Ein ehrgeiziger Plan für den Nahverkehr mit ungewisser Zukunft

Ein wichtiges Ergebnis der Kommunalwahl 2020 war die Gründung eines neuen Referats in der Münchner Stadtverwaltung. Das im Wahlkampf von Oberbürgermeister Dieter Reiter vorgeschlagene „Mobilitätsreferat“ übernimmt ab sofort alle Planungen, die den Bereich Verkehr betreffen und bislang auf verschiedene Referate verteilt waren. Inhaltlich hat sich das neue Referat folgendes Programm gegeben:

„Das Mobilitätsreferat wird die Verkehrswende in München als wichtigen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz voran bringen. Priorität haben dabei, neben vielen anderen Themen, die Umsetzung des Radentscheids, der Umbau des Zentrums in eine autoarme Altstadt, der Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs und die Entwicklung von Lösungen für Pendlerverkehre gemeinsam mit den Partnern in der Region.“

(Quelle: muenchen.de):

Auf Seiten des Stadtrats entspricht der neue Mobilitätsausschuss dem neuen Referat. Hier werden ab jetzt alle Anträge und Vorlagen zur Verkehrspolitik diskutiert und entschieden – wie bei jedem Ausschuss vorbehaltlich einer späteren Bestätigung durch die Vollversammlung des Stadtrats.

Inhaltlicher Startschuss war die gestrige Sitzung mit der Vorstellung eines Zwischenberichts zum Nahverkehrsplan. Und der hat es in sich. Verteilt auf drei Kategorien unterschiedlicher Priorität (A, B, C) werden im Betrachtungszeitraum bis über 2040 hinaus eine zweistellige Anzahl neuer Tramlinien geplant, eine Handvoll neuer U-Bahnlinien sowie der dafür notwendige Fahrzeugpark und die erforderliche Infrastruktur.

Den aktuellen Nahverkehrsplan im Detail zu erläutern, würde den Umfang dieses Berichts sprengen. Im Folgenden soll daher nur ein kurzer Überblick gegeben werden, zusammen mit einer Darstellung der Positionierung der Stadtratsfraktionen und gefolgt von ein paar eigenen Gedanken zur Umsetzung der Pläne in den nächsten Jahrzehnten.

Eine Übersicht der Planungen zeigt die folgende Karte:

Zentraler Ausschnitt aus dem sogenannten „Zielnetz“ für die Tram und die U-Bahn. Die komplette Karte mit allen Erläuterungen findet sich hier.

Mit grünen bzw. oliv gefärbten Linien sind zahlreiche neue Tramlinien gekennzeichnet. Hier liegt der Schwerpunkt der Ausbauplanung. Während das bestehende U-Bahnnetz der Stadt sternförmig aufgebaut ist, sollen die meisten neuen Tramlinien tangentiale Verbindungen schaffen, so wie die bereits beschlossene Westtangente und die Nordtangente durch den Englischen Garten (blaue Linien). Bei den U-Bahnlinien sind Verlängerungen geplant, insbesondere die U5 nach Pasing und weiter zum neuen Stadtteil Freiham und eine neue Nord-Süd Verbindung durch die Stadt hindurch, die U9.

Die unterschiedlichen Zeithorizonte für die neuen Tram- und U-Bahnstrecken erkennt man aus folgender Darstellung:

Zeitliche Priorisierung der geplanten Tram- und U-Bahnlinien(Quelle: Anlage 1 zur Vorlage des Mobilitätsreferats)

Insgesamt erscheinen mir die Planungen sehr ehrgeizig, insbesondere, wenn man sich überlegt, welche finanziellen Investitionen damit verbunden sind. Ein paar Abschätzungen dazu:

Die Baukosten pro Kilometer U-Bahn liegen bei > 100 Mio EUR (vgl. beispielsweise hier). Damit fallen alleine für den Ausbau der U5 nach Pasing und weiter nach Freiham Kosten in der Größenordnung von > 1 Mrd EUR an. Der Bau der geplanten U9 unter dem dicht bebauten Münchner Stadtzentrum dürfte noch deutlich teurer werden. Straßenbahnen sind nach einer bekannten Faustformel in etwa halb so leistungsfähig wie eine U-Bahn, aber um einen Faktor 10 billiger. Kilometerpreise für den Bau liegen damit bei 10 – 20 Mio EUR. Die geplanten Trambahnlinien der Kategorie A umfassen etwas mehr als 35 km Strecke, was zu Baukosten von > 500 Mio EUR führen dürfte. Insgesamt ergeben sich damit – sehr zurückhaltend geschätzt – Baukosten von 2 – 3 Mrd EUR alleine für die Projekte der Kategorie A. In den Zeiten vor Corona mit sprudelnden Gewerbesteuereinnahmen vielleicht kein Problem, aber jetzt?

Nun unterstützt der Bund über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz Städte beim Ausbau ihrer Verkehrsinfrastruktur. Allerdings beträgt die Gesamtsumme, die für alle Städte Deutschlands pro Jahr zur Verfügung steht, zur Zeit gerade mal 1 Mrd EUR. Um daraus eine nennenswerte Unterstützung für die obigen Planungen zu bekommen, müsste es der Stadt München gelingen, über viele Jahre hinweg einen überproportionalen Anteil dieser Fördermittel auf ihre Konten zu lenken – bei der wirtschaftlichen Situation Münchens im Vergleich mit anderen (Groß-) Städten erscheint mir das nicht gerade wahrscheinlich.

Die Frage der Kosten hat bei den Stadtratsfraktionen erkennbar unterschiedliches Gewicht. Während Grüne und SPD den beschleunigten Ausbau der günstigeren Trambahnlinien befürworten, liegt der verkehrspolitische Schwerpunkt der CSU auf dem U-Bahnbau. Beispielsweise sollte nach dem gestrigen Vortrag des Fraktionsvorsitzenden anstelle der geplanten Tram-Südtangente die U1 vom Mangfallplatz aus weiter nach Westen unter der Isar hindurch nach Thalkirchen geführt werden. Die Baukosten dafür würden einmal mehr im Milliardenbereich liegen, insbesondere da auf dieser Strecke das steile Hochufer auf der Ostseite der Isar überwunden werden muss. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass mit solchen Vorschlägen zum U-Bahnbau, die bereits im Kommunalwahlkampf von der CSU vorgetragen worden sind, erst einmal der Ausbau der entsprechenden Tramlinien verhindert werden soll, jedenfalls dann, wenn der dafür notwendige Platz im Straßenraum zu Lasten des Autoverkehrs geht.

Vielleicht kommt es aber nach den Erfahrungen des pandemiebedingten Homeoffice ohnehin ganz anders. Wenn ein großer Teil der 400.000 Ein- und fast 200.000 Auspendler ihre Fahrten zur Arbeit auf zwei bis dreimal pro Woche reduzieren – so wie im gegenwärtigen Lockdown – bleibt dies nicht ohne Auswirkungen. Und auch der beruflich bedingte Binnenverkehr innerhalb der Stadtgrenzen könnte durch die Digitalisierung der Arbeitswelt verringert werden. Anders als bei der Lage auf dem Wohnungsmarkt, die sich allenfalls langsam ändert, kann beim Verkehr die Anpassung an die neuen Gegebenheiten der Digitalisierung ganz schnell erfolgen, wenn viele Arbeitgeber in diesen Tagen erkennen, dass die tägliche Präsenz am Arbeitsplatz nicht immer erforderlich ist. Die Notwendigkeit mancher Bauprojekte des viele Milliarden teuren Ausbauprogramms für den Nahverkehr müsste dann neu bewertet werden.