Seit Jahresbeginn sind die Preise der Stadtwerke München (SWM) viel zu hoch. Wer als Kunde der SWM seine Tarife für Gas oder Strom mit den Marktpreisen vergleicht, wird blass. Für die Kilowattstunde Gas verlangen die SWM aktuell mehr als 20 Ct. Wettbewerber wie die Stadtwerke Leipzig bieten bundesweit Verträge an, bei denen die Kilowattstunde etwas weniger als 12 Ct kostet – und das mit Preisbindung für ein Jahr. Gleiches gilt beim Strom: Hier nehmen die SWM aktuell 58 Ct/kWh, während beispielsweise Vattenfall nur 38 Ct/kWh verlangt. Auch bei der Fernwärme sind die Preise der SWM deutlich angestiegen auf über 19 Ct/kWh, hier allerdings ohne die Möglichkeit, zu einem anderen Anbieter zu wechseln.
Warum ist das so? Dazu gab es am vergangenen Dienstag eine heftige Debatte im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit. „Sprachlos“ über solches „Managementversagen“ der Geschäftsleitung der SWM waren Stadträtinnen und Stadträte von CSU, FDP, LINKE und ÖDP. Im Folgenden soll anhand der Vorlage des Wirtschaftsreferats und der Argumente in der Sitzung erörtert werden, ob an diesem Vorwurf etwas dran ist.
Insbesondere als Bezieher von Ökostrom der Stadtwerke hat man sich bei den Preissteigerungen zum 1. Januar verwundert die Augen gerieben. Denn die SWM haben immer damit geworben, den Strom für sämtliche Münchner Haushalte aus erneuerbaren Energien zu erzeugen. Dessen Preis müsste doch unabhängig von den teuren Gaspreisen sein.
Wie immer bei Werbung lohnt es sich, genau hinzuschauen: Versprochen wird nur die Erzeugung, aber nicht die physikalische Lieferung von 100% Ökostrom. Das kann auch gar nicht anders sein. Denn es gibt es kein unabhängiges Stromnetz der SWM, weder für Ökostrom noch für konventionell erzeugten Strom. Im Gegenteil, in Europa speisen alle Stromerzeuger, egal welcher Art, ihren Strom in das sogenannte „Verbundnetz“ ein, aus dem heraus die europäischen Verbraucher versorgt werden. Ökostrom aus dem Netz ist daher immer „bilanzieller Ökostrom“. Das bedeutet genau das, was in der Werbeanzeige oben steht, nämlich, dass sich die Stadtwerke verpflichten, in das europäische Verbundnetz soviel Strom regenerativ einzuspeisen (zu „erzeugen“) wie 100% der Haushalte, die U-Bahn und die Tram in München verbrauchen. Physikalisch kommt dieser Strom aber aus dem Verbundnetz, das zu einem erheblichen Anteil immer noch Strom aus konventionellen Quellen wie Kohle, Gas und ein wenig Kernenergie enthält.
Auch wirtschaftlich ist die Erzeugung und der Verkauf des Stroms aus den regenerativen Kraftwerken der Stadtwerke unabhängig vom Einkauf des durch die SWM an die Münchner Verbraucher gelieferten Stroms. Und genau da, beim Einkauf, liegt der Grund für die aktuell enorm hohen Gas- und Strompreise der SWM.
Vor dem Krieg in der Ukraine sind die Großhandelspreise an der Strombörse, an der Strom verkauft bzw. gekauft wird, über viele Jahre hinweg tendenziell gesunken:
Gleiches gilt für Gas. Daher haben die Stadtwerke die Energie für ihre Münchner Kunden in der Vergangenheit eher kurzfristig eingekauft, um im Vergleich mit Wettbewerbern nicht zu teuer zu sein. Diese Strategie war über viele Jahre hinweg erfolgreich und hat zu einer soliden Finanzlage der Stadtwerke geführt sowie regelmäßigen Gewinnabführungen an den städtischen Haushalt.
