Ein klassischer Zielkonflikt

Die Schwierigkeiten der Münchner Gastronomie sind allgemein bekannt. Lockdown, Abstandsgebote, Adressenaufnahme und Maskenpflicht sind vielleicht zur Infektionsbekämpfung notwendig, aber sicher kein Förderprogramm für das Geschäft der Wirte. Wer das schwarz auf weiß nachprüfen will, muss sich nur die Zahlen zur Gewerbesteuer aus dem Bereich Gastronomie anschauen. Von über 51 Mio EUR im Juni 2019 ist das Aufkommen auf unter 18 Mio EUR im Juni 2020 zurückgegangen. Die Gastronomie ist damit die prozentual am stärksten von der Krise betroffene Branche in München.

Der Stadtrat hat schnell regiert und bereits am 13. Mai quasi wörtlich den Aufruf von Prof. Drosten umgesetzt, „das Leben nach draußen zu verlegen„. Überall in München konnten Wirte neue Freischankflächen für den Sommer beantragen, zum Teil auf Parkplätzen am Straßenrand, so wie beispielhaft auf diesem Bild zu sehen:

Beispiel einer Freischankfläche, auch „Schanigarten“ genannt, auf früheren Parkplätzen

Das Kreisverwaltungsreferat hat in einem enormen Kraftakt über tausend Anträge der Wirte bearbeitet und davon 86% in kürzester Zeit genehmigt. Dafür gab es in der heutigen Sitzung des Kreisverwaltungsausschuss fraktionsübergreifend viel Lob für den Referatsleiter und seine Mitarbeiter.

Aber wie geht es jetzt weiter? Der Herbst hat begonnen, die Temperaturen sinken, während die Infektionszahlen steigen. Nicht verändert haben sich die Kernaussagen zur Vermeidung von Ansteckungen. Im Gegenteil, die „drei Gs“ (Gruppen in geschlossenen Räume mit lauten Gesprächen) sind weiterhin die Hauptrisikofaktoren für die Ausbreitung des Virus. Das ist genau die Situation, die man im Innern eines voll besetzten Restaurants oder einer gut besuchten Bar vorfindet.

Mehrere Stadtratsfraktionen haben daher Anträge vorgelegt, wonach die Wirte die Freischankflächen weiterhin betreiben können. Zudem soll das normalerweise geltende Verbot des Einsatzes von Heizstrahlern im Außenbereich für das kommende Winterhalbjahr außer Kraft gesetzt werden. Und genau da ist er, der Zielkonflikt: Hat ausnahmsweise der Infektionsschutz in der Gastronomie Vorrang, so dass die Freischankflächen den ganzen Winter über mit stromfressenden Heizstrahlern gewärmt werden können oder gilt weiterhin der erst vor kurzem ausgerufene Klimanotstand? Danach ist die gesamte Stadtpolitik daraufhin zu prüfen, wie der CO2-Ausstoß in München verringert werden kann. Die stadtweite Verwendung von Heizstrahlern passt dazu wie die Faust aufs Auge.

In diesem Dilemma gab es durchaus unterschiedliche Standpunkte der Fraktionen in der heutigen Sitzung:

Am einfachsten die Meinung der FDP: Danach müssen die Freischankflächen ohnehin weg, damit die fehlenden Parkplätze umgehend den Autofahrern wieder zur Verfügung gestellt werden. Klimaschutz und Überlebenskampf der Gastronomie sind demgegenüber nachrangig – die Folgen für die zukünftigen Gewerbesteuereinnahmen der Stadt (siehe oben) sind es dann wohl auch.

Deutlich schwieriger hat sich die Rathauskoalition aus Grünen und SPD mit dem Thema getan. Als Kompromisslösung soll die Nutzung von Heizstrahlern nur dann gestattet sein, wenn der Wirt dafür Ökostrom bezieht. Das wiederum betrachtete der Vertreter der ÖDP als Scheinlösung, denn der Aufpreis für den Ökostrom sei nicht anderes als ein Feigenblatt für den tatsächlich von den Stadtwerken gelieferten Strom, der nahezu vollständig aus fossiler Erzeugung stamme. Die CSU hingegen wollte die Verpflichtung der Wirte zum Bezug von Ökostrom nicht mittragen, wohl mit der Überlegung, dass dann auch der sonstige Stromverbrauch der Gastronomen teurer werde, jedenfalls dann, wenn es nicht möglich ist, den Strom für die Heizstrahler getrennt abzurechnen. Stattdessen wurde eine Klimakompensationszahlung für jeden Heizstrahler ohne Ökostrom vorgeschlagen.

Will man in solch einer Situation zwischen Infektionsschutz und Klimaschutz abwägen, muss man erst einmal verstehen, was eigentlich auf der Waagschale liegt. Allerdings wurde weder in der Verwaltungsvorlage noch in den Anträgen der Parteien auch nur grob abgeschätzt, wieviel zusätzlichen CO2-Ausstoß der stadtweite Einsatz der Heizstrahler in den Freischankflächen über das Winterhalbjahr verursacht. Das soll im Folgenden nachgeholt werden, ungefähr überschlagen, so gut es eben ohne eine exakte Kenntnis der genauen Zahlen geht.

Nimmt man an, dass ein durchschnittlicher Heizstrahler etwa 3kW benötigt, 8 Stunden am Tag läuft und im Durchschnitt vielleicht 8 solche Heizstrahler zum Einsatz kommen, fallen pro Freischankfläche am Tag ca. 200 kWh Stromverbrauch an. Geht man ferner von etwa 1000 Freischankflächen aus (vgl. die Anzahl der genehmigten Anträge oben), ergibt das pro Tag einen zusätzlichen Stromverbrauch in München von ca. 200.000 kWh. Multipliziert man das mit einer Anzahl von 150 Tagen – das entspricht in etwa sechs offenen Tagen jeder Bar / jedes Restaurants pro Woche im Winterhalbjahr- ergibt sich ein gesamter zusätzlicher Stromverbrauch von ca. 30.000.000 kWh. Legt man die aktuellen Zahlen des Umweltbundesamtes für den CO2-Ausstoß von etwa 400 Gramm pro Kilowattstunde zugrunde, führt das zu einem zusätzlichen Ausstoß von ungefähr 12.000 Tonnen CO2 durch die Stadt München.

Wie bereits erwähnt, ist das nicht mehr als eine grobe Abschätzung, die auch um einen Faktor 2 oder 3 neben der Wahrheit liegen kann. In jedem Fall ist es aber eine ganze Menge Co2. Jedoch verursacht jeder Bewohner Münchens im Jahr ohnehin etwa 11 Tonnen CO2 und damit alle 1,5 Mio Münchner zusammen etwa 16.500.000 Tonnen. Der durch die Heizstrahler im ganzen Winterhalbjahr verursachte zusätzliche CO2-Ausstoß liegt damit nicht einmal im Promillebereich des jährlichen Gesamtausstoßes. Wenn auch nur ein Teil der reiselustigen Münchner diesen Winter wegen der diversen Warnungen auf eine Flugreise verzichtet und das gesparte Geld in die Münchner Gastronomie investiert, ist die Klimabilanz insgesamt sicher positiv.

Im Ergebnis halte ich daher den Einsatz der Heizstrahler in dieser Ausnahmesituation für akzeptabel. Der vom Stadtrat mit den Stimmen der Grünen, der SPD und im Grundsatz auch von der CSU verabschiedete Antrag trifft daher die richtige Abwägung.