Bei einer Stadt der Größe Münchens wirken sich globale Ereignisse sofort auf die Kommunalpolitik aus. Das war bei Corona so und gilt leider auch für Putins Krieg in der Ukraine, wie man am Dienstag im Ausschuss für Arbeit und Wirtschaft unmittelbar erfahren konnte. Die Pläne für die CO2-reduzierende Umstellung des Heizkraftwerks Nord auf Erdgas müssen vorerst beerdigt werden. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie verhindert werden kann, dass die Energiekosten einkommensschwachen Münchnerinnen und Münchnern über den Kopf wachsen.
Im Folgenden wird anhand zweier Vorlagen der Verwaltung erläutert, welche enormen Auswirkungen die unsichere Versorgungslage mit Erdgas für München hat. Ferner wird ausgeführt, wie es vielleicht gelingen könnte, mit einer anderen Tarifstruktur die hohen Energiekosten angemessen zu verteilen.
Eine erste Vorlage des Referats für Arbeit und Wirtschaft betraf die Frage, ob der geplante Umstieg im Block 2 des Heizkraftwerks Nord von Steinkohle auf Erdgas noch sinnvoll ist. Der Analyse der neuen Situation seit Beginn des Krieges fehlt es nicht an Dramatik:
„Der Füllstand der süddeutschen Erdgasspeicher liegt inzwischen unter 20 % und die Gasflüsse aus Russland bleiben deutlich unter dem langjährigen Mittel. Die Gaspreise im Großhandel reagieren darauf mit großer Nervosität und haben sich seit dem 18.01.2022 mehr als verdoppelt. Dies gilt auch für die Preise im Sommer und für die kommende Heizperiode. Ob es gelingt, angesichts der schwachen Zuflüsse die süddeutschen Gasspeicher im Sommer ausreichend zu füllen, ist ungewiss. Es ist nicht auszuschließen, dass Süddeutschland auch in den nächsten Winter mit zu gering befüllten Gasspeichern startet. Es besteht somit ein hohes Risiko einer fortgesetzt angespannten Gasversorgungssituation in Deutschland bis in den kommenden Winter hinein und möglicherweise darüber hinaus.“ (Hervorhebung hinzugefügt)
Wohlgemerkt gilt diese Analyse unter der Annahme, dass Russland seinen vertraglichen Lieferverpflichtungen weiterhin nachkommt und russisches Erdgas auch von Deutschland abgenommen wird (kein Embargo). Was passiert, wenn diese Versorgung pro Jahr komplett ausfällt, wird in der Vorlage nur angedeutet:
„Die Gasspeicher könnten über die Sommermonate nicht gefüllt werden. Die Gaspreise dürften deutlich ansteigen und der Wettbewerb um LNG dramatisch zunehmen.“
Eine Entspannung durch neue Terminals für Flüssiggas (LNG) und den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien ist laut Vorlage nicht vor 2025 zu erwarten.
Vor diesem Hintergrund empfiehlt das Referat für Arbeit und Wirtschaft, den für den Sommer diesen Jahres geplanten Umstieg des Betriebs von Block 2 des Heizkraftwerks Nord auf Erdgas zu verschieben:
„ Ein Kohlebetrieb in der Heizperiode 2022/23 bringt in mehrfacher Hinsicht Vorteile für die Versorgungssicherheit der Münchner Bürger. Zum Betrieb des Kohleblocks mit Gas sind ca. 3,3 TWh Gas für den Betrachtungszeitraum notwendig. Das ist mehr Gas, als alle Münchner Privatkunden jährlich benötigen (ca. 2,4 TWh). Der Kohleblock kann etwa die Hälfte des Fernwärmebedarfs der Münchner an einem moderat kalten Wintertag liefern und somit maßgeblich zu einer Grundabsicherung der Münchner Fernwärme beitragen.“ (Hervorhebung hinzugefügt).“
Der Klimaschutz hat dabei allerdings das Nachsehen. Jedes Jahr, in dem der Block 2 weiter mit Steinkohle betrieben wird, werden laut Vorlage etwa 375.000t zusätzliches CO2 in die Atmosphäre geblasen. Das sind in etwa 2% der Gesamtemissionen aller 1,5 Mio Münchnerinnen und Münchner pro Jahr. Ich denke, mit etwas gutem Willen könnte dieser Nachteil für das Klima durch persönliches Handeln in 2022 durchaus ausgeglichen werden. Für jede Münchnerin und jeden Münchner sind das etwa 250 Kg CO2, die eingespart werden müssten. Das entspricht dem Verbrauch von 100l Benzin oder einer Flugreise ans Mittelmeer.
