Die Hochhausdebatte in München ist voll im Gange. Während das Stadtplanungsreferat zusammen mit dem Investor die Pläne für die Bebauung des Paketpostareals vorantreibt, sammelt eine Bürgerinitiative seit Monaten Unterschriften, um die zwei 150 Meter hohen Türme unbedingt zu verhindern.
Die Debatte gestern im Stadtplanungsausschuss hat sich weniger mit dem inhaltlichen Für und Wider der Hochhausplanung befasst, sondern mit der Frage, wie diese Entscheidung zustande kommen soll. Und da wird es richtig kompliziert. Im vorliegenden Beitrag sollen die verschiedenen Möglichkeiten zur Entscheidungsfindung kurz dargestellt und anhand der Argumente aus der heutigen Sitzung diskutiert werden.
Art. 18 der Bayrischen Gemeindeordnung verlangt, dass in jeder Gemeinde mindestens einmal im Jahr eine Bürgerversammlung stattfindet. In München gilt das für jeden Stadtbezirk. Gemäß Art. 18 (4) müssen dort verabschiedete Empfehlungen vom Stadtrat behandelt werden.
Im Juli 2021 hat die Bürgerversammlung des Stadtbezirkes Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt Folgendes beschlossen:
„München hat den Klimanotstand ausgerufen [….] . Eine der wichtigen Transformationen ist die Umstellung von fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energie, wie etwa durch Solaranlagen. Bei bereits bestehenden Gebäuden sind Bebauungspläne eine Voraussetzung, um Neubauten oder alte Gebäude bei Dachsanierungen mit Solaranlagen auszustatten. Der Bezirksausschuss möge daher die Verwaltung mit der Erstellung von Bebauungsanträgen für den Bezirk beauftragen, um im nächsten Schritt auf die weitflächige Durchsetzung von Solaranlagen hinzuwirken[…] “
(Hervorhebung hinzugefügt)
In der Sitzung des Stadtplanungsausschusses am vergangenen Mittwoch hat die Verwaltung dazu Stellung genommen. Die Ausführungen in der entsprechenden Vorlage sind zwar zutreffend, aber letztlich ebenso enttäuschend wie die Tatsache, dass es dazu keine Debatte im Ausschuss gab.
In München steht ein Justizpalast, der auch gut zu Paris oder London passen würde. Mit seiner Größe und Architektur bringt er die Bedeutung der dritten Staatsgewalt zum Ausdruck. Wer hier an einer Gerichtsverhandlung teilnimmt, merkt noch bevor er das Gebäude betritt, dass es um etwas geht.
Umso erstaunlicher erscheint es aus heutiger Perspektive, dass in den 70er Jahren unmittelbar gegenüber ein riesiges Kaufhaus gebaut worden ist, dessen Fassade – vorsichtig ausgedrückt – ein gewisses Kontrastprogramm darstellt:
Welche Überlegungen der Genehmigung dieses Baus zugrunde lagen, weiß ich nicht. Sollten Straftäter damit einen ersten Eindruck ihres zukünftigen Wohnortes bekommen? Oder ging es darum, Stilelemente der wenige Jahre zuvor errichteten Berliner Mauer in vierfacher Größe aufzugreifen?
Nun ändert sich nicht nur der Zeitgeschmack, sondern auch das Einkaufsverhalten. Große Kaufhäuser sterben aus und auch der Karstadt zwischen Schützenstraße und Prielmayerstraße rechnet sich nicht mehr. Der Abriss des Betonklotzes hat bereits begonnen. Was stattdessen hier errichtet werden soll, wurde am Mittwoch im Stadtplanungsausschuss vorgestellt.
Im April 2021 habe ich hier über eines der umstrittensten Themen der Münchner Kommunalpolitik berichtet – die geplante Bebauung des Paketpostareals. Zur Erinnerung: Nördlich der Bahnachse liegt zwischen Wilhelm-Hale-Straße und Arnulfstraße die alte Paketposthalle. Mit ihren riesigen Betonbögen ist sie ein denkmalgeschütztes Bauwerk.
Die Halle und das umgebende Gelände hat die Post an einen Investor verkauft. Dessen Pläne sehen einen Umbau zu einer überdachten, offenen Kulturfläche mit wechselnder Nutzung vor. Eine Idee, die auf große Zustimmung stößt.
