Corona reloaded

Das Thema Corona ist zurück und zwar mit Macht. Jeden Tag gibt es neue Inzidenzrekorde und die Belastung der Krankenhäuser nimmt ständig zu. Die zweistündige Diskussion am Donnerstag im Gesundheitsausschuss des Münchner Stadtrats bot Gelegenheit, sich aus erster Hand über die Situation in München zu informieren. Es zeigt sich, dass das Gesundheitsreferat inzwischen den Ernst der Lage erkannt hat. Was jetzt in die Wege geleitet worden ist, geht in die richtige Richtung. Es kommt nur Monate zu spät und manches fehlt noch immer.

Im Folgenden wird die aktuelle Lage in München dargestellt, bevor die neuen Maßnahmen der Verwaltung erläutert und kommentiert werden.

Ein paar ordnende Überlegungen vorneweg:

Auf der ersten Blick sieht es so aus, als ob sich der letzte Pandemiewinter einfach wiederholt. Objektiv betrachtet liegen die Dinge jedoch ganz anders. Wer jüngeren oder mittleren Alters ist und zwei Impfungen erhalten hat, braucht sich vor dem Virus nicht mehr zu fürchten. Gleiches gilt für gesunde Ältere, die eine dritte Booster-Impfung bekommen haben. Selbst im Fall einer mit dem dramatischen Wort „Durchbruchinfektion“ bezeichneten Erkrankung droht keine substantielle Gefahr. Im Gegenteil, der Verlauf ist in aller Regel nur eine milde Erkältung. Dadurch wird langfristig der Immunschutz sogar gestärkt (vgl. dazu beispielsweise dieses Skript zum Drosten Podcast, S. 16).

Auf der anderen Seite wird die Belastung des Gesundheitssystems noch größer als im letzten Winter, jedenfalls in Bayern. Das liegt an zwei Gründen:

  • Zum einen ist die Impfquote viel zu gering, insbesondere bei der älteren Bevölkerung. In München gibt es etwa 350.000 Personen, die 60 Jahre und älter sind. Wenn davon wie in ganz Bayern 15% nicht geimpft sind (altersabhängige Impfquoten speziell für München gibt es leider nicht), wären das etwa 50.000 Personen. Diese Münchnerinnen und Münchner sind jetzt, wo der Virus überall umläuft, hochgefährdet. Laut Robert-Koch-Institut müssen etwa 10% der ungeimpften Erkrankten im Krankenhaus behandelt werden.
  • Zum anderen lässt die Impfwirkung bei älteren Personen nach. Das liegt am schwächeren Immunsystem und an der Tatsache, dass sie in aller Regel bereits am Anfang des Jahres ihre Impfung erhalten haben. Ohne eine Booster-Impfung drohen wieder schwere Verläufe. Das gilt insbesondere für hochbetagte Heimbewohner, von denen es in München etwa 8000 gibt.

Wie hoch die aktuelle Inzidenz in München ist, und damit die Gefährdung der beiden Personengruppen, ist gegenwärtig unbekannt. In der Sitzung des Gesundheitsausschusses hat die Referentin bestätigt, was schon seit einigen Tagen in der Presse berichtet wird: Das Gesundheitsamt kommt mit der Erfassung der Infektionsmeldungen nicht mehr nach und meldet seit Tagen unvollständige Zahlen. Die auf „muenchen.de“ abrufbaren offiziellen Inzidenzen sind viel zu niedrig. Tatsächlich liegt die aktuelle Inzidenz grob geschätzt bei etwa 300. Durch Personalverstärkungen soll dieser unhaltbare Zustand in den nächsten Tagen beseitigt werden.

Auch zur Lage in den Münchnern Krankenhäusern wird mit den offiziellen Angaben ein falscher Eindruck erweckt. Hier stimmen zwar die Zahlen.

