Trübe Aussichten für die Innenstadt

Der gerade veröffentlichte Münchner Wirtschaftsbericht für das Jahr 2020 zeigt deutlich: Die Perspektiven für den Einzelhandel sind schlecht. Zwar gibt es keine Umsatzzahlen aus München, aber die Daten für ganz Bayern gelten im Wesentlichen auch hier. Die Umsätze sind in vielen Sparten (Bekleidung, Schuhe, Unterhaltungselektronik, etc.) um bis zu 10% gesunken, während das Onlinegeschäft boomt, mit Zuwächsen von fast 24%. Diese Entwicklung hat schon weit vor Corona begonnen. Monatelange Ladenschließungen haben jedoch viele Kunden zusätzlich ins Internet getrieben. Und wer erst einmal die Hürde zum Online-Shopping genommen hat, kommt häufig nicht mehr zurück. Das führt selbst im erfolgsverwöhnten Münchner Einzelhandel zu Leerständen und über 1000 verlorenen Arbeitsplätzen – nahezu ausschließlich von Frauen.

In der Ausschusssitzung am vergangenen Dienstag hat das Referat für Arbeit und Wirtschaft mit einer Vorlage über seine Anstrengungen berichtet, den Einzelhandel in der Münchner Innenstadt zu unterstützen. Allerdings erscheinen mir sowohl die darin erläuterten Maßnahmen als auch die Diskussion im Ausschuss etwas hilflos. Man beschwört traditionelle Stärken der Münchner Innenstadt, aber Ansätze, um der wachsenden Bedrohung durch Amazon & Co zu begegnen, sind kaum zu erkennen.

Ausgangspunkt der Vorlage des Referats waren Gesprächsrunden mit den Verbänden des Einzelhandels und der Gastronomie. Von dort kommen klare Forderungen:

Leerstände müssen unbedingt vermieden werden. Die Stadt soll versuchen, kurzfristig Zwischennutzungen zu vermitteln. In der Tat wirkt nichts abschreckender als tote Läden, die mit großen, leeren Schaufenstern alle Kunden auf die Misere des Einzelhandels hinweisen.

Veranstaltungen und Aktionen wie der „Sommer in der Stadt“ oder die „WirtshausWiesn“ sollen die Attraktivität der Innenstadt erhöhen. Die Verwaltung hat Teile davon bereits umgesetzt, vgl. das aktuelle Sommerprogramm für 2021. Ich frage mich allerdings, ob der schöne Erfolg von 2020 wiederholbar ist. Ein großer Teil der Münchnerinnen und Münchner wird nicht noch einen zweiten Sommer zu Hause verbringen, sondern wieder verreisen. Deren “Sommer-Kaufkraft” fehlt dann. Und eine Neuauflage der WirthausWiesn im Herbst könnte nur ein Erfolg werden, wenn Medien und Politik sich mit der Wissenschaft einig werden, dass es für vollständig Geimpfte auch bei steigenden Inzidenzzahlen nur noch ein sehr geringes Restrisiko gibt. Davon sind wir aber weit entfernt.

Die Erreichbarkeit der Innenstadt mit dem ÖPNV wird von mehreren Verbänden als problematisch angesehen. Hier gibt es immer noch große Vorbehalte aufgrund von vermuteten Infektionsrisiken. Auch diesen Aspekt kann die Stadt kaum beeinflussen.

Die Diskussion der Vorlage im Ausschuss verlief entlang vorhersehbarer Linien. Einig war man sich in der Bedeutung des Themas und dem Bekenntnis, alles unternehmen zu wollen, was dem Einzelhandel und der Gastronomie in der Innenstadt nützt. Trotz der angespannten Haushaltslage wird die Stelle eines „Citymanagers“ geschaffen. Damit bekommen Unternehmen der Innenstadt eine zentrale Anlaufstelle für ihre Anfragen und Probleme.