Allerdings kann man damit kein Geld verdienen. Finanziert werden soll das Projekt durch neue Wohnbebauung in der Umgebung, darunter zwei über 150m hohe Türme. Hier ein Bild aus dem sogenannten „Masterplan“ des Investors:
Mit anderen Worten bekommt die Stadt eine neue attraktive Kulturstätte, wenn der Investor dafür als erster in München das Baurecht für richtige Hochhäuser erhält. Ein Angebot, das viele Stadträtinnen und Stadträte attraktiv finden, denen die gegenwärtige Architektur Münchens ohnehin zu „provinziell“ (FDP-Stadtrat Prof. Hofmann) erscheint.
Dennoch hat sich daran erheblicher Streit entzündet. Soll in München überhaupt so hoch gebaut werden und sind die beiden Türme dafür die geeigneten Objekte? Im April 2021 hat der Stadtrat ein sogenanntes Bürgergutachten in Auftrag gegeben, mit dem alle Aspekte des Bauprojekts von zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern untersucht werden sollten. Die Empfehlungen des fertigen Gutachtens wurden am Mittwoch im Stadtplanungsausschuss diskutiert.
Über die ehrgeizigen Ziele der Stadt München beim Klimaschutz habe ich bereits berichtet. Bis 2035 will München klimaneutral sein. Netto soll ab diesem Zeitpunkt kein CO2 mehr emittiert werden. Das erfordert enorme Anstrengungen auf allen Gebieten der Stadtpolitik. In der heutigen Sitzung der Stadtplanungsausschusses wurde dazu eine Vorlage zum „Klimafahrplan in der Stadtplanung“ mit „Maßnahmen in der Stadtentwicklungsplanung, Bebauungsplanung, Wohnungsbauförderung und Stadtsanierung“ diskutiert und verabschiedet. Das klingt nicht nur gut, es ist in der Tat ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Allerdings bleibt die Hauptfrage, wie die CO2-Emissionen der bereits vorhandenen Wohnungen in München auf Null gebracht werden soll, völlig ungeklärt.
Im Folgenden wird der neue Klimafahrplan der Stadtplanungsreferats kurz vorgestellt, bevor anhand einiger Zahlen dargelegt wird, warum der Weg zum klimaneutralen München noch sehr sehr weit ist.
Der Schutz der Bäume in München ist dem Stadtrat ein wichtiges Anliegen. Mit über zehn verschiedenen Anträgen der Stadtratsfraktionen und mehrerer Bezirksausschüsse aus den letzten Monaten sollen Baumfällungen in München erschwert und ausreichende Nachpflanzungen sichergestellt werden, gegebenenfalls unter Androhung höherer Ordnungsgelder.
Das Stadtplanungsreferat hat daher für die Sitzung am vergangenen Mittwoch eine umfangreiche Vorlage erarbeitet, die viele Informationen zu Bäumen in München enthält. Grund genug für mich, dieses Thema einmal genauer anzuschauen. Leider zeigt sich, dass die Datenlage über den Baumbestand völlig unzureichend ist und die Möglichkeiten des Baumschutzes sehr begrenzt sind.
Bäume haben eine erhebliche Bedeutung für das Stadtklima. In der Vorlage ist beispielhaft zusammengestellt, was eine freistehende 100-jährige Buche leistet:
Die Innenstadt wirkt zur Zeit wie eine einzige Baugrube. Überall sind Straßenzüge aufgerissen. Alle paar Meter stößt man auf neue Hoch- oder Tiefbaustellen, die in der Sommerhitze jede Menge Staub von sich geben. Selbst mit dem Fahrrad ist es schwierig geworden, schnell durch die Stadt zu kommen. Autofahrer müssen besonders viel Geduld mitbringen, wenn sie Ziele innerhalb des Mittleren Rings ansteuern. Das liegt nicht nur an der zweiten Stammstrecke der S-Bahn, sondern auch an einer verstärkten Bautätigkeit in vielen zentralen Lagen der Stadt. Trotz der hohen Grundstückspreise ist München für Investoren immer noch attraktiv. Und schließlich ist da die große Baustelle rund um den neuen Hauptbahnhof.
