„Vertretbar und geboten“ ? Gebühren in Corona Zeiten

Über die schlimmen wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise für die Münchner Gastronomie hat der Stadtrat schon mehrfach beraten. Bereits im Mai war daher folgender Auftrag an die Verwaltung ergangen:

Das Kreisverwaltungsreferat unterbreitet im nächsten Kreisverwaltungsausschuss einen Vorschlag, dass die Gastronomie so gering wie rechtlich zulässig mit Freischankflächengebühren belastet wird.“

Was das nun konkret bedeutet, ist gar nicht so einfach und gab heute Anlass zu einer heftigen Diskussion zwischen dem Leiter des Kreisverwaltungsreferats (KVR) und den Stadträten im Kreisverwaltungsausschuss. Es geht darum, ob die Stadt (zeitlich begrenzt) auf die Gebühren für Freischankflächen komplett verzichten kann, oder ob dem die geltende Gesetzeslage entgegensteht, insbesondere Art. 62 der Bayrischen Gemeindeordnung.

Dort findet sich folgende Regelung:

Sie [die Gemeinde] hat die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Einnahmen soweit vertretbar und geboten aus besonderen Entgelten [ = Gebühren] für die von ihr erbrachten Leistungen [….] zu beschaffen.“

In der strittigen Vorlage des KVR werden die Begriffe „vertretbar und geboten“ umfangreich erörtert. Danach ist ein vollständiger Verzicht auf die Gebührenerhebung für die Nutzung einer öffentlichen Fläche unzulässig, wenn diese Nutzung nur einem Einzelnen dient (dem Gastwirt). Aufgrund der geltenden Einschränkungen wegen der Corona Pandemie wird abgeschätzt, dass der Umsatz der Gastwirte erheblich reduziert ist und daher ein ermäßigter Gebührensatz von 25 % vorgeschlagen.

Nun bin ich kein Experte auf dem Gebiet des Kommunalrechts, aber die Begründung für eine angebliche Pflicht zur Gebührenerhebung in der KVR-Vorlage erscheint mir aus mehreren Gründen nicht überzeugend:

In der Vorlage wird nicht einmal der Versuch gemacht, Art. 62 GO direkt auszulegen. Es wird lediglich auf analoge Überlegungen zu einem anderen Artikel der Gemeindeordnung verwiesen, der aber auch keine klare Aussage dazu enthält, was „vertretbar und geboten“ bei der Gebührenerhebung bedeutet.

Auch das Bayrische Straßen- und Wegegesetz, das in Art. 18 den konkreten Anspruch einer Gemeinde auf Gebühren bei einer Sondernutzung des Straßenraumes definiert, formuliert nur eine Möglichkeit – keine Pflicht – dafür Gebühren zu erheben. Darauf wurde in der Sitzung von der CSU Fraktion zu Recht hingewiesen.

Der aus meiner Sicht entscheidende Gedanke ist jedoch, dass eine solche Sondersituation wie die gegenwärtige Corona Pandemie ihre eigenen Maßstäbe setzt, was „vertretbar und geboten “ ist. Überlegungen, die den Normalfall der Gebührenerhebung betreffen, sind zur Einordnung sicher hilfreich aber können gegenwärtig nicht allein herangezogen werden. Im Gegenteil, es erscheint durchaus „vertretbar und geboten“ in dieser völligen Ausnahmesituation, wo viele Wirte auch bei geöffnetem Lokal bislang keinen Gewinn machen, auf eine Gebührenerhebung vollständig zu verzichten. Denn eine lebendige Gastronomie in München ist eben nicht nur für die Wirte sondern auch für die städtische Bevölkerung insgesamt von Interesse.

Das haben die Stadträte im Kreisverwaltungsausschuss im Ergebnis auch so gesehen. Daher wird es in der Vollversammlung morgen voraussichtlich eine neue Vorlage geben, mit der die Gebühren für die Freischankflächen auf Null gesetzt werden.

Der Anfang vom Anfang einer Verkehrswende

Corona macht es möglich. Schneller als noch vor wenigen Tagen gedacht, bringt die neue grün-rote Mehrheit im Stadtrat allererste Maßnahmen für eine Verkehrswende in München auf den Weg. Fünf sogenannte „Pop-up lanes“, auf deutsch Fahrradspuren, sollen bereits in den nächsten Wochen mehr Platz für Radfahrer an besonders wichtigen Stellen in der Münchner Innenstadt schaffen – zunächst zeitlich begrenzt bis Ende Oktober. So hat es der Stadtplanungsausschuss gestern beschlossen.

Doch warum jetzt so schnell? Das erklärt ein Blick in die aktuellen Zahlen zum Verkehr in München, die die Verwaltung kurzfristig in einer Vorlage zusammengetragen hat und die das dramatisch geänderte Verkehrsverhalten aufgrund der Pandemie zeigen:

Zu normalen Zeiten werden in München 1,2 Mio Wege mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zurückgelegt. Der Deutsche Städtetag schätzt, dass aus Furcht vor Ansteckung Corona zu einem Rückgang von ca. 75% in der ÖPNV Nutzung geführt hat. Das bedeutet für München eine Verlagerung von 900.000 Wegen pro Tag auf andere Verkehrsmittel, wobei geschätzt wird, dass sich die Verlagerung etwa hälftig auf den Autoverkehr und auf das Fahrrad verteilt. Für München sind das 450.000 zusätzliche Wege, die mit dem Fahrad zurückgelegt werden, zusätzlich zu den 900.000 Wegen zu normalen Zeiten. Das wäre eine Steigerung um ca. 50% (!) – ähnlich der aktuellen Entwicklung in anderen europäischen Großstädten wie Paris, Brüssel oder London.

