Am 5. November 2017 wurde per Bürgerentscheid beschlossen, den mit Kohle befeuerten Block 2 des Heizkraftwerkes München Nord 2022 stillzulegen. Damit sollte der CO2-Ausstoß durch die Stadtwerke erheblich verringert werden. Die heutige Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Wirtschaft hat gezeigt, wie schwierig es ist, diesen Beschluss umzusetzen. Wie ein Stadtrat der Grünen ausgeführt hat, wäre es besser gewesen, man hätte damals die Bürger nicht nur nach dem Abschalten des Kohlekraftwerks gefragt, sondern auch, wie dessen Leistung zeitnah ersetzt werden soll.
Der Vollzug des schnellen Kohleausstiegs wird durch zwei Umstände erschwert:
– In 2019 hat die Bundesnetzagentur festgelegt, dass das Kraftwerk vor 2025 nicht vom Netz gehen kann, da es als Reservekraftwerk für eine sichere Stromversorgung in München benötigt wird. Diese Anforderung wird laut der heutigen Vorlage der Verwaltung voraussichtlich solange bestehen bleiben, bis in 2028 große Stromleitungen aus Norddeutschland zur Verfügung stehen.
– Gleichzeitig würde der Wegfall des Kraftwerkes zu einer deutlichen Verringerung der verfügbaren Heizleistung im Münchner Fernwärmenetz führen. Damit fehlt eine Fernwärmereserve von ca. 300 MW, die benötigt würde, wenn im Winter einmal ein anderes großes Heizkraftwerk Münchens ausfällt. Insgesamt werden in München etwa 2000 MW Heizleistung für die Fernwärme benötigt, von denen gegenwärtig nur ca. 100 MW durch klimafreundliche Geothermie abgedeckt werden.
Diese beiden Anforderungen – Stromreserve und Fernwärmereserve – sind gleichzeitig kaum zu erfüllen. In einem vom Stadtrat beauftragten Gutachten des TÜV wird zu einem zukünftigen Betrieb des Kohlenmeilers als Strom-Reservekraftwerk Folgendes ausgeführt:
„Allerdings dürfte SWM [ die Stadtwerke] das Kraftwerk dann nicht mehr als Reserve für die Fernwärmeversorgung einsetzen, […]. “
Als Zwischenlösung hat der Stadtrat im November 2019 daher beschlossen, einem Vorschlag des TÜV zu folgen und das Kraftwerk ab sofort nicht als Reservekraftwerk zu betreiben, sondern lediglich mit verringerter Leistung, um den CO2-Ausstoß zumindest etwas zu verringern. Gleichzeitig wurden die Stadtwerke beauftragt, ein neues Konzept zu erarbeiten, wie die Heizleistung der Kraftwerks auf Dauer ersetzt werden kann.
Dieses Konzept (als Anhang der Vorlage beigefügt) war Gegenstand der streitigen Diskussion in der heutigen Ausschusssitzung. So hat der Initiator des Bürgerentscheids in 2017, die ÖDP, vehement die Auffassung vertreten, es bedürfe gar keiner Ersatzheizleistung, da die notwendigen 300 MW auch durch Modernisierungen der Leitungen und Ausbau der Geothermie bereitgestellt werden könnten. Offensichtlich sieht sich die ÖDP hier im Wort, weil man beim Bürgerentscheid explizit versprochen hat, dass die Abschaltung des Kohlekraftwerks kostengünstig zu machen sei. So war damals folgende Begründung zu lesen:
„Das Steinkohlekraftwerk ist Klimakiller Nr. 1 in München, stellt ein finanzielles Risiko dar und die Abschaltung ist die günstigste CO2-Einsparmaßnahme.“
(Quelle: Kommentar zum TÜV Gutachten durch das Ökoinstitut)
Der Vertreter der Stadtwerke widersprach dieser Argumentation und führte aus, dass nur ein neues gasbefeuertes Heizkraftwerks die oben genannten Anforderungen gleichzeitig erfüllen könne, bei dem sich die Ausgangsleistung sehr flexibel zwischen Strom und Wärme verteilen ließe. Eine schnelle komplette Modernisierung des Leitungssystems sei ebenso unrealistisch wie der geforderte Ausbau der Geothermie. Letzteres, weil viele neue Standorte für die dafür notwendigen Bohrungen im Stadtgebiet von den Anwohnern nicht akzeptiert würden. Die große Mehrheit des Ausschusses hat diese Ausführungen zustimmend zur Kenntnis genommen. Die Vollversammlung des Stadtrates wird daher das Konzept für das neue Gasheizkraftwerk aller Voraussicht nach demnächst verabschieden.
Als Nicht-Experte auf diesem Gebiet ist es schwierig, die Argumente für und wider ein neues Gasheizkraftwerk im Detail zu bewerten. Allerdings ist das Ergebnis, dass ein Ausstieg aus der Kohle notwendig zu mehr Gaskraftwerken führt, nicht überraschend, sondern bundesweit zu beobachten. Die Abkehr von der ineffizienten und klimaschädlichen Kohleverstromung hin zu regenerativen Energien führt notwendig über den verstärkten Einsatz von modernen Gaskraftwerken als Brückentechnologie. Sie sind effizient sowie flexibel genug, um Fluktuationen im Stromnetz auszugleichen und erlauben die Fortführung der Kraftwärmekopplung für die Fernwärme, die in vielen Städten Bestandteil der kommunalen Infrastruktur ist. Langfristig bieten sie die Möglichkeit einer zumindest teilweise regenerativen Wärmeversorgung durch die Beimischung von grünem Wasserstoff zum Erdgas. Nur billig wird dieser Umstieg nicht, auch nicht in München.
In diesem Zusammenhang ist besonders bitter, was sich in der heutigen Sitzung auch noch herausgestellt hat. Das jüngst vom Bundestag beschlossene Kohleausstiegsgesetz sieht für das Abschalten eines Kohlekraftwerks hohe Stilllegungsprämien vor, nach Angaben der ÖDP bis zu 84 Mio EUR. In München ist solch eine Prämie allerdings schon deshalb ausgeschlossen, da der Antrag zu Stilllegung des Heizkraftwerkes in der Folge des Bürgerentscheids bereits lange vor dem Inkrafttreten des Kohleausstiegsgesetzes gestellt worden ist, vgl. die diesbezügliche Auskunft der Verwaltung. Das war 2017 natürlich noch nicht vorhersehbar, aber schade ist es schon.