Der Schutz der Bäume in München ist dem Stadtrat ein wichtiges Anliegen. Mit über zehn verschiedenen Anträgen der Stadtratsfraktionen und mehrerer Bezirksausschüsse aus den letzten Monaten sollen Baumfällungen in München erschwert und ausreichende Nachpflanzungen sichergestellt werden, gegebenenfalls unter Androhung höherer Ordnungsgelder.
Das Stadtplanungsreferat hat daher für die Sitzung am vergangenen Mittwoch eine umfangreiche Vorlage erarbeitet, die viele Informationen zu Bäumen in München enthält. Grund genug für mich, dieses Thema einmal genauer anzuschauen. Leider zeigt sich, dass die Datenlage über den Baumbestand völlig unzureichend ist und die Möglichkeiten des Baumschutzes sehr begrenzt sind.
Bäume haben eine erhebliche Bedeutung für das Stadtklima. In der Vorlage ist beispielhaft zusammengestellt, was eine freistehende 100-jährige Buche leistet:
Insbesondere der Aspekt der Temperaturregelung wird in Zukunft immer wichtiger. In einem früheren Beitrag wurde über die Auswirkungen des Klimawandels auf München berichtet. Aus den dort erläuterten Schaubildern kann man abschätzen, dass es in Zukunft an mehr als 30 Tagen / Jahr im Stadtzentrum sehr heiß (>30°C) sein wird, Tendenz steigend. Zwei Grad Abkühlung durch einen großen Baum machen da einen erheblichen Unterschied aus.
Wie viele Bäume gibt es in München? Diese naheliegende Frage wird in der Vorlage nicht behandelt. Sie kann auch aktuell niemand beantworten, denn es gibt in der Münchner Verwaltung keine Daten dazu. Erfasst werden bislang nur Veränderungen, d.h. wenn Bäume gefällt bzw. nachgepflanzt werden, siehe unten.
Das geht auch anders. So gibt es beispielsweise in Hamburg ein digitales Baumkataster, mit dem nicht nur die Gesamtzahl der Bäume, sondern auch der Standort jedes Baums im öffentlichen Raum erfasst wird.
Beim Hineinzoomen zeigt das Hamburger Kataster, ob es sich um einen großen oder einen kleinen Baum handelt. Jeder einzelne Baum kann angeklickt werden, um detaillierte Informationen zu erhalten:
Die in Hamburg erfassten Daten zu jedem Baum betreffen auch den Kronendurchmesser. Denn genauso wichtig wie die reine Anzahl der Bäume ist das Kronenvolumen, einfacher ausgedrückt, wie groß ein Baum ist. In der Vorlage des Münchner Stadtplanungsreferats wird unter Bezugnahme auf die obige Tabelle erläutert
„….um die Wirkung dieser 100-jährigen Buche ad hoc zu ersetzen, müssten 5.400 junge Buchen mit einem Kronenvolumen von jeweils 0,5 m³ gepflanzt werden.“ (Hervorhebung hinzugefügt)
Selbst wenn jeder alte gefällte Baum in München durch eine Nachpflanzung ersetzt wird, verringert sich dennoch das Kronenvolumen und damit die Wirkung der Baumbepflanzung auf das Stadtklima.
Möglicherweise ist die Lage noch viel schlimmer. Denn nicht nur das Kronenvolumen, sondern auch die Anzahl der Bäume in München nimmt ständig ab, jedenfalls nach den am vergangenen Mittwoch vorgelegten Zahlen. Danach wurden im Zeitraum von 2010 – 2019 im Schnitt über 8799 Bäume pro Jahr gefällt und nur 6461 Bäume nachgepflanzt. Damit verliert München jedes Jahr über 2300 Bäume.
Warum ist das so? Positiv ist die Bilanz nur bei Bäumen auf öffentlichen Verkehrsflächen und in Grünanlagen. Hier ist der Bestand im Schnitt jedes Jahr um 455 Bäume gewachsen. Das kann allerdings die Verluste auf privaten Grundstücken nicht ausgleichen. Dort ist die Anzahl der Fällungen mehr als doppelt so hoch wie die erfassten Nachpflanzungen. Auch Bauprojekte reduzieren den Baumbestand, wenn mit einer Baugenehmigung die Fällung von Bäumen erlaubt wird, die nicht oder nur zum Teil nachgepflanzt werden müssen. Im Ergebnis führt die rasante Bautätigkeit in München dazu, dass der Baumbestand außerhalb der öffentlichen Verkehrsflächen und der Grünanlagen deutlich abnimmt, jedenfalls dann, wenn man die Zahlen des Stadtplanungsreferats zu Grunde legt. Allerdings habe ich Zweifel daran, da mit der vorgelegten Differenzbetrachtung nicht berücksichtigt wird, wie viele Bäume im öffentlichen Raum und auf privaten Grundstücken von selbst nachwachsen.
