Korruption – ein hochaktuelles Thema

Es kommt immer wieder vor, dass die Tagesordnung des Münchner Stadtrates perfekt zu brandheißen Themen der „großen“ Politik passt. So auch gestern im Verwaltungs- und Personalausschuss, wo vorbeugende Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung diskutiert wurden. Eine Vielzahl von Anträgen aus dem Stadtrat war darauf gerichtet, Vorkommnisse wie im Bayrischen Landtag („Maskenaffäre“) und ganz aktuell im Europaparlament zu verhindern. Die Debatte hat nicht nur in aller Deutlichkeit gezeigt, wie Interessenkonflikte für Stadträtinnen und Stadträte aller Fraktionen entstehen können. Zu sehen war insbesondere, welche Schwierigkeiten die Münchner CSU-Fraktion mit diesem Thema hat.

Im Folgenden wird zunächst die – sehr unbefriedigende – Rechtslage in Bayern erläutert. Danach werden die im Ausschuss diskutierten Ansätze zur Korruptionsbekämpfung berichtet und kommentiert.

Wenn sich Mandatsträger bestechen lassen, machen sie sich strafbar, vgl. § 108e StGB:

„(1) Wer als Mitglied einer Volksvertretung des Bundes oder der Länder einen ungerechtfertigten Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei der Wahrnehmung seines Mandates eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung vornehme oder unterlasse, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. […..] (Hervorhebung hinzugefügt)

Nach Absatz (3) gilt dies auch für Mitglieder des Stadtrates oder eines Bezirksausschusses.

Das Problem liegt in der engen Auslegung der Worte „bei der Wahrnehmung seines Mandates“ durch die Gerichte. Damit werden ausschließlich Handlungen eines Mandatsträgers „im Rahmen von parlamentarischen Verhandlungsgegenständen“ erfasst, nicht jedoch „im Rahmen seiner sonstigen außerparlamentarischen Aufgaben“ vgl. das jüngste Urteil des Oberlandesgerichts München zur Maskenaffäre. Die beiden CSU-Landtagsabgeordneten Sauter und Nüsslein sind straffrei geblieben, obwohl sie in der Pandemie insgesamt 1,2 Mio. Euro für die Vermittlung von Lieferverträgen an das Gesundheitsministerium kassiert haben. Denn die Entscheidung für den Kauf der Masken war eine Entscheidung der Exekutive und kein Gegenstand parlamentarischer Beratung.

Ob diese Rechtsauffassung auch vor dem Bundesgerichtshof Bestand hat, bleibt abzuwarten. Wenn dem so ist, hat der obige Paragraf ein großes Loch. Denn es kann nicht sein, dass Abgeordnete sich ihre politischen Kontakte und Einflussmöglichkeiten auf Kosten der Allgemeinheit versilbern lassen. Letztlich hat niemand anders als der Steuerzahler diese unglaublichen Provisionen durch einen höheren Maskenpreis bezahlt.

Vor diesem Hintergrund haben mehrere Anträge im Ausschuss verlangt, dass sich die Stadt München strenge Regeln gibt, um die Transparenz des Handelns ihrer Mandatsträger zu verbessern und um festzulegen, wie mit Zuwendungen Dritter an Stadträtinnen und Stadträten umzugehen ist. Dies ist auch eine Voraussetzung für eine mögliche Mitgliedschaft Münchens bei Transparency International Deutschland, die ebenfalls beantragt worden war.

Website von Transparency International Deutschland

Leider hat die ausführliche Prüfung der Rechtslage durch das Direktorium der Stadtverwaltung ergeben, dass die Handlungsmöglichkeiten des Münchner Stadtrates sehr begrenzt sind. Wie in einer Vorlage für die gestrige Sitzung im Detail erläutert, gibt es in Bayern, anders als beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, keine gesetzliche Grundlage, die den Kommunen erlaubt, eigenständige Transparenzregelungen zu beschließen. Interessenkonflikte von Mandatsträgern werden neben der obigen Strafvorschrift nur durch Art. 49 der Bayrischen Gemeindeordnung geregelt. Darin heißt es:

Ein Mitglied [des Stadtrats] kann an der Beratung und Abstimmung nicht teilnehmen, wenn der Beschluss ihm selbst, einem Angehörigen (…) oder einer von ihm vertretenen natürlichen oder juristischen Person oder sonstigen Vereinigung einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann.

