ansteige.
Genau da liegt aus meiner Sicht das Problem. Das ausgedrückte Mitgefühl ist wenig wert, wenn sich daraus für die Verbesserung der Situation der Kinder und Jugendlichen nichts ergibt. Damit werden nur Beteuerungen wiederholt, die im gleichen Ausschuss schon nach dem ersten Lockdown zu hören waren. Um die eigentliche Kernfrage drückt man sich damit herum, nämlich ob zugunsten der kommenden Generation – solidarisch – auch ein etwas höheres Gesundheitsrisiko akzeptiert werden kann oder ob das Argument des Infektionsschutzes auch in Zukunft immer sticht. Im Grunde geht es um eine schwierige Abwägung, an der niemand vorbeikommt. So wie jede Kontaktbeschränkung zu den oben erläuterten schlimmen Schäden bei Kindern und Jugendlichen beiträgt, so hat umgekehrt jedes geöffnete Jugendzentrum, jegliches Erlauben von Kontakten etc. Auswirkungen auf die Inzidenz. Man muss sich nur die aktuellen Grafiken des RKI anschauen, um zu erkennen, dass trotz aller Vorsichtsmaßnahmen seit der zaghaften Öffnung von Kitas und Schulen vor einigen Wochen die Corona-Ausbrüche dort wieder deutlich zunehmen.
Nur wie schlimm ist das noch, nachdem die Pflegeheime inzwischen durchgeimpft sind? Anders als in 2020 wird jetzt aufgrund der Impfungen der Anteil der Infizierten, die tatsächlich an COVID schwer erkranken und möglicherweise versterben, abnehmen. Hohe Inzidenzen haben vor Beginn der Impfkampagne zeitversetzt immer auch zu hohen Krankenhauseinweisungen und Todeszahlen geführt. Dieser Zusammenhang wird durch die Impfungen der älteren Generation mit jedem Tag schwächer und deshalb die Aussagekraft von Inzidenzwerten fortlaufend geringer. Damit ist es aus meiner Sicht an der Zeit, die Pandemiemaßnahmen neu zu bewerten und die Abwägung zugunsten der Kinder und Jugendlichen zu treffen. Diese Gruppe ist von schweren Corona-Verläufen bis auf wenige Einzelfälle – vgl. auch dazu die täglichen RKI-Zahlen – nicht betroffen, trägt aber eine enorme Belastung, wie der Bericht des Sozialreferats eindrucksvoll zeigt.
Die Suche nach Krippen- oder Kindergartenplätzen ist in München nicht einfach. Zwar hat sich die Lage in den letzten Jahren deutlich verbessert, aber der Versorgungsgrad ist in vielen Stadtteilen immer noch unzureichend. Daher versucht die Stadtverwaltung ständig, ihre eigenen Betreuungskapazitäten zu steigern. Gleichzeitig werden Einrichtungen privater Träger mit erheblichen Mitteln gefördert. So standen am Dienstag auf der Tagesordnung des Ausschusses für Kinder- und Jugendhilfe zwei neue städtische Projekte sowie Zuschüsse für insgesamt vier private Neubauten. Schaut man sich die entsprechenden Unterlagen im Detail an, kann man jedoch ins Staunen kommen, wer mit einem Millionenbetrag in Zeiten knapper öffentlicher Haushalte gefördert wird.
Bei den nicht-städtischen Trägern von Kinderbetreuungseinrichtungen gibt es verschiedene Anbieter. Beispielsweise betreiben die beiden Kirchen zahlreiche Kindergärten. Vielfach haben sich auch Eltern zusammengetan und selbst eine gemeinnützige Kita aufgebaut. Inzwischen gibt es aber auch eine wachsende Anzahl kommerziell betriebener Krippen und Kindergärten, darunter einige, die monatliche Gebühren im vierstelligen Bereich verlangen.
