Der Münchner Mietspiegel 2023

In den letzten Wochen wurde viel über den neuen Mietspiegel berichtet. Danach ist die Durchschnittsmiete in München seit 2019 um mehr als 24% gestiegen. Die Vorstellung des aktuellen Zahlenwerks im Sozialausschuss am vergangenen Donnerstag bot mir die Gelegenheit, dieses Thema genauer zu verstehen. Im Folgenden geht es zum einen um die Auswirkungen des Mietspiegels und zum anderen um die Frage, wie er berechnet wird. Es zeigt sich, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen aber auch Probleme bei der Datenerfassung der Bestandsmieten den Mietspiegel und damit die Mieten in München nach oben treiben.

Grundlage für Mieterhöhungen, die nicht bereits im Mietvertrag stehen (z.B. bei einer Staffelmiete oder einer Indexmiete), sind die §§ 558 ff aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Der Kern des § 558 ist nicht schwer zu verstehen:

(1) Der Vermieter kann die Zustimmung zu einer Erhöhung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen [….].

(2) Die ortsübliche Vergleichsmiete wird gebildet aus den üblichen Entgelten, die in der Gemeinde oder einer vergleichbaren Gemeinde für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage einschließlich der energetischen Ausstattung und Beschaffenheit in den letzten sechs Jahren vereinbart [….] worden sind. Ausgenommen ist Wohnraum, bei dem die Miethöhe durch Gesetz oder im Zusammenhang mit einer Förderzusage festgelegt worden ist.

Und in § 558c findet man:

(1) Ein Mietspiegel ist eine Übersicht über die ortsübliche Vergleichsmiete [….].

Ein Vermieter kann daher grundsätzlich eine Mieterhöhung verlangen, wenn die Miete unterhalb des für diese Wohnung geltenden Wertes des Mietspiegels liegt. Wie hoch der Mietspiegel für eine Wohnung in einer bestimmten Lage, Größe, Ausstattung, etc. ist, kann man leicht mit einem kürzlich aktualisierten Online-Rechner der Stadt feststellen:

Beispielhaftes Ergebnis einer online Berechnung der Vergleichsmiete mit dem Mietspiegel 2023. Die „durchschnittliche ortsübliche Miete“ (oben blau hinterlegt) wird mit einer Spanne nach oben und unten angegeben, damit individuelle Variationen in der Ausstattung einer Wohnung noch berücksichtigt werden können, die mit den etwa 20 eingegebenen Berechnungsparametern nicht bereits erfasst sind.

Im Ergebnis ist anzunehmen, dass der neue Mietspiegel für viele Münchner Haushalte zu einer deutlichen Mieterhöhung führen wird.

Aber wie wird der Mietspiegel bestimmt und damit der im obigen Online-Rechner verwendete Algorithmus? In den Unterlagen zur Vorbereitung der Sitzung des Sozialausschusses findet man folgendes Dokument:

Dokumentation zum Mietspiegel 2023

Auf 139 Seiten wird im Detail erläutert, wie der Lehrstuhl für Statistik der LMU München unter Leitung von Prof. Kauermann zusammen mit der Firma Kantar Daten zu den Mieten in München erhoben und daraus den Mietspiegel 2023 berechnet hat. Das ist kein einfacher Lesestoff, außer man verfügt über gute Kenntnisse in Statistik. Im Folgenden werden nur die wesentlichen Aspekte des angewandten Verfahrens und die zugrundeliegenden Annahmen erläutert und diskutiert.

In München gibt es keine vollständigen Daten über die auf dem freien Markt vereinbarten Wohnungsmieten. Zwar weisen viele Immobilienportale Durchschnittsmieten aus. Jedoch betrifft das in der Regel nur Neuvermietungen. Bestandsmieten werden damit nicht erfasst.

Für die Erstellung des Mietspiegels wurden daher aus dem Einwohnermelderegister ca. 80.000 zufällig ausgewählte Personen angeschrieben mit der Bitte, für ein „Hauptinterview“ zur Verfügung zu stehen, in dem umfangreiche Angaben zur Wohnung und Miete abgefragt werden. Geantwortet haben darauf etwa 20.000 Personen. Davon dürfen allerdings nur „mietspiegelrelevante“ Haushalte ausgewertet werden. Gemäß dem oben zitierten § 558 BGB fallen Sozialwohnungen nicht darunter, da deren Mieten gefördert (= abgesenkt) sind. Ebenso bleiben Mietverhältnisse unberücksichtigt, bei denen die Miete zuletzt vor mehr als sechs Jahren angepasst oder festgelegt worden ist.

