Solaranlagen auf Mietshäusern – ein modernes Bermudadreieck

Die Notwendigkeit der Energiewende ist inzwischen eine Binsenweisheit. Aber immer dann, wenn es um die konkrete Umsetzung geht, treten Schwierigkeiten auf. Neue Windkraftanlagen an Land werden kaum noch genehmigt und die Stromleitungen aus Norddeutschland will auch niemand in seiner Nähe haben. Solarparks auf der grünen Wiese sind zwar kostengünstig, haben aber einen hohen Flächenverbrauch. Einzig Solaranlagen auf Dachflächen sind weitgehend akzeptiert und stoßen kaum auf Widerstand der Anwohner. Da sollte man doch meinen, dass in München die Anzahl der Solaranlagen auf den Dächern der Stadt rasant steigen müsste.

Jedoch sieht München von oben über weite Teile immer noch so aus:

Eine typische Münchner Dachlandschaft, hier aus Sendling (Quelle: Google Maps)

Auch in ganz neuen Stadtteilen wie der Messestadt Riem ist es nicht besser:

Dächer in der Messestadt Riem (Quelle: Google Maps)

Solaranlagen findet man beim Blick auf München von oben etwa so häufig wie Eier an Ostern. Es gibt sie, aber man muss sie ernsthaft suchen.

Warum ist das so ? Die einfache Antwort lautet: Es liegt an der Eigentümerstruktur. Während die Stadt auf eigenen Gebäuden, beispielsweise Schulen, regelmäßig Solaranlagen installiert und auch auf vielen Privathäusern Solarstrom erzeugt wird, hinkt der Ausbau auf den großen Dachflächen von Mietshäusern deutlich hinterher. Und das gilt auch für die Gebäude der städtischen Wohnungsbaugesellschaften.

Es ist daher zu begrüßen, dass die Grünen und die CSU Anfang 2019 einen Antrag im Stadtrat eingebracht haben, der an Klarheit kaum zu überbieten ist:

Die Verwaltung wird beauftragt, ein Konzept zu entwickeln, um auf den Dächern der städtischen Wohnungsbaugesellschaften Photovoltaikanlagen zu errichten und dabei die Mieterinnen und Mieter bzw. die Bürgerinnen und Bürger der Stadt mit einzubeziehen. Die Zielvorgabe dabei ist
• auf allen Neubauvorhaben PV-Anlagen zu installieren und
jährlich auf 10% der Bestandsgebäude PV-Anlagen nachzurüsten.
Bis 2030 soll der
gesamte Bestand an Wohngebäuden der GWG und GEWOFAG mit PV-Anlagen ausgerüstet sein.“ (Hervorhebung hinzugefügt)

In der Sitzung des Stadtplanungsausschusses vom vergangenen Mittwoch wurde dieser Antrag behandelt. Der daraufhin ergangene Beschluss erscheint mir jedoch völlig verwässert, so dass auch in Zukunft nicht mit einem schnellen Ausbau der Solarenergie auf den Dächern der Münchner Wohnungsbaugesellschaften zu rechnen ist. Um zu erklären, warum das so ist, muss ich etwas länger ausholen:

Grundsätzlich befassen sich die Verwaltung und die Stadtwerke München schon länger mit diesem Thema, auch aufgrund früherer Anträge aus dem Stadtrat. Weil die staatliche Förderung von Solaranlagen in den letzten Jahren erheblich zurückgefahren worden ist, hat die Stadtverwaltung zusammen mit den Stadtwerken einen Ansatz verfolgt, bei dem Solaranlagen auf Mietshäusern als sogenannte Mieterstromanlagen installiert werden. Dabei beziehen die Mieter ihren Strom vom Dach ihres Mietshauses und entlasten dadurch das allgemeine Stromnetz. Diese Art von Solaranlagen wird unter anderem dadurch bundesweit gefördert, dass die Abnehmer für den Mieterstrom kein Netznutzungsentgelt zahlen müssen, was den Strom spürbar günstiger machen soll.

Allerdings entsteht dadurch ein Bermudadreieck an Beteiligten, das im Ergebnis den Aufbau und Betrieb solcher Anlagen enorm schwierig macht:

  • Da sind zum Einen die Hauseigentümer, d.h. die städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Ihnen gehören die Dachflächen. Diese Unternehmen haben keine Erfahrung und auch keine Ressourcen, um als Stromverkäufer aufzutreten und beispielsweise das Inkasso von Stromrechnungen bei ihren Mietern zu übernehmen. Zudem müssten sie, wenn sie selbst als Betreiber auftreten würden, Gewerbesteuer zahlen und das sogar für ihre Mieteinahmen.
  • Ferner gibt es den Betreiber einer solchen Dachanlage. Im München könnten das die Stadtwerke sein, die sich ja auf breiter Front für erneuerbare Energien einsetzen. Sie müssten dazu die Dachflächen pachten und den Bau und Betrieb der Anlage mit dem Hauseigentümer abstimmen, beispielsweise bei einer Dachreparatur.
  • Und schließlich braucht es in jedem Haus genügend Mieter, die bereit sind, sich auf dieses Modell einzulassen und tatsächlich solchen Mieterstrom zu beziehen.

Es liegt auf der Hand, dass die erfolgreiche Abstimmung aller Beteiligten nur im Ausnahmefall gelingen kann. Es überrascht daher auch nicht, wenn man in der Vorlage der Verwaltung folgenden Satz findet:

Die SWM haben zwischenzeitlich ein Konzept für Mieterstrom entwickelt, jedoch noch kein Projekt im Bereich Wohnen umsetzen können“ . (Hervorhebung hinzugefügt)

München steht dabei nicht alleine. Auch der Wikipediaeintrag zum Stichwort „Mieterstrom“ kommt zu dem ernüchternden Ergebnis:

Dieses Fördermodell hat sich bislang als nicht erfolgreich erwiesen.“

Warum das jetzt auf einmal ohne Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen anders werden soll, ist für mich nicht erkennbar. Vielleicht gelingt es ja in den nächsten Jahren, ein oder zwei weitere Anlagen auf diese Weise zu errichten. Ein spürbarer Beitrag zur Energiewende wird damit aber sicher nicht erreicht werden. Auch die Stadträte haben ihre Forderungen nach einem schnellen Ausbau der Solarenergie auf Mietshäusern offensichtlich mehr oder weniger begraben, wenn es im ergangenen Beschluss nur noch heißt:

Die SWM werden gebeten, zusammen mit der GWG und GEWOFAG und der Koordinierungsstelle für Solarenergie basierend auf der oben genannten Gebäudeliste zeitnah einen Umsetzungsplan zu erarbeiten, wie das Ziel der Zubauraten in Höhe von etwa 10% r.a. für die Nachrüstung der Bestandsgebäude mit Photovoltaik-Anlagen kurz- und mittelfristig erreicht werden kann. Der Umsetzungsplan soll im ersten Schritt konkrete Maßnahmen
und Zielvorgaben für die Jahre 2020 und 2021 enthalten. Über die Ergebnisse soll einmal jährlich berichtet werden
“ .

