Ein Nadelöhr wird beseitigt

Der Radweg entlang des Ostufers der Isar zählt zu den schönsten Strecken durch München. Fernab vom Autoverkehr geht der weite Blick über das renaturierte Isarufer auf markante Bauwerke der Stadt. Die Route ist daher eine der am meisten befahrenen Radverbindungen Münchens. Zur täglichen Rushhour oder auch am Wochenende reiht sich ein Rad an das andere.

Der Radweg am Ostufer der Isar. Gut geräumt auch im Winter zu benutzen.

Von Süden kommend ist die Freude am Fahren allerdings jäh zu Ende, wenn der Weg ab der Reichenbachbrücke in engen Schlangenlinien durch eine Grünanlage führt und dabei immer wieder den Fußgängerweg quert. Richtig gefährlich wird es wenige hundert Meter weiter, wo beide Fahrtrichtungen entlang der Zeppelinstraße geführt werden. Hier passieren sich entgegenkommende Radfahrer mit einem Abstand von wenigen Zentimetern bei Relativgeschwindigkeiten von bis zu 50 km/h .

Engstelle des östlichen Isarradweges in der Zeppelinstraße – selten so leer wie hier bei – 8° Außentemperatur

Einige Meter weiter Richtung Ludwigsbrücke werden die beiden Radspuren zwar wieder getrennt, aber jetzt ist der Konflikt mit den Fußgängern unausweichlich:

Abschnitt des Isarradwegs entlang der Zeppelinstraße. Die schmale Spur Richtung Süden ist nur jetzt, im Hochwinter, breit genug. Im Frühling und Sommer kommt es hier regelmäßig zu Konflikten zwischen Radlern und Fußgängern.

Anlässlich der Restaurierung der Ludwigsbrücke hat das Stadtplanungsreferat am vergangenen Mittwoch kurzfristig eine Vorlage zur Neugestaltung dieses Abschnitts in die Sitzung des Mobilitätsausschusses eingebracht. Damit hatten die Stadträte die Wahl zwischen drei Umbauvarianten:

Variante 1 für die Neuplanung des Isarradweges in der Zeppelinstraße (Quelle: Anlage 2 zur Vorlage)

Variante 1 führt den oben gezeigten Istzustand eines schmalen Zweirichtung-Radweges über den gesamten Neubauabschnitt zwischen Kreuzplätzchen und Ludwigsbrücke fort. Wie die Vorlage ausführt, entspricht solch ein Zweirichtungsradweg mit lediglich 2,75m Breite jedoch nicht den aktuellen Richtlinien. Schon gar nicht wird solch eine Ausführung dem enormen Aufkommen auf dieser Radmagistrale gerecht. Aus Fußgänger- und Autofahrersicht ist diese Lösung allerdings vorteilhaft, denn das ungestörte Flanieren entlang der Isar wird auch in diesem Bereich wieder möglich, ebenso wie der Verbleib der Parkplätze am östlichen und am westlichen Rand der Zeppelinstraße.

Variante 2 für die Neuplanung des Isarradweges in der Zeppelinstraße (Quelle: Anlage 2 zur Vorlage)

Hier wird der zur Verfügung stehende Straßenraum neu aufgeteilt und zwar in etwa zu gleichen Teilen für Fußgänger, Radfahrer und Autos. Der Zweirichtungsradweg weist eine hinreichende Breite von 5m auf. Konflikte mit Fußgängern sind nicht zu erwarten. Jedoch fallen über die gesamte Länge des Neubaus etwa 80 Parkplätze am westlichen Rand der Zeppelinstraße weg. Die Variante 3 (ohne Bild) unterscheidet sich davon nur in Details, nämlich einem etwas schmaleren Radweg mit einem größeren Sicherheitsabstand zur Fahrbahn der Autos und einem etwas breiteren Bürgersteig entlang der Häuserfront der Zeppelinstraße.

