Erhaltungssatzungen zum Mieterschutz – ein komplexes Thema

Der anhaltende Druck auf den Münchner Wohnungsmarkt ist ein Dauerproblem, das sich auch durch ständigen Wohnungsbau nicht lösen lässt. Die Anzahl der jährlich fertig gestellten neuen Bauobjekte kann bestenfalls den Zuzug nach München ausgleichen. Schon gar nicht können die wenigen Neubauprojekte in den inneren Stadtbezirken die enorme Nachfrage bedienen. Die Folge ist eine fortgesetzte Verdrängung von alteingesessenen Bewohnern – die bekannte Gentrifizierung. Durch Luxussanierungen oder die Umwandlung in Eigentumswohnungen werden Mieter aus ihrer vertrauten Nachbarschaft gedrängt und müssen günstigeren Wohnraum suchen. Inzwischen sind in München davon nicht nur einkommensschwache Bevölkerungsgruppen betroffen, sondern auch Haushalte mit durchschnittlichem Einkommen (ca. 4000 EUR / Monat).

Eine vorausschauende Stadtplanung kann dabei nicht tatenlos zusehen. Geht die „Münchner Mischung“, d.h. das Nebeneinander von verschiedenen Einkommensgruppen in einem Stadtteil verloren, drohen langfristig amerikanische Verhältnisse mit „Gated Communities“ auf der einen und sozialen Brennpunkten auf der anderen Seite. Die Stadt München hat daher bereits 1987 erste Erhaltungssatzungen erlassen, um den Verdrängungsprozess zu bremsen. In der Ausschusssitzung am vergangenen Mittwoch wurden zwei Erhaltungssatzungen behandelt, eine Verlängerung in Sendling und eine neues Gebiet in Schwabing. Grund genug einmal zu untersuchen, was dieses Werkzeug der Stadtplanung leisten kann und wie es in München zur Anwendung kommt. Wer sich einen vollständigen Überblick zu diesem Thema verschaffen möchte, findet hier eine gut lesbare Broschüre des Stadtplanungsreferats.

Grundsätzlich hat ein Vermieter beim Umgang mit seinem Eigentum freie Hand. So kann er beispielsweise Modernisierungen durchführen oder auch ein Mehrparteienhaus aufteilen, um Wohnungen einzeln zu verkaufen. Allerdings hat die SPD-geführte Bundesregierung bereits 1976 den Städten die Möglichkeit gegeben, steuernd einzugreifen. Im § 172 BauGB findet sich seitdem folgende Regelung:

„Die Gemeinde kann [… ] durch eine […] Satzung Gebiete bezeichnen, in denen […] zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung […] der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen der Genehmigung bedürfen.

Die Stadt kann damit typische Vorgänge, die mit einer Gentrifizierung verbunden sind, prüfen und untersagen. Allerdings enthält § 172 BauGB auch Ausnahmen, in denen eine Genehmigung erteilt werden muss. Die ist beispielsweise der Fall, wenn ein Vermieter einen „zeitgemäßen [keinen Luxus!] Ausstattungszustand einer durchschnittlichen Wohnung“ herstellen möchte, was natürlich zu höheren Mieten führt. Im Ergebnis kann eine Erhaltungssatzung die Aufwertung eines Gebietes nicht verhindern, sondern nur verlangsamen. Das erscheint mir auch richtig, weil bei einer Blockade jeglicher Entwicklungsmöglichkeiten viele Vermieter das wirtschaftliche Interesse an ihren Immobilien verlieren würden, die dann faktisch einem fortschreitenden Verfall preisgeben wären.

Wo liegen Gebiete mit Erhaltungssatzung in München? Ein Frage, die sicher viele Mieter und Vermieter interessiert. Die Stadtverwaltung bietet dazu eine interaktive Karte an (danke Digitalisierung!). Ein Klick auf das entsprechende Gebiet liefert zwei Links zu einer Detaildarstellung und zum Wortlaut der dort geltenden Satzung. Hier ein Beispiel:

Interaktive Karte zu Gebieten in München mit einer Erhaltungssatzung

Wie man sieht, liegen die meisten Gebiete etwas verstreut innerhalb des Mittleren Rings. Das wirft die Frage auf, nach welchen Kriterien Erhaltungssatzungen erlassen werden. Warum sind beispielsweise in Sendling manche Teile abgedeckt und andere nicht?

