Die Bedeutung der Digitalisierung für eine Stadt wie München ist unumstritten. Zu welchen Zielkonflikten jedoch der weitere Ausbau der dafür erforderlichen Infrastruktur führt, wurde gestern im Ausschuss für Arbeit und Wirtschaft deutlich. Die Konfliktlinien verlaufen dabei nicht nur im Stadtrat, sondern auch zwischen verschiedenen Referaten der Verwaltung und zwischen den Netzbetreibern und den Stadtwerken, die hier gerade ein neues Geschäftsfeld entdecken. Keine leichte Materie, da auch aktuelle technische Entwicklungen für das geplante 5G Netzwerk relevant sind.
Die Ausgangslage:
Grundsätzlich ist die Netzabdeckung nach dem 4G (LTE) Standard fast in ganz München gegeben. Hier als Beispiel die Daten der Telekom dazu:
Wie man sieht, wird bis auf ein paar kleine Funklöcher das ganze Stadtgebiet abgedeckt. Das Gleiche gilt mehr oder weniger für andere Anbieter.
Allerdings ist die Netzabdeckung nur die halbe Wahrheit, denn selbst wenn grundsätzlich ein 4G Mobilfunknetz zur Verfügung steht, kann wegen Überlastung die tatsächlich zur Verfügung stehende Datenrate so gering sein, dass das Youtube Video ruckelt. Dabei kommt die ungeheure Dynamik bei der mobilen Datennutzung ins Spiel. In den letzten Jahren ist das Datenvolumen in Deutschland jedes Jahr um ca. 40% (!) gestiegen:
Dieses exponentielle Wachstum verlangt einen ständigen Ausbau der Netzinfrastruktur, völlig unabhängig davon, ob mit 5G ein neuer Mobilfunkstandard eingeführt wird. Daher braucht es nach Aussage des Vertreters der Telekom in der Sitzung etwa 10 – 14 % zusätzliche Funkmasten in München pro Jahr. Konkret sind das ungefähr weitere 200 Anlagen.
Damit liegt das Problem auf der Hand: Wo soll die ständig wachsende Anzahl an Funkmasten aufgestellt werden, ohne das Stadtbild zu beeinträchtigen? Zudem ist auf weitere Anforderungen Rücksicht zu nehmen (z.B. keine Mobilfunkanlagen auf Schulen – unabhängig von der gesetzlich vorgeschriebenen Einhaltung aller Grenzwerte). Weiter verschärft wird die Lage durch die geplante Einführung des 5G Netzwerkes. Auch dafür werden zusätzliche Funkmasten gebraucht werden, selbst wenn zum Teil bestehende Anlagen mitgenutzt werden können.
Bei der Genehmigung neuer Masten durch die Stadt hat sich inzwischen ein erheblicher Rückstau mit zum Teil mehrjährigen Genehmigungsverfahren eingestellt. Offensichtlich kommt es innerhalb der Verwaltung immer wieder zum Streit darüber, ob im Zweifelsfall dem Ausbau des Mobilfunks Vorrang eingeräumt werden soll oder dem Schutz des Stadtbildes oder anderer Interessen.
Die Vorlage
Mit der Vorlage „Mobilfunkausbau fördern„ hat das Referat für Arbeit und Wirtschaft versucht, den Stadtrat zu einer generellen politischen Festlegung nach dem Motto „Im Zweifel für den Mobilfunkausbau“ zu bewegen. Schulen sollen allerdings weiterhin nicht als Standorte in Betracht kommen.
Unter Punkt 1 findet sich darin ein Antragstext, der nahezu wörtlich auf einen Formulierungsvorschlag der Telekom zurückgeht (vgl. die erste Anlage zur Vorlage):
„Der Stadtrat spricht sich nachdrücklich für eine aktive Unterstützung des Ausbaus des Mobilfunknetzes sowohl in der bewährten LTE-Technologie als auch im neuen 5G Standard in München als wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche digitale Transformation und für eine nachhaltige und zukunftsorientierte Entwicklung Münchens aus. Dies beinhaltet, dass bestehende Gestaltungsspielräume innerhalb des Verwaltungshandelns in Bezug auf den Mobilfunknetzausbau so genutzt werden, dass im Regelfall eine konkrete Ausbaumaßnahme umgesetzt werden kann.„
Die Begründung der Vorlage ist über weite Strecken wenig überzeugend formuliert. So wird die Notwendigkeit eines schnellen 5G Ausbaus mit drei Anwendungsfällen begründet, die entweder nichts mit Mobilfunk oder jedenfalls nichts mit den besonderen Vorteilen des neuen Mobilfunkstandards zu tun haben. Das klingt leider nach wenig Sachverstand im Referat.