Begeisterungsstürme der Anwohner, jedenfalls derjenigen mit eigenem Auto, sind über die Varianten 2 und 3 nicht zu erwarten, auch wenn als Ausgleich in den angrenzenden Straßen eine Parkraumregelung zu ihren Gunsten eingeführt werden soll. Die verschiedenen Varianten zeigen exemplarisch den unlösbaren Konflikt um den begrenzten Straßenraum im Zentrum Münchens. Eine Förderung des Rad- und Fußgängerverkehrs – ein, wie ich finde, richtiges Ziel der aktuellen Verkehrspolitik – ist häufig nur auf Kosten des Autoverkehrs möglich.

Die Mitglieder des Mobiltätsausschusses haben das auch so gesehen und das Mobilitätsreferat gebeten, die Varianten 2 und 3 weiter zu verfolgen und mit der Öffentlichkeit zu diskutieren, bevor eine abschließende Entscheidung getroffen wird. Dieses Nadelöhr des Isarradweges an der Zeppelinstraße wird damit hoffentlich bald beseitigt.

Ein ehrgeiziger Plan für den Nahverkehr mit ungewisser Zukunft

Ein wichtiges Ergebnis der Kommunalwahl 2020 war die Gründung eines neuen Referats in der Münchner Stadtverwaltung. Das im Wahlkampf von Oberbürgermeister Dieter Reiter vorgeschlagene „Mobilitätsreferat“ übernimmt ab sofort alle Planungen, die den Bereich Verkehr betreffen und bislang auf verschiedene Referate verteilt waren. Inhaltlich hat sich das neue Referat folgendes Programm gegeben:

„Das Mobilitätsreferat wird die Verkehrswende in München als wichtigen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz voran bringen. Priorität haben dabei, neben vielen anderen Themen, die Umsetzung des Radentscheids, der Umbau des Zentrums in eine autoarme Altstadt, der Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs und die Entwicklung von Lösungen für Pendlerverkehre gemeinsam mit den Partnern in der Region.“

(Quelle: muenchen.de):

Auf Seiten des Stadtrats entspricht der neue Mobilitätsausschuss dem neuen Referat. Hier werden ab jetzt alle Anträge und Vorlagen zur Verkehrspolitik diskutiert und entschieden – wie bei jedem Ausschuss vorbehaltlich einer späteren Bestätigung durch die Vollversammlung des Stadtrats.

Inhaltlicher Startschuss war die gestrige Sitzung mit der Vorstellung eines Zwischenberichts zum Nahverkehrsplan. Und der hat es in sich. Verteilt auf drei Kategorien unterschiedlicher Priorität (A, B, C) werden im Betrachtungszeitraum bis über 2040 hinaus eine zweistellige Anzahl neuer Tramlinien geplant, eine Handvoll neuer U-Bahnlinien sowie der dafür notwendige Fahrzeugpark und die erforderliche Infrastruktur.

Den aktuellen Nahverkehrsplan im Detail zu erläutern, würde den Umfang dieses Berichts sprengen. Im Folgenden soll daher nur ein kurzer Überblick gegeben werden, zusammen mit einer Darstellung der Positionierung der Stadtratsfraktionen und gefolgt von ein paar eigenen Gedanken zur Umsetzung der Pläne in den nächsten Jahrzehnten.

Eine Übersicht der Planungen zeigt die folgende Karte:

Zentraler Ausschnitt aus dem sogenannten „Zielnetz“ für die Tram und die U-Bahn. Die komplette Karte mit allen Erläuterungen findet sich hier.

Mit grünen bzw. oliv gefärbten Linien sind zahlreiche neue Tramlinien gekennzeichnet. Hier liegt der Schwerpunkt der Ausbauplanung. Während das bestehende U-Bahnnetz der Stadt sternförmig aufgebaut ist, sollen die meisten neuen Tramlinien tangentiale Verbindungen schaffen, so wie die bereits beschlossene Westtangente und die Nordtangente durch den Englischen Garten (blaue Linien). Bei den U-Bahnlinien sind Verlängerungen geplant, insbesondere die U5 nach Pasing und weiter zum neuen Stadtteil Freiham und eine neue Nord-Süd Verbindung durch die Stadt hindurch, die U9.