Ganz so stark ist der tatsächliche Anstieg in München wohl nicht, da Homeoffice und die Aufforderung, zu Hause zu bleiben, die Mobilität insgesamt reduziert haben. Zählungen für den April zeigen aber eine Zunahme von immerhin 20%. Selbst wenn die Infektionszahlen inzwischen stark rückläufig sind, ist – auch in Anbetracht des nahenden Sommers – nicht davon auszugehen, dass der Radverkehr in den nächsten Monaten wieder auf ein Vor-Corona Niveau absinkt. Es liegt auf der Hand, dass die ohnehin unzureichende Radinfrastruktur in München diesem Ansturm nicht gewachsen ist. Bestätigt wird dies durch steigende Unfallzahlen (+15%).

Solange der ÖPNV nur wenig benutzt wird, ist allerdings auch eine Steigerung des relativen Anteils des Autoverkehrs an den Wegen der Münchner (und insbesondere der Pendler) zu erwarten. Ob es damit trotz Homeoffice etc. auch zu absolut steigenden Zahlen des Autoverkehrs kommt, war der Vorlage leider nicht zu entnehmen.

Die konkret geplanten Maßnahmen der Verwaltung sind anschaulich in fünf Steckbriefen zusammengefasst. Hier zum Beispiel die Pläne für die Rosenheimerstraße zwischen Orleansplatz und Rosenheimerplatz:

In beiden Richtung wird der Straßenraum neu aufgeteilt und der Radverkehr erhält eine eigene Spur. Bislang gab es auf dieser Hauptverkehrsachse überhaupt keinen Radweg.

Die Diskussion der Vorlage im Stadtplanungsausschuss folgte den vorhersehbaren Frontlinien. Auf der einen Seite Grüne und SPD (die mit ihren neuen Stadträten seit der Wahl deutlich mehr an Schubkraft und Kompetenz im Bereich Verkehr gewonnen hat) und auf der anderen Seite CSU und FDP, die sich unterschiedslos gegen jede der vorgeschlagenen Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs ausgesprochen haben.

Zentrales Argument der CSU und der FDP ist die „fehlende Bürgerbeteiligung“, wenn diese Änderungen innerhalb weniger Wochen umgesetzt werden. Negative Folgen für Anwohner und Gewerbetreibende blieben dabei wie bereits beim Radweg in der Fraunhoferstraße unberücksichtigt.

So bürgernah das auch klingt, überzeugend finde ich es nicht. Zum einen hat der Oberbürgermeister in der Debatte zu Recht darauf hingewiesen, dass keine der fünf neuen Fahrradspuren zu einem Verlust an Parkplätzen führen wird und sich damit sowohl für die Anwohner als auch beim Lieferverkehr von Gewerbetreibenden – anders als in der Fraunhoferstraße – nichts Wesentliches ändern wird.

Zum anderen ist beispielsweise der oben gezeigte Radweg in der Rosenheimerstraße schon deutlich länger in der Diskussion. Von den Grünen wurde daher zutreffend daran erinnert, dass jedenfalls der zuständige Bezirksausschuss sich schon damit beschäftigt hat und einstimmig, d.h. sogar mit den Stimmen der CDU und der FDP, dem dargestellten Vorschlag für die Fahrradspur zugestimmt hat.

Das pauschale Argument der fehlenden Bürgerbeteiligung wirkt daher doch etwas vorgeschoben. Das Ziel ist wohl eher, den Ist-Zustand über Corona und den Sommer hinweg zu retten, in der Hoffnung dass der Druck durch die vielen Radler dann wieder abgenommen hat oder sich bis dahin irgendein neues Argument finden lässt, damit es alles so (autofreundlich) bleibt, wie es seit Jahrzehnten ist. Die neue Stadtratsmehrheit hat sich glücklicherweise davon nicht abhalten lassen und die Vorlage verabschiedet. Das lässt Hoffnung aufkommen, dass die Neuverteilung des Straßenraumes in München, für die die neue Rathauskoalition unter anderem gewählt worden ist, nunmehr mit Schwung in Angriff genommen wird.

Wohnungsbau in München – eine Momentaufnahme

Im heutigen Ausschuss für Stadtplanung und Bauordnung wurde der „Erfahrungsbericht Wohnen in München VI“ vorgestellt. Darin wird die Entwicklung des Wohnungsbaus in den letzten Jahren präsentiert. Grund genug sich ein paar Gedanken dazu zu machen.

Zunächst einmal die wichtigsten Zahlen, nämlich wieviele Wohnungen in den letzten Jahren in unserer Stadt neu gebaut worden sind:

Das sieht zunächst einmal beeindruckend aus. Zwischen 7000 und 8000 Wohnungen werden jedes Jahr neu gebaut. Wer allerdings meint, dass es deshalb mit der Wohnungsnot bald vorbei sein wird, sollte sich noch ein paar weitere Zahlen aus dem Bericht, aber auch zur demographischen Entwicklung in München anschauen.

Zunächst einmal gibt es auch im Wohnungsbau ein Brutto und Netto. So wurden in 2019 insgesamt 1.305 Wohnung abgebrochen, so dass bei 7.121 neu gebauten Wohnungen „nur“ ein Überschuss von fast 6000 Wohnungen verbleibt.

Noch beunruhigender für Mieter in München ist der Vergleich mit dem Bevölkerungswachstum in unserer Stadt. Dazu findet man im aktuellen Demografiebericht die Schätzung, dass die Einwohnerzahl um 0,75% pro Jahr zunimmt, also ca. 11.250 Personen. Berücksichtigt man die Kennzahl von 1,78 Personen pro Haushalt aus der aktuellen Prognose der Stadt zu den Privathaushalten, ergibt das rechnerisch einen Bedarf von ca. 6300 neuen Wohnungen pro Jahr. Und damit sieht man schon das Ergebnis: Selbst mit dem engagierten Wohnungsbauprogramm der letzten Jahre gelingt es allenfalls, eine weitere Verschärfung der Situation zu vermeiden.

