Vor einigen Tagen habe ich ausführlich über die umfangreichen Pläne für den neuen Bahnhofsplatz berichtet. Neben der Architektur und der Verkehrsführung wird der Erfolg des Projekts auch davon abhängen, ob man sich im Bahnhofsviertel zu jeder Tages- und Nachtzeit wohlfühlt. So wird die Bahn – kurze Reisezeiten und funktionierende Anschlüsse vorausgesetzt – nur dann attraktiver als ein Kurzstreckenflug, wenn es am Hauptbahnhof und in seiner Umgebung ähnlich angenehm ist wie am Münchner Flughafen. Und das ist – unabhängig von der aktuellen Baustelle – noch ein weiter Weg.
Gleichzeitig ist das Bahnhofsviertel anders als der Flughafen außerhalb der Stadt ein öffentlicher Raum, der für jedermann leicht zugänglich ist. Das bringt die eine oder andere Zumutung mit sich, wenn sich dort auch gesellschaftliche Randgruppen aufhalten. Einen Anspruch auf Sicherheit haben aber auch diese Personen, die selbst besonders häufig Opfer von Kriminalität werden. Es ist daher eine Daueraufgabe der Stadtverwaltung wirksame Strategien zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten und Kriminalität im Bahnhofsviertel zu entwickeln.
In der Sitzung des Kreisverwaltungsauschusses am vergangenen Dienstag wurde den Stadträtinnen und Stadträten über ein mehrjähriges wissenschaftliches Projekt berichtet, an dem die Stadt München teilgenommen hat. Unter Leitung von Frau Professor Haverkamp hat eine Arbeitsgruppe der Universität Tübingen die Sicherheit an Bahnhöfen (SiBa) in drei großen deutschen Städten (Düsseldorf, Leipzig und München) analysiert und einen „SiBa-Werkzeugkasten“ mit zahlreichen Maßnahmen zur Kriminalprävention entwickelt.
Ausgangspunkt war eine Bestandsaufnahme des subjektiven Sicherheitsgefühls. In München wurden dazu neben Gewerbetreibenden, Sozialeinrichtungen und Sicherheitsbehörden auch 12.000 Personen befragt. Die Auswertung zeigt laut Frau Prof. Haverkamp, dass die gefühlte Sicherheit hier besser ist als in Düsseldorf oder Leipzig. Nachts fühlen sich jedoch Frauen auch im Münchner Bahnhofsviertel mehrheitlich unsicher.
Was ergibt sich nun aus dem Forschungsprojekt? Wesentliches Ergebnis ist der bereits erwähnte Werkzeugkasten. Wie in einem Handbuch sind auf fast dreihundert Seiten Vor- und Nachteile von einzelnen Maßnahmen zur Verbesserung von Ordnung und Sicherheit im Bahnhofsviertel aufbereitet. Ein beispielhafter Eintrag sieht so aus:
Manches davon ist an sich bereits bekannt. Der Wert des Werkzeugkastens liegt im einfachen Zugang zu Informationen und Praxisbeispielen für sehr viele verschiedene Maßnahmen. Ferner wird eine Checkliste bereitgestellt, die dem Stadtrat und der Verwaltung erleichtert, Vor- und Nachteile einer Maßnahme genau zu durchdenken :
Und was folgt daraus konkret für das Münchner Bahnhofsviertel? In einer Vorlage für die Sitzung am Dienstag hat das Kreisverwaltungsreferat erste Schlussfolgerungen zusammengestellt. Zunächst ist festzuhalten, dass die starke Präsenz der Polizei und des städtischen Ordnungsdienstes in den letzten Jahren zu deutlichen Verdrängungseffekten vom Hauptbahnhof in den Alten Botanischen Garten und den Nussbaumpark am Sendlinger Tor geführt hat. Dort trifft sich die Münchner Drogenszene und viele Obdachlose halten sich dort auf. Eine normale Nutzung dieser Grünanlagen durch andere Münchnerinnen und Münchner wird damit weitgehend unmöglich.
