Die medizinischen Folgen der Pandemie hat die Stadt München bislang gut im Griff. Schaut man auf die täglichen Zahlen, kann man sich am Rückgang der Belegung von Intensivbetten aber auch der geringeren Anzahlen an Neuinfizierten erfreuen. Manchmal sind das nur noch einstellige Werte pro Tag.
Ganz anders sieht es mit den wirtschaftlichen Folgen aus, wie in der heutigen Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Wirtschaft zu erfahren war. Die Hotellerie, der Einzelhandel, die Gastronomie und die Betreiber von Clubs o.ä. stehen vor riesigen Problemen. Vier Verbandsvertreter äußerten in der Sitzung zwar ihren Dank für die Hilfen von Bund und Land sowie die schnelle Bearbeitung der 70.000 Anträge durch die Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Aber dennoch sind die weiteren Aussichten katastrophal:
– Im Hotelgewerbe liegen die Buchungen für die Zeit nach der angekündigten Öffnung ab dem 30. Mai vielfach bei Null. Anders als auf dem Land, wo die Nachfrage inzwischen wieder angezogen hat, gibt es noch kein Erwachen des Städtetourismus in München. Da ist zum einen die Angst vor Ansteckung in einer dicht bevölkerten Großstadt und zum anderen ein Kulturleben, das nahezu vollständig am Boden liegt. Das motiviert niemanden, ein paar Tage in München zu verbringen.
– Die Restaurants der Stadt sind zwar wieder offen, aber die bestehenden Einschränkungen und die Zurückhaltung der Gäste erlaubt keinen kostendeckenden Betrieb. Erste Pleiten sind bereits zu vermelden, beispielsweise des Restaurants im Gasteig.
– Gleiches gilt für die Geschäfte des Einzelhandels. Selbst wenn die Fußgängerzone in den letzten Tagen wieder gut besucht erschien, trügt der Schein. Wenn nur ein Kunde pro 20 qm Verkaufsfläche erlaubt ist, sind im Innern der Läden kaum Menschen. Gewinnbringende Umsätze lassen sich damit nicht erzielen.
– Völlig hoffnungslos ist die Lage der Clubbetreiber. Hier fehlt es an jeglicher Perspektive. Der Vortrag des Verbandsvertreters erschöpfte sich notgedrungen in der Bitte, die Stadt möge die Pacht für die Räumlichkeiten der Clubs übernehmen und vielleicht den ein oder anderen Raum selbst für Sitzungen oder als Lagerhalle nutzen.
SPD und Grüne haben daher einen Dringlichkeitsantrag eingebracht unter dem Titel „Sommer in der Stadt plus“. Damit soll den vielen Münchnern, die dieses Jahr den Sommer in der Stadt verbringen, ein attraktives Kulturangebot gemacht werden und gleichzeitig der lokalen Wirtschaft Kunden zugeführt werden. Das Referat für Arbeit und Wirtschaft hat darauf mit einer umfangreichen Vorlage reagiert, die Pläne für das weitere Stadtmarketing aufzeigt. In insgesamt vier Phasen soll der Städtetourismus in München wieder angekurbelt werden, zunächst regional, dann im deutschsprachigen Raum und schließlich im übrigen Europa und weltweit.
Sowohl die Vorschläge aus dem Stadtrat als auch aus der Verwaltung erscheinen mir sinnvoll und richtig. Und dennoch wird sich ein Erfolg nur dann einstellen, wenn etwas ganz anderes dazukommt: Eine bessere Stimmung. Daran fehlt es leider und die Kommunikation der meisten Entscheidungsträger in Bund und Land sowie mancher Medien trägt tatkräftig dazu bei, dass sich daran bislang nichts ändert.
Wenn beispielsweise Markus Söder gestern unverändert vom „dünnen Eis“ spricht, auf dem wir uns bewegen und seit Wochen gebetsmühlenartig vor der „zweiten Welle“ warnt, kann keine Freude und schon gar keine Konsumstimmung aufkommen. Mit den epidemiologischen Fakten hat dieser Daueralarmismus allerdings nichts zu tun.
– Zum „dünnen Eis“ oder der „zerbrechlichen Situation“: Diese Formulierung stammt aus einer Pressekonferenz der Kanzlerin von Mitte April. Damals sah laut Robert-Koch-Institut (RKI) die Entwicklung der bundesweiten Infektionszahlen so aus:
Die täglichen Neuinfektionen waren bereits seit dem 20. März rückläufig, lagen aber immer noch bei über 3000 Erkrankten pro Tag. Da war die Formulierung der Kanzlerin sicher richtig, denn wäre die Anzahl der Erkrankten pro Tag wieder gestiegen, wäre das Gesundheitssystem schnell überfordert gewesen. In der Tat, das Eis war dünn und die Lage zerbrechlich.