Die unterschiedlichen Zeithorizonte für die neuen Tram- und U-Bahnstrecken erkennt man aus folgender Darstellung:

Zeitliche Priorisierung der geplanten Tram- und U-Bahnlinien(Quelle: Anlage 1 zur Vorlage des Mobilitätsreferats)

Insgesamt erscheinen mir die Planungen sehr ehrgeizig, insbesondere, wenn man sich überlegt, welche finanziellen Investitionen damit verbunden sind. Ein paar Abschätzungen dazu:

Die Baukosten pro Kilometer U-Bahn liegen bei > 100 Mio EUR (vgl. beispielsweise hier). Damit fallen alleine für den Ausbau der U5 nach Pasing und weiter nach Freiham Kosten in der Größenordnung von > 1 Mrd EUR an. Der Bau der geplanten U9 unter dem dicht bebauten Münchner Stadtzentrum dürfte noch deutlich teurer werden. Straßenbahnen sind nach einer bekannten Faustformel in etwa halb so leistungsfähig wie eine U-Bahn, aber um einen Faktor 10 billiger. Kilometerpreise für den Bau liegen damit bei 10 – 20 Mio EUR. Die geplanten Trambahnlinien der Kategorie A umfassen etwas mehr als 35 km Strecke, was zu Baukosten von > 500 Mio EUR führen dürfte. Insgesamt ergeben sich damit – sehr zurückhaltend geschätzt – Baukosten von 2 – 3 Mrd EUR alleine für die Projekte der Kategorie A. In den Zeiten vor Corona mit sprudelnden Gewerbesteuereinnahmen vielleicht kein Problem, aber jetzt?

Nun unterstützt der Bund über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz Städte beim Ausbau ihrer Verkehrsinfrastruktur. Allerdings beträgt die Gesamtsumme, die für alle Städte Deutschlands pro Jahr zur Verfügung steht, zur Zeit gerade mal 1 Mrd EUR. Um daraus eine nennenswerte Unterstützung für die obigen Planungen zu bekommen, müsste es der Stadt München gelingen, über viele Jahre hinweg einen überproportionalen Anteil dieser Fördermittel auf ihre Konten zu lenken – bei der wirtschaftlichen Situation Münchens im Vergleich mit anderen (Groß-) Städten erscheint mir das nicht gerade wahrscheinlich.

Die Frage der Kosten hat bei den Stadtratsfraktionen erkennbar unterschiedliches Gewicht. Während Grüne und SPD den beschleunigten Ausbau der günstigeren Trambahnlinien befürworten, liegt der verkehrspolitische Schwerpunkt der CSU auf dem U-Bahnbau. Beispielsweise sollte nach dem gestrigen Vortrag des Fraktionsvorsitzenden anstelle der geplanten Tram-Südtangente die U1 vom Mangfallplatz aus weiter nach Westen unter der Isar hindurch nach Thalkirchen geführt werden. Die Baukosten dafür würden einmal mehr im Milliardenbereich liegen, insbesondere da auf dieser Strecke das steile Hochufer auf der Ostseite der Isar überwunden werden muss. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass mit solchen Vorschlägen zum U-Bahnbau, die bereits im Kommunalwahlkampf von der CSU vorgetragen worden sind, erst einmal der Ausbau der entsprechenden Tramlinien verhindert werden soll, jedenfalls dann, wenn der dafür notwendige Platz im Straßenraum zu Lasten des Autoverkehrs geht.