Ertragen lässt sich das vielleicht etwas besser mit ein wenig Vorfreude auf das neue Bahnhofsgebäude. Eine Vorstellung davon geben die inzwischen allgemein bekannten Computerbilder des, wie ich finde, gelungenen Entwurfs mit viel Glas und Licht:
Allerdings gab es bis zur gemeinsamen Sitzung des Mobilitäts- und des Stadtplanungsausschusses am vergangenen Mittwoch noch keine Entscheidung darüber, ob der Bahnhofsvorplatz in der Tat so aussehen wird wie auf dem „Wimmelbild“ oben. Denn bislang verlaufen hier in Nord- und Südrichtung zwei stark befahrene Fahrspuren des Autoverkehrs. Dadurch ist ein barrierefreier Übergang vom Bahnhof Richtung Stachus unmöglich.
Die – allmählich abklingende – Corona Pandemie bremst die Kommunalpolitik in München immer noch aus. Viele Ausschusssitzungen des Stadtrats entfallen und in der monatlichen Vollversammlung nimmt die Diskussion zur Pandemielage jedes Mal soviel Zeit in Anspruch, dass viele andere Themen vertagt werden müssen, beispielsweise die Beschlussfassung über die in diesem Bericht diskutierte Vorlage der Verwaltung.
Worum geht es dabei ? Für viele Münchner Haushalte wird es immer schwieriger, die hohen Mieten des freien Wohnungsmarktes zu bezahlen. Da kommt den beiden Wohnungsbaugesellschaften GWG und GEWOFAG große Bedeutung zu. Allerdings verfügen sie mit ca. 67.000 Wohnungen zusammen über nicht einmal 10% des gesamten Wohnungsbestandes der Stadt. Zum Vergleich: In Wien sind fast 25% aller Wohnungen in der Hand des Wiener Gemeindebaus. Ein schnelles Wachstum der Anzahl günstiger Wohnungen in München ist nicht zu erkennen. Im Gegenteil, selbst bei der Bebauung von städtischen Grundstücken braucht es immer wieder private Investoren. Deren Neubauten stellen jedoch nur zum Teil günstigen Wohnraum bereit und das auch nur über einen begrenzten Zeitraum. Das wirft die Frage auf, ob nicht eine einzige, größere Wohnungsbaugesellschaft deutlich leistungsfähiger wäre. Die Vorlage des Stadtplanungsreferats, deren Diskussion am Mittwoch leider vertagt worden ist, erläutert das Für und Wider einer Fusion der beiden Gesellschaften.
Ein zentrales Thema der Kommunalpolitik ist die Stadtentwicklung. Was wo in München gebaut wird hat wesentlichen Einfluss auf die Wohnungssituation, den Verkehr und damit auf das Leben der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt. Neben der Planung neuer Stadtviertel, über die auf diesen Seiten immer wieder berichtet worden ist, steht zur Zeit das Paketpostareal im Zentrum vieler Diskussionen. Seit 2019 gibt es einen Vorschlag, wie dieses Gebiet in Zukunft bebaut werden soll, einschließlich zweier Hochhäuser mit über 150m Höhe. Der Stadtrat ist sich der Brisanz dieser Planung bewusst – immerhin gab es 2004 in München einen Bürgerentscheid gegen Bauten, die höher sind als die Frauenkirche. Daher wurde in der Vollversammlung Ende Januar beschlossen, im Rahmen einer intensiven Beteiligung der Münchnerinnen und Münchner ein sogenanntes Bürgergutachten einzuholen. In einer aktuellen Vorlage für die Sitzung des Stadtplanungsausschusses am Mittwoch erläutert die Verwaltung, wie solch ein Gutachten erstellt wird.
Im Folgenden wird zunächst kurz das Bauprojekt vorgestellt und dann der Frage nachgegangen, was das geplante Bürgergutachten leisten kann und was nicht.
