Im Zuge des allgemeinen Überbietungswettbewerbes beim Klimaschutz hat der Stadtrat letztes Jahr beschlossen, dass München bereits 2035 klimaneutral werden soll. Fünf Jahre früher als der Freistaat Bayern und zehn Jahre vor der Bundesrepublik insgesamt.
So wünschenswert diese Zielmarke auch ist, so klar ist inzwischen, dass die Klimaneutralität innerhalb der nächsten 13 Jahre nicht zu erreichen ist. In einem ausführlichen Gutachten, das am vergangenen Dienstag im Ausschuss für Arbeit und Wirtschaft vorgestellt worden ist, liest sich das so:
„Trotz sehr ambitionierter Annahmen wird jedoch im Jahr 2035 das Ziel einer Klimaneutralität deutlich verfehlt. Erst bis zum Jahr 2050 scheint der Zielwert von 0,06 Tonnen CO2-Äquivalent nahezu erreichbar zu sein. [….] Eine weitere Beschleunigung der Emissionsreduktion gegenüber den hier beschriebenen Szenarien erscheint aus heutiger Sicht kaum möglich, da es sich um einen aufwendigen Transformationsprozess langlebiger Infrastrukturen handelt. “
(Gutachten, Zusammenfassung, Seiten 5-6)
In der Debatte im Ausschuss gab es daher auch den einen oder anderen hämischen Kommentar Richtung grün-roter Rathauskoalition. In der Sache hilft das aber nicht weiter. Denn dass der CO2-Ausstoß für die Münchner Wärmeversorgung drastisch reduziert werden muss, ist unumstritten. Das lesenswerte Gutachten erläutert dazu zwei Szenarien, die im Folgenden kurz erläutert und kommentiert werden.
Das folgende Diagramm aus der Zusammenfassung des Gutachtens zeigt die Ausgangslage:
Gegenwärtig werden in München jedes Jahr etwa 2,3 Mio Tonnen CO2 zum Heizen von Gebäuden und zur Warmwasseraufbereitung hinausgeblasen. Das ist eine schwer greifbare Größe. Leichter verständlich sind die CO2-Emissionen pro Kopf. Etwa 1,3 Tonnen CO2 emittiert im Mittel jede Münchnerin und jeder Münchner pro Jahr für eine warme Wohnung und eine warme Dusche. (In etwa die gleichen Emissionen fallen an, wenn 600 Liter Benzin verfahren werden oder für einen Hin- und Rückflug an die Ostküste der USA).
Etwas verwirrend ist, dass auch die angestrebte Klimaneutralität noch mit Emissionen verbunden ist. Laut Gutachten wird ein Rest von < 0,1 Mio t CO2 in ganz München (~0,06t pro Kopf) quasi als „Nullemission“ betrachtet.
Das Diagramm oben zeigt ferner, wo die Emissionen gegenwärtig entstehen. Den größten Anteil hat die Verbrennung in dezentralen Erdgasheizungen, gefolgt von der Fernwärme und den noch verbliebenen alten Ölheizungen.
Um so schnell wie möglich den CO2-Ausstoß zu verringern, sind laut Gutachten zwei Ansätze zu verfolgen:
- Zum einen müssen die dezentralen Erdgas- und Erdölheizungen in Einfamilien – oder kleineren Mehrfamilienhäusern durch Wärmepumpen ersetzt werden, zusammen mit der dafür erforderlichen Wärmedämmung des Gebäudes. Dabei sind die Einflussmöglichkeiten der Stadt München jedoch gering, denn die notwendigen Investitionsentscheidungen werden von den Eigentümern dieser Häuser getroffen. Förderprogramme des Bundes und des Freistaates können die Sanierung und den Austausch der Heizungen beschleunigen, gegebenenfalls mit beratender Unterstützung durch die Münchner Stadtwerke. Bei einer sehr optimistischen Sanierungsrate im Altbau von 5% – aktuell liegt sie bei < 2% – dauert das mindestens 20 Jahre.
- Auf die Erzeugung der Fernwärme durch die Stadtwerke hat die Stadt München und damit der Stadtrat hingegen direkten Einfluss. Deshalb hat sich hier der politische Streit im Ausschuss entzündet. Das Gutachten schlägt zwei verschiedene Szenarien zum Aus- und Umbau der Fernwärme vor:
Bislang wird die Fernwärme zum größten Teil mit Erdgas erzeugt. Das wird auch in 2025 noch so sein, vgl. die großen gelben Balken in beiden Szenarien. Anders als es Werbeunterlagen der Stadtwerke immer wieder betonen, trägt die Geothermie heute und auch in 2025 nur einen ganz kleinen Anteil zur Erzeugung der Fernwärme bei, vgl. den kleinen braunen Balken.
Im rechten Szenario „Fokus Fernwärme“ ändert sich das jedoch bis 2035 sehr deutlich. Dazu müsste das Fernwärmenetz mit großen Investitionen um- und ausgebaut werden, damit auch im Münchner Norden, wo die Temperatur der Erdwärme niedriger ist als im Süden, noch Heizwärme gewonnen werden kann. Gegebenenfalls erfordert das die Kombination von Geothermieanlagen mit Wärmepumpen und anderen Nachheizungen, vgl. die dunkelgrünen und roten Balken. Bei Spitzenbelastungen, wenn es draußen besonders kalt ist, würden darüber hinaus kleinere Mengen an Wasserstoff zum Einsatz kommen, sei es in einem Heizkraftwerk mit gleichzeitiger Stromerzeugung (Kraftwärmekopplung, KWK) oder in einem reinen Heizwerk, vgl. die kleinen lila Balken im rechten Szenario.