Eine gute Nachricht gibt es aber doch. Der Wohnungsbau für einkommensschwache Münchner (mit verschiedenen Programmen) ist weiterhin auf einem hohen Niveau und in 2019 sogar noch angestiegen auf über 2000 Wohnungen pro Jahr. Das sieht man im folgenden Schaubild:

Damit hat die Stadt ihre eigenen Ziele von zuletzt 2ooo Wohnungen pro Jahr auf diesem Sektor sogar noch etwas übertroffen. Es bleibt zu hoffen, dass dies auch in den kommenden Jahren gelingt.

Corona und die Folgen (I)

Die medizinischen Folgen der Pandemie hat die Stadt München bislang gut im Griff. Schaut man auf die täglichen Zahlen, kann man sich am Rückgang der Belegung von Intensivbetten aber auch der geringeren Anzahlen an Neuinfizierten erfreuen. Manchmal sind das nur noch einstellige Werte pro Tag.

Ganz anders sieht es mit den wirtschaftlichen Folgen aus, wie in der heutigen Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Wirtschaft zu erfahren war. Die Hotellerie, der Einzelhandel, die Gastronomie und die Betreiber von Clubs o.ä. stehen vor riesigen Problemen. Vier Verbandsvertreter äußerten in der Sitzung zwar ihren Dank für die Hilfen von Bund und Land sowie die schnelle Bearbeitung der 70.000 Anträge durch die Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Aber dennoch sind die weiteren Aussichten katastrophal:

– Im Hotelgewerbe liegen die Buchungen für die Zeit nach der angekündigten Öffnung ab dem 30. Mai vielfach bei Null. Anders als auf dem Land, wo die Nachfrage inzwischen wieder angezogen hat, gibt es noch kein Erwachen des Städtetourismus in München. Da ist zum einen die Angst vor Ansteckung in einer dicht bevölkerten Großstadt und zum anderen ein Kulturleben, das nahezu vollständig am Boden liegt. Das motiviert niemanden, ein paar Tage in München zu verbringen.

– Die Restaurants der Stadt sind zwar wieder offen, aber die bestehenden Einschränkungen und die Zurückhaltung der Gäste erlaubt keinen kostendeckenden Betrieb. Erste Pleiten sind bereits zu vermelden, beispielsweise des Restaurants im Gasteig.

– Gleiches gilt für die Geschäfte des Einzelhandels. Selbst wenn die Fußgängerzone in den letzten Tagen wieder gut besucht erschien, trügt der Schein. Wenn nur ein Kunde pro 20 qm Verkaufsfläche erlaubt ist, sind im Innern der Läden kaum Menschen. Gewinnbringende Umsätze lassen sich damit nicht erzielen.

– Völlig hoffnungslos ist die Lage der Clubbetreiber. Hier fehlt es an jeglicher Perspektive. Der Vortrag des Verbandsvertreters erschöpfte sich notgedrungen in der Bitte, die Stadt möge die Pacht für die Räumlichkeiten der Clubs übernehmen und vielleicht den ein oder anderen Raum selbst für Sitzungen oder als Lagerhalle nutzen.

SPD und Grüne haben daher einen Dringlichkeitsantrag eingebracht unter dem Titel „Sommer in der Stadt plus“. Damit soll den vielen Münchnern, die dieses Jahr den Sommer in der Stadt verbringen, ein attraktives Kulturangebot gemacht werden und gleichzeitig der lokalen Wirtschaft Kunden zugeführt werden. Das Referat für Arbeit und Wirtschaft hat darauf mit einer umfangreichen Vorlage reagiert, die Pläne für das weitere Stadtmarketing aufzeigt. In insgesamt vier Phasen soll der Städtetourismus in München wieder angekurbelt werden, zunächst regional, dann im deutschsprachigen Raum und schließlich im übrigen Europa und weltweit.

Sowohl die Vorschläge aus dem Stadtrat als auch aus der Verwaltung erscheinen mir sinnvoll und richtig. Und dennoch wird sich ein Erfolg nur dann einstellen, wenn etwas ganz anderes dazukommt: Eine bessere Stimmung. Daran fehlt es leider und die Kommunikation der meisten Entscheidungsträger in Bund und Land sowie mancher Medien trägt tatkräftig dazu bei, dass sich daran bislang nichts ändert.

Wenn beispielsweise Markus Söder gestern unverändert vom „dünnen Eis“ spricht, auf dem wir uns bewegen und seit Wochen gebetsmühlenartig vor der „zweiten Welle“ warnt, kann keine Freude und schon gar keine Konsumstimmung aufkommen. Mit den epidemiologischen Fakten hat dieser Daueralarmismus allerdings nichts zu tun.

– Zum „dünnen Eis“ oder der „zerbrechlichen Situation“: Diese Formulierung stammt aus einer Pressekonferenz der Kanzlerin von Mitte April. Damals sah laut Robert-Koch-Institut (RKI) die Entwicklung der bundesweiten Infektionszahlen so aus:

Infektionszahlen am 15. April; Quelle: Robert-Koch-Institut

Die täglichen Neuinfektionen waren bereits seit dem 20. März rückläufig, lagen aber immer noch bei über 3000 Erkrankten pro Tag. Da war die Formulierung der Kanzlerin sicher richtig, denn wäre die Anzahl der Erkrankten pro Tag wieder gestiegen, wäre das Gesundheitssystem schnell überfordert gewesen. In der Tat, das Eis war dünn und die Lage zerbrechlich.