Die Paketposthalle liegt östlich des Hirschgarten auf der Nordseite der Bahngleise:
Das riesige Tonnengewölbe der Paketposthalle ( 150m x 124m) wurde in den 60er Jahren als überdachter Bahnhof für Waggons erbaut, mit denen die Post damals – umweltfreundlich – Pakete mit der Bahn transportiert hat. Der Entwurf für die neue Nutzung und Umgestaltung des gesamten Areals ist in einem Projektkonzept der Architekten Herzog & de Meuron erläutert. Es lohnt sich, die sieben Seiten dieses Dokuments mit seinen detaillierten Bildern einmal anzusehen, um einen Eindruck der Planungen zu gewinnen – trotz der manchmal etwas verschwurbelten Architektensprache („Das durchaus utopische Moment einer Belebung der Paketposthalle hat im Fall Münchens eine Tradition, die sich im Konsens zwischen Bevölkerung und Stadt mehrfach als erfolgreich erwiesen hat.“)
Kern des Entwurfes ist die Idee, die Paketposthalle als offenen, aber überdachten Veranstaltungsplatz zu nutzen. Südlich und westlich der Halle sollen zwei Türme mit relativ kleiner Grundfläche und einer Höhe von jeweils 155m entstehen.
Die weitere Bebauung des Areals wird mehrere sechsstöckige Wohnblöcke umfassen und schließt damit an die ähnliche Wohnbebauung unmittelbar östlich der Paketposthalle an.
Was ist nun von diesem Projekt zu halten? Die Idee, das riesige Tonnengewölbe der Paketposthalle für eine vielfältige kulturelle Nutzung zu öffnen, ist sicher ein Gewinn. Damit wird für die stark steigende Anzahl an Bewohnern im gesamten Neubaugebiet nördlich der Gleise ein attraktives städtisches Zentrum mit einem ganz eigenen Charakter geschaffen, vgl. die Bilder des Projektkonzepts. Dabei verzichtet die Planung auf eine Erschließung des Geländes durch Straßen. Das Areal wird somit autofrei und ist über die unmittelbar südlich verlaufende Stammstrecke der S-Bahn hervorragend an den öffentlichen Nahverkehr angebunden.
Umstritten ist jedoch die Höhe der Türme, die – eineinhalbfach so hoch wie die Frauenkirche – nicht nur das bebaute Areal, sondern über Jahrzehnte hinaus das gesamte Stadtbild Münchens maßgeblich beeinflussen werden. Braucht es das, damit München – endlich – seine von manchen als provinziell empfundene Abneigung gegenüber Hochhäusern überwindet? Bereits bei der Vorstellung des Entwurfs der Hochhausstudie vom Januar 2021 deuteten sich solche Vorstellungen im Planungsreferat an, wenn in der Präambel der Studie ausgeführt wird:
„Hochhäuser werden als selbstverständlicher Teil der Stadt verstanden. Nur indem sich Hochhäuser, durch verständliche und wiederkehrende Prinzipien, als erkennbarer Typus zeigen, können sie ein alltäglicher Bestandteil der Stadt werden. „
Genau das ist die Frage, ob Hochhäuser in München wirklich „selbstverständlich“ oder „alltäglich“ sein müssen, oder ob nicht der besondere Charme Münchens als „größtes Dorf Deutschlands“ auch darin liegt, auf solche Bauten bislang verzichtet zu haben. Objektive Wahrheiten gibt es dazu nicht, aber jede Menge Meinungen und Diskussionen.
Wie bereits erwähnt, hat der Stadtrat daher im Januar beschlossen, ein Bürgergutachten zu diesem Bauprojekt erstellen zu lassen, denn
„ein Bürgergutachten [eignet sich] gerade für polarisierende Projekte und zur Lösung von kontroversen Problemen, da Meinungen nicht nur abgefragt, sondern komplexe Fragestellungen angemessen diskutiert werden. Vor allem werden die unterschiedlichen Perspektiven und Planungskonflikte offen angesprochen und dargestellt. […] Ziel ist es, Vorschläge zur weiteren Entwicklung zu erarbeiten und in einem Gutachten festzuhalten.“
Wie das funktionieren soll, zeigt schematisch folgende Abbildung:
Die Grundidee besteht darin, dass 100 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger sich vier Tage lang unter Anleitung einer neutralen Leitung intensiv mit dem Projekt beschäftigen und danach ihre Überlegungen in einem Gutachten zusammenstellen. Die Teilnehmer werden dazu in sogenannte Planungszellen von etwa 25 Personen aufgeteilt, die sich mit einzelnen Themenfeldern befassen, wie der Stadtbildverträglichkeit, dem Klimaschutz, dem sozialen Miteinander und vielen weiteren Aspekten, auf die das geplante Bauprojekt Auswirkungen hat.