Ob eine solche Situation vorliegt, wird allerdings nicht von Amts wegen geprüft. Vorstellbar sind solche Konstellationen jedoch ohne Weiteres. Ein paar Beispiele, die von den Ausschussmitgliedern in der Debatte selbst angeführt wurden:

  • Manche Stadtratsmitglieder sind Mieter einer Wohnung einer der beiden städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Wenn der Stadtrat einen fünfjährigen Mietenstopp bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften beschließt, ergibt sich daraus zweifelsfrei ein unmittelbarer Vorteil.
  • Einige Stadtratsmitglieder arbeiten ehrenamtlich oder sogar beruflich in Vereinen oder Organisationen, die für ihre – häufig gemeinnützige – Tätigkeit erhebliche Unterstützungszahlungen aus dem städtischen Haushalt bekommen. Auch das ist ein Interessenkonflikt.
  • Problematisch könnte auch die Annahme von kleineren Zuwendungen sein, beispielsweise Freikarten von Theatern, Schaustellern o.ä., die ihrerseits von Entscheidungen des Stadtrates betroffen sind, sei es über finanzielle Unterstützung oder auch einfach nur durch die Festlegung von Öffnungszeiten und ähnliche Ordnungsvorschriften. Anders als für die Mitarbeiter der Stadtverwaltung, für die eine strikte Antikorruptionsrichtlinie gilt, fehlt es für Mandatsträger aktuell an jeder Compliance-Regelung.

Um mehr Transparenz zu schaffen, hat der Ausschuss am Mittwoch nach lebhafter Debatte gegen die Stimmen der CSU Folgendes beschlossen:

Der Stadtrat der Landeshauptstadt München fordert die Einführung einer gesetzlichen Grundlage, die die Handlungsfreiheit der Kommunen in Bayern […] stärkt [….]. Dabei soll insbesondere die mögliche Reichweite anzeigepflichtiger Tätigkeiten zur Herstellung von Transparenz […..] geregelt werden. [….]

Kommunen sollten dazu befugt sein, die Annahme von bestimmten Zuwendungen durch Mandatsträgerinnen zu untersagen, auch soweit die Annahme nicht die reformbedürftig hohen Voraussetzungen des § 108e StGB überschreiten. Die zum Vollzug solcher kommunaler Regelungen nötigen Eingriffs- und Ahndungsbefugnisse (wie z.B. öffentliche Beanstandung im Rat oder ggf. auch Festsetzung eines Ordnungsgelds), sowie zwingend gebotene Ausnahmen sind […] entsprechend zu regeln.“ (Hervorhebung hinzugefügt)

Warum hat die CSU-Fraktion diesen, wie ich finde, sehr vernünftigen Forderungen nach mehr Transparenz und Klarheit nicht zugestimmt? Frau Stadträtin Menges hat dazu in einer bemerkenswerten Rede ausgeführt, der Münchner Stadtrat treffe ohnehin keine Entscheidung im Einzelfall wie individuelle Baugenehmigungen. Beraten und beschlossen würden nur allgemeine politische Rahmenvorgaben. Deswegen brauche es über die bestehenden gesetzlichen Vorschriften hinaus auch keine weiteren Regelungen. Den Anträgen der anderen Fraktionen läge eine moralisierende Haltung zu Grunde, die von der CSU-Fraktion abgelehnt werde.

Das ist, um es freundlich auszudrücken, bestenfalls naiv. Auch der Bayrische Landtag hat keine Einzelfallentscheidung zum Maskenkauf getroffen. Das waren am Ende die Beamten im Gesundheitsministerium. Darauf hat Oberbürgermeister Reiter in der Debatte zu Recht hingewiesen. Korruption beginnt in aller Regel weit im Vorfeld einer konkreten Entscheidung.

Darüber hinaus ist die Auffassung von Frau Menges auch schlicht falsch. Insbesondere im Baurecht trifft der Stadtrat durchaus Einzelfallentscheidungen. Wenn beispielsweise ein Bebauungsplan beschlossen wird, liegt dem häufig ein ganz konkretes Bauprojekt eines Investors zugrunde. Die später von der Verwaltung erteilte Baugenehmigung ist dann nur noch Formsache. Genau in diesem Bereich finden sich auf kommunaler Ebene typische Korruptionsaffären, wie beispielsweise in Regensburg.

Korruption ist wie ein Virus, das jede Organisation befallen kann. Völlig vermeiden lässt sich das nicht. Aber wie eine Impfung bewirken gute Transparenzregeln, dass solch ein Fall schnell erkannt und beseitigt wird, ohne dass es zu einem größeren Schaden kommt. Bayern kann hier sicher noch den ein oder anderen Booster vertragen.

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