Der Münchner Flughafen als Modellfall

Die Situation am Münchner Flughafen ist seit Monaten schlecht. Verspätungen und Probleme bei der Gepäckausgabe werden von den Fluggästen ebenso bemängelt wie lange Wartezeiten vor den Sicherheitskontrollen. Bisheriger Höhepunkt war der 3. Oktober, an dem sich die Schlange der Reisenden weit aus dem Terminal 2 heraus erstreckt hat. Manche Fluggäste haben trotz rechtzeitiger Anreise ihre Flüge verpasst. Die Münchner CSU-Fraktion hat deshalb kurzfristig beantragt, dass der Geschäftsführer des Flughafens, Jost Lammers, den Stadträtinnen und Stadträten die Ursachen des Chaos erklärt und darlegt, wie solche Situationen in Zukunft vermieden werden.

Warum Herr Lammers im Ausschuss für Arbeit und Wirtschaft gestern keine neuen Freunde gewonnen hat, wird im folgenden Bericht ebenso erläutert wie ein paar Gedanken zu tieferliegenden Ursachen der Probleme, deren Auswirkungen weit über den Münchner Flughafen hinausreichen.

Die Flughafen München GmbH gehört zu 23% der Stadt München. Weitere Gesellschafter sind das Land Bayern mit 51% und der Bund mit 26% der Anteile. München hat nicht nur als Miteigentümer ein erhebliches Interesse an einem gut funktionierenden Flughafen. Für viele international tätige Unternehmen sind zuverlässige Flugverbindungen ein wesentlicher Standortfaktor.

Wer nun erwartet hatte, dass Herr Lammers auch nur ein Gramm Asche auf sein Haupt streut und sich für Managementfehler entschuldigt, die zur schlechten Situation mit beigetragen haben könnten, wurde enttäuscht. Ganz im Gegenteil, nach Aussage des Geschäftsführers war ausschließlich eine Verkettung unglücklicher Umstände für das Fiasko verantwortlich:

  • Insbesondere das Reiseverhalten der Fluggäste an diesem Tag sei eine Ursache gewesen, die teilweise schon sechs Stunden vor Abflug erschienen seien und dadurch die Sicherheitskontrolle verstopft hätten.
  • Da die S-Bahn zum Flughafen an diesem Tag nur unregelmäßig gefahren sei, seien einzelne Bahnen mit bis zu 1000 Reisenden besetzt gewesen, was in der Folge ebenfalls zur Überlastung der Sicherheitskontrolle geführt habe.
  • Die Kapazität der Sicherheitskontrolle sei aufgrund von unvermeidlichen Baumaßnahmen um 10% eingeschränkt gewesen.
  • Erst vor kurzem geänderte Vorschriften der EU hätten die Dauer der Passagierkontrolle verlängert.

Das mag alles stimmen. Dennoch war dieser Vortrag ungeschickt und ist auf harsche Ablehnung („Frechheit“ ) im Ausschuss gestoßen. Denn selbst wenn diese Punkte den 3. Oktober erklären können, bleibt doch die grundlegende Frage aus dem CSU-Antrag, warum sich die Situation am Flughafen München seit der Corona-Pandemie so stark verschlechtert hat.

Dazu gab es weniger klare Antworten. Es scheint jedoch so, als ob der Flughafen in der Pandemie so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verloren hat, dass auch mehrere Jahre danach ein reibungsloser Ablauf nicht gewährleistet werden kann, selbst wenn die Flugbewegungen erst 88% des Vorkrisenniveaus erreicht haben.

Interessant ist dazu die Aussage von Herrn Lammers, dass man in den vergangenen Monaten weit über 1000 Personen eingestellt habe, die – mangels Alternativen in Deutschland und der EU – zu zwei Dritteln aus Ländern außerhalb der EU kämen. Hier sei zunächst ein erheblicher Aufwand zur Schulung und Sicherheitsüberprüfung erforderlich, bevor diese Personalverstärkung zur Verbesserung der Situation beitragen könne.

Aus meiner Sicht ist der Münchner Flughafen damit ein Modellfall für die Herausforderungen, vor der die gesamte deutsche Wirtschaft steht. Die Anzahl der für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Personen verringert sich rapide, ohne dass es hinreichend gelingt, im In- und Ausland Ersatz zu finden. Wissenschaftlich formuliert findet man das in einer aktuellen Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Danach nimmt durch den Renteneintritt der Baby-Boomer bis 2040 das Arbeitskräftepotential (über alle Qualifikationen hinweg) um etwa 7 Millionen Personen ab. Das ist eine Menge, wenn man bedenkt, dass die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aktuell ungefähr 34 Millionen beträgt. In der Studie heißt es dazu:

Da das Arbeitskräftepotenzial im Zuge der Verrentung der Babyboomer stark sinkt, muss es entweder durch Zuwanderung vergrößert werden, oder das bestehende Potenzial muss besser ausgeschöpft werden. […] Eine Intensivierung der arbeitsmarktgesteuerten Zuwanderung von Fachkräften wurde vom Gesetzgeber durch Erleichterungen im Aufenthaltsrecht auf den Weg gebracht. Zurzeit gelingt es aber noch nicht, dies in verstärkte Fachkräftezuwanderung umzusetzen. […].

Hinzu kommt, dass traditionelle osteuropäische Herkunftsländer der Zuwanderung nach Deutschland erstens selbst niedrige Geburtenraten aufweisen und zweitens der Wohlstandsunterschied und damit der Migrationsanreiz mit zunehmender Konvergenz abnimmt.

Gelingt das [die Erhöhung des Arbeitskräftepotenzials] nicht, drohen eine Abnahme des Potenzialwachstums und damit einhergehende Wohlstandsverluste […].

Es bleibt zu hoffen, dass der Münchner Flughafen seine Probleme in den Griff bekommt. Die Ausbildung von arbeitssuchenden Migranten von außerhalb der EU wird dabei eine zentrale Rolle spielen. Nichts anderes gilt bei der gesamtgesellschaftlichen Bewältigung des demografischen Wandels in den nächsten Jahren und Jahrzehnten.

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