Sauer aufgestoßen ist den Stadträten der Grünen und der SPD allerdings in erster Linie, dass die klar ablehnende Haltung des Stadtplanungsreferats überhaupt keinen Niederschlag in der Vorlage gefunden hat. Ein Kompromissvorschlag, beispielsweise mit konkreten Leitlinien, an denen sich ein Sachbearbeiter der Stadt bei der Genehmigung oder der Ablehnung eines neuen Funkmastes orientieren könnte, fehlt.
Warum ist das Stadtplanungsreferat gegen die Vorlage? Anhand von mehreren Skizzen wird in der Stellungnahme verdeutlicht, wie Funkmasten für ein zukünftiges 5G Netzwerk aussehen könnten:
Der Zielkonflikt mit dem Erhalt des gewachsenen Münchner Stadtbilds, insbesondere in der Altstadt, ist offensichtlich. Allerdings weist die Stellungnahme des Stadtplanungsreferats auch gleich in die richtige Richtung, wie das Problem vielleicht gelöst werden könnte.
Gestaltungsmöglichkeiten bei der Netzarchitektur von 5G
Bei der Auslegung des 5G Netzes haben die Netzbetreiber nämlich die Möglichkeit, das Netz aus vielen kleinen Zellen (Mikrozellen) aufzubauen, was möglicherweise teurer ist, aber weniger große Funkmasten erfordert. Die Antennen der Mikrozellen sind viel kleiner. Ein Vertreter von M-Net, einem Tochterunternehmen der Stadtwerke, verwies in der Sitzung auf einen aktuellen 5G Netzaufbau in einem historischen Ort in der Nähe von Boston. Dort seien sogenannte „One Foot“- Antennen verwendet worden, um das Stadtbild nicht zu beinträchtigen.
München wäre nach Aussage von M-Net bestens für den Aufbau eines solchen dezentralen 5G Netzes geeignet, da inzwischen ein flächendeckendes Glasfasernetz im Boden vorhanden ist, was den Anschluss der vielen kleinen Antennen erleichtert. Offensichtlich will M-Net hier als Dienstleister auftreten, der den Netzbetreibern aus einer Hand Glasfaseranschluss, Stromanschluss und auf den Liegenschaften der Stadtwerke vielleicht auch gleich geeignete Antennenstandorte anbieten kann. Allerdings wird das nicht umsonst sein.
Wie ein sachkundiger SPD-Stadtrat in der Diskussion zu Recht angemerkt hat, bringt solch ein Netzaufbau auch weitere Vorteile mit sich. Aufgrund der geringeren Sendeleistung der Smartphones in einer Mikrozelle ist auch die Strahlenbelastung für die Anwender geringer, die in erster Linie nicht durch das Netz, sondern durch die Benutzung des eigenen Geräts verursacht wird.
Vor diesem Hintergrund hat die grün-rote Stadtratsmehrheit die Vorlage des Referates für Arbeit und Wirtschaft weder in ihrer zunächst vorgelegten Fassung noch gemäß einer geänderten Tischvorlage angenommen. Stattdessen werden jetzt erst einmal Pilotprojekte mit den beschriebenen Mikrozellen begonnen, um daraus für den weiteren Aufbau des 5G Netzes zu lernen.
Mir scheint das die richtige Entscheidung zu sein. Möglicherweise verzögert sich dadurch die Fertigstellung des Münchner 5G Netzes noch etwas, wie der Referatsleiter und die Stadträte der CSU und der FDP/ Freien Wähler kritisiert haben. Jedoch ist die einzige Anwendung, die eine breite Verfügbarkeit der neuen 5G Technik wirklich benötigt, das autonome Fahren von Kraftfahrzeugen, das ohnehin noch weit von einer Realisierung im dichten Stadtverkehr entfernt ist. Daher sollte nach dem Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ genügend Zeit verbleiben, die notwendige 5G Infrastruktur so zu installieren, dass die Auswirkungen auf das Münchner Stadtbild minimiert werden.