Zeitnah ist nicht mehr der Ausbau der Solarenergie, sondern nur die Erstellung eines Umsetzungsplans. Und das Ziel, bis 2030 den gesamten Bestand an Gebäuden der städtischen Wohnungsbaugesellschaften mit Solaranlagen zu versehen, ist einfach aufgegeben worden.

Dass es auch anders geht, zeigt der Blick über den Stadtrand. Schaut man zum Beispiel auf das Quartier Vauban, einen neu erbauten Stadtteil Freiburgs, zeigt sich folgendes Bild:

Solaranlagen auf den Dächern von Häusern im Quartier Vauban in Freiburg (Quelle: Google Maps)

Ob hier ein Mieterstrommodell zum Einsatz gekommen ist, oder die Anlagen auf andere Weise entstanden sind, weiß ich leider nicht. Vielleicht sollten die Stadträte sich bei ihren Kollegen in Freiburg dazu informieren, damit es endlich auch in München mit der Solarenergie vorangeht.

Der Neustart der Kultur

Fast vier Monate ist es her, dass das kulturelle Leben in München wegen Corona zum Stillstand gekommen ist. Die Folgen für viele Künstler sind existenzbedrohend trotz der angelaufenen Unterstützung durch Bund, Freistaat und die Stadt München. Umso erfreulicher ist es, dass der Kulturausschuss des Stadtrates heute einstimmig ein umfangreiches Programm verabschiedet hat, mit dem ein „(Kultur-) Sommer in der Stadt“ auf den Weg gebracht wird. Das Kulturreferat greift damit Anträge der SPD und mehrerer Bezirksausschüsse auf, die darauf abzielen, städtische Flächen im Außenbereich für Auftritte von Künstlern zur Verfügung zu stellen.

Allerdings geht die heute verabschiedete Vorlage weit darüber hinaus und beinhaltet – unter „penibler Einhaltung der Hygieneregeln“ (Kulturreferatsleiter Anton Biebl) – folgende Kernpunkte:

  • Eine „Stadtteil-Wanderbühne“ , die von den jeweiligen Stadtteilkulturzentren in Kooperation mit den örtlichen Bezirksausschüssen bespielt wird. Die Kulturveranstaltungen werden mit dem bereits geplanten Programm „Sommer in der Stadt“ kombiniert, das Schaustellern ermöglicht, verteilt über die ganze Stadt an vielen Orten ihre Geschäfte zu betreiben.
  • Eine feste Sommerbühne, die voraussichtlich im Olympiapark aufgebaut wird und von Ende Juli bis Mitte September an sieben Tagen in der Woche ein umfangreiches Kulturprogramm bietet.
  • Die Unterstützung einer Vielzahl von bereits laufenden Initiativen, um an weiteren Orten Bands, Kabarettisten und anderen Künstlern Auftritte zu ermöglichen, beispielsweise im Innenhof des Stadtmuseums.

Künstler, die an diesem Programm mitwirken möchten, können sich unter booking@vdmk.info bewerben.

Neben der umfangreichen Organisation der Auftrittsorte übernimmt die Stadt auch die Vergütung der Künstler. Das ist ein ganz wesentlicher Schritt. Denn damit wird, wie in der heutigen Debatte deutlich wurde, ein großes Hindernis für den Neustart der Kultur aus dem Weg geräumt. Aufgrund der – jedenfalls gefühlt – immer noch unsicheren Infektionslage sind die Münchner bislang kaum bereit, Eintrittskarten für die wenigen bereits wieder laufenden Kulturveranstaltungen zu erwerben.

Umsonst ist das alles nicht zu haben. Mit der Vorlage wurde dem Kulturreferat vom Kulturausschuss eine Finanzierung in Höhe von knapp. 1 Mio EUR genehmigt. Aus meiner Sicht ein keineswegs zu hoher Betrag, wenn man bedenkt, welche Bedeutung Musik, Kleinkunst, Theater und andere Kulturformen für diese Stadt haben und wie wichtig es daher ist, hier endlich wieder durchzustarten. Vielleicht lässt sich dieser Betrag bei der geplanten Edel-Sanierung des Gasteigs wieder einsparen, wenn man dort genauer auf die Kosten achtet (Gesamtsumme laut Presseangaben geschätzt 450 Mio EUR).

Aus den Reihen des Stadtrates wurde ergänzend angeregt, Besucher der Veranstaltungen nachdrücklich um Spenden zu bitten. Damit sollen über eine der Kulturstiftungen der Stadt auch Künstler unterstützt werden, die bei dem Kulturprogramm nicht zum Zuge kommen und daher noch nicht wieder auftreten können. Eine, wie ich finde, sehr nette solidarische Aktion.

Bei aller Freude über das vorgelegte Kulturprogramm wurden aber auch zwei Unsicherheiten deutlich:

Wie geht es im Herbst weiter ? Was ist, wenn auch dann noch kein normaler Kulturbetrieb möglich ist ? Wird das Programm dann verlängert? Hierzu wollte sich der Referatsleiter noch nicht äußern, aber die Planungen dazu müssten eigentlich jetzt schon beginnen. Denn ein Impfstoff wird, wenn überhaupt, nicht schon in drei Monaten verfügbar sein.

Und was passiert, wenn der Virus doch einmal zuschlägt und es – trotz aller Abstandsregeln – auf einer Veranstaltung des Kultursommers zu Infektionsfällen kommt? Ich denke auch dazu sollte man sich vorbereitend Gedanken machen, insbesondere wie man einen solchen Fall richtig einordnet. Ein paar Überlegungen dazu:

Nehmen wir einmal an, dass sich bei einer der geplanten Kulturveranstaltungen in den kommenden zwei Monaten direkt oder indirekt 100 Personen mit dem Virus infizieren. Das wäre wirklich schlimm, aber rein statistisch betrachtet würde es, nach allem was man gegenwärtig weiß, wohl nur zu einigen schweren Krankheitsverläufen und einem einzigen Todesfall führen.

Auch das wäre einer zuviel, aber er ist in Relation mit anderen schlimmen Ereignissen zu sehen, die aller Voraussicht nach im gleichen Zeitraum eintreten werden (z.B. etwa 5 Morde in München, vgl. den aktuellen Kriminalitätsbericht, oder 4 Verkehrstote und etwa 120 Schwerverletzte, vgl. den aktuellen Verkehrsbericht für München). Es sollten daher alle Anstrengungen unternommen werden, solch eine Infektion zu vermeiden. Falls es aber doch passiert, wäre es aus meiner Sicht unverhältnismäßig deswegen den dringend erforderlichen Neustart der Kultur in München wieder auszusetzen.