Ein Blick in eine der Vorlagen des Stadtplanungsschusses vom Mittwoch hilft da weiter. Seit 1987 hat die Stadtverwaltung einen umfangreichen Katalog von Indikatoren entwickelt, anhand dessen der Stadtrat über den Erlass einer Erhaltungssatzung entscheidet:

Indikatoren für den Erlass einer Erhaltungssatzung; Quelle: Vorlage zur Erhaltungssatzung Sendling-Westpark

Vereinfacht gesprochen zeigt das Aufwertungspotential das Alter der jeweiligen Bausubstanz und damit die Wahrscheinlichkeit, dass von Vermietern umfangreiche Modernisierungen vorgenommen werden. Die Gentrifizierungsdynamik drückt das Risiko aus, dass reine Marktkräfte im jeweiligen Gebiet die Mietpreise bestimmen, beispielsweise wenn demnächst viele Wohnungen aus einer Sozialbindung fallen, die bislang die Mieten gedeckelt hat. Die Verdrängungsgefahr wird durch die wirtschaftliche Situation der Bewohner bestimmt und gibt somit an, wie stark sie von Mietpreisanstiegen bedroht sind.

Für jeden Indikator wird ein Vergleich mit Durchschnittswerten für den gesamten Stadtbezirk, für das Gebiet innerhalb des Mittleren Rings und für München insgesamt vorgenommen. Das sieht in der aktuellen Vorlage für die Erhaltungssatzung Sendling-Westpark so aus:

Vergleich der Indikatoren mit Durchschnittswerten für den Stadtbezirk, das gesamte Gebiet innerhalb des mittleren Rings und München insgesamt; Quelle: Vorlage zur Erhaltungssatzung Sendling-Westpark (Hervorhebung hinzugefügt)

In Sendling-Westpark zeigen nur wenige Indikatoren deutliche Abweichungen von den Durchschnittswerten. Maßgebliche Überlegung für die vorgeschlagene Erhaltungssatzung ist wohl die hohe Verdrängungsgefahr aufgrund der niedrigen Kaufkraft und des großen Anteils an Haushalten mit sehr geringen Nettoeinkommen (Indikatoren VG07 und VG08).

So präzise die Erfassung der einzelnen Indikatoren ist, so unscharf erscheint mir jedoch die Bewertung der Ergebnisse. Eine klare Regel, wie viele Indikatoren sich von Durchschnittswerten unterscheiden müssen, um den Erlass einer Erhaltungssatzung zu rechtfertigen, lässt sich nicht erkennen. Noch deutlicher wurde das bei der zweiten Vorlage zu einer weiteren Erhaltungssatzung in Schwabing, die hier nicht im einzelnen diskutiert werden soll. Im Ergebnis werden die Indikatoren nicht gegeneinander abgewogen oder aufaddiert, sondern dienen als ein Reservoir möglicher Begründungen für eine letztlich politisch zu treffende Entscheidung.

Die Diskussion der beiden Vorlagen im Stadtplanungsausschuss verlief entlang vorhersehbarer Fronten. Die FDP war strikt dagegen, mit dem Argument, dass mit den Erhaltungssatzungen Renditemöglichkeiten von privaten Eigentümern eingeschränkt würden, die eine oder mehrere Wohnungen zur privaten Altersvorsorge erworben hätten. Die SPD hat als Wortführer der Rathauskoalition bei diesem Thema die Vorlage vehement verteidigt, unterstützt von den Grünen, die inzwischen auch ihre eigene bürgerliche Wählerklientel von den rasant ansteigenden Mieten bedroht sehen. Auch die CSU hat zugestimmt. Die Notwendigkeit, steuernd in den überhitzten Münchner Mietmarkt einzugreifen, wird damit von einer großen Mehrheit des Stadtrates anerkannt. Das erscheint auch mir die richtige Entscheidung zu sein.

Ob die beiden Erhaltungssatzungen aber wirklich Bestand haben, wird sich möglicherweise erst vor den Gerichten herausstellen. Um dafür gut gerüstet zu sein, wird das Stadtplanungsreferat ein umfassendes Rechtsgutachten in Auftrag geben. Das wird hoffentlich klären, ob die erläuterte Vorgehensweise zum Erlass von Erhaltungssatzungen in München so auch in Zukunft Bestand haben kann oder ob das Verfahren verändert werden muss.