Vielleicht kommt es aber nach den Erfahrungen des pandemiebedingten Homeoffice ohnehin ganz anders. Wenn ein großer Teil der 400.000 Ein- und fast 200.000 Auspendler ihre Fahrten zur Arbeit auf zwei bis dreimal pro Woche reduzieren – so wie im gegenwärtigen Lockdown – bleibt dies nicht ohne Auswirkungen. Und auch der beruflich bedingte Binnenverkehr innerhalb der Stadtgrenzen könnte durch die Digitalisierung der Arbeitswelt verringert werden. Anders als bei der Lage auf dem Wohnungsmarkt, die sich allenfalls langsam ändert, kann beim Verkehr die Anpassung an die neuen Gegebenheiten der Digitalisierung ganz schnell erfolgen, wenn viele Arbeitgeber in diesen Tagen erkennen, dass die tägliche Präsenz am Arbeitsplatz nicht immer erforderlich ist. Die Notwendigkeit mancher Bauprojekte des viele Milliarden teuren Ausbauprogramms für den Nahverkehr müsste dann neu bewertet werden.

Die Untoten der Verkehrsplanung

Große Straßenbauprojekte haben viele Leben. Werden sie nach einem längeren Diskussionsprozess abgelehnt und beerdigt, dauert es meistens nur ein paar Jahre bis zu ihrer Wiederauferstehung. So auch der Autobahn Südring um den Süden Münchens. Nach 2010 hat der Stadtrat zuletzt in 2015 bekräftigt, auf den Ringschluss der A99 zu verzichten.

Zur Wiederbelebung tragen insbesondere Wahlkämpfe bei. Daher wurde das Stadtplanungsreferat 2019 im Vorfeld der Kommunalwahl mit Anträgen konfrontiert, die sich unter der Führung der Münchner CSU Fraktion deutlich für den Südring ausgesprochen haben. Andere Anträge sind strikt dagegen gerichtet, jedenfalls bei einer Trassenführung ohne Tunnel. Die heutige Sitzung des Mobilitätsaussschusses hat sich daher erneut mit diesem Projekt befasst – und es einmal mehr beerdigt.

Zu Erinnerung: In 2010 wurde eine Machbarkeitsstudie erarbeitet, die verschiedene Trassenverläufe für den Ringschluss miteinander verglichen hat.

Die verschiedenen in 2010 untersuchten Trassenverläufe. Quelle: Machbarkeitsstudie A99

Die gestrichelten Linien zeigen jeweils Tunnelstrecken. Alle Aspekte der damaligen Machbarkeitsstudie hier zusammenzufassen würde diesen Bericht sprengen. Wesentlich erscheinen mir allerdings die damals geschätzten Kosten der verschiedenen Varianten:

Voraussichtliche Kosten der verschiedenen Varianten des Südrings. Quelle: Machbarkeitsstudie A99

Man erkennt, dass bereits in 2010 die Kosten für die meisten Varianten bei weit über 1 Mrd. EUR lagen. Bei den inzwischen stark gestiegenen Baukosten wären das heute eher zwei Mrd. EUR. Die kostengünstigste Variante C8mA kommt ohne Tunnel aus. Allerdings sähe das Isartal dann in etwa so aus:

Die Europabrücke bei Innsbruck. So müsste man sich die Querung des Isartals bei einem Südring der A99 ohne Tunnel vorstellen.

In der Vorlage der Verwaltung für die heutige Sitzung wurde die Studie aus 2010 so zusammengefasst:

Aus der Untersuchung ging hervor, dass damit [dem Ringschluss] nur geringe Verkehrsentlastungen für das Münchner Hauptverkehrsnetz erreicht werden könnten. […..] Auf den heute bereits sehr hoch belasteten Abschnitten der A99-Nord und -Ost (zwischen den Autobahnkreuzen Nord und Ost) ergaben sich nur Entlastungen in einem Bereich unterhalb der täglichen Schwankungsbreiten (ca. 8.000 – 10.000 Kfz/24h, eine Reduzierung von lediglich 6,1 % bis 6,9 % des Verkehrsaufkommens). Erkennbare Entlastungen wurden auf den in der Bürgerversammlungs-Empfehlung genannten Strecken dargestellt, z.B. im Bereich des McGraw-Grabens um 20.000 Kfz/24h (-23 % bis -25 %) oder auf dem Abschnitt der Autobahn A995 zwischen dem Knotenpunkt Taufkirchen und dem McGraw-Graben um 12.000 bis 18.000 Kfz/24h (16 % bis -25 %).