Wohnungsbau in München – ein mühsamer Interessensausgleich

München braucht zusätzliche Wohnungen. Dies ist Konsens bei fast allen Mitgliedern des Münchner Stadtrates – aber nicht bei den alteingesessenen Nachbarn eines neu geplanten Wohngebiets. In der heutigen Sitzung des Stadtplanungsausschusses ist der Gegensatz zwischen der Notwendigkeit zusätzlichen Wohnraum zu schaffen und den Interessen der Anwohner des betroffenen Stadtteils – hier Berg am Laim – wieder einmal deutlich geworden. Es war eine Diskussion, die sich bei vielen Neubauprojekten in München gleicht und ungefähr so verläuft:

Erster Akt: Es spricht der / die Vorsitzende des Bezirkausschusses (als Vertreter der Anwohner)

Der Bezirksausschuss sei grundsätzlich nicht gegen weiteren Wohnungsbau in München, aber das vorliegende Projekt sei abzulehnen, da:

es für die zahlreichen neuen Bewohner an Infrastruktur fehle, beispielsweise Krippenplätze und Kindergartenplätzedie Grundschule überfüllt werde

die geplante Bebauung zu hoch und zu dicht sei

noch kein Verkehrskonzept vorliege, das die Belastung für die Anwohner erträglich mache, und

eine Bürgerbeteiligung schließlich nur dann sinnvoll sei, wenn man die Anliegen der betroffenen Bürger auch ernsthaft berücksichtige.

Zweiter Akt: Diskussion der Stadträte

Hier wird von allen Seiten Verständnis für die Anwohner und deren Bedenken geäußert, aber in der Sache bleibt es im Wesentlichen bei dem geplanten Projekt. Die CSU und die FDP / Freie Wähler fordern noch eine bessere Straßenanbindung des Neubaugebietes für den Autoverkehr, die Grünen bringen ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass eine künftige Verkehrswende die Stauprobleme schon lösen werde und die SPD rechtfertigt die dichte Bebauung, weil nur dadurch eine hinreichende Anzahl von Wohnungen gebaut werden könne.

Dritter Akt: Abstimmung

Mit allenfalls kleinen Änderungen wird die Verwaltungsvorlage durchgewunken.

Um deutlich zu machen, worum es dabei konkret gehen kann, hier ein Vergleich zwischen dem „Truderinger Acker“, der Gegenstand des heutigen Bebauungsplanes war, im jetzigen Zustand:

Der Truderinger Acker (aus Google Street View)

und der Planung für die zukünftige Wohnbebauung:

Auszug aus dem Bebauungsplan. Das vollständige Dokument findet sich hier.

Wenn man genau in die Planung hineinschaut, erkennt man, dass die Wohnblöcke eine Höhe von 13 – 22 Meter aufweisen, an der südwestlichen Ecke sogar fast 50 Meter in Form eines sogenannten „Hochpunktes“, d.h. eines Hochhauses mit 15 Stockwerken. Dass dazu bei den bisherigen Anwohnern keine Begeisterung aufkommt, erscheint verständlich. Dies umso mehr, wenn auf Einwände gegen das Hochhaus in der Verwaltungsvorlage mit Sätzen wie diesem geantwortet wird:

Geschickt werden diese städtebaulichen Gliederungselemente genutzt, um die Dachflächen zu aktivieren und von den rückliegenden Gebäuden einen visuellen
Bezug zum Grünzug herzustellen.“

Solche Ausführungen eignen sich vielleicht für ein Oberseminar im Architekturstudium, nicht aber um Einwänden von Anwohnern zu begegnen, die den Kontrast einer solch massiven Bebauung mit der bestehenden Umgebung befürchten.

Allgemeiner betrachtet hinterlässt die Planung der zahlreichen Neubaugebiete überall in München eine Vielzahl frustrierter „Bestandsmünchner“. Zwar werden ihre Bedenken in Bürgerversammlungen und Bezirksausschusssitzungen freundlich angehört und aufgenommen. Im Ergebnis setzt sich aber regelmäßig der Zwang zum Bau einer möglichst großen Zahl neuer Wohnungen durch.

Wie die Stadträtin der LINKEN, Frau Wolf, in der heutigen Debatte am Rande zu Recht angemerkt hat, fehlt – auch nach dem langen Kommunalwahlkampf – immer noch eine Grundsatzdebatte darüber, ob München zwangsläufig eine Weltstadt wie Paris oder London wird. Die großen Stadtratsfraktionen haben erkennbar keine Lust, diese fundamentale Diskussion zu führen. Sie würde im Ergebnis wohl auch zu nichts führen, da der Druck auf München allenfalls durch eine wirksamere Strukturpolitik des Freistaates gemildert werden kann. Andere Städte und Regionen Bayerns müssten erfolgreicher als bisher wirtschaftlich und auch ansonsten attraktiv werden, um den anhaltenden Zuzug nach München zu reduzieren. Der Stadtpolitik verbleibt vor diesem Hintergrund wenig mehr als pragmatisch zu versuchen, mit dem Problem einer wachsenden Bevölkerung umzugehen.

Damit führt aber an dem verstärkten Wohnungsbau – auch in die Höhe – kein Weg vorbei, wenn die Mieten nicht noch weiter ansteigen sollen. Anders als architekturtheoretische Ausführungen, wäre das dann auch die richtige (Haupt-) Antwort auf die Einwände der Anwohner. Mit anderen Worten ist ein engagierter Wohnungsbau auch im Interesse der bereits hier wohnenden Münchner, jedenfalls dann, wenn sie zur Miete wohnen und diese auch morgen noch bezahlen müssen.

Der „Wumms“ und die Folgen für München

Über die gravierenden Auswirkungen der Corona Krise auf die Finanzen der Stadt München ist auf diesen Seiten und auch ansonsten bereits viel berichtet worden. Inzwischen hat die Bundesregierung ihr Konjunkturpaket („Wumms“) verkündet, mit dem unter anderem den Kommunen geholfen werden soll. In der gestrigen Vollversammlung des Stadtrats hat der Kämmerer ausgeführt, was sich daraus für München ergibt. Grund genug, die wichtigsten Zahlen aus der Vorlage kurz vorzustellen und ein paar Gedanken über den zukünftigen finanziellen Spielraum der Münchner Kommunalpolitik zu formulieren.

Zur Erinnerung, das (sehr grob) geschätzte Corona Defizit in den Finanzen der Stadt liegt für das Jahr 2020 bei ca. 1 Mrd. EUR. Größter Einnahmeausfall ist die niedrigere Gewerbesteuer mit ca. 700 Mio EUR. Dazu kommen der geringere Einkommenssteueranteil und natürlich viele Zusatzkosten, die durch die Krise verusacht werden. Ein wesentlicher Punkt sind die Einnahmeverluste in den städtischen Unternehmen, insbesondere im öffentlichen Nahverkehr. Hier ist von dreistelligen Millionenbeträgen die Rede.