Dagegen ist aus meiner Sicht nichts einzuwenden. Kinderbetreuung und frühkindliche Erziehung sind Dienstleistungen, deren Preis, wenn sie von privater Seite angeboten werden, durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Wer sich beispielsweise als „bilinguale Premium-Kita“ versteht, ausgestattet mit „Bibliothek und Sauna“ für die Kleinen sowie einem eigenen Koch, der jeden Tag „Lebensmittel ausschließlich aus regionaler und biologisch-dynamischer Landwirtschaft“ frisch zubereitet, kann für eine Ganztagesbetreuung in München ohne Probleme weit über 1200 EUR verlangen, zzgl. einer Verpflegungspauschale von 161 EUR. Da bleibt man dann auch unter sich, wie mit entsprechenden „Testimonials“ zufriedener Eltern zum Ausdruck gebracht werden soll:
„Als Unternehmerpaar bietet […..] genau den passenden Betreuungsansatz für uns: Absolute Flexibilität, anspruchsvolle Pädagogik und einen tollen Rundum-Service.“
„Die Kids sind bei […] einfach super aufgehoben. Es macht ihnen sehr viel Spaß jeden Tag. Und wenn ich es mal nicht ganz pünktlich schaffe, werde ich auch nicht schief angeguckt. Dr. [….] Geschäftsführerin.“
Nur, muss solch eine Einrichtung mit einem Millionenbetrag durch Steuergelder gefördert werden, insbesondere in Zeiten, in denen jeder Euro zweimal umgedreht werden muss ?
Bei den Betriebskosten erfolgt eine Förderung durch die Stadt München nur dann, wenn die Gebühren abhängig vom Einkommen der Eltern gestaffelt sind und bestimmte Höhen nicht überschreiten oder es sich um eine gemeinnützige Eltern-Kind-Initiative handelt. Dem liegt der Grundgedanke zugrunde, dass öffentliche Fördergelder nur dann eingesetzt werden sollten, wenn eine Betreuungseinrichtung breiten Bevölkerungskreisen zugänglich ist. Kommerzielle Krippen bzw. Kindergärten, die aufgrund ihrer Gebührenhöhe den weitaus größten Teil der Elternschaft ausschließen, gehören nicht dazu.
Anders sieht die Situation bei den Investitionskosten aus. Gemäß einer der Vorlagen für die Sitzung am Dienstag soll die private Kinderbetreuungseinrichtung, von deren Website die obigen Zitate stammen, für einen Neubau in Harlaching einen Baukostenzuschuss von 1,7 Mio EUR erhalten. Dabei handelt es sich nicht um einen Kredit, sondern um eine direkte Auszahlung. Dafür verpflichtet sich die geförderte GmbH für 25 Jahre dort eine Krippe und einen Kindergarten zu betreiben. Damit bezahlt die Stadt München den größten Teil der Baukosten einer kommerziellen Betreuungseinrichtung, die aufgrund ihrer Gebühren nur einem ganz kleinen Teil der Münchner Bevölkerung zugänglich sein wird und deren Betreiber nach 25 Jahren frei über eine Immobilie in Bestlage verfügen können. In der Vorlage wird zwar darauf hingewiesen, dass Teile oder sogar der gesamte Betrag durch den Freistaat Bayern refinanziert werden. Doch auch dort sind die Mittel begrenzt, insbesondere in Zeiten einer Pandemie mit ihren wirtschaftlichen Folgen.
Nun könnte man einwenden, dass mit dieser Förderung immerhin Betreuungsplätze geschaffen werden, von denen es immer noch zu wenige gibt, auch in Harlaching. Dem ist entgegenzuhalten, dass man mit dem genannten Betrag auch andere Träger unterstützen könnte, die Betreuungsangebote für Kinder schaffen, die nicht nur aus einer ganz exklusiven Bevölkerungsgruppe kommen. Aus meiner Sicht gilt hier nichts anderes als bei der Förderung von Wohnraum, der in München ebenfalls knapp ist. Da käme niemand auf den Gedanken, einem Investor 60% der Baukosten für Luxuswohnungen zu bezuschussen mit dem Argument, dass damit jedenfalls neuer Wohnraum geschaffen wird.
Möglicherweise ist der Grund für diese verfehlte Förderung, dass es bislang keine Regeln gibt, mit der ein Investitionskostenzuschuss für Kinderbetreuungseinrichtungen an eine sozialverträgliche Gebührenstruktur gekoppelt wird. Die Ablehnung der Förderung im Einzelfall durch den Stadtrat könnte daher rechtlich problematisch sein und vor Gericht scheitern. Im Ergebnis wird jetzt ein siebenstelliger Betrag für eine Einrichtung aufgewendet, die sicher nicht dazu dient, die Stadtgesellschaft zusammenzuführen. Denn die so wichtige soziale Durchmischung wird dort eher verhindert als gefördert.
