Wohnungsbau in München – ein mühsamer Interessensausgleich

München braucht zusätzliche Wohnungen. Dies ist Konsens bei fast allen Mitgliedern des Münchner Stadtrates – aber nicht bei den alteingesessenen Nachbarn eines neu geplanten Wohngebiets. In der heutigen Sitzung des Stadtplanungsausschusses ist der Gegensatz zwischen der Notwendigkeit zusätzlichen Wohnraum zu schaffen und den Interessen der Anwohner des betroffenen Stadtteils – hier Berg am Laim – wieder einmal deutlich geworden. Es war eine Diskussion, die sich bei vielen Neubauprojekten in München gleicht und ungefähr so verläuft:

Erster Akt: Es spricht der / die Vorsitzende des Bezirkausschusses (als Vertreter der Anwohner)

Der Bezirksausschuss sei grundsätzlich nicht gegen weiteren Wohnungsbau in München, aber das vorliegende Projekt sei abzulehnen, da:

es für die zahlreichen neuen Bewohner an Infrastruktur fehle, beispielsweise Krippenplätze und Kindergartenplätzedie Grundschule überfüllt werde

die geplante Bebauung zu hoch und zu dicht sei

noch kein Verkehrskonzept vorliege, das die Belastung für die Anwohner erträglich mache, und

eine Bürgerbeteiligung schließlich nur dann sinnvoll sei, wenn man die Anliegen der betroffenen Bürger auch ernsthaft berücksichtige.

Zweiter Akt: Diskussion der Stadträte

Hier wird von allen Seiten Verständnis für die Anwohner und deren Bedenken geäußert, aber in der Sache bleibt es im Wesentlichen bei dem geplanten Projekt. Die CSU und die FDP / Freie Wähler fordern noch eine bessere Straßenanbindung des Neubaugebietes für den Autoverkehr, die Grünen bringen ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass eine künftige Verkehrswende die Stauprobleme schon lösen werde und die SPD rechtfertigt die dichte Bebauung, weil nur dadurch eine hinreichende Anzahl von Wohnungen gebaut werden könne.

Dritter Akt: Abstimmung

Mit allenfalls kleinen Änderungen wird die Verwaltungsvorlage durchgewunken.

Um deutlich zu machen, worum es dabei konkret gehen kann, hier ein Vergleich zwischen dem „Truderinger Acker“, der Gegenstand des heutigen Bebauungsplanes war, im jetzigen Zustand:

Der Truderinger Acker (aus Google Street View)

und der Planung für die zukünftige Wohnbebauung:

Auszug aus dem Bebauungsplan. Das vollständige Dokument findet sich hier.

Wenn man genau in die Planung hineinschaut, erkennt man, dass die Wohnblöcke eine Höhe von 13 – 22 Meter aufweisen, an der südwestlichen Ecke sogar fast 50 Meter in Form eines sogenannten „Hochpunktes“, d.h. eines Hochhauses mit 15 Stockwerken. Dass dazu bei den bisherigen Anwohnern keine Begeisterung aufkommt, erscheint verständlich. Dies umso mehr, wenn auf Einwände gegen das Hochhaus in der Verwaltungsvorlage mit Sätzen wie diesem geantwortet wird:

Geschickt werden diese städtebaulichen Gliederungselemente genutzt, um die Dachflächen zu aktivieren und von den rückliegenden Gebäuden einen visuellen
Bezug zum Grünzug herzustellen.“

Solche Ausführungen eignen sich vielleicht für ein Oberseminar im Architekturstudium, nicht aber um Einwänden von Anwohnern zu begegnen, die den Kontrast einer solch massiven Bebauung mit der bestehenden Umgebung befürchten.

Allgemeiner betrachtet hinterlässt die Planung der zahlreichen Neubaugebiete überall in München eine Vielzahl frustrierter „Bestandsmünchner“. Zwar werden ihre Bedenken in Bürgerversammlungen und Bezirksausschusssitzungen freundlich angehört und aufgenommen. Im Ergebnis setzt sich aber regelmäßig der Zwang zum Bau einer möglichst großen Zahl neuer Wohnungen durch.

Wie die Stadträtin der LINKEN, Frau Wolf, in der heutigen Debatte am Rande zu Recht angemerkt hat, fehlt – auch nach dem langen Kommunalwahlkampf – immer noch eine Grundsatzdebatte darüber, ob München zwangsläufig eine Weltstadt wie Paris oder London wird. Die großen Stadtratsfraktionen haben erkennbar keine Lust, diese fundamentale Diskussion zu führen. Sie würde im Ergebnis wohl auch zu nichts führen, da der Druck auf München allenfalls durch eine wirksamere Strukturpolitik des Freistaates gemildert werden kann. Andere Städte und Regionen Bayerns müssten erfolgreicher als bisher wirtschaftlich und auch ansonsten attraktiv werden, um den anhaltenden Zuzug nach München zu reduzieren. Der Stadtpolitik verbleibt vor diesem Hintergrund wenig mehr als pragmatisch zu versuchen, mit dem Problem einer wachsenden Bevölkerung umzugehen.

Damit führt aber an dem verstärkten Wohnungsbau – auch in die Höhe – kein Weg vorbei, wenn die Mieten nicht noch weiter ansteigen sollen. Anders als architekturtheoretische Ausführungen, wäre das dann auch die richtige (Haupt-) Antwort auf die Einwände der Anwohner. Mit anderen Worten ist ein engagierter Wohnungsbau auch im Interesse der bereits hier wohnenden Münchner, jedenfalls dann, wenn sie zur Miete wohnen und diese auch morgen noch bezahlen müssen.