Erfolgreich aber wirkungslos

Vor einigen Monaten habe ich schon einmal darüber berichtet, wie Bürgerinnen und Bürger versuchen können, direkt auf die Münchner Kommunalpolitik Einfluss zu nehmen. Die Behandlung des aktuellen Bürgerbegehrens „Grünflächen erhalten“ in der Vollversammlung des Stadtrats am vergangenen Mittwoch zeigt, dass dabei Erwartungen entstehen können, die später vielleicht bitter enttäuscht werden.

Website des Bürgerbegehrens „Grünflächen erhalten“

Am Mittwoch hat der Stadtrat mit einer Mehrheit aus Grünen und CSU beschlossen, die Forderungen des Bürgerbegehrens zu übernehmen, sodass es nicht zu einer Abstimmung der Bürgerschaft kommt. Dennoch wird diese Entscheidung kaum Auswirkungen auf die zukünftige Stadtplanung und Baupolitik in München haben.

Will man verstehen, warum das so ist, muss man sich mit den juristischen Voraussetzungen für Bürgerbegehren beschäftigen. In der Vorlage der Stadtverwaltung steht dazu Folgendes:

Das Bürgerbegehren zielt auf eine Grundsatzentscheidung ab. Es sollte „alles unternommen werden“, damit die Allgemeinen Grünflächen erhalten bleiben und nicht weiter versiegelt werden. [….]

Nach der Rechtsprechung müssen der Gemeinde bei einem Bürgerbegehren im Bereich der Planung ein Planungsspielraum von substanziellem Gewicht und genügend Alternativen zur Abwägung der konkreten Belange verbleiben (vgl. BayVGH, 11.08.2005, 4 CE 05.1580).

Das Bürgerbegehren […] ist [….] zwingend so auszulegen, dass der vom Gesetzgeber und der Rechtsprechung geforderte Abwägungsspielraum in Bauleitplanverfahren für den Stadtrat verbleibt. […]. Das bedeutet, dass es möglich bliebe, dass der Stadtrat im Einzelfall einen anderen Belang vorrangig gewichten und eine Allgemeine Grünfläche umplanen könnte. Denn ein Bürgerbegehren darf nach der Rechtsprechung keine verbindliche Vorgabe für die Bauleitplanung geben (etwa, dass gar keine Allgemeinen Grünflächen umgeplant werden dürfen).

(Hervorhebung hinzugefügt)

Mit anderen Worten kann nach der Rechtsauffassung der Stadtverwaltung ein zulässiges Bürgerbegehen keine generelle Entscheidung darüber treffen, ob und in wieweit Münchner Grünflächen bebaut werden können. Die Bedeutung des Bürgerbegehrens reduziert sich damit auf die Definition einer allgemeinen politischen Zielvorgabe ohne jede Bindungswirkung.

Ob die Initiatoren des Bürgerbegehrens damit zufrieden sind, darf durchaus bezweifelt werden. In ihrer Stellungnahme zur Vorlage liest man:

„Alle Allgemeinen Grünflächen und die Grünanlagen, die in der Grünanlagensatzung gelistet sind, bleiben bestehen und sind weder Spekulations- noch Verhandlungsmasse für Bauvorhaben.

Da ist kein Raum für Abwägungen.

Allerdings halte ich es durchaus für denkbar, dass die Rechtsauffassung der Stadtverwaltung zu eng ist. Ein „Planungsspielraum von substantiellen Gewicht“ verbliebe auch dann, wenn die Stadtplanung in Zukunft die Rahmenbedingung beachtete, dass keine weiteren Grünflächen in München bebaut werden. Neue Bebauung könnte in diesem Fall weiterhin auf anderen Flächen erfolgen, beispielsweise früheren Industrieflächen wie am Nockherberg, Parkplätzen wie am Dantebad oder als Ersatz für ältere Gebäude. Auch dann gäbe es in der Stadtplanung noch viele Alternativen, die gegeneinander abzuwägen wären, beispielsweise wie hoch oder dicht die Bebauung auf diesen – anderen – Flächen sein soll.