Die beste Nachricht aus dem Konjunkturpaket ist der angekündigte Ausgleich der Gewerbesteuer. Allerdings muss der Freistaat noch entscheiden, wie er den vom Bund gezahlten Betrag auf die Gemeinden Bayerns verteilt. Laut Kämmerer kann der Ausgleich für München zwischen 300 und 600 Mio EUR liegen – eine Vollkompensation der Ausfälle ist das nicht. Eine weitere finanzielle Entlastung liegt in der Übernahme der Wohnungskosten für Empfänger von Grundsicherung (Hartz IV), bei denen der Bund in Zukunft nicht nur 50% sondern 75% der Kosten übernimmt. Das bringt München ca. 70 Mio EUR pro Jahr. Anders als beim Ausgleich der Gewerbesteuerausfälle ist diese Zuwendung auf Dauer angelegt und entlastet damit den städtischen Haushalt auch in den nächsten Jahren. Alle weiteren Punkte im Konjunkturpaket, mit denen auch politische Schwerpunkte (Klimaschutz, Digitalisierung etc.) gesetzt werden, sind für eine erste Bilanzierung der Münchner Finanzlage eher zweitrangig.

Damit ergibt sich die vom Kämmerer in der Vorlage genannte Abschätzung des verbleibenden Defizits für München im „niedrigen dreistelligen Millionenbereich“ . Die größte Unsicherheit liegt in der Verteilung der Gewerbesteuerkompensation durch den Freistaat.

Was bedeutet das nun für den städtischen Haushalt ? Insgesamt beträgt der Haushalt 2020 etwas über 7 Mrd. EUR. Geht man von einem Defizit von 300 Mio. EUR aus, klingt das eigentlich nicht so schlimm – weniger als 5% der Gesamtsumme. Allerdings übersieht eine solche Betrachtung, dass über die Hälfte des städtischen Haushalts festliegen, beispielsweise als Gehälter der Angestellten der Stadt oder gesetzlich vorgeschriebene Sozialleistungen. Nimmt man daher einen für kommunalpolitische Gestaltung zur Verfügung stehenden realen Finanzrahmen von ca. 3 Mrd. EUR an, sind die Mindereinnahmen mit 300 Mio EUR ungefähr 10%. Das wird wehtun. Wo die entsprechenden Einsparungen erfolgen werden, wird sicher noch zu vielen streitigen Diskussionen führen.

Zwei – sicher auch streitige – Vorschläge dazu hätte ich aber bereits: Sowohl der neue Konzertsaal als auch die umfangreiche Generalsanierung des Gasteigs könnten ja der nächsten Generation (nach erfolgtem Schuldenabbau) überlassen werden oder zumindest deutlich kleiner ausfallen. Da die Kosten jedes dieser Projekte voraussichtlich in einem mittleren dreistelligen Millionenbereich liegen, wäre das oben abgeschätzte Defizit dann schon ausgeglichen.

Eine andere Seuche

Eine Krankheit, die vom Tier auf den Menschen übertragen wird. Bei Infektionen ist sie für den Menschen häufig tödlich. Die Infektionszahlen in Bayern steigen seit Jahren exponentiell – allerdings mit einer Verdopplungszeit von 10 Jahren. Die Rede ist nicht von Corona, sondern vom Fuchsbandwurm, dessen zunehmende Ausbreitung in München gestern ein Thema im Kreisverwaltungsausschuss war.

Der Fuchsbandwurm ist ein Parasit, der den Darm von Füchsen befällt. Genaue Erläuterungen dazu findet man beim entsprechenden Wikipedia-Eintrag. Der „normale“ Kreislauf beginnt, indem der Fuchs mit seinem Kot die Eier des Wurms ausscheidet. Der Kot wird von Mäusen aufgenommen, die dann wiederum von einem anderen Fuchs gefressen werden. Wird der Mensch mit den Wurmeiern infiziert, ist das quasi ein Betriebsunfall dieses „normalen“ Kreislaufes, der damit unterbrochen wird. Allerdings ruft die Wurminfektion beim Menschen nach langer Inkubationsszeit eine schwere Erkrankung hervor, die kaum zu behandeln ist und meistens tödlich endet.

Für die Großstadt München ist das ein Problem, weil – man glaubt es kaum – hier sehr viele Füchse leben, viel mehr als auf dem Land. Dies führt zu zwei Arten von Risiken mit dem Fuchsbandwurm in Kontakt zu kommen: Zum einen durch Fuchskot, an dem sich beispielsweise Kleinkinder direkt infizieren können, die in Gärten oder in Grünanlagen der Stadt spielen. Zum anderen durch Hunde und insbesondere Katzen, die infizierte Mäuse fressen und dann ihrerseits Eier des Fuchsbandwurms ausscheiden, die am Fell hängenbleiben.

Der Stadtrat hat daher vor einigen Jahren ein Fuchsbandwurm-Monitoring bei der TU München in Auftrag gegeben, dessen Ergebnisse gestern vorgestellt worden sind. Die vollständige Studie findet sich hier. Die Resultate sind einigermaßen ernüchternd:

Fazit des Fuchbandswurm-Monitorings; rote Unterstreichung von mir hinzugefügt

Um den Fuchsbandwurm zu bekämpfen, können Köder mit einem Entwurmungsmittel ausgelegt werden. Dass solche Aktionen grundsätzlich wirksam sind, wird in der Studie ebenfalls angegeben. Hier das Schaubild dazu:

Aus dem Fuchsbandwurm-Monitoring, Seite 20; „KI“ bezeichnet das statistische Kofidenzintervall

Die Anzahl der tatsächlichen Erkrankungsfälle von Menschen in Bayern aufgrund des Fuchsbandwurms sind bislang sehr gering, allerdings mit deutlich steigender Tendenz:

Aus dem Fuchsbandwurm-Monitoring, Seite 7; wegen der langen Inkubationszeit von 10 – 15 Jahren zeigen die aktuellen Zahlen aus 2018 / 2019 das Infektionsgeschehen am Anfang der 2000er

In der gestrigen Sitzung wurde im Lichte der Studienergebnisse diskutiert, wie weiter vorzugehen ist. Das Ergebnis ist recht einfach – bis auf etwas Information für Halter von Haustieren passiert im Wesentlichen Nichts. Hier der Beschluss zum Nachlesen.

Bereits in der Vorlage des Kreisverwaltungsreferats war ausgeführt worden, dass eine Entwurmungsaktion in München nicht zu empfehlen sei, da

– gegenwärtig kein zugelassenes Entwurmungmittel verfügbar sei

– bei einer Entwurmungsaktion Resistenzen entstünden

– ohnehin eine Reinfektion durch zuwandernde Füchse wahrscheinlich sei.