Bettenbelegung mit Corona-Patienten in Münchner Krankenhäusern
(Quelle: muenchen.de)

Allerdings ist die Situation viel schwieriger als in vorhergehenden Wellen, auch wenn die Belegungszahlen noch niedriger sind. Das liegt an den ungünstigen Begleitumständen:

  • Laut dem Geschäftsführer der städtischen MünchenKlink, Dr. Axel Fischer, hat das Pflegepersonal so stark abgenommen, dass die Kapazität im Intensivbereich um etwa 30% niedriger liegt. Schon jetzt verschiebt die MünchenKlinik 50% der Operationen, die nicht unbedingt erforderlich sind, um Betten für Corona-Patienten freizubekommen. In Kürze werden es 100% sein. Allerdings sieht Dr. Fischer eine gewisse Entlastung, wenn mit der Ausrufung des Katastrophenfalls in Bayern auch wieder andere Kliniken in München verpflichtet werden können, Corona-Patienten aufzunehmen.
  • Anders als im letzten Jahr und im Frühjahr läuft die vierte Corona-Welle parallel zu einer jahreszeitlich typischen Erkältungswelle. Das Robert-Koch-Institut nennt dazu in seinem wöchentlichen Bericht eindrucksvolle Zahlen:

Mit anderen Worten liegt die „Inzidenz“ von allen Atemwegsinfektionen (einschließlich Corona) bei 5500! Auch die anderen Nicht-Corona-Infektionen führen zu Krankenhausaufenthalten und Einweisungen auf die Intensivstationen. Mehr als ein Drittel der Intensivpatienten mit Atemwegsproblemen gehen gegenwärtig darauf zurück. Wegen der Kontaktbeschränkungen waren auch diese Infektionen im letzten Winter unterdrückt.

Im Ergebnis ist die Situation in den Kliniken Münchens wirklich schlimm. Überraschend ist sie allerdings nicht, denn alle der oben genannten Umstände sind seit Monaten bekannt, bzw. waren vorhersehbar.

Die gute Nachricht im Gesundheitsausschuss war, dass es in den Münchner Heimen in diesem Herbst bislang noch kaum zu Ausbrüchen mit schweren Erkrankungen der Heimbewohner gekommen ist. Ob bereits alle Heimbewohner eine dritte Impfung bekommen haben, war in der Ausschusssitzung nicht zu erfahren. Die Zahlen an Drittimpfungen, die bisher in München verabreicht worden sind, sieht man hier:

Kumulative Anzahl der verabreichten Booster-Impfungen in München
(Quelle: muenchen.de)

Fast 50.000 Münchnerinnen und Münchner haben inzwischen ihre dritte Impfung erhalten. Die Impfrate beträgt in den letzten Tagen etwa 5000 Personen pro Tag. Das klingt gut, aber es reicht nicht. Denn in München gibt es etwas über 200.000 Personen, die über 70 Jahre alt sind und gemäß STIKO-Empfehlung eine Booster-Impfung brauchen. Zieht man davon die oben genannten 50.000 ab, verbleiben aktuell etwa 150.000 Personen. Somit wird es noch etwa 30 Tage dauern, bis alle über 70 ihren Booster erhalten haben.

In dieser Zeit droht Gefahr. Das folgende Schaubild zeigt den bundesweiten Trend für die Altersverteilung in den Krankenhäusern, der aller Wahrscheinlichkeit nach auch für München zutrifft (lokale Zahlen dazu gibt es nicht):

Zeitlicher Verlauf [in Kalenderwochen] der Krankenhauseinweisungen von Corona-Erkrankten (Quelle: Wochenbericht des RKI vom 11.1.2021)

Der massive Anstieg der Krankenhauseinweisungen in den Altersgruppen 60 – 79 und 80+ innerhalb der letzten vier Wochen ist unverkennbar und übersteigt inzwischen deutlich die Einweisungen der (ungeimpften) Jüngeren der Altersgruppe 35 – 59. Der Rückgang der Kurven am rechten Rand liegt laut RKI an den noch nicht vollständig gemeldeten Fällen der letzten Tage.

