Die Forderung nach Bürokratieabbau ist zur Zeit überall zu hören, von Wirtschaftsvertretern, aber auch aus der Politik. Die öffentliche Verwaltung solle sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren und mehr Vertrauen in die Bürgerinnen und Bürger bzw. Unternehmen haben. In einer aktuellen Vorlage hat Oberbürgermeister Dieter Reiter den Spieß umgekehrt und mehr Vertrauen in das Handeln der Stadtverwaltung eingefordert. Denn er möchte die Verwaltung von umfangreichen Berichtspflichten gegenüber dem Stadtrat und der Öffentlichkeit entlasten. Worum es dabei geht und wie die Stadträtinnen und Stadträte darauf reagiert haben, wird im Folgenden zusammengefasst und kommentiert.
Für den Münchener Stadtrat sind regelmäßige Berichte ein wichtiges Kontrollinstrument. Beispielsweise muss die Verwaltung alle zwei Jahre darüber informieren, welche Probleme es in der Münchner Altenpflege gibt. Ein anderes Beispiel ist die KITA-Jahresstatistik, mit der über die Situation in Münchner Kindergärten berichtet wird. Neben solchen Spezialberichten gibt es einmal im Jahr eine Aufstellung, welche Beschlüsse des Stadtrats die Verwaltung noch nicht umgesetzt hat. Eine andere wiederkehrende Aufgabe ist die Prüfung auf Klimarelevanz, der jede Beschlussvorlage unterzogen wird. Damit wird untersucht, ob und wenn ja welche Auswirkungen eine Entscheidung auf das (Stadt-) Klima haben wird.
Mit seiner umfangreichen Vorlage schlägt der OB vor, über 30 dieser Berichte abzuschaffen. Die Beschlussvollzugskontrolle soll ebenso ersatzlos wegfallen wie die Prüfung auf Klimarelevanz . Begründet wird das einerseits mit der Notwendigkeit, die Verwaltung zu entlasten, um das knappe Personal für andere Aufgaben einsetzen zu können. Zum anderen wird ein Grundsatzvertrauen des Stadtrates gegenüber der Verwaltung eingefordert, wenn es beispielsweise heißt:
„Der Vollzug von Aufträgen aus Stadtratsbeschlüssen ist laufende Angelegenheit der Verwaltung. Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass Stadtratsbeschlüsse
auch umgesetzt werden.“
Darüber hinaus sollen Berichte, die die städtischen Gesellschaften betreffen, beispielsweise zur Frauenförderung oder zu den Eckdaten von Verträgen der Geschäftsführungsmitglieder städtischer Unternehmen, vom Stadtrat in den Aufsichtsrat der jeweiligen Gesellschaft verlegt werden.
Was ist nun davon zu halten? Ich denke, es kommt auf den Einzelfall an. In der Tat gibt es einige Berichte, die (inzwischen) entbehrlich erscheinen. Regelmäßige Aufstellungen über den Papierverbrauch der Verwaltung gehören ebenso dazu wie die wiederkehrende Auflistung der Elektrofahrzeuge im städtischen Fuhrpark.
Allerdings ist der OB mit seiner Vorlage weit über das Ziel hinausgeschossen. Ähnlich wie bei Landtagen und dem Bundestag ist es die Aufgabe des Stadtrates, das Handeln der Verwaltung wirksam zu kontrollieren. Das kann nur gelingen, wenn wesentliche Informationen darüber, was in der Stadt passiert, beispielsweise welche Probleme es in den städtischen Altenheimen und Kindertagesstätten gibt, in regelmäßigen Zeitabständen zusammengestellt werden. Würden solche Berichte wegfallen, müssten Stadträtinnen und Stadträte ständig Einzelanfragen stellen, um vermeintlichen oder tatsächlichen Missständen auf den Grund zu gehen. Die Verwaltung würde im Ergebnis nicht entlastet.
Problematisch finde ich auch die Verlagerung von relevanten Informationen über städtische Gesellschaften vom Stadtrat in die entsprechenden Aufsichtsräte. Zwar sind auch dort Mitglieder des Stadtrates vertreten, aber nicht die Öffentlichkeit. Städtische Unternehmen sind jedoch keine Privatveranstaltungen und Fragen, wie die Auswirkungen der Frauenförderung, gehören in die öffentliche Diskussion und nicht hinter verschlossene Türen.
Besonders bedenklich erscheint mir der Verzicht auf die Beschlussvollzugskontrolle. Man muss nicht an Lenin glauben („Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“), um dieses Instrument für wichtig zu halten. Es geht eher darum, dass sich die Verwaltung selbst in regelmäßigen Zeitabständen vergegenwärtigt, ob sie den politischen Willen des gewählten Stadtrats umgesetzt hat, oder ob etwas durchgerutscht oder einfach liegengeblieben ist. Mit Hilfe einer intelligenten Software sollte so ein Bericht mit wenig Aufwand erstellt werden können.
Der ersatzlose Wegfall der Regelprüfung auf Klimarelevanz ist problematisch, solange München von den höchst ambitionierten Klimazielen („Klimaneutral 2035“ ) noch weit entfernt ist. Der OB meint in seiner Vorlage, man könne darauf verzichten, weil sich in der Vergangenheit daraus nichts ergeben hätte:
„Die Darstellung in der Beschlussvorlage dient i. d. R. nur der nachträglichen Information und bietet keine wesentlichen Steuerungsmöglichkeiten.“
Das glaube ich nicht. Häufig werden Vorlagen der Verwaltung durch Anträge der Fraktionen vor und während der Beratung stark verändert. Genau dann spielt die fachlich fundierte Darstellung, welche Auswirkungen auf das (Stadt-) Klima eine Entscheidung haben wird, eine wesentliche Rolle. Wenn beispielsweise das Stadtplanungsreferat einen Bebauungsplan zur Abstimmung stellt, sollte jede Stadträtin und jeder Stadtrat auch in Zukunft genau wissen, welche Auswirkungen die geplante Bebauung (oder eine Änderung daran) auf Kaltluftschneisen oder das lokale Mikroklima vor Ort hat.
In der Vollversammlung am vergangenen Mittwoch waren solche oder ähnliche Bedenken wohl bei allen Fraktionen zu finden. Denn auf Antrag der CSU wurde die Vorlage des OB einstimmig in den Herbst vertagt, um für die Bewertung, auf welche Berichte verzichtet werden kann, mehr Zeit zu haben. Gut wäre es, wenn gemäß der Anregung von Richard Progl von der Bayernpartei die Vorlage bis dahin mit Abschätzungen ergänzt würde, wieviel Verwaltungspersonal bei Wegfall des jeweiligen Berichts eingespart würde. Denn dann könnte der erwünschte Ressourcengewinn mit den Nachteilen des Informationswegfalls besser abgewogen werden.
Im Ergebnis zeigt die an sich begrüßenswerte Initiative des OB, dass „Bürokratieabbau“ – so populär dieses Schlagwort auch ist – nicht per se positiv ist, sondern mit Augenmaß gehandhabt werden sollte.