Letzteres ist ein ganz wesentlicher Punkt. Denn wegen dieser Beschränkung mussten etwa 15% (3438 Haushalte) der auskunftsbereiten Haushalte aussortiert werden. Bei insgesamt steigenden Mieten ist es offensichtlich, dass diese Haushalte im Vergleich eher niedrige Mieten bezahlen. Lässt man diese Werte bei der Analyse des freien Mietmarktes außer Betracht, kommt am Ende zwangsläufig ein höherer Mietspiegel zustande.

In der Sitzung hat die SPD-Vorsitzende Anne Hübner auf ein weiteres Problem hingewiesen. Wie bei anderen Befragungen auch sind Personen mit Migrationshintergrund aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten weniger geneigt, an einem ausführlichen Interview für die Erstellung des Mietspiegels teilzunehmen. Die 20.000 Personen, die sich auf das Anschreiben der Stadt hin bereiterklärt haben, weitere Auskünfte zu liefern, sind daher möglicherweise keine repräsentative Stichprobe für die Mietverhältnisse in München. Es erscheint insbesondere denkbar, dass Haushalte von Migranten, die in eher günstigen Mietwohnungen wohnen, bei der Datenanalyse unterrepräsentiert sind. Auch das würde zur Erhöhung des Mietspiegels beitragen.

Die Stellungnahme von Prof. Kauermann dazu war eher unklar. In der Dokumentation findet man zwar mehrere Ansätze, wie Verzerrungen durch ein unterschiedliches Antwortverhalten auf die Erstanfrage korrigiert worden sind. Überlegungen wie die der SPD-Fraktionsvorsitzenden sind dabei jedoch nicht eingeflossen.

Am Ende wurden etwas mehr als dreitausend Hauptinterviews geführt, in denen über hundert Parameter zur jeweiligen Wohnung aufgenommen worden sind. Mit diesen Daten wurde ein Computermodell gefüttert. Danach ergibt sich die Quadratmetermiete QM als Summe einer durch die Wohnungsgröße bestimmten Funktion, einer Funktion, die vom Baujahr der Hauses abhängt, und weiterer Auf- oder Abschläge X1, X2,…, mit denen die Wohnlage und Aspekte der Wohnungsausstattung beschrieben werden.

QM = a + f(W) + g(B) + a1X1 + a2X2 + …

Die Funktionen f(W) und g(B) wurden ebenso wie die Parameter a, a1, a2, … mit Hilfe eines Computerprogramms mathematisch so ausgewählt, dass sich die beste Übereinstimmung mit den tatsächlichen Mieten der dreitausend Wohnungen ergibt.

Durch weitere Analysen wurde geprüft, welche Parameter tatsächlich einen signifikanten Einfluss auf den Mietpreis haben. Dies ist nur ein Teil der über hundert erfassten Parameter, nämlich die etwa 20 Wohnungseigenschaften, die schließlich im obigen Online-Rechner verwendet werden. Interessanterweise hat sich der energetische Zustand für den Mietspiegel 2023 nicht als signifikanter Parameter herausgestellt. Allerdings stammen die Daten noch aus der Zeit vor dem großen Preisanstieg bei den Energieträgern.

Ob die vorgenommene Modellierung und die statistische Auswertung „richtig“ ist, vermag ich ebenso wenig zu beurteilen wie wahrscheinlich der größte Teil der Stadträtinnen und Stadträte. Laut Prof. Kauermann wären grundsätzlich auch andere Modellierungen möglich, die beispielsweise in Regensburg und Augsburg verwendet werden. Dies würde aber nicht zu wesentlich anderen Ergebnissen führen.

Was bleibt nun als Fazit?

Wegen der Begrenzung auf in den letzten sechs Jahren vereinbarte Mieten hat Oberbürgermeister Reiter den Mietspiegel zu Recht als einen „Mieterhöhungsspiegel“ bezeichnet. Denn wenn langfristig stabile Mieten per Gesetz bei der Bestimmung der offiziellen Vergleichsmiete ausgenommen werden, stabilisiert der Mietspiegel nicht die Mieten, sondern trägt im Gegenteil zu einer beschleunigten Mietsteigerung bei.

Aber auch die Stadt könnte ihren Anteil leisten, um dämpfend auf den Mietspiegel einzuwirken. Die Unsicherheiten bei der statistischen Erfassung, die niedrigere Bestandsmieten großer Bevölkerungsgruppen möglicherweise nicht angemessen berücksichtigt, sollten beseitigt werden. Darüber hinaus erscheint es mir wegen der großen Bedeutung dieses Themas angemessen, in Zukunft mehr als ein Institut mit einer unabhängigen Berechnung des Mietspiegels zu beauftragen. Dann würde sich zeigen, ob alternative Berechnungsmethoden tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen, oder ob es vielleicht Spielräume gibt, die einen niedrigeren Mietspiegel ermöglichen.

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