In einer jüngeren Entscheidung hat der Bayrische Verwaltungsgerichtshof in 2019 die Möglichkeiten eines Bürgerbegehrens so formuliert:

Geht es […] um Rahmenfestlegungen, die [….] genügend Alternativen zur Abwägung der konkreten Belange offen halten, so ist es […] eine Frage des Einzelfalls, ob durch einen derartigen „Eckpunkt für die gemeindliche Abwägung“ [….] schon eine solche Selbstbindung eingetreten ist, dass eine Abwägung in keinem Fall mehr in sachgerechter Weise vorgenommen werden kann.“

Rahmenfestlegungen in einem Bürgerbegehren sind danach – entgegen der oben zitierten Rechtsauffassung der Stadtverwaltung – nicht in jedem Fall unzulässig.

Die Stadträte haben die Einschätzung der Verwaltung allerdings nicht in Zweifel gezogen. Im Gegenteil, Vertreter von CSU und Grünen und Linken haben in der Debatte mit großer Freude festgestellt, dass selbst bei Übernahme der Forderungen des Bürgerbegehrens Abwägungsentscheidungen zur Stadtplanung, die zu einem Verlust an Grünfläche führen, weiterhin möglich sind. Vor diesem Hintergrund könne man sich dem Bürgerbegehren anschließen, da man dessen grundsätzliche Überlegungen und Ziele natürlich teile.

Im Ergebnis werden damit die Initiatoren hinters Licht geführt. Einerseits wird der Eindruck erweckt, man werde ihren weitreichenden Forderungen nachkommen. Andererseits ändert sich im Ergebnis nichts. Denn natürlich ist auch schon in der Vergangenheit der Erhalt von Grünflächen ein wichtiges Ziel der Stadtplanung gewesen, aber eben nur eines von mehreren. Oberbürgermeister Reiter hat zu Recht darauf hingewiesen, dass mit der “populistischen” Übernahme des Bürgerbegehrens im Ergebnis ein „Potemkinsches Dorf“ aufgebaut werde, d.h. ein Erfolg vorgespiegelt wird, der tatsächlich gar nicht erreicht worden ist.

Geradlinig erscheint mir der Standpunkt der SPD-Fraktion. In einem engagierten Redebeitrag hat der Fraktionsvorsitzende Christian Müller zum Ausdruck gebracht, dass ein absoluter Schutz jeder Grünfläche in München, den das Bürgerbegehren im Kern anstrebe, mit der SPD nicht zu machen sei. Denn sowohl der dringend notwendige Wohnungs- und Schulhausbau als auch die Entwicklungsmöglichkeiten der Münchner Unternehmen würden erheblich behindert, wenn es in Zukunft bei Grünflächen keine Abwägungsmöglichkeiten mehr gäbe.

Die Stadtratsmehrheit aus CSU und Grünen hat sich davon nicht beindrucken lassen und am Ende der Debatte einen Beschluss gefasst, mit dem formal die Forderungen des Bürgerbegehrens übernommen werden. Auf die Spitze getrieben wird die Irreführung der Initiatoren des Bürgerbegehrens durch den letzten Satz aus Abschnitt 4 des Beschlusses. Danach sind „alle bereits begonnenen Bauleitplanungen“ ausgenommen. Das führt im Ergebnis dazu, dass das Bürgerbegehren auf die allermeisten Bauprojekte der nächsten Jahre gar keinen Einfluss haben wird, nicht einmal als politische Zielvorgabe. Ob diese Einschränkung zulässig ist, erschien dem Oberbürgermeister so zweifelhaft, dass er vor seiner Unterschrift unter den Beschluss des Stadtrates zunächst die Auskunft der Regierung von Oberbayern einholen wird. Die Aufsichtsbehörde soll prüfen, ob der Beschluss mit dieser weitgehenden Ausnahmeregelung insgesamt noch als Übernahme der Forderungen des Bürgerbegehrens gelten kann.

Aber auch unabhängig davon wird diese Entscheidung des Stadtrates noch zu großen Enttäuschungen bei den 60.000 Münchnerinnen und Münchnern führen, die das Bürgerbegehren mit ihren Unterschriften unterstützt haben. Denn entgegen dem aktuellen Stadtratsbeschluss sieht es nicht danach aus, dass in Zukunft keine Grünfläche in München mehr überbaut werden darf.

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