Das klingt zunächst recht überzeugend. Im Lichte der mündlichen Aussagen des Gutachters Prof. König in der Ausschusssitzung, stellt sich die Lage aber doch etwas anders dar. Im Einzelnen:

– Dass es gegenwärtig keine zugelassenen Köder gibt, liegt laut dem Gutachter nur an wirtschaftlichen Gründen. Die Firma Bayer hat mangels Profitabilität die Produktion eingestellt und eine andere Firma in Tschechien würde die Produktion nur dann aufnehmen, wenn ihr eine hinreichende Abnahmemenge garantiert würde. Aus meiner Sicht liegt es dann doch nahe, dass München sich mit anderen Gemeinden in Süddeutschland zusammentut, die das gleiche Problem haben und gemeinsam einen Nachfragepool bildet, der zu günstigen Preisen Köder einkauft.

– Die eigentliche Entwurmungschemikalie ist laut Gutachter seit 80 Jahren die gleiche und hat bislang nie zu Resistenzen geführt, da der Wurm nur kurz im Darm des Fuchses damit in Kontakt kommt.

– Eine Reinfektion durch zuwandernde Füchse ist im ländlichen Raum in der Tat ein Hindernis für eine dauerhafte Entwurmung. Dies gilt aber nicht für eine Großstadt wie München, in der die sehr hohe Populationsdichte keine Zuwanderung zulässt.

Im Ergebnis passen diese Aussagen des Gutachters nicht zum verabschiedeten Beschluss. Die wesentlichen Überlegung sind daher doch wohl eher ökonomischer Natur gewesen, im Anbetracht der (noch) geringen Fälle, so wie es ganz unverblümt in der Stellungnahme des Referats für Gesundheit und Umwelt zum Ausdruck kommt:

Auszug aus der Stellungnahme des RGU; der gesamte Text findet sich hier.

Was ergibt sich jetzt aus alledem ? Das Mindeste wäre ein klarer Auftrag an des RGU die Anzahl der Infektionsfälle bei Münchnern jedes Jahr an den Stadtrat zu berichten, damit dann jeweils neu darüber beschlossen werden kann, ob die obige Abwägung noch richtig ist. Und eine größere Informationskampagne für alle Eltern / Kindergärten sowie die Halter von Hunden und insbesondere Katzen sollte die Einsparung von 300.000 EURO Behandlungskosten pro Infektionsfall und dem damit verbundenen menschlichen Leid schon wert sein.

Ein „Topergebnis“

Einmal im Jahr erscheint der Sicherheitsreport des Polizeipräsidiums München. Heute war es mal wieder so weit. In der Sitzung des Kreisverwaltungsausschusses wurden die aktuellen Zahlen zur Kriminalität in München dem Stadtrat vorgestellt. Und die sind beeindruckend niedrig – ein „Topergebnis“ wie es der Polizeipräsident zu Recht bezeichnet hat. Wer alle Statistiken lesen möchte, kann das über hundertseitige Zahlenwerk hier herunterladen.

Einen Überblick der Situation zeigt die Zusammenfassung am Anfang des Berichts:

Die Zusammenfassung aus dem Sicherheitsreport 2019; rote Markierungen hinzugefügt

Wie man sehen kann, sind in den meisten Kategorien die Zahlen gegenüber 2018 rückläufig, zum Teil im hohen zweistelligen Prozentbereich. Bei der politisch motivierten Kriminalität bleibt aber auch München nicht vom deutlichen Anstieg rechter Gewalt und Hasskriminalität verschont, vgl. die von mir rot markierten Zahlen oben. Laut Polizeipräsident wird die Münchner Polizei darauf mit einem neuen Spezialdezernat reagieren.

Der Rückgang der Straftaten insgesamt liegt im Trend deutscher Großstädte, wie der folgende Vergleich der Häufigkeitszahl ( = Anzahl jährlicher Straftaten pro 100.000 Einwohner) zeigt.

Vergleich der Häufigkeit von Straftaten in deutschen Großstädten im Sicherheitsreport 2019

Seit 2015 ist überall eine kontinuierliche Abnahme an Straftaten zu beobachten. Allerdings ist der Unterschied von München gegenüber den anderen Großstädten beeindruckend, fast ein Faktor zwei relativ zur zweitbesten Stadt Köln. In der Diskussion des Sicherheitsreports haben Vertreter der SPD-Fraktion und der Oberbürgermeister zutreffend darauf hingewiesen, dass die hervorragende Sicherheitslage neben der guten Polizeiarbeit auch die Folge einer engagierten Sozialpolitik ist, die sich seit Jahrzehnten darum kümmert, dass niemand sich selbst überlassen wird mit dem Risiko in die Kriminalität abzugleiten. Das war vielleicht in anderen Städten trotz großer Wirtschaftskraft nicht immer in gleichem Maße der Fall.

Verblüffend ist auch, dass der Rückgang der Straftaten einhergeht mit einer deutlichen Abnahme der Personalstärke der Münchner Polizei. Die Zahl der Polizeivollzugsbeamten ist von ca. 6000 im Jahr 2012 auf heute etwa 5300 zurückgegangen (vgl. die Grafik auf Seite 13 des Sicherheitsreports). Allerdings konnte der Polizeipräsident dem Ausschuss berichten, dass 2020 über dreihundert neue Stellen dazukommen werden. Abgesehen vom Abbau eines Berges von Überstunden, bleibt diese Personalpolitik in Anbetracht des vorgelegten Sicherheitsreports etwas unverständlich. Vielleicht wird der allgemeine Sparzwang durch die Corona Pandemie hier noch zu anderen Entscheidungen führen. Das „Topergebnis“ des Jahres 2019 mit der bestehenden Mannschaftsstärke ist jedenfalls bei aller Freude darüber kein Argument für eine expansive Personalpolitik bei der Münchner Polizei.

„Vertretbar und geboten“ ? Gebühren in Corona Zeiten

Über die schlimmen wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise für die Münchner Gastronomie hat der Stadtrat schon mehrfach beraten. Bereits im Mai war daher folgender Auftrag an die Verwaltung ergangen:

Das Kreisverwaltungsreferat unterbreitet im nächsten Kreisverwaltungsausschuss einen Vorschlag, dass die Gastronomie so gering wie rechtlich zulässig mit Freischankflächengebühren belastet wird.“

Was das nun konkret bedeutet, ist gar nicht so einfach und gab heute Anlass zu einer heftigen Diskussion zwischen dem Leiter des Kreisverwaltungsreferats (KVR) und den Stadträten im Kreisverwaltungsausschuss. Es geht darum, ob die Stadt (zeitlich begrenzt) auf die Gebühren für Freischankflächen komplett verzichten kann, oder ob dem die geltende Gesetzeslage entgegensteht, insbesondere Art. 62 der Bayrischen Gemeindeordnung.

