Ein neuer „Stadtbaustein“

In München steht ein Justizpalast, der auch gut zu Paris oder London passen würde. Mit seiner Größe und Architektur bringt er die Bedeutung der dritten Staatsgewalt zum Ausdruck. Wer hier an einer Gerichtsverhandlung teilnimmt, merkt noch bevor er das Gebäude betritt, dass es um etwas geht.

Der Justizpalast (Quelle: Google Street View).

Umso erstaunlicher erscheint es aus heutiger Perspektive, dass in den 70er Jahren unmittelbar gegenüber ein riesiges Kaufhaus gebaut worden ist, dessen Fassade – vorsichtig ausgedrückt – ein gewisses Kontrastprogramm darstellt:

Die Fassade des Karstadt-Kaufhauses

Welche Überlegungen der Genehmigung dieses Baus zugrunde lagen, weiß ich nicht. Sollten Straftäter damit einen ersten Eindruck ihres zukünftigen Wohnortes bekommen? Oder ging es darum, Stilelemente der wenige Jahre zuvor errichteten Berliner Mauer in vierfacher Größe aufzugreifen?

Nun ändert sich nicht nur der Zeitgeschmack, sondern auch das Einkaufsverhalten. Große Kaufhäuser sterben aus und auch der Karstadt zwischen Schützenstraße und Prielmayerstraße rechnet sich nicht mehr. Der Abriss des Betonklotzes hat bereits begonnen. Was stattdessen hier errichtet werden soll, wurde am Mittwoch im Stadtplanungsausschuss vorgestellt.

Im Herbst 2021 hat die Eigentümerin des Grundstücks, die SIGNA Unternehmensgruppe, einen Wettbewerb durchgeführt. Der Stadtrat hatte sich bereits im Juni 2021 verpflichtet, einen Bebauungsplan aufzustellen, der sich an den Ergebnissen des Wettbewerbs orientiert.

Gegenstand der Vorschläge von insgesamt 11 Teams aus Architekten und Landschaftsplanern war zum einen die „Entwicklung eines neuen, gegliederten, offenen, durchlässigen und nutzungsgemischten Stadtbausteins“ . Zum anderen sollten Ideen für die Gestaltung der Schützenstraße und der Prielmayerstraße entwickelt werden, insbesondere zur „Verbesserung der Attraktivität des öffentlichen Raums durch Angebote von Begrünung und Aufenthalt und zur Schaffung ausreichend dimensionierter Großbaumstandorte“.

In der Sitzung am Mittwoch wurde ein Bericht zu den Entwürfen der Preisträger vorgestellt. Maßgeblich sind wie bei allen modernen Architekturprojekten mit dem Computer erzeugte Bilder, die sich in der Anlage finden. Die folgende Gegenüberstellung zeigt den aktuellen Blick in die Schützenstraße und die Vorschläge der ersten (oben) und zweiten (unten) Preisträger:

Für die Prielmayerstraße sieht dieser Vergleich so aus:

Den ersten Preis haben David Chipperfield Architects, London, mit Atelier Loidl Landschaftsarchitekten, Berlin, gewonnen. Aus meiner Sicht geht er an einen eher konventionellen Entwurf mit einer rechteckigen Formensprache, die man zur Zeit in fast allen Neubauten Münchens findet – hier mit viel Glas umgesetzt. Der Entwurf der zweiten Preisträger von BIG Partners Limited mit realgruen Landschaftsarchitekten erscheint demgegenüber deutlich origineller, nicht nur wegen seiner ausgeprägten Rundungen auf allen Seiten, sondern auch mit seiner grünen Dachlandschaft aus zopfartig miteinander verwobenen Ebenen (vgl. die weiteren Bilder dazu in der Anlage).

Allerdings haben die Landschaftsplaner des zweiten Preises die Aufgabenstellung „Schaffung ausreichend dimensionierter Großbaumstandorte“ völlig ignoriert, jedenfalls in ihren Bildern. Denn die vorgeschlagene Straßenbegrünung reduziert sich sowohl in der Schützenstraße als auch in der Prielmayerstraße auf einige kleine Bäumchen. Das ist beim Entwurf der Sieger des Wettbewerbs anders.

Für beide Entwürfe stellt sich die Frage nach dem Energieverbrauch für den Betrieb der Gebäude. Vollflächige Glasfassaden führen im Sommer zur Aufheizung und können im Winter nie so gut isolieren wie eine gedämmte Wand. Leider war dazu weder im Bericht noch in der Diskussion im Ausschuss etwas zu erfahren.

Das Ergebnis des Wettbewerbs war nicht unumstritten. In der Ausschusssitzung war zu erfahren, dass fast alle Preisrichter aus dem Stadtrat den Entwurf der zweiten Preisträger bevorzugt hätten, aber von den anderen Mitgliedern des Preisgerichts – zumeist Architekturprofessoren aus München und Frankfurt – überstimmt worden sind. Wenn daher an dieser Stelle eher konventionell gebaut wird, liegt es jedenfalls nicht am Münchner Stadtrat.

Was ist nun im Ergebnis davon zu halten? Der Abriss des alten Kaufhauses und der Bau eines gläsernen Neubaus, eingebettet in zwei Alleen von großen Bäumen, ist sicher ein Gewinn. Der Strukturwandel in der Münchner Innenstadt, weg vom reinen Einkaufszentrum hin zu einer vielfältigeren Nutzung mit hochwertigen Gewerbe- und Büroflächen bekommt einen weiteren Baustein. Und der Justizpalast wird nach 50 Jahren endlich von der Betonwand vor seinem Eingangsbereich befreit.

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