Es wäre aus meiner Sicht dringend erforderlich, ein Baumkataster nach dem Vorbild Hamburgs aufzubauen, idealerweise auch mit einer Erfassung des Baumbestands auf Privatgrund. Vielleicht findet sich im Rahmen des nächsten Innovationswettbewerbs der Stadt München ein Startup, das Methoden entwickelt, wie die relevanten Informationen schnell und kostengünstig erfasst werden können.
Die rechtlichen Möglichkeiten der Stadt, Fällungen auf privaten Grundstücken zu verhindern, sind sehr überschaubar. Bereits seit 1976 gibt es in München eine Baumschutzverordnung. Nach § 1 (1) sind
„alle Gehölze (Bäume und Sträucher), die einen Stammumfang von 80 cm und mehr in 100 cm Höhe über dem Erdboden haben, unter Schutz gestellt.“
Das klingt gut, aber § 5 der Baumschutzverordnung schränkt ein:
„Das Entfernen, Zerstören oder Verändern geschützter Gehölze kann auf Antrag genehmigt werden, wenn …[…] ..aufgrund anderer Rechtsvorschriften ein Anspruch auf Genehmigung eines Vorhabens besteht, dessen Verwirklichung ohne eine Entfernung, Zerstörung oder Veränderung von Gehölzen nicht möglich ist, ….“
Das führt zu dem Grundsatz „Baurecht vor Baumrecht“. Wenn beispielsweise ein nach dem Baurecht genehmigungsfähiger Neubau umgeplant werden müsste, um einen Baum zu erhalten, dadurch aber der Garten auf der Südseite des zukünftigen Hauses kleiner ausfällt, hat der Baum und damit die Allgemeinheit das Nachsehen (vgl. dieses Urteil des Verwaltungsgerichtshofs München).
Ein zweiter Schwachpunkt sind die geringen Bußgelder, wenn unter Verstoß gegen die Baumschutzverordnung ein Baum gefällt wird. Zwar können Bußgelder bis zu einer Höhe von 50.000 EUR verhängt werden. Allerdings sind die Beträge in der Praxis viel niedriger. Laut Vorlage lagen in 2019 von 76 verhängten Bußgeldern 55 Bußgelder bei einem Betrag bis 300 EUR und nur eines bei einem Betrag von 20.000 EUR. Wegen 300 EUR Bußgeld verzichtet man doch nicht auf eine sonnige Terrasse, oder?
Was folgt nun daraus? Die mit geringen Änderungen durch Beschluss verabschiedete Vorlage legt eine Reihe von Maßnahmen fest, um den Baumbestand in München wirksamer zu schützen bzw. auszubauen. Dazu gehören die finanzielle Unterstützung von privaten Baumpflanzungen, höhere Bußgelder bei illegalen Fällungen, die verstärkte Suche nach neuen Baumstandorten im öffentlichen Raum und eine öffentlichkeitswirksame Kampagne zum Schutz von Bäumen.
Aus meiner Sicht sind diese Maßnahmen zwar zu begrüßen, aber sie reichen bei weitem nicht aus. Der Klimawandel ist in vollem Gange und die Aufheizung der Münchner Innenstadt wird ein immer größeres Problem. Nur durch einen größeren Baumbestand kann gegengesteuert werden. Dazu bräuchte es zunächst ein klares Bild darüber, wie viele Bäume mit welchem Kronenvolumen es in München gibt (siehe oben). Davon ausgehend müssten jährliche „Pflanzziele“ definiert werden, z.B. ein Zuwachs um x %. Das jetzt herrschende Prinzip Hoffnung würde damit durch eine klare Perspektive ersetzt, wie Münchens Baumbestand in 10 oder 20 Jahren aussehen soll.
Zu überlegen wäre auch eine Umgestaltung öffentlicher Grünanlagen. Parks in heißen Mittelmeerländern weisen den Weg. Anstelle ausgedehnter Rasenflächen wie hier
sind dort hitzebeständige Bäume dicht an dicht gepflanzt, um ein Maximum an Schatten und Abkühlung bereitzustellen:
Das muss nicht den Englischen Garten betreffen. Aber die Umgestaltung anderer Grünanlagen würde die Möglichkeit eröffnen, im öffentlichen Raum Münchens eine viel größere Zahl an kühlenden Bäumen als bisher unterzubringen und damit dem Klimawandel lokal und global entgegenzuwirken. Man muss es nur wollen.