Die Hochhausdebatte in München ist voll im Gange. Während das Stadtplanungsreferat zusammen mit dem Investor die Pläne für die Bebauung des Paketpostareals vorantreibt, sammelt eine Bürgerinitiative seit Monaten Unterschriften, um die zwei 150 Meter hohen Türme unbedingt zu verhindern.
Die Debatte gestern im Stadtplanungsausschuss hat sich weniger mit dem inhaltlichen Für und Wider der Hochhausplanung befasst, sondern mit der Frage, wie diese Entscheidung zustande kommen soll. Und da wird es richtig kompliziert. Im vorliegenden Beitrag sollen die verschiedenen Möglichkeiten zur Entscheidungsfindung kurz dargestellt und anhand der Argumente aus der heutigen Sitzung diskutiert werden.
- Grundsätzlich beschließt der Stadtrat Bebauungspläne, mit denen festgelegt wird, wie ein Grundstück bebaut werden darf. Dazu gibt es ein mehrstufiges Verfahren (vgl. beispielsweise das Diagramm hier) mit intensiver Beteiligung der Öffentlichkeit.
- Art. 18a (1) der Bayrischen Gemeindeordnung sieht jedoch mit dem Bürgerbegehren auch eine Möglichkeit für Bürgerinnen und Bürger vor, selbst eine Entscheidung herbeizuführen. Gelingt es, eine hinreichende Anzahl von Unterschriften zu sammeln – in München sind es 35.000 – muss ein Bürgerentscheid stattfinden. Nach Presseberichten wurden bis Ende August etwa 13.000 Unterschriften gegen die Hochhauspläne gesammelt.
- Allerdings kann der Stadtrat auch von sich aus beschließen, dass ein Bürgerentscheid stattfindet. Dieser Vorgang wird in der öffentlichen Diskussion oft als „Ratsbegehren“ bezeichnet.
So weit so klar. Schwieriger ist festzulegen, worüber genau abgestimmt werden darf. Die Gemeindeverordnung verlangt eine „mit Ja oder Nein zu entscheidende Fragestellung“ . Darüber hinaus hat der Bayrische Verwaltungsgerichtshof weitere Kriterien entwickelt. Zulässig sind danach „Rahmenfestlegungen, die einen Planungsspielraum von substantiellem Gewicht belassen und genügend Alternativen zur Abwägung der konkreten Belange offen halten“ , die nach § 1 (7) Baugesetzbuch immer vorzunehmen ist. Mit anderen Worten darf ein Bürgerentscheid nur allgemeine Vorgaben machen und nicht im Detail regeln, wie ein Grundstück bebaut werden darf.
Vor diesem Hintergrund war im Stadtplanungsausschuss zu entscheiden, wie es mit der Hochhausfrage weitergehen soll. Im Folgenden werden die Positionen der Verwaltung und der drei großen Stadtratsfraktionen zusammengefasst und kommentiert.
Den Standpunkt der Stadtplanungsreferats findet man in der Vorlage zur gestrigen Sitzung. Darin spricht sich das Referat deutlich gegen ein Ratsbegehren aus, sowohl aus inhaltlichen Gründen als auch im Lichte der bereits durchgeführten Bürgerbeteiligung. Eine pauschale Höhenbegrenzung sei grundsätzlich abzulehnen und stattdessen Einzelfallentscheidungen anhand von „Qualitätskriterien für Hochhausplanungen“ zu treffen.
Dieses Argument klingt auf den ersten Blick einleuchtend – wer will schon keine Einzelfallprüfung. Es bleibt jedoch völlig offen, welche „Qualitätskriterien“ für Hochhäuser entscheidend sein sollen. Mir drängt sich der Eindruck auf, dass dahinter nur wenig Objektivierbares, sondern lediglich der aktuelle architektonische Zeitgeschmack steckt, der – endlich – auch Einzug in das ansonsten so provinzielle München halten soll. Allerdings sind die Vorstellungen über gute Architektur eher subjektiv und können sich über die Jahre hinweg erheblich ändern. Ein über 100 Meter hohes Gebäude dominiert jedoch für viele Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte das Erscheinungsbild der Stadt. Nicht nur in unmittelbarer Umgebung, sondern auch aus weiter Ferne wird der Betrachter zwangsweise mit den architektonischen Vorstellungen aus der Erbauungszeit konfrontiert.
Im Hinblick auf die Bürgerbeteiligung weist die Vorlage auf das bereits viel diskutierte Gutachten von 112 zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern hin (vgl. dazu diesen Beitrag). Deren Arbeit werde durch einen Bürgerentscheid entwertet.
