Die Sitzung des Bauausschusses am vergangenen Dienstag hat beispielhaft gezeigt, wie die Münchner Stadtpolitik im Wechselspiel zwischen den Stadträtinnen und Stadträten und der Verwaltung entsteht. Zu zwei wichtigen Projekten, der Verbesserung des Lärmschutzes an der Landshuter Allee und einer Fahrradbrücke in Giesing, hat das Baureferat Vorlagen präsentiert. Nach längerer Diskussion hat der Ausschuss für beide Vorhaben den Ball an die Verwaltung zurückgespielt. Warum das sinnvoll ist, wird im Folgenden erläutert.
Die Landshuter Allee ist eine der am meisten befahrenen Straßen Münchens. Mehr als 120.000 Kfz nutzen jeden Tag diesen westlichen Teil des Mittleren Rings zwischen Donnersberger Brücke und Olympiapark:
Mit dem Koalitionsvertrag der Rathauskoalition aus Grünen und SPD wurden alle Tunnelplanungen beendet. Ausschlaggebend waren die hohen Kosten und die gemischten Erfahrungen mit den bisherigen drei Tunneln am Mittleren Ring. Allerdings sollen „effektive Maßnahmen zum Schutz [….] vor Lärm und NO2-Emissionen […] umgesetzt werden.“ Die SPD/Volt-Fraktion hat daher Mitte 2020 beantragt:
„als Alternative zur Tunnelplanung für die Landshuter Allee ein Gesamtkonzept für mehr Lärmschutz, Luftreinhaltung, Klimaschutz und Aufenthaltsqualität zu entwickeln und kurzfristig umzusetzen.“
In einer Vorlage hat die Verwaltung dazu am Mittwoch verschiedene Maßnahmen präsentiert:
- Besonders hoch ist die Lärmbelastung für die Bewohner der Alten Borstei. Dieses große Wohnquartier aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts grenzt unmittelbar an die Landshuter Allee an, die hier fast den Charakter einer Autobahn hat:
Die Errichtung einer Lärmschutzwand ist laut der Vorlage möglich und kann bis 2024/25 umgesetzt werden. Allerdings geht das auf Kosten des vorhandenen Baumbestands (siehe Bild oben). 20 – 50 Bäume müssten laut Baureferat gefällt werden. Diese Maßnahme wurde von der Rathausmehrheit in der Sitzung beschlossen, allerdings mit der Maßgabe, die Baumfällungen zu minimieren und die Integration einer Solaranlage in die Lärmschutzwand zu prüfen.
- Deutlich schwieriger ist eine Lösung für den mittleren Bereich der Landshuter Allee. Das folgende Bild zeigt den Istzustand:
Hierzu hat das Baureferat eine Schemazeichnung für eine oberirdische Einhausung vorgelegt:
Die Einhausung wäre über 700 Meter lang. Das etwa 7m hohe Gebäude hätte auf beiden Seiten einen Abstand von 10 bis 15 Metern zur Wohnbebauung. Die beiden äußeren Reihen der Alleebäume könnten erhalten bleiben. Wie in der Zeichnung angedeutet, könnten sowohl die Seitenflächen als auch das Dach der Einhausung begrünt werden.
Ist so ein „oberirdischer Tunnel“ völlig absurd, wie die Stadträte der CSU und der FDP-meinen? Jedenfalls die Betriebskosten seien bei solch einem Bauwerk genauso hoch wie bei einem richtigen Tunnel, die Anbindung an die einmündenden Seitenstraßen völlig ungeklärt und schließlich ginge das Ganze wahrscheinlich auf Kosten der Parkplätze entlang der Landshuter Allee und sei damit gegen die Interessen der Anwohner. Nur ein richtiger Tunnel würde das Lärmproblem lösen.
Stimmt das? Ich denke, man muss die einzelnen Punkte genauer anschauen:
Die Baukosten für einen richtigen Tunnel liegen im mittleren dreistelligen Millionenbereich. So hat das letzte Tunnelprojekt Mittlerer Ring Südwest mit allen An und Zufahrten laut Wikipedia knapp 400 Mio Euro gekostet. Es erscheint mir zweifelhaft, ob ein oberirdisches Bauwerk, das beispielsweise keine Grundwasserproblematik mit sich bringt, Baukosten in gleicher Höhe verursacht. Im Netz findet man Kosten für eine Autobahneinhausung in Frankfurt, die voraussichtlich bei 150 Mio EUR für eine 1 km lange Strecke liegen. Meine Vermutung ist daher, dass der Bau der oben skizzierten Einhausung weniger als die Hälfte eines richtigen Tunnels kosten würde.
Die Kosten für die fortlaufende Überwachung des Verkehrs und den Brandschutz sind voraussichtlich genauso hoch wie bei einem richtigen Tunnel. Allerdings wird der Aufwand für die Belüftung und den Wasserablauf wohl geringer ausfallen. Den Betrieb eines eigenen Pumpwerks wie beim Tunnel „Mittlerer Ring Südwest“ braucht es beispielsweise nicht.
Die Anbindung an die Seitenstraßen wäre voraussichtlich leichter als bei einem richtigen Tunnel, da keine Rampen erforderlich sind. Auch dieses Argument von CSU und FDP überzeugt mich daher nicht. Gleiches gilt für die Parkplätze. Schaut man in die obige Schnittzeichnung, findet man auf beiden Seiten der Einhausung Parkbuchten („Pb“ ).
Es verbleibt die eigentliche Frage, ob die Anwohner mit so einem Bauwerk nicht die Lärmbelastung gegen eine Art „Berliner Mauer“ tauschen, die sich über 700 Meter durch ihren Stadtteil erstreckt. Denn selbst mit umfangreicher Begrünung ist die Einhausung ein großes optisches und tatsächliches Hindernis im öffentlichen Raum.