Und heute, sechs Wochen später ? Ein Blick in die gleiche Statistik des RKI zeigt Folgendes:

Infektionszahlen am 25. Mai; Quelle: Robert-Koch-Institut

Die Zahlen sind massiv gesunken auf ca. 500 Erkrankte pro Tag. Das Eis ist also inzwischen dicker geworden, so etwa um einen Faktor sechs (!). Die gleiche Wortwahl für den jetzigen Zustand wie Mitte April zu verwenden, kann nicht richtig sein. Anders ausgedrückt stellt sich die Frage, ab welcher Zahl Neuinfizierter denn das Eis dick genug sein soll, damit der offizielle Daueralarmismus ein Ende hat.

– Die berühmte zweite Welle. Ja, ich glaube auch, dass sie kommen kann. Man hat das bei anderen Pandemien gesehen. Wahrscheinlich tritt sie jedoch erst im Herbst oder Winter auf, wenn die niedrigen Temperaturen die Ausbreitung des Virus begünstigen. Im schlimmsten Fall ist dann sogar ein erneuter Lockdown für einige Wochen erforderlich. Auch das war bei anderen Pandemien so und wäre nicht das Ende der Welt. Deshalb jetzt die nächsten vier Monate dauerhaft zu verzweifeln anstatt den Sommer in München zu genießen, kann kein sinnvoller Ansatz sein. Es wird an der Frage, ob die zweite Welle im Herbst tatsächlich kommt, auch nichts ändern.

Hotels, Restaurants und dem Einzelhandel in München wäre viel geholfen, wenn das Narrativ aus der Landes- und Bundespolitik sich endlich einmal in eine positive Richtung verändern würde. Soweit erkennbar liegt das Schlimmste erst einmal hinter uns. Das wäre doch ein Grund zum Feiern – natürlich unter Beachtung aller Hygieneregeln.

Und auch bei den getroffenen Maßnahmen sind aus meiner Sicht einige Änderungen angebracht:

– Das Tragen einer Maske ist immer dort sinnvoll, wo der notwendige Abstand nicht eingehalten werden kann. Es lohnt sich dazu einmal den Blick über den Tellerand des Freistaats bis in die Schweiz zu richten. Dort gibt es keine Maskenpflicht, aber die klare Anweisung eine Maske zu benutzen, wenn beispielsweise in einem vollen Zug ein ausreichender Abstand nicht eingehalten werden kann. Aber eben auch nur dann.

So könnte man es auch hier handhaben, ohne dass die Fallzahlen explodieren. Denn die Schweiz hat – ohne eine Maskenpflicht – ihre anfangs sehr hohen Infektionszahlen trotz inzwischen wieder geöffneter Restaurants und Hotels dauerhaft erfolgreich gesenkt:

Entwicklung der Neuinfizierten in der Schweiz; Quelle: Johns Hopkins University

Natürlich ist das Ansteckungsrisiko geringer, wenn alle eine Maske tragen, am besten immer, jedenfalls sobald sie die eigenen vier Wände verlassen. Nur wird damit auch jeder Anschein von Normalität verhindert, sodass Hotels, Restaurants und Einzelhandel nicht auf die Füße kommen. Man geht nicht gerne reisen und shoppen, wenn man ständig durch vermummte Mitmenschen an die Pandemie erinnert wird.

– Auch die Begrenzung, dass nur ein Kunde pro 20 qm einen Laden betreten darf, ist aus meiner Sicht inzwischen zu streng. Geht man für jeden Kunden von einem Kreis mit einem Durchmesser von 4m aus, um hinreichend Abstand zu halten, wären auch 13 qm vollkommen ausreichend. Dann wären aber schon wieder 50% mehr Kunden in einem Laden möglich! Anders als bei der Hotellerie oder Restaurants wirken Einschränkungen, die den Einzelhandel behindern, nicht nur kurzfristig, sondern beschleunigen die Abwanderung der Kunden zu Amazon & Co ohne Aussicht auf Rückkehr. Die Folgen für das Aufkommen der Gewerbesteuer in München sind nachhaltig.

Abschließend noch Folgendes. In der heutigen Ausschusssitzung im Großen Saal des Rathauses wurden die Abstände zwischen den Stadträten im Allgemeinen eingehalten. Nur hatte während der Sitzung fast kein Stadtrat eine Maske auf und auch sicher keine 20 qm Grundfläche zur Verfügung. Und das war gut so.

Der lange Weg zur Verkehrswende

Der Stadtplanungsausschuss hat sich am vergangenen Mittwoch nicht nur mit dem Wohnungsbau in München befasst, sondern auch mit dem Dauerthema Verkehr. Gegenstand der Beratung war die Vorstellung des Berichts über den KFZ-Bestand in München, den das Statistische Amt der Stadt jährlich erhebt. Vorgestellt wurde die Entwicklung im Zeitraum 2015 – 2018. Der vollständige Bericht findet sich hier.

Die Kurzzusammenfassung lautet, dass der KFZ-Bestand im Verhältnis zur Bevölkerung im Wesentlichen gleich geblieben ist. Der in einigen Medien verkündete Trend, dass junge Leute in großen Städten auf ein eigenes Auto zunehmend verzichten, ist jedenfalls für München nicht erkennbar, nicht einmal für die Bewohner in der Altstadt oder innerhalb des Mittleren Rings. Darauf wurde in der Sitzung von der neuen Stadtratsminderheit aus CSU und FDP zu Recht deutlich hingewiesen.

Die vorgelegten Zahlen sind in der Tat enttäuschend für alle, die auf einen schnelleren Bewusstseinswandel gesetzt haben. Zwar kann man, wie von einigen Stadträten der SPD und den Grünen versucht, feinsinnige Unterscheidungen anstellen zwischen dem Besitz eines Autos und seiner Benutzung. Letztlich führt jedoch kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass ein großer Teil der 1,5 Mio Münchner mit ihren über 800.000 Autos bislang für sich selbst noch keine rechte Verkehrswende vollzogen hat.

