Der Straßenraum in München wird neu verteilt

Die Kommunalwahl 2020 war maßgeblich von der Diskussion über die Verkehrspolitik in München geprägt. Das Wahlergebnis lässt sich als klarer Auftrag an die grün-rote Rathauskoalition verstehen, den Umstieg auf den Umweltverbund (Fußgänger, Radfahrer und ÖPNV) endlich voranzubringen.

Wie schwierig jedoch die konkrete Umsetzung ist, hat einmal mehr die heutige Debatte im Mobilitätsausschuss gezeigt. Die Umgestaltung zentraler Verkehrsflächen im Herzen der Stadt, nämlich des Maximiliansplatzes, der Briennerstraße und der Ludwigstraße, bringt Zielkonflikte mit sich, die sich kaum auflösen lassen. Anders als man vielleicht denken könnte, ist es mit ein paar zusätzlich abmarkierten Radwegen nicht getan. Insbesondere Kreuzungen müssen völlig neu geplant werden. Noch anspruchsvoller wird das Ganze, wenn auch der Busverkehr ausgebaut werden soll und für den Klimaschutz zusätzliche Standorte für Baumpflanzungen benötigt werden.

Gelungen ist das meiner Ansicht nach mit der heute verabschiedeten Neuplanung der Kreuzung zwischen der Briennerstraße und dem Oskar-von-Miller-Ring. Zwei harte Nüsse sind aber noch zu knacken, nämlich die Engstelle der Briennerstraße am Odeonsplatz und der südliche Abschnitt der Ludwigstraße, insbesondere die Kreuzung mit der Von-der-Tann-Straße.

Ausgangspunkt der Planungen ist der von fast allen Stadtratsfraktionen – auch der CSU – mitgetragene Beschluss zum Radentscheid im Dezember 2019. Damit wird die Stadtverwaltung verpflichtet, Radwege mit einer Regelbreite von 2,80 Meter und einer Mindestbreite von 2,30 Meter vorzusehen. Insbesondere soll ein geschlossener Ring aus solchen Radwegen um die Altstadt entstehen. Ein erster Abschnitt in der Blumenstraße ist bereits fertig. Die heutige Vorlage des Mobilitätsreferats betraf den nördlichen Abschnitt des Altstadtradlrings zwischen Lenbachplatz und Ludwigstraße. Hier zunächst ein paar Eindrücke vom Istzustand:

Auf der Nordwest- und des Südostseite des Maximiliansplatzes gibt es immerhin Radwege, allerdings nicht mit der vom Radentscheid geforderten Breite:

Radweg am Maximiliansplatz. Wenn da die Autotür aufgeht, wird es eng.

Am nördlichen Ende des Maximiliansplatzes liegt die große Kreuzung mit der Briennerstraße. Die aktuelle Verkehrsführung entspricht – wie es SPD-Stadtrat Gradl heute zutreffend ausgedrückt hat – den klassischen Vorstellungen der autogerechten Stadt, mit jeder Menge Fahrspuren in alle Richtungen:

Die Kreuzung am Nordende des Maximilianplatzes: Insgesamt acht (!) Fahrspuren in Nord-Südrichtung kreuzen die vier Fahrspuren der Briennerstraße, die bislang nur auf der Westseite einen Radweg hat (Quelle: Google Maps)

Ein richtiges Nadelöhr ist das östliche Ende der Briennerstraße. Hier gibt es nur abschnittsweise einen dünnen Radstreifen:

Die enge Briennerstraße zwischen Odeonsplatz und Oskar-von-Miller-Ring

Verwirrend ist die Situation am Nordende des Odeonsplatzes. Hier treffen alle aufeinander: Fußgänger aus der Theatiner- und der Residenzstraße, Radler, die aus dem Hofgarten nach Westen in die Briennerstraße wollen, ein Taxistand und Autos, die sich von der breiten Ludwigstraße in die enge Briennerstraße quetschen.

Verwirrende Verkehrsführung am Odeonsplatz

Und schließlich ist da die Kreuzung zwischen der Ludwigstraße und der Von-der-Tann-Straße wenige hundert Meter weiter nördlich. Auch hier ist die aktuelle Situation weit von den Vorgaben des Radentscheids entfernt:

Radweg auf der Nordseite der Von-der-Tann-Straße an der Kreuzung mit der Ludwigstraße. Ursprünglich weniger als ein Meter breit wurde er jüngst auf Kosten der Fußgänger um wenige Zentimeter verbreitert.