Streitig war – wie immer – die Erreichbarkeit der Innenstadt mit dem eigenen Auto. Während die Grünen unter dem Schlagwort der „hohen Aufenthaltsqualität“ eine teilweise autofreie oder autoarme Innenstadt anstreben, hält die CSU-Fraktion es für unverzichtbar, dass auch in Zukunft Geschäfte mit dem Auto angefahren werden können.

Aus meiner Sicht geht diese Diskussion am Kern des Problems vorbei. Denn wer online bei Amazon einkauft, kommt überhaupt nicht mehr in die Innenstadt, weder mit dem Auto noch mit dem Rad oder dem ÖPNV. Und damit bricht das Geschäftsmodell des Einzelhandels in der Innenstadt zusammen. Das passiert zwar nicht sofort, aber wie die obigen Zahlen zeigen, mit zunehmender Geschwindigkeit.

Was aber könnte man tun? In der Vorlage fand sich am Rande ein interessanter Hinweis, der in der Sitzung kurz von der SPD-Fraktion angesprochen wurde. Münchner Geschäfte, egal ob groß oder klein, werden nur dann eine Zukunft haben, wenn sie parallel zum „analogen“ Verkauf ihr Angebot auch digital anbieten. Das fällt kleineren Geschäften schwerer als großen Sporthäusern oder Elektronikmärkten, die diesen Schritt bereits vollzogen haben.

Dazu folgendes Gedankenexperiment: Wie wäre es, wenn man das gesamte Angebot des Münchner Einzelhandels auf einem digitalen Marktplatz finden könnte? Wäre das nicht eine höchst attraktive Alternative zu Amazon & Co? Kein Lieferservice ist so schnell wie der kurze Weg in die Innenstadt, um ein online reserviertes Produkt sofort in der Hand halten zu können. Und dann kauft der Kunde vor Ort vielleicht zusätzlich andere Waren oder gönnt sich ein Eis oder einen Kaffee. Alternativ wäre eine Auslieferung der lokal bestellten Ware noch am selben Tag.

Wie so etwas im Grundsatz geht, zeigt die Stadt Bochum:

Schaut man genauer hin, erkennt man aber auch die großen Herausforderungen für solch einen Markplatz. Denn während eine Suche nach „Kochtopf“ noch halbwegs sinnvolle Angebote aus Bochum liefert,

Ergebnisse der Suche nach einem Kochtopf in Bochum

sind die Ergebnisse für die Suche nach einem „Fahrradreifen“ in Bochum ernüchternd:

Ergebnisse der Suche nach „Fahrradreifen“. Es erscheint kaum glaubhaft, dass es in ganz Bochum keinen Fahrradladen gibt, der Fahrradreifen verkauft.

Da ist der Kunde dann doch wieder ganz schnell bei Amazon, wo Fahrradreifen jeglicher Art und Größe mit wenigen Clicks zu bestellen sind.

Beim Aufbau eines digitalen Markplatzes für München könnte der Stadt eine wesentliche Rolle zukommen. Zum einen müssen auch kleine Geschäfte ihr gesamtes Sortiment digital erfassen. Dafür braucht es Hilfestellungen. Über erste Anläufe wird in der Vorlage berichtet, allerdings nur als Notlösung für die Zeiten der Corona-Ladenschließungen. Zum anderen müsste das digitale Angebot sämtlicher Läden der Innenstadt, groß wie klein, zusammengeführt und über eine zentrale Münchner Plattform zugänglich gemacht werden – mit einer leistungsfähigen Suchmaschine, die mehr als nur Kochtöpfe findet.

Natürlich kann das Referat für Arbeit und Wirtschaft nicht selbst ins Online-Geschäft einsteigen. Aber vielleicht gelingt es, die Einzelhandelsunternehmen der Innenstadt zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung für den Aufbau eines echten digitalen Markplatzes zusammenzubringen. Denn die Alternative ist – jedenfalls langfristig- der Gleitflug ins Aus.

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