Keine Pop-up Radwege in der zweiten Welle

Die Corona Infektionszahlen steigen unvermindert weiter und der Höhepunkt der zweiten Welle ist nicht in Sicht. In seinem vielbeachteten Podcast hat Prof. Drosten gerade gestern auf die gestiegene Notwendigkeit der Kontaktvermeidung hingewiesen und deutlich angeraten, statt überfüllter U-Bahnen, Trambahnen und Busse auch im Herbst und Winter das Fahrrad zu benutzen.

Da erscheint es seltsam, wenn mit der heutigen Entscheidung im Mobilitätsausschuss die fünf Pop-up Radwege, die am Ende der ersten Welle eingerichtet worden waren, wieder beseitigt werden. Noch überraschender ist die Mehrheit, die sich dafür zusammengefunden hat, nämlich die Stimmen der „alten“ Rathauskoalition aus CSU und SPD.

Bei einer sachlichen Abwägung der Argumente für und gegen die Aufhebung dieser provisorischen Radwege sind formale und inhaltliche Aspekte zu trennen. Zunächst muss man sich den Beschluss von Ende Mai 2020 vergegenwärtigen, der hier berichtet und kommentiert worden ist. Der für die heutige Sitzung wesentliche Punkt 4 lautete:

Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung wird beauftragt, nach einer Evaluation dem Stadtrat im Oktober 2020 eine Beschlussvorlage mit einer Einschätzung der Auswirkungen der temporär eingerichteten Radverkehrsanlagen und einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen an den einzelnen Streckenabschnitten vorzulegen. “ (Hervorhebung hinzugefügt)

Das Verständnis dieses Passus ist durchaus unterschiedlich:

– Das Stadtplanungsreferat ist offensichtlich davon ausgegangen, dass das Wort „temporär“ impliziert, dass alle Pop-up Radwege nach dem 31. Oktober in jedem Fall zunächst zu beseitigen sind. Nach einer anschließenden gründlichen Evaluation und einer umfangreichen Bürgerbeteiligung sollten dann gegebenenfalls dauerhafte Radwege gebaut werden. So ist es jedenfalls in der Vorlage für die heutige Sitzung formuliert und dieses Verständnis wurde auch vom Oberbürgermeister so im Ausschuss explizit vorgetragen.

– Grüne und Linke lesen den oben zitierten Absatz so, dass das weitere Schicksal der „temporären Radverkehrsanlagen“ im damaligen Beschluss offengelassen worden ist und erst im Rahmen einer neuen Entscheidung des Stadtrates festzulegen ist, ob die temporären Maßnahmen bestehen bleiben, abgebaut oder umgebaut werden.

So richtig überzeugend erscheint mir die Auslegung der Verwaltung und des Oberbürgermeisters nicht. Dem klaren Wortlaut nach sollte die Evaluation im Oktober 2020 bereits dem Stadtrat vorliegen, damit dann über das „weitere Vorgehen an den einzelnen Streckenabschnitten“ entschieden wird. Das schließt die Möglichkeit ein, die temporären Maßnahmen auch einfach zu verlängern, beispielsweise dann, wenn der dringende Grund für ihre Einführung fortbesteht.

Inhaltlich sind die Argumente wie folgt:

Gegen die Fortführung der Provisorien sprechen zum einen technische Gründe, wie von der SPD-Fraktion vorgetragen. Die aufgeklebten gelben Linien gehen schnell kaputt und sind im Dunkeln schlecht zu sehen. An Kreuzungen kann dies zu Gefährdungen führen, wenn Autofahrern und Radfahrern unklar ist, wie ein Radweg wirklich verläuft. Darüber hinaus wurden im Detail Probleme mit fehlenden Abbiegespuren erläutert, die in der Rosenheimerstraße zu langen Rückstaus und damit auch zu einer Beeinträchtigung der Buslinien führen.

Von Seiten der CSU und der FDP wurde auf die kalte Jahreszeit verwiesen, in der ohnehin der Radverkehr zurückgehe. Dies führe zu einem Anstieg des Kfz-Verkehrs und daher würden die temporär weggefallenen Fahrspuren besser wieder umgewidmet. Zudem sei die von der Verwaltung vorgelegte Evaluation völlig ungenügend und man könne auf dieser Grundlage keine Entscheidung über die dauerhafte Beibehaltung der Radwege treffen. In der Tat enthält die Evaluierung in der Vorlage der Verwaltung nur wenige Daten aus zwei Verkehrszählungen und keine vollständige Analyse der durch die neuen Radwege geänderten Verkehrsströme im jeweiligen Stadtteil.

Grüne und Linke haben argumentiert, dass bei allen Schwächen die Verkehrssituation gegenwärtig jedenfalls sicherer und damit besser sei als vorher und dass die Planung zukünftiger Lösungen auch während des Fortbestands der provisorischen Radwege möglich sei. Auch könne die unzureichende Evaluation des geänderten Verkehrsverhaltens nur dann vervollständigt werden, wenn die Radwege jetzt nicht abgebaut würden.

Mit diesen Argumenten der Parteien werden die provisorischen Radwege letztlich so wie bei einem üblichen Pilotversuch in der Verkehrspolitik behandelt, der irgendwann zu Ende ist und als Grundlage für ein zukünftiges Planungsverfahren dient. Der besondere Grund, warum diese Radspuren eingeführt worden sind, war nur am Rande Gegenstand der Diskussion, jedenfalls auf Seiten der Verwaltung und der neuen alten Rathausmehrheit aus CSU und SPD, die am Ende der Sitzung die Pop-up Lanes abgeschafft hat.

Das verkennt aber, worum es eigentlich geht. Zur Erinnerung: Pop-up Radwege sind in vielen europäischen Metropolen nicht wegen der schon lange geforderten Verkehrswende hin zum Fahrrad eingeführt worden, sondern zur Bekämpfung der ersten Welle der Pandemie. Dicht gepackte U-Bahnen und Busse sind bei hohen Infektionszahlen in der Bevölkerung schlicht gefährlich, selbst wenn jeder dort eine Maske trägt. Für diese Erkenntnis muss man nicht Virologieprofessor sein.

Wenn in solch einer Ausnahmesituation die Fahrgäste den ÖPNV nicht mehr nutzen können oder wollen, stellt sich die Frage, auf welches Verkehrsmittel sie umsteigen sollen. Wenn ein substantieller Anteil davon auf das Auto umsteigt, steht München im Stau, unabhängig davon, ob es in der Stadt fünf zusätzliche Radwegespuren gibt. Entlastung, auch für die, die Auto fahren müssen, kann hier nur der vielfache Umstieg vom ÖPNV auf das Fahrrad bringen. Da kann es doch keine zielführende Maßnahme sein, den Radverkehr, den man im Mai bei bereits rückläufigen Infektionszahlen der ersten Welle durch mehr Radwege gefördert hat, bei jetzt viel höheren, exponentiell ansteigenden Infektionszahlen der zweiten Welle wieder auszubremsen. Die Befristung der Pop-up Radwege bis zum 31. Oktober war offensichtlich der damaligen Erwartungshaltung geschuldet, dass die ganze Corona Krise im Sommer vorbei ist – eine Annahme, die leider nicht zutrifft.

Im Ergebnis glaube ich, dass die heutige Entscheidung des Mobilitätsausschusses ein klarer Fehler ist. Es bleibt abzuwarten, ob nicht der weitere Verlauf der Pandemie hier noch zu einer Korrektur führen wird.