Auch dieses Argument hält aus meiner Sicht einer genaueren Betrachtung nicht stand. Denn das Gutachten hatte gar nicht das Ziel, die strittige Hochhausfrage zu entscheiden. Stattdessen sollten die zufällig ausgewählten Teilnehmer alle Aspekte des Vorhabens gründlich durchdenken und konkrete Verbesserungsvorschläge machen. Das Gutachten kann daher nur die inhaltliche Vorbereitung einer Entscheidung sein, aber sie nicht ersetzen. Die dort zusammengetragenen Überlegungen sind hilfreich, unabhängig davon, ob der Stadtrat oder ein Bürgerentscheid das letzte Wort zu diesem Projekt hat.
Die CSU hat ein Ratsbegehren allein über die Planungen zum Paketpostareal beantragt. Tragendes Argument ist dabei die Rechtssicherheit, die sowohl die Stadtverwaltung als auch der Investor bekommt, wenn zeitnah über das konkrete Vorhaben abgestimmt wird und sich damit die oben genannte Initiative erübrigt.
Diese Überlegungen erscheinen mir nachvollziehbar, auch wenn die Rechtsicherheit eher politischer als juristischer Natur ist. Eine Entscheidung in einem Bürgerentscheid ist für den Stadtrat und die Verwaltung nur ein (!) Jahr bindend. Danach können entgegenstehende Beschlüsse gefasst werden. Allerdings hat sich die Münchner Kommunalpolitik bislang immer an die Ergebnisse von Bürgerentscheiden gehalten, beispielsweise an das Ergebnis der Abstimmung von 2004, wonach kein neues Gebäude höher als 100 Meter sein darf.
Bei einer auf das Paketpostareal begrenzten Entscheidung wäre das Hochhausthema jedoch nur insoweit erledigt. Beim nächsten Bauprojekt würde die Diskussion über die erlaubte Gebäudehöhe von Neuem beginnen.
Die Grünen haben beantragt, die Frage der allgemeinen Höhenbegrenzung von 100 Metern in einem Bürgerentscheid erneut abstimmen zu lassen. Dies sei der sauberste Weg, wenn man sich über das Ergebnis von 2004 hinwegsetzen wolle. Das scheint mir überzeugend. Jedoch kann es damit zu einem weiteren Bürgerbegehren kommen, wenn die Höhenbegrenzung fällt und die erwähnte Initiative gegen das konkrete Vorhaben am Paketpostareal dennoch hinreichend Unterschriften zusammenbekommt. Dann müsste erneut abgestimmt werden und alles würde sich weiter verzögern.
Beide Anträge haben keine Mehrheit im Ausschuss gefunden. Das liegt daran, dass CSU und Grüne sich nicht auf einen gemeinsamen Vorschlag für ein Ratsbegehren einigen konnten und am Standpunkt der SPD-Fraktion. Hier hält man das Thema grundsätzlich für zu komplex, um es einer einfachen Ja/Nein-Entscheidung zuzuführen. Bauleitplanung sei besser bei den gewählten Stadträtinnen und Stadträten aufgehoben als in einem Bürgerentscheid.
Das ist ein klarer und nachvollziehbarer Standpunkt. Allerdings vernachlässigt er die befriedende Wirkung, die ein Bürgerentscheid in einer polarisierten politischen Debatte haben kann. Die Hochhausdebatte in München hat (noch) nicht die Intensität des Streits um Stuttgart 21 erreicht. Aber dennoch kann man von diesem hochumstrittenen Projekt lernen, wie beruhigend eine Abstimmung am Ende einer langen Debatte in der Bürgerschaft ist.
Im Ergebnis gibt es für die Positionen aller drei großen Fraktionen gute Argumente. Aus meiner Sicht wäre ein Ratsbegehren am Ende der Bauleitplanung des Stadtrates der richtige Weg. Darin sollte ähnlich wie in 2004 über zwei Fragen abgestimmt werden: die Zustimmung für das Projekt auf dem Paketpostareal und eine grundsätzliche Höhenbeschränkung für neue Gebäude in München.
Dazu wird es wohl nicht kommen. Zunächst wird die Vollversammlung des Stadtrats das Thema erneut debattieren und endgültig über die Anträge entscheiden. Und dann wird man sehen, ob die Hochhausgegner irgendwann eine hinreichende Anzahl an Unterschriften zusammenbekommen.