Der letzte Satz zeigt das eigentliche Problem: Die südlichen Stadtteile Münchens, insbesondere Obergiesing und Sendling, würden durch einen Ringschluss der Autobahn spürbar entlastet – und die Umlandgemeinden im Münchner Süden entsprechend belastet. Die heutige Diskussion im Stadtrat hat daher auch gezeigt, dass die Trennlinie der Befürworter und Gegner des Ringschlusses quer durch manche Parteien verläuft. Während die CSU in den Umlandgemeinden im Münchner Süden gegen das Projekt ist, sieht die CSU Fraktion im Stadtrat das ganz anders. Und die SPD Sendling-Westpark hat sich in 2019 für eine Tunnellösung ausgesprochen, während die SPD-Stadtratsfraktion heute zusammen mit den Grünen den Südring einmal mehr abgelehnt hat. Ungeteilte Zustimmung zum Südring fand sich in der heutigen Sitzung nur bei der FDP /Bayernpartei, allerdings ohne auch nur mit einem einzigen Wort auf die Kosten einzugehen.

Aus meiner Sicht ist der Südring, selbst wenn man ihn verkehrspolitisch befürworten würde, nicht finanzierbar – schon gar nicht in Zeiten einer Pandemiekrise. Für einen Bruchteil der zwei Milliarden, die eine Tunnellösung kostet, könnte man jedoch viele Maßnahmen wie eine Überdeckelung des McGraw-Grabens und Schallschutzmaßnahmen entlang des Mittleren Rings bezahlen, die die Lebensqualität in den vom Durchgangsverkehr besonders betroffenen Stadtteilen des Münchner Südens spürbar verbessern. Vielleicht würde es dann bis zur nächsten Wiederauferstehung des Projekts Südring etwas länger dauern.

Wer übrigens nach einem weiteren Untoten sucht, könnte die Planung der A98 aus dem letzten Jahrhundert wiederbeleben. Danach sollte eine West-Ost Autobahn mitten durch das ganze Allgäu und das Oberland verlaufen bis zum einem Anschluss an die A8 am Irschenberg. München würde damit weiträumig umfahren.

Karte im DuMont Kunst-Reiseführer von 1983. Die Angabe zur A98 („im Bau“ ) war zum Glück falsch.

Keine Pop-up Radwege in der zweiten Welle

Die Corona Infektionszahlen steigen unvermindert weiter und der Höhepunkt der zweiten Welle ist nicht in Sicht. In seinem vielbeachteten Podcast hat Prof. Drosten gerade gestern auf die gestiegene Notwendigkeit der Kontaktvermeidung hingewiesen und deutlich angeraten, statt überfüllter U-Bahnen, Trambahnen und Busse auch im Herbst und Winter das Fahrrad zu benutzen.

Da erscheint es seltsam, wenn mit der heutigen Entscheidung im Mobilitätsausschuss die fünf Pop-up Radwege, die am Ende der ersten Welle eingerichtet worden waren, wieder beseitigt werden. Noch überraschender ist die Mehrheit, die sich dafür zusammengefunden hat, nämlich die Stimmen der „alten“ Rathauskoalition aus CSU und SPD.

Bei einer sachlichen Abwägung der Argumente für und gegen die Aufhebung dieser provisorischen Radwege sind formale und inhaltliche Aspekte zu trennen. Zunächst muss man sich den Beschluss von Ende Mai 2020 vergegenwärtigen, der hier berichtet und kommentiert worden ist. Der für die heutige Sitzung wesentliche Punkt 4 lautete:

Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung wird beauftragt, nach einer Evaluation dem Stadtrat im Oktober 2020 eine Beschlussvorlage mit einer Einschätzung der Auswirkungen der temporär eingerichteten Radverkehrsanlagen und einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen an den einzelnen Streckenabschnitten vorzulegen. “ (Hervorhebung hinzugefügt)

Das Verständnis dieses Passus ist durchaus unterschiedlich:

– Das Stadtplanungsreferat ist offensichtlich davon ausgegangen, dass das Wort „temporär“ impliziert, dass alle Pop-up Radwege nach dem 31. Oktober in jedem Fall zunächst zu beseitigen sind. Nach einer anschließenden gründlichen Evaluation und einer umfangreichen Bürgerbeteiligung sollten dann gegebenenfalls dauerhafte Radwege gebaut werden. So ist es jedenfalls in der Vorlage für die heutige Sitzung formuliert und dieses Verständnis wurde auch vom Oberbürgermeister so im Ausschuss explizit vorgetragen.