Wirklich überraschend war für mich, dass keine der Stadtratsfraktionen im Ausschuss dazu Stellung genommen hat. Im Gegenteil, die Vorlage wurde ohne jeden Einwand einfach durchgewunken. Maßgeblich war wohl die Überlegung, dass bei einer kompletten Refinanzierung des Zuschusses durch den Freistaat die Stadt ohne eigenen Kosten zusätzliche Krippen- und Kindergartenplätze bekommt – egal welcher Art.
Die Pandemie beschäftigt weiterhin in vielfältiger Weise die Kommunalpolitik der Stadt München. Mehrere Berichte auf diesen Seiten haben sich mit der aktuellen Situation in den städtischen Krankenhäusern befasst. Auch die erheblichen Einnahmeausfälle im städtischen Haushalt waren und sind immer wieder Gegenstand von Beratungen des Stadtrates. Die heutige Sitzung des Sozialausschusses (zusammen mit dem Ausschuss für Kinder- und Jugendhilfe) hat deutlich gezeigt, wer von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und der Infektionsschutzmaßnahmen am schlimmsten betroffen ist.
Die Anzahl der Münchner, die Hilfe wegen Überschuldung suchen, ist in den vergangenen Monaten dramatisch angestiegen. Waren es im Februar ungefähr 500 Personen, die Kontakt zur städtischen Schuldner- und Insolvenzberatung aufgenommen haben, ist diese Zahl im Juli auf fast 1400 gestiegen. Arbeitsplatzverlust, beispielsweise in der Gastronomie oder im Kulturbereich, führen bei vielen Betroffenen zu existentiellen Nöten. Die Folgen des aktuellen „Lockdown light“ sind da noch nicht mit berücksichtigt.
Überschuldung geht häufig mit dem Verlust der eigenen Wohnung einher. Die Anträge für Sozialwohnungen beim Amt für Wohnen und Migration haben um fast 20% zugenommen, von ca. 30.000 in 2019 auf voraussichtlich 35.000 in 2020. Täglich erkundigen sich 600 – 800 Anrufer beim Servicetelefon der Stadt über die Unterstützungsmöglichkeiten bei der Suche nach günstigem Wohnraum.
Vor diesem Hintergrund erscheint es mir trotz der miserablen Finanzlage der Stadt nachvollziehbar, wenn das Sozialreferat mit seiner heutigen Sitzungsvorlage zusätzliche Stellen zur Beratung von in Not geratenen Münchnerinnen und Münchner schaffen möchte. Dafür werden Personalkosten von jährlich ca. 1.3 Mio EUR beantragt, allerdings befristet für die nächsten drei Jahre. Damit sollen die langen Verfahrensdauern – vier Monate bis zu einem Beratungstermin bei der Schuldnerberatung und sechs Monate bis zu einen Wohnungsbescheid – verkürzt werden.
Zum Vergleich: Das Gesamtbudget des Sozialreferats für 2021 liegt gemäß der ebenfalls heute vorgelegten Haushaltsplanung bei knapp 1,5 Mrd EUR und ist damit geringfügig höher als in 2020.
Wo es im Haushalt des Sozialreferats Einsparmöglichkeiten gibt, soll bis Mitte 2021 im Rahmen einer detaillierten „Aufgabenkritik“ genauer untersucht werden. Die Anzahl der Mitarbeiter ist bereits rückläufig, von rechnerisch etwa 3700 Vollzeitbeschäftigen in 2018 auf 3637 in 2020.
Die Stadträte haben den zusätzlichen Stellen für die oben genannten Beratungsangebote mit großer Mehrheit zugestimmt. Allerdings waren sie optimistischer im Hinblick auf das baldige Ende der Pandemie, so dass auf einen Änderungsantrag der Grünen und SPD hin die Befristung der meisten Stellen auf zwei Jahre verkürzt worden ist. Es bleibt zu hoffen, dass wir dann das Virus und seine Folgen tatsächlich hinter uns haben.
