Kein Alkoholkonsum am Hauptbahnhof

Der Hauptbahnhof ist zur Zeit eine riesige Baustelle. Das Eingangsgebäude ist abgerissen und wird in den nächsten Jahren durch einen kompletten Neubau ersetzt. Aber auch die Regeln in und um den Bahnhof haben sich geändert. Denn seit 2017 ist es verboten, im Bahnhofsbereich Alkohol zu konsumieren, seit 2018 sogar rund um die Uhr. Und das hat nichts mit Corona zu tun. Damit soll die hohe Anzahl von Ordnungswidrigkeiten und „Roheitsdelikten“ (Raub, Körperverletzung, etc.) durch alkoholisierte Personen verringert werden. Da die geltende Verordnung demnächst ausläuft, musste der Kreisverwaltungsausschuss am Dienstag entscheiden, ob das Alkoholverbot verlängert werden soll und wie die Stadt mit der „Steherszene“ im Bahnhofsbereich umgeht.

Ausgangspunkt war eine Vorlage des Kreisverwaltungsreferats (KVR), in der die Entwicklung der Sicherheitslage am Hauptbahnhof seit 2017 nachgezeichnet wird. Denn das Verbot kann nach geltender Rechtslage nur dann bestehen bleiben, wenn „an den in der Verordnung bezeichneten Orten aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums regelmäßig, d.h. nicht nur vereinzelt oder gelegentlich, Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten begangen werden.“ Den räumlichen Bereich der Verordnung sieht man hier:

Der Bahnhofsbereich in München – das Alkoholverbot gilt nur im inneren Bereich (dunkelblau). Die anderen Bereiche dienen als Vergleichsgebiete; Quelle: Anlagen zur Vorlage des KVR.

Die vorgelegten Daten zur Sicherheitslage am Hauptbahnhof sind etwas diffus. Sowohl der begonnene Umbau des Bahnhofs als auch die Corona-Pandemie erschweren genaue Vergleiche. Erkennbar ist allerdings, dass mit der Einführung des Alkoholverbots rund um die Uhr die Anzahl der Straftaten im inneren Bereich (dunkelblau) deutlich stärker zurückgegangen ist als im gesamten Stadtgebiet (-28% im Vergleich mit – 1%). Fraglich ist allerdings, ob das Verbot nur eine Verdrängung in angrenzende Gebiete bewirkt. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang der nördliche Bahnhofsbereich mit dem Botanischen Garten genannt (der mittelblaue Bereich im Bild oben). Hier ist es laut Polizeibericht in der Tat in den letzten Monaten zu einem Anstieg der Delikte gekommen.

Neben der Begründung der reinen Ordnungsmaßnahmen erläutert die Anlage 10 der Vorlage die Anstrengungen der Stadt, alkoholabhängigen Personen eine Alternative anzubieten, nämlich die Begegnungsstätte „D3“ am Anfang der Dachauer Straße. Der Ansatz ist der gleiche wie bei den bislang vom Freistaat verhinderten Drogenkonsumräumen. Suchtgefährdete Personen können im D3 – in Maßen – mitgebrachten Alkohol konsumieren und erhalten Unterstützung und Therapieangebote. Betrieben wird die Einrichtung von der Caritas. In ihrem Bericht bestätigt die Leitung des D3, dass viele Besucher sich vorher an verschiedenen Bereichen des Bahnhofs aufgehalten haben. Allerdings hat auch hier Corona alles verändert. Starke Begrenzungen der Besucher behindern die Arbeit der Begegnungsstätte. Gleichzeitig ist der Bedarf nach Unterstützung weiter gestiegen, auch von Personen, die sich bislang nicht im Bahnhofsbereich aufgehalten haben.

Aus meiner Sicht geht der Ansatz der Verwaltung, die Sicherheitslage am Bahnhof durch eine Kombination aus Verboten und Angeboten für alkoholabhängige Mitbürger zu verbessern, in die richtige Richtung. Allerdings werden damit die Probleme nicht kurzfristig gelöst, schon gar nicht in Zeiten der Pandemie, die immer mehr Personen in wirtschaftliche Notlagen bringt und damit das Risiko von Alkoholmissbrauch erhöht.

Im Stadtrat war die Verlängerung des Alkoholverbots allerdings umstritten, mit Ablehnung von beiden Enden des politischen Spektrums: Sowohl die Bayernpartei als auch die LINKE haben gegen eine Fortführung des Verbots gestimmt. Die einen, weil es eine unangemessene Einschränkung der persönlichen Freiheit sei, und die anderen als untauglichen Versuch, Suchtkranke aus dem Bahnhofsbereich einfach zu vertreiben. Auch bei den Grünen gab es wohl Vorbehalte gegen das Alkoholverbot, ohne dass in der Debatte klar wurde, warum eigentlich. Im Rahmen der Abstimmung mit der SPD, die die Vorlage unterstützt, hat man sich jedoch auf den Kompromiss verständigt, das Verbot zunächst nur um zwei Jahre zu verlängern und mit einer umfassenden Evaluation zu begleiten. Ob der Erkenntnisgewinn dabei wesentlich über das hinausgeht, was bereits der aktuellen Vorlage und ihren Anlagen zu entnehmen ist, erscheint mir zweifelhaft. Denn die nächsten zwei Jahre werden ohnehin noch von der Sondersituation der Corona-Pandemie und dem Umbau des Bahnhofs geprägt sein und wenig Neues über einen „Normalzustand“ am Bahnhof erkennen lassen.