Umgekehrt ist aber auch die Antwort aus den Reihen der Grünen Stadtratsfraktion richtig, dass der Ausgang der Kommunalwahl als ein klarer Auftrag zu verstehen ist, die Verkehrswende in München nach Jahren des Stillstandes nunmehr energisch in Angriff zu nehmen.

Für mich war der Bericht Anlass, ein paar Überlegungen anzustellen, wie die Verkehrswende in anderen Städten gelungen ist und insbesondere welche Zeiträume dafür erforderlich sind. Zwei Schaubilder habe ich dazu gefunden, jeweils zu den Veränderungen in Wien und in Amsterdam. Beides sind Städte ähnlicher Größe wie München und können daher als Anschauungsobjekte dienen, auch wenn die Ansätze in der Verkehrspolitik völlig unterschiedlich sind.

Die zeitliche Entwicklung (Daten bis 2014, danach extrapoliert) in Wien sieht so aus:

Die erfolgreich vollzogene Verkehrswende ist unverkennbar. Bereits seit 1980 ist der Anteil des Autoverkehrs in Wien rückläufig, auf etwa 40% im Jahr 1993 und etwa 28% im Jahr 2014. Gleichzeitig steigt der Anteil des ÖPNV (in Österreich liebevoll „Öffis“ genannt) von unter 25% auf 39% im Jahr 2014 an. Der Radverkehr kommt allerdings kaum voran und liegt mit 7% weit abgeschlagen.

Betrachtet man die Zeitachse, sieht man jedoch, dass selbst in Wien die prozentualen Verschiebungen innerhalb von 6 Jahren ( = Dauer der Wahlperiode des Münchner Stadtrats) nur im niedrigen einstelligen Prozentbereich liegen. Mit anderen Worten ist die Verkehrswende in Wien wohl nur deshalb gelungen, weil es über Jahrzehnte hinweg Konsens des sozialdemokratisch dominierten Magistrats gewesen ist, eine Verkehrspolitik weg vom Auto hin zum ÖPNV zu verfolgen.

Den ganz anderen Verlauf der Verkehrswende in Amsterdam zeigt dieses Bild:

Entwicklung des Anteils verschiedener Verkehrsträger in Amsterdam. Quelle: www.ams-institute.org

Daraus lassen sich neben der Binsenweisheit, dass Amsterdam eine der Hauptstädte des Radfahrens ist, ebenfalls einige interessante Schlussfolgerungen ziehen:

– Auch hier geht nichts über Nacht. Der starke Rückgang des Autoverkehrs von 520.000 Fahrten pro Werktag im Jahr 1990 auf 280.000 Fahrten im Jahr 2010 setzt erst ab 1995 ein. Es braucht offensichtlich einige Jahre einer konsequenten Förderung des Radverkehrs, bevor die Bevölkerung diese Mobilitätsalternative wirklich annimmt.

– Auch die Nutzung des öffentlichem Nahverkehrs ist in Amsterdam rückläufig, von 368.000 Fahrten pro Werktag auf 244.000 Fahrten. Das finde ich überraschend. Offensichtlich ist auch hier ein Umstieg hin auf das Rad erfolgt. Ohne die Details in Amsterdam zu kennen, lässt sich jedenfalls vermuten, dass die Stadt dadurch viel Geld gespart hat, denn öffentlicher Nahverkehr war noch nie kostendeckend.

Interessanterweise führt eine erfolgreiche Verkehrswende – am Ende – auch zu einem geringeren KFZ-Bestand. Für Amsterdam findet man dazu folgende Zahlenentwicklung:

Anteil der Amsterdamer Bevölkerung über 18 Jahre, die mindestens ein Auto besitzen.
Quelle: Amsterdamse Thermometer Bereikbaarheid

Und damit schließt sich der Kreis zu den aktuellen Beratungen im Stadtplanungsausschuss zum KFZ-Bestand in München. Die wahre Aussage des Berichts zum KFZ-Bestand ist ganz einfach. Sie zeigt, dass wir im Vergleich mit Wien und Amsterdam 30 Jahre (!!) zurückliegen und die Verkehrswende bislang einfach verschlafen haben.

Die Wende im Wohnungsbau

Die heutige Sitzung des Ausschusses für Stadtplanung und Bauordnung hat es deutlich gezeigt: Die neue grün-rote Mehrheit im Stadtrat will nicht nur die Verkehrswende, sondern auch neue Wege im Wohnungsbau gehen. Und das ab sofort.

Was war zu entscheiden? Zwei Vorlagen der Verwaltung zur künftigen Wohnbebauung auf dem Viehofgelände (im Schlachthofviertel) bzw. im sogenannten Kreativquartier an der Schwere-Reiter-Straße standen zur Beratung an. Die Einzelheiten der jeweiligen Pläne finden sich hier bzw. hier. Von übergeordneter Bedeutung sind jedoch nicht die Details der beiden Vorlagen, sondern die Änderungen, die in den ergangenen Beschlüssen von der neuen Stadtratsmehrheit durchgesetzt worden sind.

Danach wird die Stadt keine Grundstücke mehr an private Baugemeinschaften im Rahmen des bisherigen München-Modell-Eigentum verkaufen. Die städtische Förderung von privatem Wohneigentum wird in München ab sofort eingestellt, selbst dann, wenn es wie in den beiden Vorlagen nur um kleine Flächenanteile geht, nämlich gerade einmal 10% der zu bebauenden Grundstücke. Stattdessen sollen Baugenossenschaften o.ä. ein Erbbaurecht daran erwerben können. Die Stadt bleibt damit weiterhin Eigentümer und kann nach Ablauf des Erbbaurechts (z.B. nach 30, 60 oder 80 Jahren) neu über die Nutzung ihrer Grundstücke entscheiden.