– Grüne und Linke lesen den oben zitierten Absatz so, dass das weitere Schicksal der „temporären Radverkehrsanlagen“ im damaligen Beschluss offengelassen worden ist und erst im Rahmen einer neuen Entscheidung des Stadtrates festzulegen ist, ob die temporären Maßnahmen bestehen bleiben, abgebaut oder umgebaut werden.

So richtig überzeugend erscheint mir die Auslegung der Verwaltung und des Oberbürgermeisters nicht. Dem klaren Wortlaut nach sollte die Evaluation im Oktober 2020 bereits dem Stadtrat vorliegen, damit dann über das „weitere Vorgehen an den einzelnen Streckenabschnitten“ entschieden wird. Das schließt die Möglichkeit ein, die temporären Maßnahmen auch einfach zu verlängern, beispielsweise dann, wenn der dringende Grund für ihre Einführung fortbesteht.

Inhaltlich sind die Argumente wie folgt:

Gegen die Fortführung der Provisorien sprechen zum einen technische Gründe, wie von der SPD-Fraktion vorgetragen. Die aufgeklebten gelben Linien gehen schnell kaputt und sind im Dunkeln schlecht zu sehen. An Kreuzungen kann dies zu Gefährdungen führen, wenn Autofahrern und Radfahrern unklar ist, wie ein Radweg wirklich verläuft. Darüber hinaus wurden im Detail Probleme mit fehlenden Abbiegespuren erläutert, die in der Rosenheimerstraße zu langen Rückstaus und damit auch zu einer Beeinträchtigung der Buslinien führen.

Von Seiten der CSU und der FDP wurde auf die kalte Jahreszeit verwiesen, in der ohnehin der Radverkehr zurückgehe. Dies führe zu einem Anstieg des Kfz-Verkehrs und daher würden die temporär weggefallenen Fahrspuren besser wieder umgewidmet. Zudem sei die von der Verwaltung vorgelegte Evaluation völlig ungenügend und man könne auf dieser Grundlage keine Entscheidung über die dauerhafte Beibehaltung der Radwege treffen. In der Tat enthält die Evaluierung in der Vorlage der Verwaltung nur wenige Daten aus zwei Verkehrszählungen und keine vollständige Analyse der durch die neuen Radwege geänderten Verkehrsströme im jeweiligen Stadtteil.

Grüne und Linke haben argumentiert, dass bei allen Schwächen die Verkehrssituation gegenwärtig jedenfalls sicherer und damit besser sei als vorher und dass die Planung zukünftiger Lösungen auch während des Fortbestands der provisorischen Radwege möglich sei. Auch könne die unzureichende Evaluation des geänderten Verkehrsverhaltens nur dann vervollständigt werden, wenn die Radwege jetzt nicht abgebaut würden.

Mit diesen Argumenten der Parteien werden die provisorischen Radwege letztlich so wie bei einem üblichen Pilotversuch in der Verkehrspolitik behandelt, der irgendwann zu Ende ist und als Grundlage für ein zukünftiges Planungsverfahren dient. Der besondere Grund, warum diese Radspuren eingeführt worden sind, war nur am Rande Gegenstand der Diskussion, jedenfalls auf Seiten der Verwaltung und der neuen alten Rathausmehrheit aus CSU und SPD, die am Ende der Sitzung die Pop-up Lanes abgeschafft hat.

