Eine überfällige Korrektur

Kaum nimmt die Bedrohung durch Corona ab, wird Europa durch den Krieg in der Ukraine in seinen Grundfesten erschüttert. Während die Gefährdung durch das Virus dank der Wissenschaft seit vielen Monaten immer besser eingeschätzt und mit der Impfung wirksam bekämpft werden kann (vgl. dazu den letzten Beitrag hier), ist Putins Angriffskrieg eine Situation, bei der sich nicht zuverlässig bestimmen lässt, wie darauf richtig zu reagieren ist. Anders als bei einer Naturkatastrophe wie der Pandemie kommt es jetzt auf die unbekannte Vorstellungswelt im Kopf eines einzelnen Mannes an, der über ein nahezu unbegrenztes Zerstörungspotential verfügt. Das ist schwer zu ertragen. Es relativiert auch die Bedeutung vieler anderer Themen.

Und dennoch hilft Schockstarre nicht weiter. Daher erscheint hiermit wieder ein Stadtratsbericht. Thema ist der geplante Umbau des Willi-Brandt-Platzes, der am vergangenen Dienstag im Bauausschuss diskutiert worden ist. Grund für den Umbau ist die einhellige Meinung, dass der riesige Platz am westlichen Ende der Messestadt Riem städtebaulich vollkommen missglückt ist. Im Folgenden wird der Ist-Zustand gezeigt und von den Plänen und Überlegungen aus der Sitzung am vergangenen Dienstag berichtet.

Die Messestadt Riem entstand in den neunziger Jahren nach dem Umzug des Flughafens an seinen neuen Standort im Erdinger Moos. Im nördlichen Teil befinden sich die Hallen der Neuen Messe München, während im Süden Wohnungen für etwa 16.000 Bewohner gebaut worden sind. Bekannt ist der neue Stadtteil für innovative Projekte wie Passivhäuser oder auch das autofreie Wohnen.

Umso erstaunlicher ist die Gestaltung des Zentrums des neuen Stadtteils. Der Willi-Brandt-Platz, flächenmäßig fast doppelt so groß wie der Marienplatz, erinnert an eine Zeit, wo Umweltaspekte oder Klimaschutz noch keine Rolle gespielt haben, sondern freie Sichtbezüge und prägende architektonische Gestaltungselemente die entscheidenden Parameter der Stadtplanung waren. Hier ein paar Eindrücke:

Ist-Zustand des Willi-Brandt-Platzes, Blickrichtung Nordost. Man beachte die beiden einsamen Betonkübel mit zwei kleinen Tannen zur nachträglichen Begrünung der gepflasterten Fläche
Ist-Zustand des Willi-Brandt-Platzes, Blickrichtung Nordwest

Im Süden, Osten und Westen wird der Platz von der Bebauung eingefasst. Die Nordseite wird, wie in den Bildern oben gut zu sehen, von einem völlig sinnfreien „Portikus“ überspannt, einer Art riesiger Ikea-Regalplatte, die paarweise von dünnen Streben getragen wird. Abgesehen von zwei Alleen kleiner Bäume an den westlichen und östlichen Rändern des Platzes gibt es keine Begrünung, sondern nur eine riesige gepflasterte bzw. betonierte Fläche – ein Maximum an trostloser Bodenversiegelung.

Dem liegt eine gestalterische Absicht zugrunde. Auf der Homepage der für die Platzgestaltung maßgeblichen Künstlerin Karin Sander finden sich folgende Aussagen zu ihrem Werk:

The project for Willy-Brandt-Platz by Karin Sander and landscape architects Lützow 7 responds in many respects to the demand for a monumental space. By keeping the space free and not furnishing it with sculpture or other interventions they seem at first glance to respond directly to the State´s interest in representation by means of “emptiness” ..[….].

Solch ein Verständnis staatlicher Repräsentation hat vielleicht vor dem Berliner Reichstagsgebäude eine gewisse Berechtigung – aber selbst da findet sich heute eine große Rasenfläche. Für das Zentrum eines neuen Wohngebiets an der Peripherie Münchens halte ich diese Vorstellungen für völlig unpassend.

Bereits 2019 gab es eine Initiative im Stadtrat, den erst 2004 fertiggestellten Platz grundsätzlich umzugestalten. Grund war die allgemeine Unzufriedenheit mit der Aufenthaltsqualität ohne Schatten, Sitzgelegenheiten oder ähnliches. Das Baureferat wurde daher mit Beschluss vom 5. 11. 2019 beauftragt:

„für eine Neugestaltung des Willy-Brandt-Platzes das vorgeschlagene Bürgerbeteiligungsverfahren durchzuführen und eine Konzeptstudie zu erarbeiten.“

Damit lernt die Verwaltung offensichtlich aus den Fehlern der Vergangenheit. Denn während die aktuelle Platzgestaltung das Ergebnis eines internen „Gutachterverfahrens“ der für die Messestadt zuständigen Entwicklungsgesellschaft war, steht bei der Neugestaltung des Platzes die öffentliche Bürgerbeteiligung im Zentrum. In der Sitzung des Bauausschusses am vergangenen Dienstag wurde eine Konzeptstudie für eine Umgestaltung vorgestellt, die nach einer großen Veranstaltung im September 2021 mit über 200 Bürgerinnen und Bürgern entstanden ist.

Die Konzeptstudie ist noch kein fertig ausgearbeiteter Entwurf für eine Neugestaltung des Platzes, sondern eine Sammlung von Vorschlägen aus der Bürgerbeteiligung. Dennoch gibt es bereits eine einfache Visualisierung, die erkennen lässt, worum es geht:

Aspekte einer möglichen Neugestaltung des Willi-Brandt-Platzes

Angestrebt wird eine „naturnah gestaltete Platzfläche mit erlebbarer Vegetation“ . Nördlich des Portikus sollen große Bäume gepflanzt werden. Südlich davon ist das unmöglich, da – wie so oft – eine Tiefgarage unter dem Platz nur niedrige Vegetation ohne tiefe Wurzeln und hohes Gewicht zulässt. Sitz- und Liegemöglichkeiten aus Holz sowie Spiel- und Sportangebote sollen den riesigen Platz in verschiedene Zonen für unterschiedliche Nutzungen aufteilen.

Im Bauausschuss ist das Konzept auf allgemeine Zustimmung gestoßen. Das Baureferat wurde daher beauftragt, auf dieser Grundlage und in enger Abstimmung mit dem Bezirksausschuss einen Projektentwurf auszuarbeiten und dem Stadtrat zur Abstimmung vorzulegen. Sobald der Projektentwurf vorliegt, werde ich darüber berichten. Vielleicht wird der Willi-Brandt-Platz am Ende doch noch ein attraktives Zentrum der Messestadt Riem.

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