Gäbe es nicht andere, einfachere Lösungen? Mir ist dazu eine Konstruktion an der ebenfalls sechsspurigen Effnerstraße auf der Ostseite des Mittleren Rings eingefallen. Damit kann vielleicht nicht das gleiche Maß an Lärmschutz erreicht werden. Der Eingriff in das Stadtbild ist aber wesentlich geringer:
Vielleicht ist ja möglich, solch eine elegante Konstruktion zwischen den Alleebäumen der Landshuter Allee zu errichten. Die Planungs- und Bauzeit dafür wäre deutlich kürzer als für eine Einhausung oder einen richtigen Tunnel. Für letzteren kann man nach den Erfahrungen mit den anderen Tunneln am Mittleren Ring mindestens zehn Jahre veranschlagen.
Die Mehrheit im Ausschuss hat auf der Grundlage der Vorlage des Baureferats keine Entscheidung treffen wollen. Stattdessen ist ein umfangreicher Prüfauftrag an das Baureferat und das Mobilitätsreferat ergangen, wie eine Einhausung im Detail gestaltet und in den Stadtteil integriert werden könnte. Andere Lärmschutzelemente sollen ebenfalls untersucht werden. Sobald dazu eine neue Vorlage im Ausschuss diskutiert wird, werde ich darüber berichten.
Auch zu einer weiteren Vorlage ist in der Sitzung am Dienstag keine abschließende Entscheidung gefallen. Dabei geht es um einen der schönsten Radwege Münchens.
Der Weg beginnt südlich der Großhesseloher Brücke beim Bavaria Filmgelände. Von dort radelt man autofrei an der Hangkante des Isarhochufers entlang westlich von Harlaching fast bis ins Zentrum von Giesing. Leider ist hinter dem Giesinger Bräu Schluss, denn Treppen und die vierspurige Autostraße des Giesinger Bergs bilden ein unüberwindliches Hindernis:
Vor vier Jahren hatte der Stadtrat eine Machbarkeitsstudie beim Baureferat beauftragt. Geprüft werden sollte, ob sich eine Brücke zur Kirche bauen lässt, wodurch eine Verbindung Richtung Gasteig oder zum neuen Werksviertel am Ostbahnhof geschaffen würde (vgl. die gestrichelten Linien im Plan oben). Die Ergebnisse liegen jetzt vor.
Ausgangspunkt dafür war ein Vorschlag des Münchner Architekturbüros karlundp Architekten:
Ich finde das durchaus gelungen. Die filigrane Stahlkonstruktion überspannt elegant die vier Fahrspuren des Giesinger Bergs und passt in gewisser Weise zu den feinen Strukturen der neugotischen Heilig-Kreuz-Kirche. Die Denkmalschutzbehörde sieht das jedoch ganz anders:
„Die katholische Pfarrkirche Heilig Kreuz Giesing, die letzte noch weitgehend vollständig erhaltene neugotische Kirche Münchens, steht in stadtbildprägender Situation am Isarhochufer und ist ein wichtiger Bestandteil des Ausblickes aus der Stadtmitte in Richtung der Alpen. Die Böschungskante wird durch einen gestalteten Steinsockel gefasst, dessen materielle und künstlerische Ausführung von besonderer denkmalpflegerischer Bedeutung ist. Die Terrassenstützmauer der Hl.-Kreuz-Kirche mit ihren zwei Freitreppen und der barockisierenden Brunnengrotte als Quadermauerwerk mit Eckrustizierung, 1892/93, sowie Gedenktafel für die Straßenkorrektur um 1900 und dem Nischenbrunnen von Richard Knecht, 1936, sind deshalb unbedingt von baulichen Eingriffen auszuschließen.“
Damit ist der Entwurf nicht genehmigungsfähig. Das Baureferat hat daher eine Alternativplanung entworfen:
Der Anschluss an die Terrasse vor der Kirche erfolgt hier weiter nördlich. Allerdings würde diese Variante deutlich teuer (ca. 10 – 15 Mio EUR statt 7 – 10 Mio EUR) und ihr würden mehr als doppelt so viele Bäume zum Opfer fallen:
Je nach Variante würde der Brückenbau 22 bzw. 47 Bäume kosten, von denen manche „artenschutzbedeutsame potentielle Lebensräume“ bieten und auf deren Fällung daher laut Naturschutzbehörde unbedingt verzichtet werden sollte.
Was nun ? Gewinnt der Baumschutz oder der Denkmalschutz ? Kann die Brücke gar nicht gebaut werden? Antworten darauf gibt es noch keine. Denn die Vorlage des Baureferats schlägt vor, das Projekt im Stadtrat jetzt nicht zu entscheiden, sondern zunächst in der Verwaltung weiter zu verfolgen. Dazu sollen fünf Planungsteams (darunter auch kundp) weitere Alternativen erarbeiten und damit um die Vergabe eines zukünftigen Bauauftrags konkurrieren. Der Ausschuss hat sich diesem Vorschlag einstimmig angeschlossen, allerdings festgelegt, dass der Baumschutz bei der finalen Auswahl „hohe Priorität“ haben soll.
Bleibt nur zu hoffen, dass es bis zur abschließenden Entscheidung über die Fahrradbrücke nicht noch einmal vier Jahre dauert. Wie bei den umstrittenen Lärmschutzmaßnahmen in der Landshuter Allee ist auch hier der Nachteil einer Zurückverweisung an die Verwaltung, dass weitere Monate oder sogar Jahre ins Land gehen, bis dringende Projekte vom Stadtrat abschließend entschieden werden.