Der Einsatz von Wasserstoff klingt eigentlich gut, denn bei seiner Verbrennung entsteht nur Wasserdampf und kein CO2. Das Problem liegt allerdings in der Gewinnung dieses Gases. Im Gutachten heißt es dazu:
„Im Rahmen der Transformation zu erneuerbarem Wasserstoff muss voraussichtlich zunächst „blauer“ Wasserstoff eingesetzt werden, der auf der Reformierung von Erdgas in Verbindung mit der Abscheidung und Ablagerung von CO2 basiert...[….]. “
(Gutachten, Seite 75 unten)
Mit anderen Worten entsteht bei der Verwendung von „blauem“ Wasserstoff zwar in München kein CO2. Ob die Abscheidung und sichere Lagerung von CO2 überhaupt gelingt, ist jedoch umstritten. In Deutschland ist diese Technik laut Tobias Ruff, ÖDP-Stadtrat, gegenwärtig nicht zugelassen. Anders wäre das bei „grünem“ Wasserstoff. Dazu schreiben die Gutachter:
„Die entscheidende Technologie, von deren Entwicklung der künftige Einsatz von Wasserstoff stark abhängig sein wird, ist die Elektrolyse, in der Wasser mit Hilfe von Strom in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird. […] Damit der Wasserstoff als emissionsfrei gelten kann, muss für den Strombedarf der Elektrolyse […] eine entsprechende Kapazität an erneuerbarer Stromerzeugung zusätzlich zum bereits politisch fixierten Ausbauziel (definiert als Anteile am Strombedarf der klassischen Verbrauchssektoren) aufgebaut werden. […] Angesichts des stockenden Ausbaus der inländischen Stromerzeugung aus Windkraft und der begrenzt realisierbaren Potenziale inländischer erneuerbarer Stromerzeugung ist absehbar, dass ein überwiegender Teil des für ein klimaneutrales Deutschland erforderlichen Wasserstoffs importiert werden muss.
Aufgrund der Entwicklungs- und Vorlaufzeiten für den Ausbau von Elektrolyse und erneuerbarer Stromerzeugung ist damit zu rechnen, dass die in Deutschland bis 2035 verfügbaren Mengen an Wasserstoff stark begrenzt sind. Sie werden voraussichtlich vorrangig in diejenigen Nachfragesektoren kanalisiert, in denen frühzeitig langfristig bedeutende Pfadentscheidungen getroffen werden müssen, wie z. B. in der Stahlerzeugung und weiteren Teilen der Industrie. “
(Gutachten, Seite 76 )
Vor diesem Hintergrund erscheint das alternative Szenario „Fokus dezentrale Lösungen“ , bei dem für die Fernwärme Münchens in 2035 größere Mengen Wasserstoff benötigt würden (vgl. die größeren lila Balken im Diagramm oben) durchaus problematisch. Der Vorteil dieses Szenarios liegt jedoch in den geringeren Investitionen, da bestehende Gasheiz(kraft)werke der Stadtwerke sich auf Wasserstoff umrüsten lassen und damit weiter genutzt werden können.
Die grün-rote Stadtratsmehrheit möchte daher diese Variante nicht ausschließen und zunächst die weitere politische Entwicklung in den nächsten zwei Jahren abwarten. In der Tat sind auf Bundesebene demnächst richtungsweisende Entscheidungen zur Förderung des Umstiegs auf eine regenerative Wärmeversorgung zu erwarten. Und bis 2025 unterscheiden sich die beiden Szenarien ohnehin nur wenig, vgl. das Schaubild oben.
Langfristig führt aus meiner Sicht jedoch kein Weg am verstärkten Ausbau der Geothermie vorbei. Grüner Wasserstoff wird auch 2050 und darüber hinaus noch ein knappes Gas sein. Denn selbst bei einem enorm beschleunigten Ausbau der Wind- und Solarstromanlagen in den nächsten Jahrzehnten wächst gleichzeitig der Bedarf an Strom. So läuft gegenwärtig die Elektrifizierung des Kraftfahrzeugverkehrs. Auch die oben erwähnten Wärmepumpen werden immer mehr Strom benötigen. Nicht zuletzt versprechen auch die Fluggesellschaften einen Umstieg auf regenerativ, d.h. mit Strom erzeugte Kraftstoffe. Dass große Mengen an überschüssigem Strom zur Erzeugung von grünem Wasserstoff im deutschen oder europäischen Stromnetz zur Verfügung stehen, ist daher eher unwahrscheinlich bzw. wird noch sehr lange dauern.
Letztlich gilt auch hier ein Grundsatz, der für die gesamte Klimapolitik gilt: Keine regenerative Energie ist verzichtbar. Ebenso wenig wie der Freistaat Bayern unter Hinweis auf die Solarenergie den Ausbau der Windkraft vernachlässigen sollte, ebenso wenig kann es sich München leisten, auch nur Teile der Geothermie unter unserer Stadt ungenutzt zu lassen. Die Klimawende kann nur gelingen, wenn alle Potentiale genutzt werden. Wer das nicht glaubt, dem sei das Buch „Erneuerbare Energien ohne heiße Luft“ von Christian Holler und Joachim Gaukel“ empfohlen, in dem diese Zusammenhänge gut verständlich aber präzise vorgerechnet werden.
Der Ausschuss hat bislang keine abschließende Entscheidung getroffen, sondern die Abstimmung in die nächste Vollversammlung vertagt.