Wer diesen Seiten schon etwas länger folgt, wird sich vielleicht an einen Bericht zum Sicherheitsreport 2019 erinnern. Die damaligen Überlegungen zur guten Sicherheitslage in München gelten – jedenfalls auf den ersten Blick – auch für den Sicherheitsreport 2020, der gestern im Kreisverwaltungsausschuss vorgestellt worden ist. Man sieht auch, dass die zahlreichen Corona-Maßnahmen wenigstens einen Vorteil haben: Die Sicherheitslage ist 2020 in vielen Bereichen noch besser geworden. Auf den Punkt gebracht kann man das am Schusswaffengebrauch der Münchner Polizei ablesen:
Käme ein Polizist aus Chicago nach München, würde er vermutlich nach wenigen Wochen aus Langeweile seinen Job aufgeben.
Ein genauerer Blick auf das umfangreiche Zahlenwerk des Sicherheitsreports 2020 zeigt jedoch einige Verschiebungen in den Statistiken und auch beunruhigende Entwicklungen. Denn wie im Einzelhandel führt Corona zu einer Art „Strukturwandel“ der Kriminalität, der im Folgenden kurz beleuchtet werden soll:
Diebstahl ist in Zeiten des überall geltenden Abstandsgebots und der Ausgangsbeschränkungen offensichtlich viel schwieriger geworden. So sind beispielweise Taschendiebstähle im ÖPNV um fast 25 % zurückgegangen. Kein Wunder, wenn es keine vollen U-, S- oder Straßenbahnen mehr gibt und bereits das Eindringen in den persönlichen Corona-Umkreis mit einem Radius von 1,5m als Bedrohung empfunden wird.
Auch die Anzahl der Wohnungseinbrüche hat im vergangenen Jahr weiter deutlich abgenommen.
Bei Reise- und Ausgangsbeschränkungen mit andauerndem Homeoffice muss ein Einbrecher fast immer damit rechnen, Bewohner der Wohnung oder des Hauses anzutreffen. Das schreckt ab. Zudem ist der „Bandentourismus“ von zumeist osteuropäischen Einbrecherbanden durch die Grenzschließungen eingeschränkt.
Auf der anderen Seite ist der Bereich der Computerkriminalität stark angestiegen:
Angriffe auf Computer von Münchnerinnen und Münchner erfolgen vielfach aus dem Ausland, wie mit den verschiedenen Farben im Bild oben für die unterschiedlichen Tatorte dargestellt. Den größten Anteil an der Computerkriminalität hat mit über 21% das Ausspähen von Zugangsdaten zur Vorbereitung eines späteren Betrugs – beispielsweise mit den bekannten Phishing-Emails. Manch einer, der mit wenig Erfahrung und Kenntnissen im Lockdown mit dem Online-Shopping begonnen hat, könnte hier ein Opfer geworden sein.
In seinem Vortrag vor dem Ausschuss ist der Münchner Polizeipräsident Thomas Hampel auch auf die Frage eingegangen, ob der Lockdown zu mehr häuslicher Gewalt geführt hat. Der erfasste Anstieg von 2930 auf 3016 Fälle ist nach Auffassung des Polizeipräsidenten innerhalb der „normalen“ Schwankungsbreite. In der Diskussion wurde von den Ausschussmitgliedern jedoch auf anderslautende Berichte von Opferverbänden wie dem Weißen Ring hingewiesen und eine hohe Dunkelziffer vermutet.
Aus meiner Sicht wird erst der Sicherheitsreport 2021 ein klareres Bild für einen Jahresvergleich liefern, da der weitaus größere Teil des immer noch andauernden Lockdowns im laufenden Jahr liegt. Wie bereits in einem anderen Bericht ausgeführt, zeigen genauere Zahlen für die einzelnen Monate durchaus eine signifikante Zunahme häuslicher Gewalt im Zeitraum des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020.
Erheblich angestiegen sind die Zahlen im Bereich der Sexualdelikte, allerdings in erster Linie durch verstärkte öffentliche Aufmerksamkeit – #MeToo -, aber auch durch internationale Zusammenarbeit der Polizeibehörden bei der Verfolgung von Kinderpornographie.
Ein weiterer Schatten auf der ansonsten so guten Sicherheitslage ist die deutliche Zunahme der politisch motivierten Kriminalität an beiden Enden des politischen Spektrums. Ein genauerer Blick auf die Statistik zeigt, dass rechte und linke Extremisten unterschiedliche Schwerpunkte haben:
Sowohl aus der Tabelle als auch aus zusätzlichen Erläuterungen im Bericht sieht man, dass rechtsextreme Gewalt häufig zu Körperverletzungen führt (57 Fälle der insgesamt 61 Gewaltdelikte in der Tabelle oben) und hier die Zahlen deutlich gestiegen sind. Gewaltdelikte linksextremer Täter sind nur zu einem kleineren Teil Körperverletzungen, sondern werden vielfach als gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehr klassifiziert. Erschreckend ist auch die hohe Zahl der Sachbeschädigungen mit einer Steigerung von 30% gegenüber 2019. Allerdings ist laut Sicherheitsreport der größte Teil davon das Aufsprühen von irgendwelchen Parolen, die nur kleinere Schäden verursachen.
Ob die Corona-Pandemie nicht nur in Einzelfällen, sondern insgesamt mit dem starken Anstieg der Fälle politisch motivierter Kriminalität in Zusammenhang steht, ist den Daten leider nicht zu entnehmen und wurde auch im Ausschuss nicht diskutiert. Die Fragen der Stadträtinnen und Stadträte betrafen in erster Linie die in der Öffentlichkeit viel beachteten Demonstrationen von Gegnern der Corona-Maßnahmen. Gefragt wurde insbesondere, ob die Polizei bei zahlreichen Regelverstößen nicht härter einschreiten sollte.
Aus meiner Sicht hat der Polizeipräsident dazu sehr abgewogen geantwortet: Bei Versammlungen sind die rechtlichen Hürden für ein Einschreiten der Polizei vergleichsweise hoch. Ordnungswidrigkeiten durch Versammlungsteilnehmer können nicht ohne Weiteres das Beenden einer Versammlung begründen, auch und gerade unter Abwägung der Folgen eines gewaltsamen Einschreitens der Polizei. Denn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt bei allem Ärger über massenhafte Regelverstöße auch hier – genauso wie bei allen anderen Demonstrationen.
Insgesamt erscheint mir beim genaueren Hinschauen das Bild der Sicherheitslage in München etwas gemischt. Insbesondere im Bereich der Sexualdelikte aber auch im Bereich der politisch motivierten Kriminalität werden erhebliche Anstrengungen der Polizei, der Politik und der ganzen Stadtgesellschaft erforderlich sein, um ein weiteres Ansteigen der Fälle zu verhindern. Wie die Sicherheitslage sich nach dem Ende der Pandemie entwickeln wird, lässt sich gegenwärtig nicht vorhersehen.