Und heute, sechs Wochen später ? Ein Blick in die gleiche Statistik des RKI zeigt Folgendes:
Die Zahlen sind massiv gesunken auf ca. 500 Erkrankte pro Tag. Das Eis ist also inzwischen dicker geworden, so etwa um einen Faktor sechs (!). Die gleiche Wortwahl für den jetzigen Zustand wie Mitte April zu verwenden, kann nicht richtig sein. Anders ausgedrückt stellt sich die Frage, ab welcher Zahl Neuinfizierter denn das Eis dick genug sein soll, damit der offizielle Daueralarmismus ein Ende hat.
– Die berühmte zweite Welle. Ja, ich glaube auch, dass sie kommen kann. Man hat das bei anderen Pandemien gesehen. Wahrscheinlich tritt sie jedoch erst im Herbst oder Winter auf, wenn die niedrigen Temperaturen die Ausbreitung des Virus begünstigen. Im schlimmsten Fall ist dann sogar ein erneuter Lockdown für einige Wochen erforderlich. Auch das war bei anderen Pandemien so und wäre nicht das Ende der Welt. Deshalb jetzt die nächsten vier Monate dauerhaft zu verzweifeln anstatt den Sommer in München zu genießen, kann kein sinnvoller Ansatz sein. Es wird an der Frage, ob die zweite Welle im Herbst tatsächlich kommt, auch nichts ändern.
Hotels, Restaurants und dem Einzelhandel in München wäre viel geholfen, wenn das Narrativ aus der Landes- und Bundespolitik sich endlich einmal in eine positive Richtung verändern würde. Soweit erkennbar liegt das Schlimmste erst einmal hinter uns. Das wäre doch ein Grund zum Feiern – natürlich unter Beachtung aller Hygieneregeln.
Und auch bei den getroffenen Maßnahmen sind aus meiner Sicht einige Änderungen angebracht:
– Das Tragen einer Maske ist immer dort sinnvoll, wo der notwendige Abstand nicht eingehalten werden kann. Es lohnt sich dazu einmal den Blick über den Tellerand des Freistaats bis in die Schweiz zu richten. Dort gibt es keine Maskenpflicht, aber die klare Anweisung eine Maske zu benutzen, wenn beispielsweise in einem vollen Zug ein ausreichender Abstand nicht eingehalten werden kann. Aber eben auch nur dann.
So könnte man es auch hier handhaben, ohne dass die Fallzahlen explodieren. Denn die Schweiz hat – ohne eine Maskenpflicht – ihre anfangs sehr hohen Infektionszahlen trotz inzwischen wieder geöffneter Restaurants und Hotels dauerhaft erfolgreich gesenkt:
Natürlich ist das Ansteckungsrisiko geringer, wenn alle eine Maske tragen, am besten immer, jedenfalls sobald sie die eigenen vier Wände verlassen. Nur wird damit auch jeder Anschein von Normalität verhindert, sodass Hotels, Restaurants und Einzelhandel nicht auf die Füße kommen. Man geht nicht gerne reisen und shoppen, wenn man ständig durch vermummte Mitmenschen an die Pandemie erinnert wird.
– Auch die Begrenzung, dass nur ein Kunde pro 20 qm einen Laden betreten darf, ist aus meiner Sicht inzwischen zu streng. Geht man für jeden Kunden von einem Kreis mit einem Durchmesser von 4m aus, um hinreichend Abstand zu halten, wären auch 13 qm vollkommen ausreichend. Dann wären aber schon wieder 50% mehr Kunden in einem Laden möglich! Anders als bei der Hotellerie oder Restaurants wirken Einschränkungen, die den Einzelhandel behindern, nicht nur kurzfristig, sondern beschleunigen die Abwanderung der Kunden zu Amazon & Co ohne Aussicht auf Rückkehr. Die Folgen für das Aufkommen der Gewerbesteuer in München sind nachhaltig.
Abschließend noch Folgendes. In der heutigen Ausschusssitzung im Großen Saal des Rathauses wurden die Abstände zwischen den Stadträten im Allgemeinen eingehalten. Nur hatte während der Sitzung fast kein Stadtrat eine Maske auf und auch sicher keine 20 qm Grundfläche zur Verfügung. Und das war gut so.