Wunsch und Wirklichkeit

Nach fast zwei Monaten Funkstille melden sich diese Seiten zur Kommunalpolitik in München zurück. Zwei Monate, in denen sich vieles grundlegend verändert hat. Die erste Welle der Pandemie ist über München hinweggerollt mit bislang über 6000 Infizierten und mehr als 200 Toten. Inzwischen sind die Zahlen der Neuinfizierten glücklicherweise wieder rückläufig. Wer das Infektionsgeschehen in München nachverfolgen möchte, findet dazu tagesgenaue Informationen auf den Coronaseiten der Stadtverwaltung, die mit einer Vielzahl von Schaubildern detailliert über die aktuelle Lage berichten, einschließlich der Auslastung in den Intensivstationen der Krankenhäuser.

Gleichzeitig mit der allmählichen Verbesserung der Zahlen hat die Münchner Kommunalpolitik wieder Fahrt aufgenommen. Der neu gewählte Stadtrat hat sich unter der Leitung des wiedergewählten Oberbürgermeisters Dieter Reiter konstituiert und mit der gestrigen Vollversammlung seine Arbeit aufgenommen. Der Gegensatz zwischen Vor-Corona Zeiten und der gegenwärtigen Situation kommt exemplarisch durch den Vergleich von zwei aktuellen Dokumenten zum Ausdruck, die in diesem Beitrag kurz vorgestellt werden.

Da ist zum einen der Koalitionsvertrag zwischen den Grünen und der SPD. Auf 42 Seiten wird darin ein ambitioniertes Programm für die Gestaltung Münchens in den nächsten sechs Jahren beschrieben. Genauer betrachtet liest sich dieser Vertrag wie die Summe der Wahlprogramme der beiden Parteien. So trägt der gesamte Abschnitt II. zum Thema Stadtentwicklung, Wohnungsbau und Mieterschutz die Handschrift der SPD, während sich die Grünen in erster Linie im Abschnitt IV. zur Mobilität in München wiederfinden. Diese Themen werden die Kommunalpolitik in der Stadt München weiterhin intensiv beschäftigen.

Allerdings lässt bereits das Inhaltsverzeichnis erkennen, dass der Gestaltungsanspruch der neuen Rathauskoalition für die nächsten sechs Jahre über diese beiden Kernbereiche weit hinausgeht.

In fünfzehn weiteren Abschnitten findet sich ein umfangreicher Katalog von politischen Zielvorstellungen und Projekten, die in den nächsten sechs Jahren vorangebracht werden sollen und dafür erhebliche – zusätzliche – Finanzmittel aus dem städtischen Haushalt benötigen. Und genau dort trifft dieser Koalitionsvertrag auf die harte Realität in dem zweiten Dokument, das in diesem Beitrag vorgestellt werden soll. Genau genommen ist dies nur ein einziges Bild aus dem Vortrag des Kämmerers der Stadt in der gestrigen Vollversammlung:

Das mittlere Szeanrio der Auswirkung der Corona Krise auf die Finanzen der Stadt München: Blau die bisherige Planung und gelb eine Corona bedingte Prognose (Quelle: muenchen.de)

Danach führt die Corona Krise zu Ausfällen der Gewerbesteuer und der Einkommenssteuer von mehr als 1,15 Mrd. EUR und damit bereits für den Haushalt 2020 zu einem vorhergesagten Defizit von fast 900 Mio EUR. Zum Vergleich, der gesamte Haushalt der Stadt beträgt etwas mehr als 7 Mrd. EUR, von denen weit mehr als die Hälfte gesetzlich festgelegte Ausgaben (z.B. garantierte Sozialleistungen oder Gehälter) betreffen und damit kurzfristige Einsparungen in diesen Bereichen unmöglich machen. Nach einen weiteren Worst-Case Szenario des Kämmerers sind die zu erwartenden Ausfälle sogar noch höher und liegen bei mehr als 1,5 Mrd. EUR.

Damit wird erkennbar, worum es in den zwei kommenden Jahren wohl nicht gehen wird, nämlich um die Umsetzung der im Koalitionsvertrag formulierten zusätzlichen Initiativen und Projekte, jedenfalls dann, wenn sie Geld kosten. Im Gegenteil, selbst bei einer ganz unvermeidbaren Schuldenaufnahme der Stadt wird die Aufgabe der nächsten zwei Jahre lauten „Prioritäten setzen“. So klang es auch bereits in der Redebeiträgen der gestrigen Vollversammlung des Stadtrates an. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Grünen und die SPD sich hier auf eine gemeinsame Linie werden verständigen können. So betrachtet beginnen die eigentlichen Koalitionsverhandlungen erst jetzt. Was dabei herauskommt, finden Sie auch in Zukunft auf diesen Seiten.