Die Diskussion der Teilnehmer in den Planungszellen folgt einer durch die neutrale Leitung vorgegebenen Struktur: Vorträge von Fachleuten und Beteiligten gehören ebenso dazu wie Ortstermine zur Besichtigung des Areals. Laut Vorlage sind auf diese Weise in Deutschland bereits über 100 Bürgergutachten erstellt worden, davon zwei in München, zuletzt 2017 zur Neugestaltung des Viktualienmarktes.
Betrachtet man exemplarisch die über 80 Seiten des Bürgergutachtens zum Viktualienmarkt, erkennt man die Stärken dieses Werkzeugs: Die vielen unterschiedlichen Aspekte, die einen attraktiven Markt in der Mitte Münchens ausmachen, konnten detailliert von den Gutachterinnen und Gutachtern herausgearbeitet werden. Vielfältige Alltagserfahrungen sind dabei mit eingeflossen und haben der Stadtverwaltung hilfreiche Anregungen bei der anstehenden Umgestaltung der Marktstände gegeben.
Beim Paketpostareal liegt die Sache möglicherweise anders. Denn hier geht es im Kern um die einfache Frage, ob man dem Bau der Türme in der geplanten Höhe zustimmt oder eben nicht. Eine Konsenslösung ist da kaum vorstellbar. Zu groß scheint mir der Gegensatz zwischen den Verfechtern des Hochhausbaus einerseits und denjenigen, die am Ergebnis des Bürgerentscheids von 2004 festhalten wollen.
Vor diesem Hintergrund kann das neue Bürgergutachten allenfalls neue Argumente entwickeln und in die Diskussion einbringen, die von den politischen Entscheidungsträgern in Verwaltung, Parteien oder auch Anwohnerinitiativen, etc. bislang noch nicht gesehen oder aufgegriffen worden sind. Es sollte jedoch nicht die verantwortliche Entscheidung der Stadträtinnen und Stadträte ersetzen. Das Ergebnis darf nicht als eine Art Umfrage zum vermeintlichen Bürgerwillen über das Hochhausprojekt missverstanden werden. 100 Münchnerinnen und Münchner sind eine viel zu geringe Anzahl, um repräsentativ die Meinung der Stadtbevölkerung abbilden zu können. Zudem werden sie möglicherweise durch die vorgegebene Strukturierung ihrer Arbeit und durch das Leitungsteam – bewusst oder unbewusst – zu bestimmten Schlüssen geführt.
Letztlich wird daher das Gutachten die Debatte, ob in München die bisherige Zurückhaltung beim Hochhausbau aufgegeben werden soll, zwar bereichern, aber nicht beenden. Im Gegenteil, sollte sich der Stadtrat am Ende für eine Genehmigung der beiden Türme entscheiden, wäre es für mich nicht überraschend, wenn es zu einer Neuauflage des Bürgerentscheids von 2004 kommt. Damals haben sich die Münchnerinnen und Münchner mit einer denkbar knappen Mehrheit von 50,8% gegen den Bau von Hochhäusern entschieden, die im Bereich des mittleren Rings liegen und die Frauenkirche überragen. Wie eine Neuauflage dieser Abstimmung ausgehen würde, kann ich nicht vorhersagen.
Corona verändert vieles, vielleicht auch den Münchner Wohnungsmarkt. Wird das Homeoffice dauerhafter Bestandteil der Arbeitswelt, steigt die Nachfrage nach größeren Wohnungen. Gleichzeitig sinkt die Bedeutung der Entfernung zum Arbeitsplatz, wenn die physische Anwesenheit vielleicht nur noch zweimal pro Woche erforderlich ist. Da könnte eine größere Wohnung im weiteren Münchner Umland deutlich attraktiver sein als eine kleine Stadtwohnung für das gleiche Geld.
Allerdings sind solche Veränderungen nicht kurzfristig zu erwarten. Die Mieten in München werden auch bei einem längeren Lockdown nicht sofort dramatisch fallen. Und so lohnt es sich, einen tieferen Blick auf den Bericht zur Wohnungssituation für die Jahre 2018/2019 zu werfen, der am vergangenen Mittwoch im Stadtplanungsausschuss vorgestellt worden ist. Und die Debatte über zwei aktuelle Bauprojekte in derselben Ausschusssitzung zeigt beispielhaft, welche Flächen noch verfügbar sind und wie schwierig es ist, beim Wohnungsbau tatsächlich voranzukommen.