Im Ausschuss hat dies zu einer intensiven Diskussion geführt. CSU und FDP haben die bisherige Förderung des privaten Wohneigentums zäh verteidigt. Ihr zentrales Argument ist, dass von der bisherigen Förderpraxis nicht irgendwelche kommerziellen Bauunternehmer profitieren, sondern Münchnern mit einer selbst genutzten Immobilie zu einem wichtigen Baustein für ihre private Altersvorsorge geholfen wird. Außerdem würden ansonsten Familien, die Wohneigentum erwerben wollten, gezwungen, aus München wegzuziehen.

Diese Argumente klingen gut, verkennen aber mehrere Punkte, die in der weiteren Diskussion von Stadträten der SPD und der Grünen eingewandt wurden:

– Die Preise für privates Wohneigentum sind in München inzwischen in solche Höhen gestiegen, dass selbst mit einer Förderung nach dem bisherigen Modell breite Bevölkerungsschichten kein Wohneigentum erwerben können. Schon gar nicht können dies einkommensschwächere Gruppen, die von der Wohnungsnot in München besonders betroffen sind.

– Die Differenz zwischen den Marktpreisen für die fraglichen Grundstücke und den nach dem bisherigen Modell zu zahlenden Preisen sind so groß geworden, dass eine Förderzusage quasi einem „Lottogewinn“ entspricht. Eine Rechtfertigung, warum Einzelpersonen oder auch Baugemeinschaften eine so große Förderung (durch den enormen Preisnachlass auf den Grundstückspreis) erhalten sollten, ist nicht erkennbar.

– Und schließlich gibt es ja weiterhin einen großen privaten Wohnungsmarkt in München, sowohl im Bestand als auch im Neubaubereich. Gegenwärtig entstehen nur etwa 2000 von 10000 neuen Wohnungen auf städtischen Grundstücken. Bei den anderen 8000 sollte für den ein oder anderen FDP Wähler etwas zur Altersvorsorge dabei sein.

Aus meiner Sicht spricht noch etwas anderes gegen jeglichen Verkauf von Gründstücken der Stadt an private Eigentümer (-Gemeinschaften). Dazu muss ich etwas länger ausholen:

In einer hochattraktiven Stadt wie München ist es schlicht unmöglich, die Gesetze des Marktes im Bereich Wohnen außer Kraft zu setzen. Der Wunsch in dieser Stadt zu arbeiten und zu leben ist ungebrochen. Von einer Stadtverwaltung zu erwarten, dass sie für breite Schichten der Bevölkerung günstigen Wohnraum bereitstellen kann, entweder zur Miete oder sogar als Eigentum, verkennt die Möglichkeiten staatlichen Handelns. Es ist und bleibt einer der wenigen – vielleicht der einzige – Nachteil, wenn man in München lebt, dass Wohnraum hier viel teurer ist als in anderen Städten Bayerns oder Deutschlands. Das ist im Übrigen in Paris, London und New York ganz genauso. München ist zwar (noch) nicht so groß wie diese Weltstädte aber mindestens so attraktiv, wenn man einschlägigen Rankings glauben darf.

Wohnungspolitik muss sich daher darauf konzentrieren, diejenigen zu unterstützen, für die der teure Wohnraum nicht nur unangenehm ist, sondern existenzgefährdend. Es ist etwas anderes, ob die teure Wohnung in München dazu führt, dass man auf andere Annehmlichkeiten, beispielsweise ein Auto oder teure Reisen, verzichten muss, oder ob man mit einem niedrigen Einkommen überhaupt nicht mehr in dieser Stadt wohnen kann. Und genau an dieser Stelle kann und muss die Stadt eingreifen. Andernfalls wird die alleinerziehende Krankenschwester oder der Polizist mit seiner Familie aus München verdrängt. Das kann niemand wollen.

Dazu braucht es aber jeden Quadratmeter Wohnraum, auf dessen Mietpreis die Stadt langfristig (!) Einfluss nehmen kann. Eine zeitlich begrenzte Sozialbindung für Wohnungen des privaten Wohnungsbaus, die nach wenigen Jahren ausläuft, kann das Problem nicht lösen. Im Gegenteil, es braucht Wohnungen, über deren Mietpreise die Stadt dauerhaft eine gewisse Kontrolle behält. Und daher erscheint es mir richtig, die wenigen Flächen im Eigentum der Stadt, die nicht sofort von den städtischen Baugesellschaften entwickelt werden können, mit dem Erbbaurecht langfristig für zukünftige Gestaltungsmöglichkeiten zu sichern.

Wie dieses Instrument genau anzuwenden ist, wird sich herausstellen müssen. In der Diskussion im Planungsausschuss und in der vorausgehenden Sitzung des Kommunalausschusses klang bereits an, dass die vertragliche Ausgestaltung des Erbbaurechtes viele Fragen aufwirft, angefangen von dem Wunsch nach überschaubaren und einfachen Regelungen bis hin zu der notwendigen Komplexität, um den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen. Hier wird die Verwaltung in Zukunft weitere Vorschläge unterbreiten auch unter Berücksichtigung von Erfahrungen aus anderen Städten in Deutschland, die bereits länger das Erbbaurecht bei der Vergabe ihrer Grundstücke für den Wohnungsbau anwenden.

Und die Verkehrswende ? Auch die war Gegenstand der Diskussion im Planungsausschuss. Aber das wird in einem weiteren Beitrag berichtet.

Wunsch und Wirklichkeit

Nach fast zwei Monaten Funkstille melden sich diese Seiten zur Kommunalpolitik in München zurück. Zwei Monate, in denen sich vieles grundlegend verändert hat. Die erste Welle der Pandemie ist über München hinweggerollt mit bislang über 6000 Infizierten und mehr als 200 Toten. Inzwischen sind die Zahlen der Neuinfizierten glücklicherweise wieder rückläufig. Wer das Infektionsgeschehen in München nachverfolgen möchte, findet dazu tagesgenaue Informationen auf den Coronaseiten der Stadtverwaltung, die mit einer Vielzahl von Schaubildern detailliert über die aktuelle Lage berichten, einschließlich der Auslastung in den Intensivstationen der Krankenhäuser.