In der ursprünglichen Vorlage des Mobilitätsreferats für die heutige Sitzung wurden alle diese Bereiche mit Ausnahme der Engstelle am Ende der Briennerstraße neu geplant. Für diesen Abschnitt sind noch weitere Untersuchungen nötig.

Allerdings sind die ersten Entwürfe des Mobilitätsreferats schon vor der heutigen Sitzung glatt durchgefallen, unter anderem wegen der Beibehaltung des viel zu schmalen Radweges in der Von-der-Tann-Straße. Die Verwaltung war in ihrem ersten Entwurf vor der Streichung einer Fahrspur zugunsten eines breiteren Radweges zurückgeschreckt. Warum?

Der Grund ist eine Simulation des zu erwartenden Rückstaus während der morgentlichen Rushhour in der Von-der-Tann-Straße, wenn im Kreuzungsbereich mit der Ludwigstraße die Anzahl der Fahrspuren für die Autos verringert wird:

Die rote / orange Linie zeigt den prognostizierten Rückstau der Autos von der Kreuzung der Ludwigstraße mit der Von-der-Tann-Straße (Mitte links im Bild) bis weit nach Osten zur nächsten Kreuzung mit der Prinzregentenstraße (rechts unten) (Quelle: Erste Vorlage des Mobilitätsreferats)

Anders als in der Vergangenheit wollte sich jedoch die grün-rote Rathausmehrheit damit nicht abfinden. Und das zeigt den neuen Ansatz in der Münchner Verkehrspolitik. Wenn es im Einzelfall unvermeidbar ist, wird der Ausbau der Radwege nicht nur zu weniger Parkplätzen führen, sondern auch zu Einschränkungen und Verzögerungen des fließenden Autoverkehrs. Der Straßenraum wird neu verteilt.

Allerdings bremst der zu erwartende Stau auch den Busverkehr, der ebenfalls gefördert werden soll – ein Punkt, auf den die Stadträte der CSU in der Debatte immer wieder hingewiesen haben. Ist die Verbreiterung des Radweges eine Verzögerung der Buslinie um bis zu drei Minuten wert? Eine schwierige Abwägung. Der Ball liegt wieder bei der Verwaltung. Gemäß dem am Ende der Sitzung ergangenen Beschluss wird für den gesamten Bereich von der Engstelle der Briennerstraße bis zur Von-der-Tann-Straße ein öffentlicher Gestaltungswettbewerb ausgeschrieben, der neue Lösungsansätze finden soll.

In einer neuen Vorlage hat das Mobilitätsreferat auch auf Kritik an der Neuplanung der oben gezeigten Kreuzung zwischen Briennerstraße und Oskar-von-Miller-Ring reagiert. Hier war zunächst Folgendes geplant:

Planung der neuen Radwege in der ursprünglichen Vorlage

Wie man sieht, sollte die Kreuzung im Wesentlichen unverändert bleiben, allerdings mit in Nord-Süd-Richtung durchgehenden Radwegen (braun eingefärbt). Sowohl von der ÖDP als auch von der grün-roten Mehrheit des Ausschusses wurde daraufhin ein schon älterer Vorschlag aufgegriffen, die Kreuzung auf vier „Arme“ zurückzubauen, um damit Platz für mehr Bäume zu schaffen. Das sieht dann so aus:

Beschlossene Neuplanung der Kreuzung in der neuen Vorlage

Auf Kosten mehrerer Fahrspuren auf der Westseite der Brienner Straße entsteht eine geschlossene Grünfläche (der „Platanenplatz“) für zusätzliche Bäume auf mehreren hundert Quadratmetern entsiegelter Verkehrsfläche. Diese Planung geht von einem deutlich reduzierten Verkehrsaufkommen durch die Brienner Straße aus, die deshalb mit weniger Fahrspuren auskommen kann. Damit wird im Grunde die zukünftige Sperrung der Brienner Straße für den motorisierten Individualverkehr im Bereich der oben gezeigten Engstelle bereits vorweggenommen, auch wenn dies noch nicht beschlossen ist, sondern zunächst der oben genannte Gestaltungswettbewerb durchgeführt wird.

Die heutige Diskussion im Mobilitätsausschuss hat deutlich gezeigt, dass die angestrebte Verkehrswende und insbesondere die Umsetzung des Radentscheids ohne Einschränkungen für den fließenden Autoverkehr nicht zu machen ist. CSU-Stadtrat Schmid hat es – aus seiner Sicht – zutreffend auf den Punkt gebracht, wenn er sagt, dass er dem Radentscheid nie zugestimmt hätte, wenn er gewusst hätte, was sich daraus ergibt.

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