Zunächst ein paar Zahlen: Die mittlere Nettokaltmiete in München pro Quadratmeter beträgt gegenwärtig 11,69 EUR. Das klingt zunächst nicht besonders hoch, aber dieser Wert wird durch viele Altverträge bestimmt. Bei einer Neuvermietung im Bestand – also kein Neubau – liegt der Durchschnittswert bei 18,67 EUR. Wer jetzt seine Wohnung verliert, beispielsweise durch Eigenbedarfskündigung, und eine neue Wohnung sucht, muss im Schnitt 60% mehr Miete für die gleiche Wohnfläche bezahlen. Das bringt viele Münchner in große Schwierigkeiten. Noch deutlicher wird das Problem, wenn man die Situation einer jungen Familie bedenkt, die eine neue Wohnung mit 50% mehr Wohnfläche benötigt. Da steigen die Mietkosten – im statistischen Mittel – fast auf das zweieinhalbfache.
Warum ist das so ? Die Kurzantwort lautet, dass der Zuzug nach München den Wohnungsneubau seit Jahren übersteigt. Dadurch entsteht ein Nachfragedruck, der die Preise ständig steigen lässt und der mit den begrenzten Möglichkeiten der Kommunalpolitik nur in Teilbereichen des Wohnungsmarktes beeinflusst werden kann.
Über 100.000 Personen ziehen seit 2009 jedes Jahr nach München und schließen zu den aktuellen Mietpreisen neue Verträge ab. München hat eine vergleichsweise junge Bevölkerung mit einem Durchschnittsalter von 41 Jahren. Zwar ziehen auch Münchner weg, aber es bleibt ein Nettowachstum der Bevölkerung von etwa 20.000 – 30.000 Personen pro Jahr. Der Umzug nach München erfolgt häufig im Alter von 25 – 40 Jahren und spiegelt die guten Beschäftigungsmöglichkeiten der Stadt wieder. Bevorzugte Stadtteile von Neumünchnern liegen im Zentrum. Später allerdings – möglicherweise als Folge eine Familiengründung – erfolgt der Umzug an den Stadtrand oder ins Umland.
Die Neubürger verfügen in aller Regel über eine höhere Kaufkraft und führen damit zu einem Verdrängungswettwerb im Wohnungsmarkt zu Lasten einkommenschwächerer Bevölkerungsgruppen, die schon länger in München wohnen.
Welche Möglichkeiten hat die Kommunalpolitik, auf die Wohnungssituation Einfluss zu nehmen? Da gibt es zum einen regulatorische Maßnahmen. Neben der bundesweit geltenden Mietpreisbremse können kommunale Erhaltungssatzungen räumlich begrenzt den Mietanstieg dämpfen, wie bereits hier ausführlich erläutert. Davon macht die Stadt umfangreich Gebrauch, wie man an der nachfolgenden Grafik sehen kann:
Darüber hinaus kann die Stadtverwaltung über ihre eigenen Wohnungsbaugesellschaften o.ä. günstige Mietpreise für etwa 85.000 Wohnungen bereitstellen. Das sind allerdings nur knapp 11% der 800.000 Wohnungen in München.
Neben städtischen Wohnungen spielen insbesondere Sozialwohnungen eine wichtige Rolle, die ein Bauträger errichten muss, um für ein neues Projekt eine Baugenehmigung von der Stadt zu bekommen. Allerdings muss die Sozialbindung – aufgrund einer Leitentscheidung des Bundesgerichtshofs – nach einigen Jahren wegfallen. Ohne ständigen Neubau nimmt daher der Bestand an Sozialwohnungen in München kontinuierlich ab, vgl. die abnehmende Größe der gelben Balken in der Grafik oben.
Und damit kommt man zum wichtigsten Instrument der Wohnungspolitik. Solange der Nachfragedruck auf München so hoch ist, kann Entspannung nur durch konsequenten Neubau von Wohnungen erreicht werden. Allerdings sind die dafür noch zur Verfügung stehenden Flächen auf Münchner Stadtgebiet sehr begrenzt:
Die Notwendigkeit eines aktiven Wohnungsbaus ist daher Konsens bei allen Fraktionen im Stadtrat. Trotzdem fällt bei der konkreten Entscheidung eine Abwägung zugunsten des Wohnungsbaus manchen Stadträten überraschend schwer. So jedenfalls mein Fazit aus der Debatte am vergangenen Mittwoch im Stadtplanungsausschuss.