Gleichzeitig mit der allmählichen Verbesserung der Zahlen hat die Münchner Kommunalpolitik wieder Fahrt aufgenommen. Der neu gewählte Stadtrat hat sich unter der Leitung des wiedergewählten Oberbürgermeisters Dieter Reiter konstituiert und mit der gestrigen Vollversammlung seine Arbeit aufgenommen. Der Gegensatz zwischen Vor-Corona Zeiten und der gegenwärtigen Situation kommt exemplarisch durch den Vergleich von zwei aktuellen Dokumenten zum Ausdruck, die in diesem Beitrag kurz vorgestellt werden.

Da ist zum einen der Koalitionsvertrag zwischen den Grünen und der SPD. Auf 42 Seiten wird darin ein ambitioniertes Programm für die Gestaltung Münchens in den nächsten sechs Jahren beschrieben. Genauer betrachtet liest sich dieser Vertrag wie die Summe der Wahlprogramme der beiden Parteien. So trägt der gesamte Abschnitt II. zum Thema Stadtentwicklung, Wohnungsbau und Mieterschutz die Handschrift der SPD, während sich die Grünen in erster Linie im Abschnitt IV. zur Mobilität in München wiederfinden. Diese Themen werden die Kommunalpolitik in der Stadt München weiterhin intensiv beschäftigen.

Allerdings lässt bereits das Inhaltsverzeichnis erkennen, dass der Gestaltungsanspruch der neuen Rathauskoalition für die nächsten sechs Jahre über diese beiden Kernbereiche weit hinausgeht.

In fünfzehn weiteren Abschnitten findet sich ein umfangreicher Katalog von politischen Zielvorstellungen und Projekten, die in den nächsten sechs Jahren vorangebracht werden sollen und dafür erhebliche – zusätzliche – Finanzmittel aus dem städtischen Haushalt benötigen. Und genau dort trifft dieser Koalitionsvertrag auf die harte Realität in dem zweiten Dokument, das in diesem Beitrag vorgestellt werden soll. Genau genommen ist dies nur ein einziges Bild aus dem Vortrag des Kämmerers der Stadt in der gestrigen Vollversammlung:

Das mittlere Szeanrio der Auswirkung der Corona Krise auf die Finanzen der Stadt München: Blau die bisherige Planung und gelb eine Corona bedingte Prognose (Quelle: muenchen.de)

Danach führt die Corona Krise zu Ausfällen der Gewerbesteuer und der Einkommenssteuer von mehr als 1,15 Mrd. EUR und damit bereits für den Haushalt 2020 zu einem vorhergesagten Defizit von fast 900 Mio EUR. Zum Vergleich, der gesamte Haushalt der Stadt beträgt etwas mehr als 7 Mrd. EUR, von denen weit mehr als die Hälfte gesetzlich festgelegte Ausgaben (z.B. garantierte Sozialleistungen oder Gehälter) betreffen und damit kurzfristige Einsparungen in diesen Bereichen unmöglich machen. Nach einen weiteren Worst-Case Szenario des Kämmerers sind die zu erwartenden Ausfälle sogar noch höher und liegen bei mehr als 1,5 Mrd. EUR.

Damit wird erkennbar, worum es in den zwei kommenden Jahren wohl nicht gehen wird, nämlich um die Umsetzung der im Koalitionsvertrag formulierten zusätzlichen Initiativen und Projekte, jedenfalls dann, wenn sie Geld kosten. Im Gegenteil, selbst bei einer ganz unvermeidbaren Schuldenaufnahme der Stadt wird die Aufgabe der nächsten zwei Jahre lauten „Prioritäten setzen“. So klang es auch bereits in der Redebeiträgen der gestrigen Vollversammlung des Stadtrates an. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Grünen und die SPD sich hier auf eine gemeinsame Linie werden verständigen können. So betrachtet beginnen die eigentlichen Koalitionsverhandlungen erst jetzt. Was dabei herauskommt, finden Sie auch in Zukunft auf diesen Seiten.

Keine Kommunalpolitik im Stadtrat in Zeiten von Corona

Kaum ist dieses kommunalpolitische Tagebuch mit seinem ersten Bericht gestartet, wird es auch schon wieder eingefroren. Im jetzigen Ausnahmezustand gibt es keine normale Kommunalpolitik. Das sieht man sehr deutlich an der Vollversammlung des Stadtrates am gestrigen Mittwoch. Dauerte die vorhergehende Vollversammlung im Februar noch weit über sechs Stunden mit engagierten Redebeiträgen einer Vielzahl von Stadträten, war der öffentliche Teil der bis dato letzten Vollversammlung weniger als 20 Minuten lang, zu finden hier in der Aufzeichnung des Livestreams.

Allerdings lohnt es sich kaum, die Aufzeichnung anzuschauen, denn außer einer trockenen Erklärung des Oberbürgermeisters zum Ernst der Lage findet sich dort fast nichts, schon gar keine Diskussion der Stadträte. Krisensituationen sind – das ist eine Binsenwahrheit – die Stunde der Exekutive, d.h. in München der Stadtverwaltung mit allen ihren Referaten. Politische Kontrolle oder gar Gestaltung durch den Stadtrat und seine Ausschüsse erfolgt erst dann wieder, wenn Entscheidungsspielräume entstehen. Davon sind wir gegenwärtig weit entfernt. Das liegt auch daran, dass selbst eine Millionenstadt wie München in dieser Situation im Wesentlichen nur ein ausführendes Organ der Landes- und Bundespolitik ist. Darüber hinaus finden – wohl zur Vermeidung von Infektionen – bis auf Weiteres alle Sitzungen der Ausschüsse und der Vollversammlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Zum vorläufig letzten Mal gibt es auf diesen Seiten ein paar kommunalpolitische Gedanken nach der Stichwahl für das Amt des Oberbürgermeisters, sofern sie denn stattfindet. Immerhin muss auch bei einer Briefwahl ein Umschlag zum Briefkasten oder zur Post gebracht werden, was bei einer strikten Ausgangssperre unmöglich werden könnte.