Dort findet sich folgende Regelung:

Sie [die Gemeinde] hat die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Einnahmen soweit vertretbar und geboten aus besonderen Entgelten [ = Gebühren] für die von ihr erbrachten Leistungen [….] zu beschaffen.“

In der strittigen Vorlage des KVR werden die Begriffe „vertretbar und geboten“ umfangreich erörtert. Danach ist ein vollständiger Verzicht auf die Gebührenerhebung für die Nutzung einer öffentlichen Fläche unzulässig, wenn diese Nutzung nur einem Einzelnen dient (dem Gastwirt). Aufgrund der geltenden Einschränkungen wegen der Corona Pandemie wird abgeschätzt, dass der Umsatz der Gastwirte erheblich reduziert ist und daher ein ermäßigter Gebührensatz von 25 % vorgeschlagen.

Nun bin ich kein Experte auf dem Gebiet des Kommunalrechts, aber die Begründung für eine angebliche Pflicht zur Gebührenerhebung in der KVR-Vorlage erscheint mir aus mehreren Gründen nicht überzeugend:

In der Vorlage wird nicht einmal der Versuch gemacht, Art. 62 GO direkt auszulegen. Es wird lediglich auf analoge Überlegungen zu einem anderen Artikel der Gemeindeordnung verwiesen, der aber auch keine klare Aussage dazu enthält, was „vertretbar und geboten“ bei der Gebührenerhebung bedeutet.

Auch das Bayrische Straßen- und Wegegesetz, das in Art. 18 den konkreten Anspruch einer Gemeinde auf Gebühren bei einer Sondernutzung des Straßenraumes definiert, formuliert nur eine Möglichkeit – keine Pflicht – dafür Gebühren zu erheben. Darauf wurde in der Sitzung von der CSU Fraktion zu Recht hingewiesen.

Der aus meiner Sicht entscheidende Gedanke ist jedoch, dass eine solche Sondersituation wie die gegenwärtige Corona Pandemie ihre eigenen Maßstäbe setzt, was „vertretbar und geboten “ ist. Überlegungen, die den Normalfall der Gebührenerhebung betreffen, sind zur Einordnung sicher hilfreich aber können gegenwärtig nicht allein herangezogen werden. Im Gegenteil, es erscheint durchaus „vertretbar und geboten“ in dieser völligen Ausnahmesituation, wo viele Wirte auch bei geöffnetem Lokal bislang keinen Gewinn machen, auf eine Gebührenerhebung vollständig zu verzichten. Denn eine lebendige Gastronomie in München ist eben nicht nur für die Wirte sondern auch für die städtische Bevölkerung insgesamt von Interesse.

Das haben die Stadträte im Kreisverwaltungsausschuss im Ergebnis auch so gesehen. Daher wird es in der Vollversammlung morgen voraussichtlich eine neue Vorlage geben, mit der die Gebühren für die Freischankflächen auf Null gesetzt werden.

Der Anfang vom Anfang einer Verkehrswende

Corona macht es möglich. Schneller als noch vor wenigen Tagen gedacht, bringt die neue grün-rote Mehrheit im Stadtrat allererste Maßnahmen für eine Verkehrswende in München auf den Weg. Fünf sogenannte „Pop-up lanes“, auf deutsch Fahrradspuren, sollen bereits in den nächsten Wochen mehr Platz für Radfahrer an besonders wichtigen Stellen in der Münchner Innenstadt schaffen – zunächst zeitlich begrenzt bis Ende Oktober. So hat es der Stadtplanungsausschuss gestern beschlossen.

Doch warum jetzt so schnell? Das erklärt ein Blick in die aktuellen Zahlen zum Verkehr in München, die die Verwaltung kurzfristig in einer Vorlage zusammengetragen hat und die das dramatisch geänderte Verkehrsverhalten aufgrund der Pandemie zeigen:

Zu normalen Zeiten werden in München 1,2 Mio Wege mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zurückgelegt. Der Deutsche Städtetag schätzt, dass aus Furcht vor Ansteckung Corona zu einem Rückgang von ca. 75% in der ÖPNV Nutzung geführt hat. Das bedeutet für München eine Verlagerung von 900.000 Wegen pro Tag auf andere Verkehrsmittel, wobei geschätzt wird, dass sich die Verlagerung etwa hälftig auf den Autoverkehr und auf das Fahrrad verteilt. Für München sind das 450.000 zusätzliche Wege, die mit dem Fahrad zurückgelegt werden, zusätzlich zu den 900.000 Wegen zu normalen Zeiten. Das wäre eine Steigerung um ca. 50% (!) – ähnlich der aktuellen Entwicklung in anderen europäischen Großstädten wie Paris, Brüssel oder London.

Ganz so stark ist der tatsächliche Anstieg in München wohl nicht, da Homeoffice und die Aufforderung, zu Hause zu bleiben, die Mobilität insgesamt reduziert haben. Zählungen für den April zeigen aber eine Zunahme von immerhin 20%. Selbst wenn die Infektionszahlen inzwischen stark rückläufig sind, ist – auch in Anbetracht des nahenden Sommers – nicht davon auszugehen, dass der Radverkehr in den nächsten Monaten wieder auf ein Vor-Corona Niveau absinkt. Es liegt auf der Hand, dass die ohnehin unzureichende Radinfrastruktur in München diesem Ansturm nicht gewachsen ist. Bestätigt wird dies durch steigende Unfallzahlen (+15%).

Solange der ÖPNV nur wenig benutzt wird, ist allerdings auch eine Steigerung des relativen Anteils des Autoverkehrs an den Wegen der Münchner (und insbesondere der Pendler) zu erwarten. Ob es damit trotz Homeoffice etc. auch zu absolut steigenden Zahlen des Autoverkehrs kommt, war der Vorlage leider nicht zu entnehmen.

Die konkret geplanten Maßnahmen der Verwaltung sind anschaulich in fünf Steckbriefen zusammengefasst. Hier zum Beispiel die Pläne für die Rosenheimerstraße zwischen Orleansplatz und Rosenheimerplatz:

In beiden Richtung wird der Straßenraum neu aufgeteilt und der Radverkehr erhält eine eigene Spur. Bislang gab es auf dieser Hauptverkehrsachse überhaupt keinen Radweg.

Die Diskussion der Vorlage im Stadtplanungsausschuss folgte den vorhersehbaren Frontlinien. Auf der einen Seite Grüne und SPD (die mit ihren neuen Stadträten seit der Wahl deutlich mehr an Schubkraft und Kompetenz im Bereich Verkehr gewonnen hat) und auf der anderen Seite CSU und FDP, die sich unterschiedslos gegen jede der vorgeschlagenen Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs ausgesprochen haben.

