So wie der Impfstoff hoffentlich bald die Corona-Pandemie beendet, so glauben manche, dass sich auch die Verkehrsprobleme Münchens im Wesentlichen mit technischen Lösungen überwinden lassen. Ein großer Hoffnungsträger sind selbstfahrende Fahrzeuge, die – elektrisch angetrieben – keine Emissionen verursachen und mit künstlicher Intelligenz den begrenzten Straßenraum viel effizienter nutzen als der motorisierte Individualverkehr der Gegenwart.
Ob das so kommt, ist natürlich unsicher und kann – wie bei einem Impfstoff – nur durch Testen ermittelt werden. Eine aktuelle Vorlage des Kreisverwaltungsreferats für die Vollversammlung des Stadtrats am vergangenen Mittwoch befasst sich mit zwei Forschungsprogrammen zu diesem Thema. EASYRIDE läuft seit 2018 und untersucht den Einfluss staatlicher Regulierungen auf die Nutzung von On-Demand-Diensten mit automatisierten Fahrzeugen. Das neue Programm TEMPUS betrifft den Aufbau konkreter Feldversuche zum automatisierten Fahren im Münchner Norden ab 2021. Innerhalb von 30 Monaten sollen durch verschiedene Teilprojekte („Arbeitspakete, AP“) sechs „Milestones“ erreicht werden:
Dazu wird die Expertise von BMW, Siemens, mehreren Universitäten und der städtischen Verwaltung zusammengebracht. Finanziert wird das Programm vom Bundesverkehrsministerium mit fünf Millionen Euro. Da hat der Stadtrat nicht lange diskutiert, sondern nach kurzer Debatte mit großer Mehrheit zugestimmt – auch weil dafür fast kein Geld der Stadt benötigt wird.
Daran gibt es nichts zu kritisieren. Denn nur durch wissenschaftlich begleitetes Ausprobieren gewinnt man neue Erkenntnisse, ob und wie das automatisierte Fahren funktioniert und welchen Beitrag es zur Lösung der vielfältigen Verkehrsprobleme Münchens beitragen kann.
Allerdings hat mich das Studium der Vorlage und der beiden Forschungsprojekte ins Nachdenken gebracht, was man realistischerweise in einem hochverdichteten städtischen Raum erwarten kann, wenn die technischen Probleme des automatischen Fahrens eines Tages gelöst sind. Dabei bin ich auf Seiten des ADAC gestoßen, die gut verständlich den Stand der Technik und die weitere Entwicklung des autonomen Fahrens erläutern. Aus verkehrspolitischer Perspektive besonders interessant ist eine Abbildung, mit der ein bekannter deutscher Fahrzeughersteller die Zukunft des innerstädtischen Verkehrs illustriert:
Was sieht man hier? Einen Straßenraum, der überall breite Fahrradwege vorsieht, genau wie vom Münchner Radlbegehren gefordert. Und wenn man die Verkehrsteilnehmer zählt, stehen vier Radfahrer und drei Busse gerade mal zwei fahrenden Fahrzeugen des motorisierten Individualverkehrs gegenüber. Eine gläserne Fahrradparkanlage an einer U-Bahn Station nimmt über 20 parkende Räder auf, während man nur wenige parkende Autos im Bild erkennen kann. Und dazwischen jede Menge Fußgänger. Wenn das die Zukunft mit autonomen Fahrzeugen ist, bin ich begeistert.
Leider habe ich den Verdacht, dass diese Vision des innerstädtischen Verkehrs, auch wenn sie von einem namhaften Automobilhersteller kommt, (noch) nicht konsensfähig ist, jedenfalls nicht im Münchner Stadtrat. Denn in der Debatte am Mittwoch haben Stadträte von CSU und FDP nachdrücklich Platz für autonom fahrende Autos eingefordert. Die Auseinandersetzung über die richtige Verteilung des Straßenraums in München wird also andauern, unabhängig davon, ob Autos durch Menschen oder Computer gesteuert werden.
Mit diesen Gedanken verabschieden sich die Stadtratsberichte nach 47 Beiträgen in 2020 in eine kombinierte Weihnachts- / Coronapause. Sobald die Münchner Kommunalpolitik in 2021 wieder Fahrt aufnimmt, geht es auch hier weiter.