Manches geht schneller als man denkt. Die Stadtwerke München haben bei der Stromerzeugung bereits 2008 die Energiewende eingeläutet und eine „Ausbauoffensive Erneuerbare Energien“ begonnen. Durch erhebliche Investitionen an vielen Standorten in Europa ist es gelungen, etwa 6,0 TWh/ Jahr regenerativen Strom zu erzeugen. Das sind ungefähr 80% des gesamten Stromverbrauchs Münchens von gegenwärtig etwa 7,2 TWh/ Jahr. Das Ziel einer vollständigen regenerativen Stromversorgung der Stadt ist damit zum Greifen nahe. In der gestrigen Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Wirtschaft wurde dazu ein Zwischenbericht vorgelegt. Darin wird auch auf den Hauptkritikpunkt an der Ausbauoffensive eingegangen, nämlich dass der weitaus größte Teil des regenerativen Stroms nicht regional erzeugt wird, sondern mit Windkraftanlagen in der Nordsee.
Grundlage des Zwischenberichts ist ein externes Gutachten (vorgelegt in zwei Teilen, hier und hier) des Hamburg Instituts, einer Beratungsgesellschaft für Fragen der Energieversorgung mit regenerativen Energien. Auf fast 50 Seiten werden alle Aspekte der Ausbauoffensive beleuchtet und insbesondere die Potenziale einer stärkeren regionalen Energieversorgung untersucht.
Für 2035 rechnen die Stadtwerke mit einem Bedarf von maximal 8,4 TWh/Jahr, wenn bis dahin fast 40% der 900.000 Fahrzeuge in München elektrisch unterwegs sind. Die Ausbauoffensive soll daher fortgesetzt werden, um 2025 eine regenerative Deckung von 100% zu erreichen und danach den weiter steigenden Stromverbrauch bedienen zu können.
Zum Kritikpunkt der regenerativen Energieerzeugung fernab von München steht im Gutachten Folgendes: Die Betrachtung des erzeugten und des verbrauchten Stroms ist tatsächlich rein bilanziell, d.h. es wird die Strommenge, die von den Stadtwerken in ihren regenerativen Anlagen in Europa erzeugt wird, mit dem Verbrauch in München verglichen, unabhängig davon, wo der Strom der städtischen Verbraucher physikalisch herkommt, z.B. aus dem noch nicht abgeschalteten Kohlekraftwerk München Nord. Das ist aber bei einem elektrischen Verbundnetz, wie es in Europa existiert, ganz unvermeidbar. Vereinfachend betrachtet kann man sich dazu eine Art „europäischen Stromsee“ vorstellen, der Zuflüsse und Abflüsse hat. Durch die Errichtung von Windkraftanlagen in Norwegen haben die Stadtwerke seit 2008 einen neuen regenerativen Zufluss zu diesem Stromsee geschaffen, der fast genauso groß ist, wie der Abfluss, den München entnimmt.
Aus meiner Sicht ist diese Berechnungsmethode zulässig und etwas anderes als der „moderne Ablasshandel“, wenn für eine Flugreise CO2-Kompensationszahlungen geleistet werden. Dabei steht nämlich der CO2 Erzeugung durch das Flugzeug gerade keine tatsächliche CO2-Entnahme aus der Atmosphäre gegenüber, sondern nur das (vage) Versprechen des Zahlungsempfängers, mit dem Geld ein Projekt zu finanzieren, das irgendwann zu einer CO2-Speicherung, beispielsweise in einem Baum, führen soll.
In jedem Fall lässt das Gutachten keinen Zweifel daran, dass der schnelle Aufbau der regenerativen Energieerzeugung lokal und regional im erfolgten Umfang unmöglich gewesen wäre. In der Tat leisten die bislang in München und Umgebung installierten regenerativen Kraftwerke gerade 0.46 TWh/ Jahr, also nur etwa 6% des verbrauchten Stroms, vgl. die folgende Tabelle aus dem Gutachten:
Dabei springt der mit 0,3% vernachlässigbare Anteil der Photovoltaik ins Auge. Das überrascht, denn bundesweit liegt der Anteil der solaren Stromerzeugung immerhin bei 9%.
Grundsätzlich gibt es in München viele Dachflächen, die für die Photovoltaik geeignet wären aber ungenutzt bleiben. Das Gutachten verweist auf frühere Studien, die Potenziale zwischen 700 GWh/ Jahr und 5 TWh/ Jahr angeben, letzteres nur als sogenanntes „technisches Potential“, d.h. wenn wirklich auf jedem Dach eine Solarzelle installiert würde. Anschaulich werden diese Betrachtungen durch eine genaue Karte Münchens, die bereits 2010 erstellt worden ist. Da kann man jede Dachfläche sehen, die grundsätzlich für die Stromerzeugung geeignet wäre – einschließlich der Südseite der Frauenkirche!
Das Gutachten des Hamburg Instituts kommt zu dem Ergebnis, dass mit erheblichen Anstrengungen etwa 1,8 TWh/Jahr durch Photovoltaik lokal erzeugt werden könnten – ein Vielfaches der gegenwärtigen Solarstromproduktion in München. Andere Möglichkeiten zur Steigerung der regionalen Stromerzeugung scheiden demgegenüber aus, denn ein weiterer Ausbau der Wasserkraft führt zu ökologischen Schäden und neue Windkraftanlagen werden in Bayern praktisch nicht mehr genehmigt.
Warum stockt dann der Ausbau der Solarenergie in München? Das Gutachten fasst die fehlenden politischen Voraussetzungen so zusammen:
Die kommunalpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten der Stadt München stehen erst an dritter Stelle. Für einen umfangreichen Ausbau der Solarenergie fehlt es am politischen Willen des Freistaats und insbesondere im Bund. Auch die aktuelle Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) wird daran voraussichtlich nichts ändern, denn die geltenden Beschränkungen des Ausbaus der Solarenergie sollen erhalten bleiben, damit der Strompreis nicht steigt.
Dr. Florian Bieberbach, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Stadtwerke, hat in der Sitzung auf Fragen der Stadträte hin, diese Analyse bestätigt. Darüber hinaus bräuchten die Stadtwerke Zugriff auf mehr Dachflächen in der Stadt. Über die komplizierten rechtlichen Dreiecksbeziehungen, die dafür jedoch notwendig sind, wurde bereits hier berichtet.
Trotzdem will der Stadtrat einen neuen Anlauf zum Ausbau der Solarenergie in München nehmen. Nach einer hitzigen Debatte, die jedoch nicht inhaltliche Aspekte sondern nur formale Einwendungen der CSU-Fraktion gegen die Antragsformulierung der grün-roten Rathausmehrheit betraf, hat der Ausschuss mit großer Mehrheit die Stadtwerke beauftragt, die Ausbauoffensive fortzusetzen. Der Anteil an regional erzeugtem Ökostrom soll bis 2035 auf 35% des Stromverbrauchs der Münchner Haushalte gesteigert werden. Ob und gegebenenfalls wann dieses ehrgeizige Ziel tatsächlich erreicht wird, erscheint mit jedoch bei den geltenden bundes- und landespolitischen Rahmenbedingungen mehr als unsicher.