Zentrales Argument der CSU und der FDP ist die „fehlende Bürgerbeteiligung“, wenn diese Änderungen innerhalb weniger Wochen umgesetzt werden. Negative Folgen für Anwohner und Gewerbetreibende blieben dabei wie bereits beim Radweg in der Fraunhoferstraße unberücksichtigt.

So bürgernah das auch klingt, überzeugend finde ich es nicht. Zum einen hat der Oberbürgermeister in der Debatte zu Recht darauf hingewiesen, dass keine der fünf neuen Fahrradspuren zu einem Verlust an Parkplätzen führen wird und sich damit sowohl für die Anwohner als auch beim Lieferverkehr von Gewerbetreibenden – anders als in der Fraunhoferstraße – nichts Wesentliches ändern wird.

Zum anderen ist beispielsweise der oben gezeigte Radweg in der Rosenheimerstraße schon deutlich länger in der Diskussion. Von den Grünen wurde daher zutreffend daran erinnert, dass jedenfalls der zuständige Bezirksausschuss sich schon damit beschäftigt hat und einstimmig, d.h. sogar mit den Stimmen der CDU und der FDP, dem dargestellten Vorschlag für die Fahrradspur zugestimmt hat.

Das pauschale Argument der fehlenden Bürgerbeteiligung wirkt daher doch etwas vorgeschoben. Das Ziel ist wohl eher, den Ist-Zustand über Corona und den Sommer hinweg zu retten, in der Hoffnung dass der Druck durch die vielen Radler dann wieder abgenommen hat oder sich bis dahin irgendein neues Argument finden lässt, damit es alles so (autofreundlich) bleibt, wie es seit Jahrzehnten ist. Die neue Stadtratsmehrheit hat sich glücklicherweise davon nicht abhalten lassen und die Vorlage verabschiedet. Das lässt Hoffnung aufkommen, dass die Neuverteilung des Straßenraumes in München, für die die neue Rathauskoalition unter anderem gewählt worden ist, nunmehr mit Schwung in Angriff genommen wird.

Wohnungsbau in München – eine Momentaufnahme

Im heutigen Ausschuss für Stadtplanung und Bauordnung wurde der „Erfahrungsbericht Wohnen in München VI“ vorgestellt. Darin wird die Entwicklung des Wohnungsbaus in den letzten Jahren präsentiert. Grund genug sich ein paar Gedanken dazu zu machen.

Zunächst einmal die wichtigsten Zahlen, nämlich wieviele Wohnungen in den letzten Jahren in unserer Stadt neu gebaut worden sind:

Das sieht zunächst einmal beeindruckend aus. Zwischen 7000 und 8000 Wohnungen werden jedes Jahr neu gebaut. Wer allerdings meint, dass es deshalb mit der Wohnungsnot bald vorbei sein wird, sollte sich noch ein paar weitere Zahlen aus dem Bericht, aber auch zur demographischen Entwicklung in München anschauen.

Zunächst einmal gibt es auch im Wohnungsbau ein Brutto und Netto. So wurden in 2019 insgesamt 1.305 Wohnung abgebrochen, so dass bei 7.121 neu gebauten Wohnungen „nur“ ein Überschuss von fast 6000 Wohnungen verbleibt.

Noch beunruhigender für Mieter in München ist der Vergleich mit dem Bevölkerungswachstum in unserer Stadt. Dazu findet man im aktuellen Demografiebericht die Schätzung, dass die Einwohnerzahl um 0,75% pro Jahr zunimmt, also ca. 11.250 Personen. Berücksichtigt man die Kennzahl von 1,78 Personen pro Haushalt aus der aktuellen Prognose der Stadt zu den Privathaushalten, ergibt das rechnerisch einen Bedarf von ca. 6300 neuen Wohnungen pro Jahr. Und damit sieht man schon das Ergebnis: Selbst mit dem engagierten Wohnungsbauprogramm der letzten Jahre gelingt es allenfalls, eine weitere Verschärfung der Situation zu vermeiden.

Eine gute Nachricht gibt es aber doch. Der Wohnungsbau für einkommensschwache Münchner (mit verschiedenen Programmen) ist weiterhin auf einem hohen Niveau und in 2019 sogar noch angestiegen auf über 2000 Wohnungen pro Jahr. Das sieht man im folgenden Schaubild:

Damit hat die Stadt ihre eigenen Ziele von zuletzt 2ooo Wohnungen pro Jahr auf diesem Sektor sogar noch etwas übertroffen. Es bleibt zu hoffen, dass dies auch in den kommenden Jahren gelingt.

Corona und die Folgen (I)

Die medizinischen Folgen der Pandemie hat die Stadt München bislang gut im Griff. Schaut man auf die täglichen Zahlen, kann man sich am Rückgang der Belegung von Intensivbetten aber auch der geringeren Anzahlen an Neuinfizierten erfreuen. Manchmal sind das nur noch einstellige Werte pro Tag.

Ganz anders sieht es mit den wirtschaftlichen Folgen aus, wie in der heutigen Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Wirtschaft zu erfahren war. Die Hotellerie, der Einzelhandel, die Gastronomie und die Betreiber von Clubs o.ä. stehen vor riesigen Problemen. Vier Verbandsvertreter äußerten in der Sitzung zwar ihren Dank für die Hilfen von Bund und Land sowie die schnelle Bearbeitung der 70.000 Anträge durch die Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Aber dennoch sind die weiteren Aussichten katastrophal:

– Im Hotelgewerbe liegen die Buchungen für die Zeit nach der angekündigten Öffnung ab dem 30. Mai vielfach bei Null. Anders als auf dem Land, wo die Nachfrage inzwischen wieder angezogen hat, gibt es noch kein Erwachen des Städtetourismus in München. Da ist zum einen die Angst vor Ansteckung in einer dicht bevölkerten Großstadt und zum anderen ein Kulturleben, das nahezu vollständig am Boden liegt. Das motiviert niemanden, ein paar Tage in München zu verbringen.

– Die Restaurants der Stadt sind zwar wieder offen, aber die bestehenden Einschränkungen und die Zurückhaltung der Gäste erlaubt keinen kostendeckenden Betrieb. Erste Pleiten sind bereits zu vermelden, beispielsweise des Restaurants im Gasteig.

– Gleiches gilt für die Geschäfte des Einzelhandels. Selbst wenn die Fußgängerzone in den letzten Tagen wieder gut besucht erschien, trügt der Schein. Wenn nur ein Kunde pro 20 qm Verkaufsfläche erlaubt ist, sind im Innern der Läden kaum Menschen. Gewinnbringende Umsätze lassen sich damit nicht erzielen.

– Völlig hoffnungslos ist die Lage der Clubbetreiber. Hier fehlt es an jeglicher Perspektive. Der Vortrag des Verbandsvertreters erschöpfte sich notgedrungen in der Bitte, die Stadt möge die Pacht für die Räumlichkeiten der Clubs übernehmen und vielleicht den ein oder anderen Raum selbst für Sitzungen oder als Lagerhalle nutzen.