Der Umgang mit der Pandemie bleibt auf der Tagesordnung des Münchner Stadtrates. In der Vergangenheit ging es bereits um die wirtschaftlichen Folgen für Münchner Unternehmen und die Finanzen der Stadt sowie die Anstrengungen der Verwaltung, den schwer getroffenen Künstlern über den Sommer eine Perspektive zu bieten. In der heutigen Sitzung des Ausschusses für Kinder- und Jugendhilfe war das zentrale Thema die Analyse der Auswirkungen des Lockdowns auf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene.
Vorlagen münden üblicherweise in eine Vorgabe für ein konkretes Handeln der Verwaltung. Im Gegensatz dazu wurde heute ein Papier beraten, in dem die Vertreter der öffentlichen und freien Jugendhilfe gemeinsam mit dem Sozialreferat auf 24 Seiten darlegen, welch schlimme Folgen der Lockdown für diejenigen Kinder und Jugendliche in dieser Stadt gehabt hat, die ohnehin in schwierigen sozialen Umständen leben und besondere Unterstützung benötigen.
Beispielhaft seien hier nur die abgerissenen Verbindungen zu den sozialpädagogischen Betreuern genannt, sodass über Wochen der Kontakt der Kinder auf die – zumeist hochproblematischen – Kernfamilien beschränkt war. Ein anderes Beispiel waren die fehlenden Möglichkeiten der Kinder aus beengten Wohnungen, ihren natürlichen Bewegungsdrang im Freien auf den geschlossenen Spielplätzen und Sportanlagen der Stadt auszuleben. Die Vorlage zeigt in einer Vielzahl von Aspekten, dass der Schutz von hilfsbedürftigen Kindern und Jugendlichen bei der Bekämpfung der Pandemie zunächst völlig unter die Räder gekommen ist.
Eine streitige Debatte dazu gab es im Ausschuss nicht. Im Gegenteil, sämtliche Mitglieder des Ausschusses haben die Situation rückblickend genauso gesehen und die Vorlage am Ende einstimmig verabschiedet. Nur, was ergibt sich daraus für die Zukunft? Gibt es ab jetzt klare Vorgaben des Stadtrates für die Stadtverwaltung, wie bei künftigen Corona-Maßnahmen der Stadt das Wohl von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen angemessen zu berücksichtigen ist ?
Die kurze Antwort dazu ist nein, denn mehr als eine freundliche – in der Sitzung sprachlich noch etwas präzisierte – Bitte an den Oberbürgermeister, in Zukunft das Wohl der Kinder und Jugendlichen bei allen Corona-Entscheidungen zu berücksichtigen, ist nicht herausgekommen.
Um zu erklären, warum das so ist, muss man etwas länger ausholen. Am Anfang der Pandemie hat der Bundestag – wohl unter dem Eindruck der damals exponentiell ansteigenden Infektionszahlen – ein weitreichendes Infektionsschutzgesetz (IfSG) verabschiedet. Mit diesem Gesetz, genauer mit § 32 IfSG, werden die Landesregierungen ermächtigt, durch einfache Rechtsverordnungen „Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen“. Damit wird die Entscheidung über Corona-Maßnahmen vollständig in die Hände der Exekutive übertragen und die parlamentarische Kontrolle darüber aufgegeben, jedenfalls solange bis der Bundestag die „epidemische Notlage von nationaler Tragweite“ wieder aufhebt.
Auf der Grundlage dieser Ermächtigung hat die Bayrische Landesregierung ihrerseits in ähnlicher Weise die Entscheidung darüber, wie vor Ort bei einer erhöhten Inzidenz zu reagieren ist, auf die Kreisverwaltungsbehörden (= die Stadtverwaltung in München) übertragen, vgl. § 25 der geltenden 7. Bayrischen Infektionsschutzverordnung. Der Stadtrat kommt darin nicht vor. Und deshalb ist mehr als eine freundliche Bitte an den Oberbürgermeister und seinen Krisenstab, das Wohl schutzbedürftiger Kinder und Jugendlicher bei zukünftigen Corona-Maßnahmen der Stadt München zu berücksichtigen, nicht drin.
