Ein weiteres Mal bestimmt Corona die Diskussion in der Vollversammlung des Stadtrates. Am vergangenen Mittwoch hat der Leiter des städtischen Krisenstabes Wolfgang Schäuble aktuelle Daten zur Entwicklung der Coronalage in München präsentiert, die im Folgenden genauer betrachtet werden. Dabei zeigt sich, dass mit fortschreitender Impfung die Zusammenhänge komplizierter werden und sich die Einschätzung der Situation in München nicht mehr nur auf die allgemeine Inzidenz stützen sollte.
Natürlich sind die Infektionszahlen ein ganz wichtiger Parameter des Geschehens hier in München. Das von Herrn Schäuble dazu präsentierte Schaubild sieht wie folgt aus:
Anders als die auf muenchen.de tagesgenau präsentierten Daten sind hier die Infektionen auch nach Altersgruppen aufgeschlüsselt. Der Verlauf war dabei zwischen Oktober und Januar in allen Altersgruppen im Wesentlichen gleich mit einem starken Anstieg im Oktober / November, dem Höhepunkt der zweiten Welle kurz vor Weihnachten und dem starken Rückgang im Januar.
Der Verlauf in den Monaten Februar und März ist jedoch anders, hier nochmal im Detail dargestellt:
Wie Herr Schäuble in der Vollversammlung zutreffend bemerkt hat, ist der Effekt der Impfungen unübersehbar: Während die Fallzahlen seit Mitte Februar in den drei Altersgruppen 20 – 80 wieder steigen, sind in der Altersgruppe 81+ seit Ende Februar praktisch keine Infektionen mehr aufgetreten. Das finde ich beeindruckend, auch und gerade unter Berücksichtigung der Tatsache, dass laut den Angaben auf muenchen.de die Mutation B.1.1.7 in München inzwischen einen Anteil von 86% einnimmt.
Was folgt daraus für die weitere Entwicklung? Herr Schäuble hat sich damit nur kurz befasst und Überlegungen über die zu erwartende Beanspruchung der Kliniken angestellt (dazu unten mehr).
Hier soll zunächst noch einmal festgehalten werden, dass der Schutz der Altersgruppe 81+ in München erhebliche Auswirkungen auf mögliche Opferzahlen der Pandemie in der dritten Welle hat:
Über 60% der ca. 1100 Todesfälle der Pandemie in München betreffen die Altersgruppe >80. Diese Gruppe ist ab jetzt glücklicherweise im Wesentlichen geschützt, wie der Verlauf der Infektionszahlen im Februar und März eindrücklich zeigt. Damit reduzieren sich auch die zu erwartenden Opfer in der dritten Welle um 60%. Würde es gelingen, auch die Altersgruppe 61 – 80 noch vor einem großen Anstieg der Inzidenzen zu impfen, wäre die dritte Welle kein wirkliches Problem mehr, da die Anzahl der Todesfälle in der Altersgruppe unter 61 vergleichsweise gering ist.
Aber genau hier hakt es und das liegt nicht an der Münchner Kommunalpolitik, sondern an der verfehlten Impfstrategie des Freistaats. Denn schaut man sich an, wie die Impfdosen in Bayern bislang verteilt worden sind, sieht man Folgendes:
Bayern und auch Baden-Württemberg haben nur geringfügig mehr Impfdosen an die altersbedingten Risikogruppen verteilt als an Empfänger mit beruflicher Indikation (Ärzte, Pfleger, aber auch Polizisten, Lehrerinnen und Lehrer, etc.). Ganz anders in Berlin: Hier ist man offensichtlich der Empfehlung der Ständigen Impfkommission gefolgt und hat nicht dem Druck einzelner Interessengruppen nachgegeben. Berlin hat zwar auch sein Klinikpersonal geimpft, ist aber trotzdem viel weiter als Bayern bei der Impfung der gefährdeten Bevölkerungsteile. Während in Bayern noch lange nicht alle der etwa 830.000 80+ -Jährigen geimpft sind, ist diese Gruppe in Berlin bereits durchgeimpft. Zudem sind dort schon über 60.000 Personen unter 80 geimpft worden (in Berlin gibt es nur etwa 211.00 Personen über 80). In München steht laut Aussage der Leiterin des Gesundheitsreferats, Beatrix Zurek, die Impfung aller Impfwilligen, die 81 Jahre und älter sind, kurz vor dem Abschluss.
Die weitere Entwicklung der dritten Welle in München wird durch zwei gegenläufige Effekte bestimmt:
Herr Schäuble hat in seinem Vortrag bereits daraufhin gewiesen, dass die Patienten auf den Intensivstationen der Kliniken der Stadt „jünger“ werden, mit der Präzisierung, dass es sich dabei im Wesentlichen um die Altersgruppe 60 – 80 handelt. Das ist wenig überraschend, da diese Personengruppe aufgrund ihres Alters einerseits immer noch stark gefährdet ist und andererseits weiterhin auf eine Impfung warten muss. Problematisch ist die längere Verweildauer dieser Patienten im Krankenhaus und auf den Intensivstationen als die Altersgruppe 80+, die bislang einen großen Teil der Patienten ausgemacht hat.
Andererseits sind durch die bereits erfolgten Impfungen auch erhebliche Entlastungen in den Krankenhäusern in der dritten Welle gegenüber der zweiten Welle zu erwarten. Das kann man an folgendem Schaubild des RKI zur Altersverteilung der Krankenhauseinweisungen erkennen:
Fällt die Altersgruppe 80+ (orangefarbene Linie) weg, weil sie sich wegen der bereits erfolgten Impfung nicht mehr infiziert, reduziert sich die Belastung der Krankenhäuser um etwa 40%. Würden auch die 60 – 79 jährigen (blaue Linie) geimpft, wäre die zusätzliche Entlastung noch einmal fast genauso groß.
Wie sich die beiden gegenläufigen Effekte in der dritten Welle auswirken, ist schwer vorherzusagen. Klar ist aber, worauf es jetzt ankommt: Maßgeblich für die Verringerung von Todeszahlen und eine Überlastung des Gesundheitssytems ist nicht die Inzidenz insgesamt, sondern das Vermeiden von Erkrankungen der noch ungeschützten, aber massiv gefährdeten Altersgruppe 61 – 80. Diese Gruppe muss so schnell wie möglich geimpft werden, ohne Verzögerungen durch das Impfen weiterer Berufsgruppen jüngeren Alters. Gelingt dies nicht und steigt die Inzidenz in dieser Altersgruppe weiter an, so wie es sich auf dem Schaubild von Herrn Schäuble oben abzeichnet, kommen die Kliniken irgendwann an ihre Grenzen und die Zahlen der Pandemieopfer werden noch einmal deutlich zunehmen, in München und auch anderswo. Als Alternative bleibt dann nur noch der allgemeine Lockdown, um die Inzidenz in allen Altersgruppen und damit auch in der Gruppe 60 – 80 zu senken. Die Kollateralschäden einer solchen Vorgehensweise sind enorm.