Vom Verkehrsversuch zum Provisorium

Die Neugestaltung der Fraunhoferstraße war eines der großen Aufregerthemen des letzten Kommunalwahlkampfes. Zur Erinnerung: Nachdem sich unter der schwarz-roten Rathauskoalition der vergangenen Wahlperiode (fast) nichts für den Radverkehr in München getan hat, kam 2019 Bewegung in die Diskussion. Das lag zum einem am erfolgreichen Münchner Radentscheid, mit dem der Stadtrat im Juli 2019 einen massiven Ausbau der Infrastruktur für den Radverkehr beschlossen hat. Zum anderen hat die SPD-Fraktion noch vor der Kommunalwahl im Frühjahr 2020 verkehrspolitisch die Seiten gewechselt und zusammen mit den Grünen den „Verkehrsversuch“ Fraunhoferstraße beschlossen. Damit wurde diese zentrale Verbindungsstraße vom Isarufer zum Sendlinger Tor innerhalb weniger Wochen von so:

Zustand der Fraunhoferstraße vor dem Beginn des Verkehrsversuchs
(Quelle: Präsentation Mobilitätsreferat)

auf so umgestaltet:

Aktueller Zustand der Fraunhoferstraße (Quelle: eigenes Bild)

Dadurch sind ca. 120 Parkplätze entfallen. An deren Stelle wurden zwei breite und damit „Radentscheid-konforme“ Radwege farbig markiert.

Eigentlich hätte der Verkehrsversuch nur ein Jahr dauern sollen. Doch dann kam Corona und viele andere dringende Themen, unter anderen die Gründung eines ganz neuen Referats in der Stadtverwaltung, das inzwischen alle Fragen der Mobilität in München bearbeitet. Daher wurden die Ergebnisse erst gestern in der Sitzung des Mobilitätsausschusses vorgelegt. Über die Diskussion der Stadträtinnen und Stadträte wird im Folgenden ebenso berichtet wie über die mittel- und langfristigen Pläne für die weitere Gestaltung der Fraunhoferstraße.

Ausgangspunkt war eine Vorlage des Referats, in der Erkenntnisse aus den letzten zwei Jahren zusammengefasst sind. Ein zentraler Punkt ist die gestiegene Sicherheit:

Entwicklung der Unfallszahlen in der Fraunhoferstraße
(Quelle: Präsentation Mobilitätsreferat)

Die Stadträte der CSU-Fraktion wollten das jedoch nicht gelten lassen, denn die gesunkenen Unfallzahlen seien nur auf eine insgesamt um etwa 20% niedrigere Benutzung der Fraunhoferstraße zurückzuführen.

Da mag nun jeder seine eigene statistische Rechnung aufmachen. Ich denke, dass letztlich die Einschätzung des Münchner Polizeipräsidiums zutreffend ist:

Mit der Einrichtung der Radfahrstreifen in der Fraunhoferstraße und dem damit verbundenen Wegfall von Parkmöglichkeiten konnte sicherlich erreicht werden, dass der Straßenraum für alle Verkehrsteilnehmer insgesamt übersichtlicher und das Verkehrsgeschehen damit überschaubarer geworden ist. Insbesondere Radfahrer auf den deutlich abmarkierten Radfahrstreifen werden im Gegensatz zum Zustand davor leichter erkannt. […] die Zahl der Verkehrsunfälle mit Radfahrerbeteiligung im Nachher-Betrachtungszeitraum [ist] deutlich niedriger als im Vorher-Betrachtungszeitraum.“

(Zitat aus der Vorlage des Mobilitätsreferats)

Für die Stadträte der CSU-Fraktion war auch diese Analyse nicht überzeugend. Sie sei lediglich eine diplomatische Gefälligkeitsaussage der Polizei zugunsten der aktuellen grün-roten Rathauskoalition. Allerdings teilen nicht alle in der CSU diese Auffassung. Im zuständigen Bezirksausschuss 2 haben die CSU-Mitglieder 2019 noch gegen die Umgestaltung gestimmt, inzwischen allerdings die Beibehaltung der Radstreifen befürwortet.

Größere Übereinstimmung gab es im Mobilitätsausschuss bei der Feststellung, dass auch die aktuelle Situation noch unbefriedigend ist. Wie im Bild oben gut zu sehen, wird der Radweg und der schmale Gehweg häufig als Kurzparkzone missbraucht. Auch dazu hat das Mobilitätsreferat Zahlen vorgelegt:

Zwei Schlussfolgerungen drängen sich auf: Zum einen braucht es in der Tat Haltemöglichkeiten, insbesondere zur Auslieferung von Paketen und Waren, zum anderen sind es mehrheitlich private Pkws, die illegal auf dem Rad- und Gehweg parken.

Für den Liefer- und Warenverkehr hat die Verwaltung bereits in der Vergangenheit Ladezonen in mehreren Querstraßen der Fraunhoferstraße ausgewiesen. Das war jedoch weitgehend wirkungslos, weil deren Kennzeichnung kaum zu erkennen ist und Falschparker auf diesen Ladezonen nicht durch enge Überwachung und Bußgelder abgeschreckt werden, wie beispielsweise hier zu sehen:

Der schwarze Tesla steht illegal auf einer Ladezone, die allerdings nur schlecht gekennzeichnet ist. (Quelle: eigenes Bild)

Das soll sich ändern. Laut Vorlage sollen die Ladezonen in den Nebenstraßen in Zukunft unübersehbar werden:

Geplante Kennzeichnung der Ladezonen (Quelle: Vorlage des Mobilitätsreferats)

Es bleibt abzuwarten, wie dadurch das Falschparken auf der Fraunhoferstraße reduziert werden kann.

Warten muss man auch auf eine endgültige Umgestaltung, mit der die Fraunhoferstraße von einer eher unschönen Durchgangsstraße in einen attraktiven innerstädtischen Boulevard umgebaut werden soll. Dafür werden die Gehwege jeweils um einen halben Meter verbreitert. Die Radwege werden Richtung Straßenmitte verlegt und die Fahrbahn wird auf das erforderliche Mindestmaß verringert:

Zukünftige Aufteilung des Straßenraums in der Fraunhoferstraße
(Quelle: Präsentation Mobilitätsreferat)

Diese Gehwegverbreiterung würde jetzt allerdings 4 – 5 Mio Euro kosten. Vor diesem Hintergrund hat der Ausschuss in seinem Beschluss mehrheitlich der Empfehlung in der Vorlage zugestimmt, diesen Umbau erst 2030 zusammen mit der anstehenden Gleiserneuerung in der Fraunhoferstraße anzugehen. Bis dahin bleibt es beim gegenwärtigen Provisorium.

Im Ergebnis steht die Fraunhoferstraße beispielshaft für die mittel- und langfristige Entwicklung der gesamten Innenstadt. Der nur begrenzt zur Verfügung stehende Raum wird neu verteilt. Flächen für fahrende und parkende Autos werden zugunsten von Radverkehr und Fußgängern reduziert. Und wenn man dann in vielen Jahren einmal zurückschaut, werden vielleicht auch die CSU-Stadträte zustimmen, dass das der richtige Weg gewesen ist.

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