Etwas unwohl ist mir bei soviel ungebremster Machtfülle für die Exekutive in diesem Land schon. Vielleicht ist das eine oder andere Mitglied des bayrischen Landtages und des Münchner Stadtrates im Stillen ganz froh darüber, in der Vergangenheit und auch in Zukunft nicht entscheiden zu müssen, wie Gesundheitsschutz für die ältere Generation gegen das Kindeswohl und wirtschaftliche Kollateralschäden abzuwägen ist. Allerdings wird damit auch die notwendige Debatte darüber, welche Maßnahmen sinnvoll und verhältnismäßig sind, aus den Parlamenten und Stadtratssitzungen an andere Stellen verlagert. Das findet dann im besten Fall in Talkshows und im schlechtesten Fall in irgendwelchen Internetforen oder mit dem Megafon bei Demonstrationen statt.
Am Anfang der Pandemie war es sicher richtig, auf längere parlamentarische Debatten zu verzichten, um schnell wirksame Maßnahmen umsetzen zu können. Nur, je länger die Pandemie dauert, desto schwächer wird dieses Argument. Der Blick auf jedes Schaubild des Robert-Koch-Instituts zeigt, dass inzwischen die Prozesse, auch bei den gerade steigenden Infektionszahlen, längst nicht mehr mit derselben Dynamik ablaufen wie Anfang März. Es wäre daher an der Zeit, die Verantwortung an die gewählten Vertreter in Bund, Land und Kommune zurückzugeben.
Der Münchner Stadtrat selbst kann das nicht erreichen. Aber streitige Debatten über das Für und Wider bestehender und zukünftiger Maßnahmen der Stadtverwaltung sollte er nicht unterlassen und dabei auch nicht vor der schwierigen Abwägung zwischen den verschiedenen Zielsetzungen bei der Pandemiebekämpfung zurückschrecken.
Objektive Sicherheit und subjektives Sicherheitsgefühl sind nicht dasselbe. Selbst wenn München mit großem Abstand die sicherste Großstadt Deutschlands ist, gibt es auch hier Kriminalität. Und es gibt Gegenden, in denen Frauen sich nachts unwohl fühlen, weil ein Weg schlecht beleuchtet ist oder Bäume und Büsche einen Platz im Dunkeln unübersichtlich machen.
Der Münchner Kreisjugendring hat daher schon in 2018 ein Projekt gestartet, um problematische Bereiche zu identifizieren. Die anschaulich aufbereiteten Ergebnisse für jeden Stadtteil finden sich hier. Nun ist diese Aktion drei Jahre her, aber das Problem scheint nicht wesentlich geringer geworden zu sein. Jedenfalls hat der Ausschuss für Kinder- und Jugendhilfe sich in seiner heutigen Sitzung erneut damit befasst. In der entsprechenden Vorlage der Verwaltung äußert sich das angesprochene Baureferat etwas verhalten:
„Wir haben die im Partizipationsprojekt dokumentierten Anliegen geprüft. Zu einem Großteil dieser Anliegen hat das Baureferat …[…]…bereits Stellung genommen. Die Sachverhalte wurden erläutert und gegebenenfalls Maßnahmen zur Verbesserung der angesprochenen Beleuchtungssituation durchgeführt.“
So richtig überzeugt scheint man im Baureferat nicht zu sein, dass das Thema damit erledigt ist, denn es wird weiter ausgeführt:
„Um den Bedürfnissen von Mädchen* und jungen Frauen* im Hinblick auf die Beleuchtung im öffentlichen Raum noch besser gerecht zu werden, bietet das Baureferat den Münchner Bezirksausschüssen ortsbezogene Begehungen in Form von Nachtspaziergängen an. Direkt vor Ort können dabei unbürokratisch konkrete Verbesserungsmöglichkeiten an den bestehenden Beleuchtungsanlagen diskutiert und das weitere Vorgehen vereinbart werden.
Diese innovative Idee des Referats ist von allen Fraktionen begrüßt worden. Der Ball ist damit bei den Bezirksausschüssen. Sie kennen die Lage in den einzelnen Stadtteilen am besten und sollen im anstehenden Winterhalbjahr weitere konkrete Maßnahmen erarbeiten, die der Stadtrat dann 2021 in Auftrag geben kann, um das Sicherheitsgefühl und die tatsächliche Sicherheit in München weiter zu verbessern.
Wer sich selbst daran beteiligen möchte, findet hier die Übersicht der Bezirksausschüsse und ihrer Mitglieder (mit email-Adressen).