Das verkennt aber, worum es eigentlich geht. Zur Erinnerung: Pop-up Radwege sind in vielen europäischen Metropolen nicht wegen der schon lange geforderten Verkehrswende hin zum Fahrrad eingeführt worden, sondern zur Bekämpfung der ersten Welle der Pandemie. Dicht gepackte U-Bahnen und Busse sind bei hohen Infektionszahlen in der Bevölkerung schlicht gefährlich, selbst wenn jeder dort eine Maske trägt. Für diese Erkenntnis muss man nicht Virologieprofessor sein.

Wenn in solch einer Ausnahmesituation die Fahrgäste den ÖPNV nicht mehr nutzen können oder wollen, stellt sich die Frage, auf welches Verkehrsmittel sie umsteigen sollen. Wenn ein substantieller Anteil davon auf das Auto umsteigt, steht München im Stau, unabhängig davon, ob es in der Stadt fünf zusätzliche Radwegespuren gibt. Entlastung, auch für die, die Auto fahren müssen, kann hier nur der vielfache Umstieg vom ÖPNV auf das Fahrrad bringen. Da kann es doch keine zielführende Maßnahme sein, den Radverkehr, den man im Mai bei bereits rückläufigen Infektionszahlen der ersten Welle durch mehr Radwege gefördert hat, bei jetzt viel höheren, exponentiell ansteigenden Infektionszahlen der zweiten Welle wieder auszubremsen. Die Befristung der Pop-up Radwege bis zum 31. Oktober war offensichtlich der damaligen Erwartungshaltung geschuldet, dass die ganze Corona Krise im Sommer vorbei ist – eine Annahme, die leider nicht zutrifft.

Im Ergebnis glaube ich, dass die heutige Entscheidung des Mobilitätsausschusses ein klarer Fehler ist. Es bleibt abzuwarten, ob nicht der weitere Verlauf der Pandemie hier noch zu einer Korrektur führen wird.

Der Ostbahnhof – vernachlässigt und ohne klare Perspektive

Zu einem attraktiven öffentlichen Nahverkehr gehören neben kurzen Taktzeiten und modernen Fahrzeugen auch gepflegte Bahnhöfe. Gerade dort, wo man täglich von der S-Bahn oder dem Regionalzug in die U-Bahn oder den Bus umsteigt, sollte man sich gerne aufhalten. Eine großzügige Anlage mit hinreichend Platz für die umsteigenden Pendlerströme ist dafür ebenso erforderlich wie hochwertige Einkaufsmöglichkeiten und Cafés, in denen man sich wohlfühlt, vielleicht auch dann, wenn mal eine S-Bahn Verspätung hat oder ein Zug ausfällt.

Der Ostbahnhof erfüllt keine dieser Anforderungen. Viel zu eng und schmuddelig ist die ganze Anlage, wie in einer anderen Welt verglichen mit dem schönen Haidhausen auf der anderen Seite des Orléansplatzes. Zwei enge dunkle Unterführungen führen zu den Gleisen, eine davon nimmt zusätzlich Fußgänger zum benachbarten Werksviertel auf. Wer hier ist, will weg und zwar so schnell wie möglich.

Die Planungen zur zweiten Stammstrecke sowie die weitere Aufwertung des Werksviertels durch den neuen Konzertsaal sollten Anlass genug sein für eine umfassende Neugestaltung des gesamten Areals, um, wie von der FDP-Fraktion und dem Bezirksausschuss Haidhausen beantragt

eine attraktive, breite, neue, unterirdische Verbindung zwischen Haidhausen und dem Werksviertel inklusive der Erschließung der geplanten Station der 2. Stammstrecke zu schaffen.“

Allerdings lässt der Sachstandsbericht der Verwaltung in der heutigen Sitzung des Mobilitätsausschusses keine klare Perspektive für die weitere Entwicklung dieses zentralen Verkehrsknotenpunktes im Münchner Osten erkennen. Ausgangspunkt ist eine Änderung der Pläne der DB AG für den östlichen Teil der zweiten Stammstrecke, wie im nachfolgenden Bild schematisch dargestellt:

Neue (rot) versus alte (blau) Trassenführung in der Planung für die zweite Stammstrecke.
Quelle: Anlagen zur heutigen Vorlage der Verwaltung

Wie man erkennen kann, war bisher geplant, die Haltestelle der zweiten Stammstrecke am Ostbahnhof unter den Orléansplatz zu legen. Die neue Variante sieht vor, die Haltestelle auf die Südostseite des Bahnhofs an die Friedensstraße zu verlegen. Damit wird aber ein Ausbau der Unterführungen vom Orléansplatz zur Friedensstraße erforderlich. Und genau hier kommt es darauf an, was dabei rauskommt. In der Vorlage des Planungsreferats heißt es dazu:

Gemäß den von der Bahn AG vorgelegten ersten Entwürfen soll diese neue Unterquerung als attraktive, barrierefreie Erschließung der U- und S-Bahn am Ostbahnhof dienen und eine möglichst direkte Anbindung an das geplante Konzerthaus herstellen. Die Breite der Verbindung soll sich an dem zu erwartenden Fahrgastaufkommen orientieren. Einer eventuellen Einzelhandelsnutzung oder ggf. vorgesehener Aufenthaltsbereiche steht aus Sicht der Landeshauptstadt München nichts entgegen. Dieser wäre mit einer entsprechenden Aufweitung Rechnung zu tragen.

Für mich klingt das nach einer kostenoptimierten Minimallösung ohne jeglichen städtebaulichen Anspruch. Die Bauträgerin, die DB AG, wird schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht mehr in den Bau der ganzen Anlage investieren, als für die Abwicklung der geplanten Pendlerströme planungsrechtlich erforderlich ist. Spätestens wenn entgegen der bisherigen Planungen irgendwann doch ein durchgehender 10 min Takt aller S-Bahnen erreicht ist, wird es in der neuen Unterführung wieder eng werden und die Aufenthaltsattraktivität sich kaum vom Istzustand unterscheiden.

Welchen baulichen Anspruch die DB AG selber für den Ostbahnhof und seine Unterführungen hat, lässt sich aus ihrer Stellungnahme erkennen (in der Vorlage in den folgenden Auszügen wiedergegeben):

„Im letzten Jahr haben wir seitens der DB Station und Service AG am Zugang zu der Personenunterführung Friedenstraße und der Personenunterführung selbst Instandsetzungs- und Malerarbeiten durchgeführt. Ziel war die Gestaltung einer attraktiveren Zugangssituation. Mit u.a. der Erneuerung der Leuchtmittel haben wir ein helleres und freundlicheres Entrée realisiert. … Bessere Helligkeit und somit eine Erhöhung des Sicherheitsgefühls haben die Unterführung u.a. durch die Erneuerung der Leuchtmittel erhalten. …. Neben Instandsetzungsarbeiten und dem Streichen der beiden Unterführungen wurden diese „ruhiger“ und durchgängiger gestaltet, indem die vorhandenen Schließfächer nur auf einer Seite angeordnet und das Werbungskonzept überarbeitet und die Menge reduziert wurde. Weiterhin wurden die Vitrinen und die Abfalleimer erneuert. …. Eine Einhausung der Kabeltrasse war und ist nicht vorgesehen.“

In der Realität sieht das dann so aus:

Mit ein bisschen Streichen sowie ein paar neuen Lampen und Mülleimern wird man sicher keinen neuen Pendler und schon gar kein Konzertpublikum dafür gewinnen, statt dem eigenen Auto die (S-) Bahn zu benutzen. Es bleibt daher die Aufgabe des Stadtrates, hier am Ball zu bleiben und auf einen größeren Wurf hinzuwirken – selbst wenn das eigene Investitionen der Stadt verlangt. Ein Vorbild könnte die gelungene Renovierung der Stachus-Unterführung sein oder auch die neuen Bahnhöfe in Salzburg oder Wien. Andernfalls bleibt der Ostbahnhof weiter der schmuddelige Hinterhof des Münchner Ostens.