Wie reagiert nun die Stadtverwaltung auf diese Lage? Im Gesundheitsausschuss wurde ein umfangreiches Maßnahmenpaket vorgestellt, das sich in fünf Punkten zusammenfassen lässt:

  • Beschleunigung der Boosterimpfungen. Mit einem Anschreiben werden alle Seniorinnen und Senioren Münchens auf die Notwendigkeit einer dritten Impfung hingewiesen. Darin wird erklärt, wo man (neben den Hausärzten) diese Impfung bekommt. Die Impfkapazität des Impfzentrums wird ebenso wieder ausgebaut wie die Anzahl der mobilen Teams, die Impfungen vor Ort vornehmen können. Schaut man auf den Höhepunkt der Impfungen im Frühjahr, scheint eine Verdopplung der aktuellen Impfrate durchaus möglich.
  • Start einer lokalen Werbekampagne für das Impfen. In den klassischen und sozialen Medien soll ebenso dafür geworben werden, wie auf Anzeigesystemen der Münchner Verkehrsbetriebe.
  • Verstärkter Schutz der Heime: Pflegepersonal muss sich ab sofort häufiger testen lassen, Geimpfte dreimal pro Woche, ohne Impfnachweis jeden Tag.
  • Ausbau des Personals für die Nachverfolgung von Kontaktpersonen. Unter anderem mit Hilfe der Bundeswehr sollen die Kapazitäten wieder stark ausgeweitet werden.
  • Im Dezember wird das Referat Pläne für eine bessere Bezahlung des Pflegepersonals vorlegen.

So sehr diese Maßnahmen zu begrüßen sind, so fragt man sich doch, warum sie erst jetzt kommen. Spätestens als die Impfungen in München am Ende des Sommers bei einer Impfquote von gerade mal 66% faktisch zum Stillstand gekommen sind, hätten alle Alarmglocken im Gesundheitsreferat läuten müssen. Auch der Rückgang beim Pflegepersonal hat sich schon lange abgezeichnet. Es ist nicht nachzuvollziehen, warum es solange dauert, bis mit attraktiven Gehaltszuschlägen wirksam gegengesteuert wird. Das dafür investierte Geld ist geradezu vernachlässigbar im Vergleich mit den Problemen, die das fehlende Personal jetzt verursacht.

Andere Städte waren besser. Auf Bremen wurde auf diesen Seiten bereits im September verwiesen. Dort liegt die allgemeine Impfquote bei 79% und in der Bevölkerungsgruppe 60+ bei über 93%. Auch wenn das nur wenig mehr erscheint als die oben erwähnten 85% für Bayern, ist der Unterschied im Ergebnis enorm. Denn die Anzahl der verbleibenden ungeimpften Personen ist damit nur noch etwa halb so groß. Hätten wir eine Impfquote wie in Bremen, wäre die Belastung der Intensivstationen halbiert!

Das Münchner Gesundheitsreferat befindet sich dabei in schlechter Gesellschaft. Sowohl der Freistaat als auch das Bundesministerium für Gesundheit haben im Laufe des Sommers total verkannt, welch katastrophale Folgen die niedrige Impfquote hat. Nachdem genügend Impfstoff verfügbar war, hat man sich im Wesentlichen zur Ruhe gesetzt. Eine bundes- oder zumindest bayernweite Impfkampagne für die Generation 60+ mit regelmäßigen Radio- und Fernsehspots ist ebenso unterblieben wie die gezielte Ansprache von schlecht erreichbaren Bevölkerungskreisen. Selbst kleine Parteien haben im Wahlkampf mehr Werbung gemacht als der Freistaat für die Impfung. Wenn dann noch ein Minister der Freien Wähler monatelang mit dem eigenen Beispiel die Notwendigkeit einer Impfung in Zweifel zieht, muss sich niemand mehr über das Ergebnis wundern.

Wie geht es jetzt weiter ? Ich weiß es nicht. Der Ernst der Lage in den Krankenhäusern ist inzwischen sicher allen bewusst. Ob 2G oder 3G Regeln das Infektionsgeschehen ausreichend bremsen werden, erscheint mir mehr als zweifelhaft. Denn auch Geimpfte tragen, selbst wenn sie nicht schwer erkranken, zur weiteren Verbreitung des Virus bei, der damit immer wieder viele Ungeimpfte erreicht.

Im Idealfall wird es gelingen, in wenigen Wochen die Boosterimpfungen nachzuholen. Gleichzeitig werden die Bilder aus den Krankenhäusern und die Beschränkungen vielleicht doch noch einen Teil der Impfunwilligen mit einer Mischung aus Angst und Druck zu einer Impfung bewegen.

Ansonsten drohen Lockdown und Schulschließungen.

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