Mit Putins Angriffskrieg hat sich die Situation völlig verändert. Hier der Verlauf des Strompreises in 2022:
Dargestellt ist die Preisentwicklung für verschiedene Lieferjahre in der Zukunft. Beispielweise zeigt die blaue Linie die Preisentwicklung in 2022 für einen Vertrag über eine Stromlieferung in 2023. Aufgrund ihrer eher kurzfristigen Einkaufsstrategie, so hat es der Vertreter der SWM im Ausschuss erklärt, mussten die Stadtwerke in der ersten Jahreshälfte 2022 noch erhebliche Strommengen (und Gas) einkaufen, um die Verbraucher in München weiterhin beliefern zu können. Wie man im Diagramm sehen kann, war das sehr teuer. Wettbewerber, die ihre Energie mehrere Jahre im Voraus einkaufen, sind jetzt – anders als in der Vergangenheit – im Vorteil. Den Stadtwerken geht es damit nicht anders als dem Besitzer einer Öl- oder Pelletheizung, der vor einem plötzlichen Preisanstieg den günstigen Zeitpunkt verpasst hat und jetzt teuer einkaufen muss, damit die Heizung nicht ausgeht.
War diese Preisentwicklung vorhersehbar? Wohl kaum, außer man gehört zu den wenigen Besitzern einer Glaskugel, die schon immer gewusst haben, was Putin vorhat.
Ein weiterer Vorwurf der CSU-Fraktion an die Adresse der Stadtwerke betrifft das sogenannte „Hatching“ der Marktrisiken. In der Theorie ist die Idee bestechend einfach: Beim Verkauf des Stroms aus den eigenen Erzeugungsanlagen der SWM sollten die Verträge genauso kurzfristig geschlossen werden wie beim Einkauf. Änderungen des Börsenpreises würden sich dann gleichzeitig auf beiden Seiten bemerkbar machen und damit weitgehend kompensieren.
Die Realität ist leider deutlich komplexer: Zum einen unterliegen einige regenerative Kraftwerke der SWM noch dem Einspeise-Energie-Vergütungsgesetz (EEG) mit langfristig festgelegten Verkaufspreisen des erzeugten Stroms. Noch wichtiger aber ist Folgendes: In der Tat haben die Stadtwerke in den letzten Monaten aufgrund der hohen Strompreise mit ihren regenerativen Erzeugungsanlagen viel mehr Geld verdient als in der Vergangenheit – im Ausschuss war die Rede von hohen dreistelligen Millionenbeträgen. Eine interne Kompensation der hohen Einkaufspreise ist aber nur sehr begrenzt möglich, weil inzwischen der Staat mit den Gas- und Strompreisbremsen erheblich in den Markt eingegriffen hat. Und zwar auf beiden Seiten:
Zum einen wird die Gas- bzw. die Strompreisbremse rückwirkend ab 1. Januar 2023 die oben genannten horrenden Tarife der SWM auf 12 Ct/ kWh bzw. 40 Ct/kWh reduzieren. Damit sind jedenfalls für 80% des bisherigen Verbrauchs die preislichen Unterschiede zu den oben genannten Wettbewerbern nur noch sehr gering.
Zum anderen schöpft der Gesetzgeber die sogenannten „Übergewinne“ bei der regenerativen Stromerzeugung ab, sodass die SWM bis zu 90% der hohen Gewinne aus ihren Windparks und Solaranlagen werden abgeben müssen. Ein internes „Hatching“ der Kostensteigerungen des Einkaufs, wie vom CSU-Vorsitzenden Manuel Pretzl in der Debatte gefordert, ist daher weitgehend unmöglich.
Wie geht es nun weiter? Sowohl die beiden Bremsen für Gas und Strom als auch die Abschöpfung der Übergewinne sind bis zum 31. März 2024 begrenzt. Es bleibt zu hoffen, dass niedrigere Großhandelspreise an der Börse bis dahin wieder zu wettbewerbsfähigen Tarifen der SWM führen. Ansonsten wäre in 2024 eine massive Abwanderung von Kunden zu anderen Anbietern zu befürchten.
Das obige Diagramm mit den detaillierten Prognosen über den zeitlichen Verlauf bis 2027 gibt Anlass zu Zweifeln.
Kann es sein, dass es sich um Daten aus der Vergangenheit handelt?
Ich verstehe das Diagramm nicht als Prognose, sondern als Verlauf der Preise in der Vergangenheit (im Laufe des Jahres 2022) für abgeschlossene Terminkontrakte für Lieferungen in der Zukunft, d.h. je nach Farbe der Kurve für Lieferungen in 2023 – 2027. Das betrifft genau das, was die SWM gemacht haben. Sie haben (nach eigener Aussage im Ausschuss) im Sommer 2022 Energie einkaufen müssen, die in 2023 und später geliefert werden wird. Ähnliche Daten wie in dem gezeigten Diagramm findet man auch hier: https://first-energy.net/energieeinkauf/report-strompreisentwicklung