SPD und Grüne haben daher einen Dringlichkeitsantrag eingebracht unter dem Titel „Sommer in der Stadt plus“. Damit soll den vielen Münchnern, die dieses Jahr den Sommer in der Stadt verbringen, ein attraktives Kulturangebot gemacht werden und gleichzeitig der lokalen Wirtschaft Kunden zugeführt werden. Das Referat für Arbeit und Wirtschaft hat darauf mit einer umfangreichen Vorlage reagiert, die Pläne für das weitere Stadtmarketing aufzeigt. In insgesamt vier Phasen soll der Städtetourismus in München wieder angekurbelt werden, zunächst regional, dann im deutschsprachigen Raum und schließlich im übrigen Europa und weltweit.

Sowohl die Vorschläge aus dem Stadtrat als auch aus der Verwaltung erscheinen mir sinnvoll und richtig. Und dennoch wird sich ein Erfolg nur dann einstellen, wenn etwas ganz anderes dazukommt: Eine bessere Stimmung. Daran fehlt es leider und die Kommunikation der meisten Entscheidungsträger in Bund und Land sowie mancher Medien trägt tatkräftig dazu bei, dass sich daran bislang nichts ändert.

Wenn beispielsweise Markus Söder gestern unverändert vom „dünnen Eis“ spricht, auf dem wir uns bewegen und seit Wochen gebetsmühlenartig vor der „zweiten Welle“ warnt, kann keine Freude und schon gar keine Konsumstimmung aufkommen. Mit den epidemiologischen Fakten hat dieser Daueralarmismus allerdings nichts zu tun.

– Zum „dünnen Eis“ oder der „zerbrechlichen Situation“: Diese Formulierung stammt aus einer Pressekonferenz der Kanzlerin von Mitte April. Damals sah laut Robert-Koch-Institut (RKI) die Entwicklung der bundesweiten Infektionszahlen so aus:

Infektionszahlen am 15. April; Quelle: Robert-Koch-Institut

Die täglichen Neuinfektionen waren bereits seit dem 20. März rückläufig, lagen aber immer noch bei über 3000 Erkrankten pro Tag. Da war die Formulierung der Kanzlerin sicher richtig, denn wäre die Anzahl der Erkrankten pro Tag wieder gestiegen, wäre das Gesundheitssystem schnell überfordert gewesen. In der Tat, das Eis war dünn und die Lage zerbrechlich.

Und heute, sechs Wochen später ? Ein Blick in die gleiche Statistik des RKI zeigt Folgendes:

Infektionszahlen am 25. Mai; Quelle: Robert-Koch-Institut

Die Zahlen sind massiv gesunken auf ca. 500 Erkrankte pro Tag. Das Eis ist also inzwischen dicker geworden, so etwa um einen Faktor sechs (!). Die gleiche Wortwahl für den jetzigen Zustand wie Mitte April zu verwenden, kann nicht richtig sein. Anders ausgedrückt stellt sich die Frage, ab welcher Zahl Neuinfizierter denn das Eis dick genug sein soll, damit der offizielle Daueralarmismus ein Ende hat.

– Die berühmte zweite Welle. Ja, ich glaube auch, dass sie kommen kann. Man hat das bei anderen Pandemien gesehen. Wahrscheinlich tritt sie jedoch erst im Herbst oder Winter auf, wenn die niedrigen Temperaturen die Ausbreitung des Virus begünstigen. Im schlimmsten Fall ist dann sogar ein erneuter Lockdown für einige Wochen erforderlich. Auch das war bei anderen Pandemien so und wäre nicht das Ende der Welt. Deshalb jetzt die nächsten vier Monate dauerhaft zu verzweifeln anstatt den Sommer in München zu genießen, kann kein sinnvoller Ansatz sein. Es wird an der Frage, ob die zweite Welle im Herbst tatsächlich kommt, auch nichts ändern.

Hotels, Restaurants und dem Einzelhandel in München wäre viel geholfen, wenn das Narrativ aus der Landes- und Bundespolitik sich endlich einmal in eine positive Richtung verändern würde. Soweit erkennbar liegt das Schlimmste erst einmal hinter uns. Das wäre doch ein Grund zum Feiern – natürlich unter Beachtung aller Hygieneregeln.

Und auch bei den getroffenen Maßnahmen sind aus meiner Sicht einige Änderungen angebracht:

– Das Tragen einer Maske ist immer dort sinnvoll, wo der notwendige Abstand nicht eingehalten werden kann. Es lohnt sich dazu einmal den Blick über den Tellerand des Freistaats bis in die Schweiz zu richten. Dort gibt es keine Maskenpflicht, aber die klare Anweisung eine Maske zu benutzen, wenn beispielsweise in einem vollen Zug ein ausreichender Abstand nicht eingehalten werden kann. Aber eben auch nur dann.

So könnte man es auch hier handhaben, ohne dass die Fallzahlen explodieren. Denn die Schweiz hat – ohne eine Maskenpflicht – ihre anfangs sehr hohen Infektionszahlen trotz inzwischen wieder geöffneter Restaurants und Hotels dauerhaft erfolgreich gesenkt:

Entwicklung der Neuinfizierten in der Schweiz; Quelle: Johns Hopkins University

Natürlich ist das Ansteckungsrisiko geringer, wenn alle eine Maske tragen, am besten immer, jedenfalls sobald sie die eigenen vier Wände verlassen. Nur wird damit auch jeder Anschein von Normalität verhindert, sodass Hotels, Restaurants und Einzelhandel nicht auf die Füße kommen. Man geht nicht gerne reisen und shoppen, wenn man ständig durch vermummte Mitmenschen an die Pandemie erinnert wird.

– Auch die Begrenzung, dass nur ein Kunde pro 20 qm einen Laden betreten darf, ist aus meiner Sicht inzwischen zu streng. Geht man für jeden Kunden von einem Kreis mit einem Durchmesser von 4m aus, um hinreichend Abstand zu halten, wären auch 13 qm vollkommen ausreichend. Dann wären aber schon wieder 50% mehr Kunden in einem Laden möglich! Anders als bei der Hotellerie oder Restaurants wirken Einschränkungen, die den Einzelhandel behindern, nicht nur kurzfristig, sondern beschleunigen die Abwanderung der Kunden zu Amazon & Co ohne Aussicht auf Rückkehr. Die Folgen für das Aufkommen der Gewerbesteuer in München sind nachhaltig.

Abschließend noch Folgendes. In der heutigen Ausschusssitzung im Großen Saal des Rathauses wurden die Abstände zwischen den Stadträten im Allgemeinen eingehalten. Nur hatte während der Sitzung fast kein Stadtrat eine Maske auf und auch sicher keine 20 qm Grundfläche zur Verfügung. Und das war gut so.