Gefragt wurde im Ausschuss, wo die Steinkohle für den zukünftigen Betrieb des Heizkraftwerkes herkommen wird. Und auch hier ist die Situation alles andere als erfreulich. Denn auch die im Heizkraftwerk verwendete Kohlenmischung stammt aktuell zu etwa 50% aus Russland. Nach Aussage des Vertreters der Stadtwerke im Ausschuss ist es bei der Steinkohle jedoch leichter als beim Gas möglich, in den Sommermonaten Ersatzlieferanten in Australien oder Südafrika zu finden. Zur Erinnerung: Deutschland selbst hat seine letzte Steinkohlezeche Prosper Haniel 2018 geschlossen.
Die Entscheidung auf den Umstieg auf Erdgas zunächst zu verzichten, fiel im Ausschuss nahezu einstimmig. So eindeutig ist die durch Putin erzwungene Faktenlage.
Eine weitere Vorlage betraf den Antrag der Stadtratsfraktion DIE LINKE. / Die PARTEI, die Stadtwerke zu verpflichten, einen günstigen Sozialtarif für einkommensschwache Münchnerinnen und Münchner einzuführen. Die Kosten dafür sollten von Verbrauchern getragen werden, die überdurchschnittliche Mengen an Energie von den Stadtwerken beziehen.
Eine breite Mehrheit im Ausschuss ist dem Vorschlag des Referats für Arbeit und Wirtschaft gefolgt, diesen Antrag abzulehnen. Dabei sind die finanziellen Schwierigkeiten, die die hohen Energiepreise verursachen, den Mitgliedern des Ausschuss durchaus bewusst. Das Problem liegt darin, dass sich die Stadtwerke seit der Liberalisierung des Strom- und Gasmarktes im Wettbewerb mit anderen Anbietern befinden. Würden nur die Stadtwerke gezwungen, einen günstigen Sozialtarif anzubieten und durch teurere Tarife für andere Kunden zu finanzieren, wäre ihre Wettbewerbsfähigkeit erheblich gefährdet. Die Lösung wurde daher im Ausschuss in einer gezielten Unterstützung bedürftiger Haushalte gesehen, so wie es auch die Bundesregierung mit dem inzwischen verdoppelten Energiegeld plant, zusätzlich zu einer gezielten Energieberatung in den Sozialbürgerhäusern Münchens.
Dennoch habe ich mich gefragt, ob die aktuelle Tarifstruktur der Stadtwerke München und ihrer Wettbewerber auf dem Strom- und Gasmarkt noch sinnvoll ist. Dazu ein paar Zahlen:
Für einen sparsamen Haushalt, der mit 2000 kWh Strom im Jahr hinkommt, sehen die aktuellen Angebote der Stadtwerke München so aus:
Schaut man nun, wie es für einen verschwenderischen Haushalt aussieht, der mit 4000 kWh die doppelte Menge Strom verbraucht, findet man folgende Angebote:
Man erkennt sofort, dass die Kosten pro Kilowattstunde für den energieverschwendenden Haushalt fast 10% geringer sind als beim energiesparenden Haushalt. Was bei anderen Gütern sinnvoll ist, nämlich ein Mengenrabatt, sollte jedenfalls bei einer sich abzeichnenden Energiekrise unbedingt vermieden werden. Im Gegenteil, sinnvoll wären progressive Stromtarife, bei denen der verschwenderische Umgang mit Energie überproportional verteuert und nicht verbilligt wird.
Andere Länder sind hier weiter. So haben beispielsweise Italien und Kalifornien seit Jahren progressive Stromtarife, bei denen – trotz Liberalisierung des Strommarktes – die Preise pro Kilowattstunde mit zunehmendem Verbrauch erheblich ansteigen. Wer dazu mehr erfahren will, findet hier eine ausführliche Studie der Universität Münster.
Solange wir für unserer Energieversorgung noch auf fossile Quellen, insbesondere aus Russland, angewiesen sind, wäre es aus meiner Sicht dringend geboten, in dieser Weise regulativ in den Energiemarkt einzugreifen. Allerdings übersteigt dies den Handlungsrahmen der Stadt München. Hier sollte die neue Bundesregierung tätig werden und Regelungen finden, die für alle Strom- und Gasanbieter gelten.