Weitgehende Übereinstimmung bestand im Stadtrat für das Projekt der sogenannten „Orleanshöfe“ auf dem Gebiet des alten Güterbahnhofs nordöstlich des alten Ostbahnhofs. Auf den ersten Blick erscheint die Fläche für eine (Wohn-) Bebauung ziemlich ungeeignet. Eingeklemmt zwischen der vielbefahrenen Orleansstraße und den Gleisen liegt ein langes schmales Rechteck, das sich vom Ostbahnhof bis zum Haidenauplatz erstreckt.
Die enorme Nachfrage in München hat jedoch den Grundstückseigentümer bewogen, das Gelände zu entwickeln und dazu einen städtebaulichen Wettbewerb zu veranstalten, dessen Ergebnis in der Ausschusssitzung am Mittwoch vorgestellt wurde. Zum Glück, wie ich finde, hat sich das Preisgericht nicht für einen der extremen Entwürfe entschieden, beispielsweise dieses Monstrum aus Ziegelsteinen,
sondern für eine etwas luftigere Gebäudestruktur aus drei getrennten Blöcken mit immerhin fast 500 neuen Wohnungen:
Fast alle Fraktionen im Stadtrat fanden das Konzept überzeugend und haben den entsprechenden Planungen zugestimmt, sodass hier in den nächsten Jahren Wohnbebauung auf einer bislang ungenutzten Bahnbrachfläche entstehen kann.
Ganz anders bei einem sehr viel kleineren, aber bereits seit vielen Jahren heftig umstrittenen Projekt am Münchner Stadtrand in Waldperlach. Hier möchte ein Investor in ökologischer Holzbauweise 80 Wohnungen auf einem seit Jahren ungenutzten und verrottenden Sportgelände errichten:
Man könnte denken, dass vor dem oben geschilderten Hintergrund die geplante maßvolle Bebauung – mit dreistöckigen Häusern niedriger als der umgebende Baumbestand und in der Summe ohne neue Flächenversiegelung – ebenso wie die oben erläuterten Orleanshöfe auf allgemeine Zustimmung stoßen müsste. Dem war jedoch nicht so.
Wie bei vielen anderen Neubauprojekten hat sich eine Bürgerinitiative in der Nachbarschaft gegründet, die inzwischen jeden nur denkbaren Einwand gegen den Bau der 80 Wohnungen vorgebracht hat. Die Vorlage des Planungsreferats setzt sich daher auf über 150 Seiten mit jedem einzelnen Argument gegen die neuen Wohnungen auseinander, einschließlich einer detaillierten Umweltprüfung (…..“Die Fläche wird von Fledermäusen der Region nur sehr sporadisch als Jagd- bzw. Nahrungshabitat genutzt“ …..). Im Ergebnis ist durch den Neubau im Vergleich mit dem Istzustand keine dauerhafte Beeinträchtigung der Umwelt zu erwarten, auch wenn das Projekt in einem Landschaftsschutzgebiet liegt.
Die Stadträte der GRÜNEN hat das nicht überzeugt. Hier sind offensichtlich noch so kleine ökologische Bedenken wichtiger als der dringend benötigte Neubau von Wohnungen. Mit diesem Ansatz kann es aus meiner Sicht nicht gelingen, die Wohnungsprobleme Münchens erfolgreich anzugehen und den weiteren Anstieg der Mieten zumindest zu bremsen.
Glücklicherweise – und für mich durchaus überraschend – hat die CSU bei diesem Projekt der Versuchung widerstanden, sich vor den Karren der Bürgerinitiative der Anwohner spannen zu lassen und der Vorlage zugestimmt. Damit konnte die SPD-Fraktion auch ohne die Stimme ihres Koalitionspartners im Ausschuss dafür sorgen, dass die Planungen für die neuen Wohnungen fortgesetzt werden können. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch für weitere Projekte zum Wohnungsbau auf die eine oder andere Weise Mehrheiten im Münchner Stadtrat finden, um zumindest etwas den Druck aus dem Münchner Wohnungsmarkt zu nehmen.