Corona verändert vieles, vielleicht auch den Münchner Wohnungsmarkt. Wird das Homeoffice dauerhafter Bestandteil der Arbeitswelt, steigt die Nachfrage nach größeren Wohnungen. Gleichzeitig sinkt die Bedeutung der Entfernung zum Arbeitsplatz, wenn die physische Anwesenheit vielleicht nur noch zweimal pro Woche erforderlich ist. Da könnte eine größere Wohnung im weiteren Münchner Umland deutlich attraktiver sein als eine kleine Stadtwohnung für das gleiche Geld.
Allerdings sind solche Veränderungen nicht kurzfristig zu erwarten. Die Mieten in München werden auch bei einem längeren Lockdown nicht sofort dramatisch fallen. Und so lohnt es sich, einen tieferen Blick auf den Bericht zur Wohnungssituation für die Jahre 2018/2019 zu werfen, der am vergangenen Mittwoch im Stadtplanungsausschuss vorgestellt worden ist. Und die Debatte über zwei aktuelle Bauprojekte in derselben Ausschusssitzung zeigt beispielhaft, welche Flächen noch verfügbar sind und wie schwierig es ist, beim Wohnungsbau tatsächlich voranzukommen.
Zunächst ein paar Zahlen: Die mittlere Nettokaltmiete in München pro Quadratmeter beträgt gegenwärtig 11,69 EUR. Das klingt zunächst nicht besonders hoch, aber dieser Wert wird durch viele Altverträge bestimmt. Bei einer Neuvermietung im Bestand – also kein Neubau – liegt der Durchschnittswert bei 18,67 EUR. Wer jetzt seine Wohnung verliert, beispielsweise durch Eigenbedarfskündigung, und eine neue Wohnung sucht, muss im Schnitt 60% mehr Miete für die gleiche Wohnfläche bezahlen. Das bringt viele Münchner in große Schwierigkeiten. Noch deutlicher wird das Problem, wenn man die Situation einer jungen Familie bedenkt, die eine neue Wohnung mit 50% mehr Wohnfläche benötigt. Da steigen die Mietkosten – im statistischen Mittel – fast auf das zweieinhalbfache.
Warum ist das so ? Die Kurzantwort lautet, dass der Zuzug nach München den Wohnungsneubau seit Jahren übersteigt. Dadurch entsteht ein Nachfragedruck, der die Preise ständig steigen lässt und der mit den begrenzten Möglichkeiten der Kommunalpolitik nur in Teilbereichen des Wohnungsmarktes beeinflusst werden kann.
Über 100.000 Personen ziehen seit 2009 jedes Jahr nach München und schließen zu den aktuellen Mietpreisen neue Verträge ab. München hat eine vergleichsweise junge Bevölkerung mit einem Durchschnittsalter von 41 Jahren. Zwar ziehen auch Münchner weg, aber es bleibt ein Nettowachstum der Bevölkerung von etwa 20.000 – 30.000 Personen pro Jahr. Der Umzug nach München erfolgt häufig im Alter von 25 – 40 Jahren und spiegelt die guten Beschäftigungsmöglichkeiten der Stadt wieder. Bevorzugte Stadtteile von Neumünchnern liegen im Zentrum. Später allerdings – möglicherweise als Folge eine Familiengründung – erfolgt der Umzug an den Stadtrand oder ins Umland.
Die Neubürger verfügen in aller Regel über eine höhere Kaufkraft und führen damit zu einem Verdrängungswettwerb im Wohnungsmarkt zu Lasten einkommenschwächerer Bevölkerungsgruppen, die schon länger in München wohnen.
Welche Möglichkeiten hat die Kommunalpolitik, auf die Wohnungssituation Einfluss zu nehmen? Da gibt es zum einen regulatorische Maßnahmen. Neben der bundesweit geltenden Mietpreisbremse können kommunale Erhaltungssatzungen räumlich begrenzt den Mietanstieg dämpfen, wie bereits hier ausführlich erläutert. Davon macht die Stadt umfangreich Gebrauch, wie man an der nachfolgenden Grafik sehen kann:
Darüber hinaus kann die Stadtverwaltung über ihre eigenen Wohnungsbaugesellschaften o.ä. günstige Mietpreise für etwa 85.000 Wohnungen bereitstellen. Das sind allerdings nur knapp 11% der 800.000 Wohnungen in München.
Neben städtischen Wohnungen spielen insbesondere Sozialwohnungen eine wichtige Rolle, die ein Bauträger errichten muss, um für ein neues Projekt eine Baugenehmigung von der Stadt zu bekommen. Allerdings muss die Sozialbindung – aufgrund einer Leitentscheidung des Bundesgerichtshofs – nach einigen Jahren wegfallen. Ohne ständigen Neubau nimmt daher der Bestand an Sozialwohnungen in München kontinuierlich ab, vgl. die abnehmende Größe der gelben Balken in der Grafik oben.