Wie bereits in einem früheren Beitrag ausführlich berichtet, wäre eine erste wichtige Maßnahme die Einrichtung eines Drogenkonsumraums in München. Die Vorteile (aber auch die zu überwindenden Schwierigkeiten) zeigt einmal mehr der obige Maßnahmen-Steckbrief. Allerdings steht dabei die CSU-geführte Landesregierung weiterhin im Wege. So berichtet die aktuelle Vorlage:
„Auf eine erneute Anfrage im Januar diesen Jahres hinsichtlich dieses Modellprojektes für eine Drogenambulanz in München, erging jedoch durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege bereits Ende März eine Ablehnung.“
Ich kann nur hoffen, dass es in der CSU-Landtagsfraktion irgendwann zu einem Umdenken kommt.
Andere Maßnahmen liegen im Verantwortungsbereich der Stadt München und damit des Stadtrates. So hat das Forschungsprojekt eine Karte mit empfohlenen Maßnahmen für das Münchner Bahnhofsviertel erstellt:
Beim genauen Hinsehen erkennt man, dass neben eher kosmetischen Maßnahmen die Installation zahlreicher öffentlicher Toiletten vorgeschlagen wird – insgesamt sieben Anlagen im gezeigten Kartenausschnitt. Und damit wird ein ganz wichtiger Punkt angesprochen. Denn in der Tat ist nach meinem Eindruck die Anzahl der öffentlichen Toiletten in München seit Jahren stark rückläufig, jedenfalls derjenigen, die kostenlos sind. Anlagen in U-Bahnhöfen werden immer häufiger geschlossen. Neubauten sind rar und zumeist kostenpflichtig. Für den Normalbürger ist das kein Problem, da im Notfall ein Café aufgesucht werden kann – außer es ist gerade Corona-Lockdown. Für Obdachlose und andere Mitbürgerinnen und Mitbürger in prekären Verhältnissen stellt sich das ganz anders da. Es ist daher wenig überraschend, wenn Grünanlagen, Baustellen oder sogar Hauswände in der Not zweckentfremdet werden, was wiederum die Aufenthaltsqualität für alle Münchnerinnen und Münchner an diesen Orten auf den Nullpunkt bringt.
Wer einmal in der Schweiz unterwegs gewesen ist, weiß, dass es auch ganz anders geht. Dort findet man viel mehr öffentliche Toiletten, zumeist in sehr angenehmen Zustand. So hat die Stadt Zürich bei unter 500.000 Einwohnern über hundert öffentliche Toiletten. In München sind es bei weit über 1,5 Mio Einwohnern gerade mal 150.
Die Vorlage des Münchner Kreisverwaltungsreferats hat diesen Punkt durchaus erkannt:
„….im Nussbaumpark sind insbesondere marginalisierte Gruppen vom Mangel an sauberen und kostenfreien Toiletten betroffen.“
Allerdings wird auf die klamme Finanzlage der Stadt verwiesen, die schnelle Lösungen erschwert. Das ist richtig. Aber die Frage, welchen Stellenwert in einer wohlhabenden Stadt wie München grundlegende Bedürfnisse von ohnehin notleidenden Mitbürgern haben, ist eine politische Entscheidung ebenso wie die Bedeutung sauberer Grünanlagen. Um es anders auszudrücken: Jeweils dreistellige Millionenbeträge in die Sanierung und den Neubau von zwei Konzerthallen zu investieren mag sinnvoll sein. Gleichzeitig nicht die (deutlich geringeren) Finanzmittel für den Aufbau und den Erhalt einer hygienischen Grundversorgung mit öffentlichen Toiletten bereitzustellen, erscheint mir schlicht unsozial.
Nach dem Abschluss des Forschungsprojekts SiBa braucht es sowohl auf der Landesebene als auch in der Stadt München keine weiteren Analysen, sondern den politischen Willen, die Maßnahmen zur Verbesserung der Ordnung und Sicherheit im Bahnhofsviertel zügig umzusetzen – auch wenn sie ein Umdenken und etwas Geld benötigen.