Bleiben Sie gesund und schauen Sie rein nach dem 29. März !

Ein neuer Stadtrat ist gewählt!

Es ist soweit, seit 17:03 Uhr findet man auf www.muenchen.de das vorläufige Ergebnis der Stadtratswahl. Ausgezählt sind danach 1.160 von 1.274 Stimmgebieten, so dass sich an der endgültigen Zusammensetzung des Stadtrates nicht mehr viel ändern wird. Und die sieht so aus:

Nach starken Verlusten von SPD und CSU sind die Grünen mit 23 Sitzen nunmehr stärkste Fraktion. Neben den bereits bislang im Stadtrat vertretenen kleineren Parteien wie der ÖDP, der FDP und der Linken ist nun auch die AFD mit drei Mandaten in den Stadtrat eingezogen sowie fünf weitere kleine Parteien mit jeweils einem Sitz.

Was bedeutet das nun für die Zukunft Münchens in den nächsten sechs Jahren? Welche kommunalpolitischen Projekte werden Mehrheiten finden? Ein paar erste Gedanken dazu – immer unter der plausiblen Annahme, dass die Stichwahl in zwei Wochen Dieter Reiter als Oberbürgermeister im Amt bestätigt und sich damit auf Seiten der Stadtverwaltung nichts grundlegend ändert:

In der Verkehrspolitik dürfte München auch mit dem neuen Stadtrat die erst vor kurzem begonnene Verkehrswende fortsetzen. Denn bereits Grüne und SPD haben zusammen 41 Stimmen und damit eine Mehrheit, die in diesen Fragen in aller Regel noch durch die Stimmen der ÖDP unterstützt werden wird. Damit steht beispielsweise der zügigen Umsetzung des bereits durch den alten Stadtrat angenommenen Radlbegehrens nichts mehr im Wege. Die Neuverteilung des Straßenraumes zugunsten von Radfahrern, Fußgängern und dem ÖPNV wird damit in den nächsten Monaten und Jahren endlich in Gang kommen.

In Hinblick auf den Bau bezahlbarer Wohnungen könnte es schwieriger werden. Zwar haben fast alle Münchner Parteien im Wahlkampf das Problem der hohen Mieten und des fehlenden Wohnraums benannt. Bei den Entscheidungen zu einzelnen Projekten zur Nachverdichtung, z.B. in Forstenried, hat sich aber gezeigt, dass die Grünen im Zweifelsfall eine Abwägung für den Natur- bzw. Landschaftsschutz und gegen zusätzliche Wohnungen treffen. Hier kommt es darauf an, ob die SPD zu ihrem Kernthema andere Verbündete finden kann. Die CSU, die den verstärkten Wohnungsbau in der Vergangenheit mitgetragen hat, wird dazu nicht reichen. Kommt aber noch die Linke dazu und / oder einige der kleineren Parteien, könnte es auch weiterhin einen expansiven Wohnungsbau in München geben.

Allerdings hängt dies auch davon ab, ob der alte und voraussichtlich neue Oberbürgermeister gewillt ist, mit wechselnden Mehrheiten im Stadtrat zu arbeiten oder ob es zu regelrechten Koalitionsvereinbarungen mit inhaltlichen Absprachen auf mehreren Politikfeldern kommt. Letzteres wäre beispielsweise zwischen Grünen und SPD denkbar, die wie bereits erwähnt mit 41 Stimmen eine knappe Mehrheit haben. Dabei müssten sich beide Partner allerdings an eine neue Rollenverteilung gewöhnen. Stärkste Fraktion sind nun einmal die Grünen und nicht die SPD. Rechnerisch ergäbe natürlich auch eine grün-schwarze Koalition eine solide Mehrheit von 43 Mandaten. Hier erscheinen aber die inhaltlichen Differenzen, insbesondere im Hinblick auf die Verkehrspolitik, nahezu unüberwindbar.

Der gesamte Bereich der Stadtentwicklung wird wahrscheinlich in etwa so weiterlaufen wie bisher. Hier ist die Zielrichtung vielfach durch das Stadtplanungsreferat vorgegeben, das in seinen Vorlagen schon in den letzten Monaten deutlich auf der Linie einer zukünftigen grün-roten Mehrheit im Stadtrat lag.

Allerdings wird vieles, was die Parteien im Wahlkampf ihren Wählern versprochen haben, durch eine veränderte finanzielle Situation in Frage gestellt sein. Bereits vor Beginn der Corona-Krise ist durch nachhaltige Hinweise der Stadtkämmerei klar geworden, dass die fetten Jahre einer goldenen Finanzlage mit Schuldenabbau vorbei sind. Viele Bauplanungen und Einzelprojekte, die vom alten Stadtrat trotz millionenschwerer Kosten flott durchgewunken worden sind, werden in den nächsten Jahren nicht mehr finanzierbar sein, außer man nimmt einen exzessiven Anstieg der Schulden in Kauf. Wie sich der neue Stadtrat dazu verhält, ist gegenwärtig nicht vorherzusagen.

Und dann ist da natürlich noch die alles beherrschende Corona-Krise. Normale Kommunalpolitik wird es bis auf Weiteres nicht geben, sondern nur Notfallplanung von Tag zu Tag. Was der Stadtrat dazu berät, finden Sie ab jetzt auf diesen Seiten. Schauen Sie rein!