Und damit kommt man zum wichtigsten Instrument der Wohnungspolitik. Solange der Nachfragedruck auf München so hoch ist, kann Entspannung nur durch konsequenten Neubau von Wohnungen erreicht werden. Allerdings sind die dafür noch zur Verfügung stehenden Flächen auf Münchner Stadtgebiet sehr begrenzt:
Die Notwendigkeit eines aktiven Wohnungsbaus ist daher Konsens bei allen Fraktionen im Stadtrat. Trotzdem fällt bei der konkreten Entscheidung eine Abwägung zugunsten des Wohnungsbaus manchen Stadträten überraschend schwer. So jedenfalls mein Fazit aus der Debatte am vergangenen Mittwoch im Stadtplanungsausschuss.
Weitgehende Übereinstimmung bestand im Stadtrat für das Projekt der sogenannten „Orleanshöfe“ auf dem Gebiet des alten Güterbahnhofs nordöstlich des alten Ostbahnhofs. Auf den ersten Blick erscheint die Fläche für eine (Wohn-) Bebauung ziemlich ungeeignet. Eingeklemmt zwischen der vielbefahrenen Orleansstraße und den Gleisen liegt ein langes schmales Rechteck, das sich vom Ostbahnhof bis zum Haidenauplatz erstreckt.
Die enorme Nachfrage in München hat jedoch den Grundstückseigentümer bewogen, das Gelände zu entwickeln und dazu einen städtebaulichen Wettbewerb zu veranstalten, dessen Ergebnis in der Ausschusssitzung am Mittwoch vorgestellt wurde. Zum Glück, wie ich finde, hat sich das Preisgericht nicht für einen der extremen Entwürfe entschieden, beispielsweise dieses Monstrum aus Ziegelsteinen,
sondern für eine etwas luftigere Gebäudestruktur aus drei getrennten Blöcken mit immerhin fast 500 neuen Wohnungen:
Fast alle Fraktionen im Stadtrat fanden das Konzept überzeugend und haben den entsprechenden Planungen zugestimmt, sodass hier in den nächsten Jahren Wohnbebauung auf einer bislang ungenutzten Bahnbrachfläche entstehen kann.
Ganz anders bei einem sehr viel kleineren, aber bereits seit vielen Jahren heftig umstrittenen Projekt am Münchner Stadtrand in Waldperlach. Hier möchte ein Investor in ökologischer Holzbauweise 80 Wohnungen auf einem seit Jahren ungenutzten und verrottenden Sportgelände errichten:
Man könnte denken, dass vor dem oben geschilderten Hintergrund die geplante maßvolle Bebauung – mit dreistöckigen Häusern niedriger als der umgebende Baumbestand und in der Summe ohne neue Flächenversiegelung – ebenso wie die oben erläuterten Orleanshöfe auf allgemeine Zustimmung stoßen müsste. Dem war jedoch nicht so.
Wie bei vielen anderen Neubauprojekten hat sich eine Bürgerinitiative in der Nachbarschaft gegründet, die inzwischen jeden nur denkbaren Einwand gegen den Bau der 80 Wohnungen vorgebracht hat. Die Vorlage des Planungsreferats setzt sich daher auf über 150 Seiten mit jedem einzelnen Argument gegen die neuen Wohnungen auseinander, einschließlich einer detaillierten Umweltprüfung (…..“Die Fläche wird von Fledermäusen der Region nur sehr sporadisch als Jagd- bzw. Nahrungshabitat genutzt“ …..). Im Ergebnis ist durch den Neubau im Vergleich mit dem Istzustand keine dauerhafte Beeinträchtigung der Umwelt zu erwarten, auch wenn das Projekt in einem Landschaftsschutzgebiet liegt.
Die Stadträte der GRÜNEN hat das nicht überzeugt. Hier sind offensichtlich noch so kleine ökologische Bedenken wichtiger als der dringend benötigte Neubau von Wohnungen. Mit diesem Ansatz kann es aus meiner Sicht nicht gelingen, die Wohnungsprobleme Münchens erfolgreich anzugehen und den weiteren Anstieg der Mieten zumindest zu bremsen.
Glücklicherweise – und für mich durchaus überraschend – hat die CSU bei diesem Projekt der Versuchung widerstanden, sich vor den Karren der Bürgerinitiative der Anwohner spannen zu lassen und der Vorlage zugestimmt. Damit konnte die SPD-Fraktion auch ohne die Stimme ihres Koalitionspartners im Ausschuss dafür sorgen, dass die Planungen für die neuen Wohnungen fortgesetzt werden können. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch für weitere Projekte zum Wohnungsbau auf die eine oder andere Weise Mehrheiten im Münchner Stadtrat finden, um zumindest etwas den Druck aus dem Münchner Wohnungsmarkt zu nehmen.