Es kommt immer wieder vor, dass im Stadtrat Anträge gestellt werden, die von der Verwaltung nicht umgesetzt werden können, weil die Stadt für den entsprechenden Sachverhalt nicht zuständig ist. Zum Beispiel wäre ein Antrag, das neue Mobilitätsreferat solle endlich sicherstellen, dass die S-Bahn pünktlich fährt, an den falschen Adressaten gerichtet. Für die S-Bahn ist ausschließlich der Freistaat Bayern verantwortlich.
Erfahrene Stadträte wissen das und formulieren solche Anträge so, dass der Oberbürgermeister sich bei der zuständigen Stelle für das Antragsbegehren einsetzen soll. Im Ergebnis ist so ein Antrag keine Vorgabe für ein praktisches Verwaltungshandeln, sondern eher ein politisches Statement mit dem langfristige Veränderungen in der Landes- oder Bundespolitik angestoßen werden.
So ist auch der Antrag der SPD-Fraktion in der gestrigen Kreisverwaltungsausschusssitzung zu lesen, womit
„der Oberbürgermeister beauftragt [wird], sich beim Bayerischen Städtetag dafür einzusetzen, dass die rechtlichen Voraussetzungen für ein kommunales Wahlrecht für Nicht-Unionsbürger*innen, die seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben, geschaffen werden“ .
Das Kreisverwaltungsreferat hat in seiner Vorlage die geltende Rechtslage mit einem kommunalen Wahlrecht nur für deutsche Staatsbürger und EU-Ausländer erläutert und die hohen rechtlichen Hürden für eine Änderung dargelegt. Am Ende wird der Antrag zwar befürwortet, aber ohne jede inhaltliche Auseinandersetzung und eher mit dem Tenor, dass auf absehbare Zeit ohnehin nichts daraus wird.
Ganz anders die kurze, aber intensive Diskussion im gestrigen Kreisverwaltungsausschuss. Neben dem eher polemischen Vorwurf, es handele sich um einen reinen „Schaufensterantrag“, da die Stadt nicht zuständig sei – was sich allerdings im Antragstext bereits widerspiegelt – wurden von Stadträten der CSU und der FDP auch inhaltliche Einwände vorgetragen. Danach stehe bereits jetzt der Weg zum kommunalen Wahlrecht jedem Ausländer durch einen Antrag auf Einbürgerung offen. Die Regelungen zur doppelten Staatsbürgerschaft ermöglichten dies auch ohne einen Verzicht auf die bisherige Staatsbürgerschaft. Mehr brauche es nicht.
Diese Argumentationslinie ist jedenfalls von der CSU etwas seltsam, wenn man bedenkt, wie massiv sie den „Doppelpass“ jahrelang kritisiert hat. Ganze Wahlkämpfe wurden damit bestritten. Auch der Verweis auf die Einbürgerung an sich greift zu kurz, wie aus der SPD-Fraktion zu Recht erwidert wurde. Eine Einbürgerung ist im Regelfall erst nach acht Jahren möglich – ein Zeitraum, in dem in München mindestens zwei Kommunalwahlen stattfinden, ohne die Möglichkeit, vorher an politischen Entscheidungen mitzuwirken.
Welche Bedeutung das Thema für eine Stadt wie München hat, ergibt sich bereits daraus, dass hier über 200.000 Ausländer leben, die nicht aus EU-Staaten kommen (vgl. S. 38 des Münchner Integrationsberichts von 2017) und daher bislang nicht wählen dürfen. Es stellt sich daher in der Tat die Frage, ob nicht für einen so großen Anteil der Bevölkerung bereits früher – im Antrag steht nach fünf Jahren – ein kommunales Wahlrecht möglich sein sollte.
Allerdings halte ich ein reines „Ersitzen“ eines kommunalen Wahlrechts nicht für sinnvoll. Ebenso wie bei der Einbürgerung nach acht Jahren deutsche Sprachkenntnisse, ein Bekenntnis zum Grundgesetz und Kenntnisse unserer Gesellschaftsordnung verlangt werden, müsste auch ein kommunales Wahlrecht ähnliche Voraussetzungen haben. Es erscheint schwer vorstellbar, dass sich ein ausländischer Mitbürger ohne deutsche Sprachkenntnisse über kommunalpolitische Themen und Personen so informieren kann, dass er eine qualifizierte Wahlentscheidung treffen kann. Die Qualität einer Demokratie macht sich nicht nur an der Zahl der Wähler fest, sondern auch daran, ob und wie es ihnen möglich ist, zu einer fundierten Wahlentscheidung zu kommen.
Der Antrag der SPD-Fraktion ist in der gestrigen Ausschusssitzung und in der heutigen Vollversammlung gegen die Stimmen der CSU, der AFD und von Frau Neff von der FDP angenommen worden. Wenn er aber keine politische Eintagsfliege sein soll, müsste er mit einem Konzept ergänzt werden, das vernünftige Voraussetzungen für die Gewährung eines kommunalen Wahlrechtes definiert. Damit könnte es vielleicht auch gelingen, die bestehenden Widerstände in Land und Bund zu überwinden.