Eine bezahlbare Verkehrswende?

In einem der ersten Stadtratsberichte habe ich 2020 auf die zwei verschiedenen Wege hingewiesen, wie in Wien bzw. Amsterdam die Verkehrswende gelungen ist. Die Diskussion des Stadtrats in der Vollversammlung am vergangenen Mittwoch gibt Anlass, diese Gedanken noch einmal aufzugreifen. Auf der Tagesordnung stand ein ca. 600 Mio. EUR teurer Vorhaltebau am Hauptbahnhof für eine Station einer weiteren U-Bahnlinie (U9) durch die Innenstadt.

Geplante Streckenführung der zukünftigen U9
(Quelle: Stadtwerke München)

Mit der U9 sollen die Linien U3 und U6 entlastet werden. Zudem würde eine neue Direktverbindung zum Hauptbahnhof geschaffen.

Die Kosten der U9 können gegenwärtig nur geschätzt werden. Sie liegen voraussichtlich irgendwo zwischen 4 und 10 Mrd. EUR. Verbindliche Förderzusagen vom Bund oder Freistaat Euro dafür gibt es bislang nicht.

In 2019 hatte der Stadtrat bereits fast 400 Mio. EUR für den Bau des Vorhaltebaus freigegeben, der aus technischen Gründen schon jetzt zusammen mit dem neuen Hauptbahnhof und der zweiten S-Bahnstammstrecke gebaut werden muss. Inzwischen sind nicht nur die Bauzeit und die Baukosten für die zweite Stammstrecke erheblich gestiegen, sondern auch die voraussichtlichen Kosten für den Vorhaltebau. Anders als bei der zweiten Stammstrecke sind sie ausschließlich von der Stadt München zu tragen. Wie in der aktuellen Vorlage des Mobilitätsreferats ausgeführt wird, geht es inzwischen um ca. 560 Mio. EUR. Hinzu kommen Entschädigungsansprüche der Deutschen Bahn (DB) in Höhe von bis zu 100 Mio. EUR. Laut DB können wegen des Vorhaltebaus weniger Ladenflächen im Hauptbahnhof errichtet und vermietet werden als ursprünglich geplant. Zu entscheiden war daher am Mittwoch, ob der Stadtrat im Lichte dieser erheblichen Kostensteigerung an dem Projekt festhält.

Nun sind ca. 600 Mio. EUR eine Menge Geld, die nur dann zu rechtfertigen ist, wenn eines Tages tatsächlich die U9 gebaut wird. Weite Teile der Vorlage befassen sich daher mit den voraussichtlichen Kosten dieser U-Bahnlinie und den möglichen Fördermitteln von Bund und Freistaat. Die nachfolgende Tabelle aus der Vorlage fasst die Situation zusammen:

Quelle: S. 11 der Vorlage

Das sogenannte „Kosten-Nutzen-Verhältnis“ ist ein Parameter, mit dem nach einem komplizierten Algorithmus berechnet wird, wie sinnvoll ein Bauprojekt des öffentlichen Nahverkehrs ist. Dadurch wird es mit Projekten anderer Städte vergleichbar, die um die gleichen Fördermittel des Bundes konkurrieren. Die U9 hat hier eher schlechte Karten, da mit diesem Bau kein neuer Stadtteil erschlossen wird, sondern nur die U3 und U6 entlastet werden. Zwar wurde der Algorithmus inzwischen durch das sogenannte „Tragfähigkeitsprinzip“ zugunsten des Baus von Entlastungslinien leicht verändert. Dennoch, so wurde in der Debatte am Mittwoch deutlich, ist bestenfalls ein Kosten-Nutzen-Verhältnis von 0,5 zu erwarten, was im Idealfall zu verbleibenden Finanzierungskosten durch die Landeshauptstadt München (LHM) von 2,74 Mrd. EUR führt (vgl. die mittlere Spalte in der Tabelle oben).

Wahrscheinlich liegen die finanziellen Belastungen Münchens durch den Bau der U9 aber noch viel höher. Zum einen sind in dem Fördertopf des Bundes – für ganz Deutschland (!) – laut Vorlage nur 1 Mrd. EUR pro Jahr. 2025 soll das Fördervolumen auf 2 Mrd. EUR steigen. Zum anderen schätzt die Stadtkämmerei in ihrer Stellungnahme die tatsächlichen Baukosten deutlich anders ein als das Mobilitätsreferat:

Die Baukosten für das Gesamtvorhaben U9 sind in der Beschlussvorlage mit 4 Mrd. € angesetzt (Preisstand 2022). Indiziert auf den voraussichtlichen Fertigstellungstermin, voraussichtlich Ende der 2030er Jahre, ist von rd. 9 bis 10 Mrd. € Baukosten […..] auszugehen. …[….] Selbst wenn eine Förderung mit dem Kosten-Nutzen-Faktor 0,5 erfolgen sollte, müsste die LHM ca. 69 % der geschätzten Baukosten tragen, was bei Baukosten von 9 bis 10 Mrd. € rd. 6,2 bis 6,7 Mrd. € ausmachen würde.…[…]. Im Lichte dieser Erkenntnisse und vor dem Hintergrund, dass die LHM auch noch andere Verpflichtungen, z. B. im Bereich des Schul- und Wohnungsbaus, zu erfüllen hat, ist eine Fortführung der VHM [d.h. des Vorhaltebaus] und damit des Gesamtvorhabens U9 nicht finanzierbar.“

(Hervorhebungen hinzugefügt)

Dennoch hat sich der Stadtrat mit einer großen Mehrheit aus Grünen, SPD, CSU, FDP und Bayernpartei für den Vorhaltebau ausgesprochen und am Mittwoch einen entsprechenden Beschluss gefasst.

Warum?

Weil er die U9 – um einen etwas abgedroschenen Begriff zu verwenden – für alternativlos hält. Die in der Vollversammlung dazu vorgebrachten Argumente entsprechen weitgehend den Ausführungen des Mobilitätsreferats in der Vorlage:

Die geplante U9 erzielt die zwingend erforderlichen Entlastungen der bestehenden U-Bahn-Strecken in Nord-Süd-Richtung sowie der Innenstadtbahnhöfe. Sie ist eine grundlegende Voraussetzung für weitere Verbesserungen des Angebotes in Form von Taktverdichtungen und Streckenerweiterungen und damit für die Zukunftsfähigkeit des Münchner ÖPNV-Systems. Gleichzeitig leistet die U9 einen wesentlichen Beitrag zur Mobilitätswende sowie zur Erreichung der CO2-Ziele der LHM.

Diesen Ausführungen liegen offensichtlich zwei Annahmen zu Grunde:

1. Der Verkehr innerhalb Münchens wird weiter zunehmen.

Nur bei einem dauerhaften Wachstum übersteigt die Nachfrage die Kapazität der bisherigen U-Bahnlinien in der Innenstadt. Bislang sind die Fahrgastzahlen der Münchner Verkehrsbetriebe jedoch noch nicht einmal zurück auf dem Niveau vor Corona. Das Mobilitätsreferat führt dazu ohne weitere Begründung aus:

Die mit der Corona Pandemie geänderten Arbeitsweisen (Homeoffice) lassen dennoch wachsende Fahrgastzahlen erwarten……..“

Aus meiner Sicht ist das alles andere als sicher. Ob die Fahrgastzahlen wieder das Niveau vor Corona erreichen oder sogar dauerhaft übersteigen, ist gegenwärtig völlig ungewiss. Welche Bedeutung Homeoffice im beruflichen Alltag langfristig haben wird, ist noch nicht abzusehen. Wenn beispielsweise 50% der Berufstätigen statt an 5 nur noch an 3 Tagen zu ihrem Arbeitsplatz fahren, sollte das zu einem Rückgang des Verkehrsaufkommens um 20% führen. Dann braucht es keine neue U-Bahnlinie in der Innenstadt.

2. Autofahrer steigen (im Wesentlichen) nur auf die U-Bahn um, nicht auf das Rad

Diese Erwartungshaltung zieht sich durch die Vorlage ebenso wie durch die Argumentationen in der Vollversammlung. Gerade bei dem gegenwärtigen Schmuddelwetter könne man ja sehen, wie leer die Radwege seien.

Das ist richtig beobachtet. Nur, muss das immer so bleiben? In Kopenhagen und Amsterdam ist das Herbst- und Winterwetter nicht besser als in München und dennoch ist es dort selbstverständlich, Wege in der Innenstadt auch in den kalten Jahreszeiten mit dem Rad zurückzulegen. Von der Fraktion der LINKEN wurde aus meiner Sicht zutreffend gefragt, wie sich die Notwendigkeit der U9 darstellt, wenn statt 20% der Fahrten 35% mit dem Rad zurückgelegt werden. Eine Antwort darauf war nicht zu bekommen.

Im Gegenteil, die große Mehrheit der Stadträtinnen und Stadträte ist erkennbar davon überzeugt, dass eine Verkehrswende in München nur nach dem Vorbild Wiens realisierbar ist, weg vom Auto hin zum ÖPNV. Das Alternativmodell Amsterdam oder Kopenhagen, bei dem das Rad die Nutzung von Auto und ÖPNV zurückgedrängt hat (vgl. hier) wird als seltsame Merkwürdigkeit von Holländern und Dänen betrachtet. Für München wäre das völlig unverstellbar.

Unter diesen zwei Annahmen führt in der Tat kein Weg daran vorbei, jetzt einen hohen dreistelligen Millionenbetrag für den Vorhaltebau auszugeben. Und auf ein Wunder bei den Fördermitteln des Bundes zu hoffen, damit die U9 irgendwann finanzierbar wird.

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