Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte ist Gegenstand vieler politischer Diskussionen. Manche meinen, dass ein ausgeglichener Haushalt (die berühmte „schwarze Null“) zwingende Voraussetzung für eine nachhaltige Finanzpolitik ist. Andere glauben, dass Schulden gar kein Problem sind, solange man sie bedienen kann, d.h. die dafür erforderlichen Zinszahlungen nicht zu hoch werden. Wenn letzteres stimmt, stellt sich die Frage, bis zu welcher Höhe eine öffentliche Verschuldung auf Dauer tragbar ist.
Der vorliegende Beitrag will dazu keine fertigen Antworten liefern, nicht einmal für den Haushalt der Stadt München. Es geht stattdessen um die Höhe, die zeitliche Entwicklung und die Zinsen für die Schulden der Stadt München, um daraus am Ende einige Schlussfolgerungen abzuleiten. Grundlage ist der aktuelle Schuldenbericht 2020, der in der Sitzung des Finanzausschusses am vergangenen Dienstag vorgelegt worden ist.
Auf etwas mehr als 30 Seiten findet man viele Daten zur Schuldenentwicklung der Stadt München. Maßgebliches Ereignis in 2020 ist dabei – wenig überraschend – die Corona-Krise. So heißt es bereits im einleitenden Teil des Berichts:
„Die anhaltende Corona-Pandemie hatte auch Einfluss auf die Finanzsituation der Landeshauptstadt München. Die Kreditaufnahmeermächtigung […] in Höhe von 95 Mio EUR wurde mit der Nachtragshaushaltssatzung auf 1.300 Mio EUR aufgestockt.“ (Hervorhebung hinzugefügt)
Grund dafür waren in erster Linie die dramatischen Ausfälle bei den Steuereinnahmen, insbesondere bei der Gewerbesteuer.
Wie sieht nun die Entwicklung des Schuldenstands aus? Die Antwort gibt folgendes Schaubild:

Quelle: Schuldenbericht 2020, Seite 22
Nach 10 Jahren der Schuldentilgung sieht man den sprunghaften Anstieg in 2020 auf über 2,8 Mrd EUR. Die Pro-Kopf-Verschuldung in München ist damit in 2020 von 1215 EUR auf 1796 EUR gestiegen. Zum Vergleich: Bundesweit beträgt die Pro-Kopf-Verschuldung durch Bund, Länder und Kommunen über 26.000 EUR, auch hier mit einem starken Anstieg (14%) in 2020.
Was kostet die Finanzierung dieser Schulden? Dazu findet man detaillierte Angaben im Schuldenbericht. In 2020 hat München insgesamt 50 Mio EUR Zinsen bezahlt. Das klingt viel, ist aber im Vergleich mit der Höhe des städtischen Haushaltes von ca. 7 Mrd EUR ein eher kleiner Betrag, weniger als 1 Prozent der gesamten Ausgaben. Das liegt am extrem niedrigen Zinsniveau. Im Schnitt 1,5% Zinsen musste München für seine Schulden in 2020 bezahlen. Hätten wir ein Zinsniveau von ca. 10% wie in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts, läge die Zinsbelastung bei über 300 Mio EUR. Das würde die kommunalpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten erheblich einschränken, denn dieses Geld stünde für andere Aufgaben (z.B. Wohnungsbau, Verkehrsprojekte, Kindergärten etc.) nicht mehr zur Verfügung.
Aber es kommt noch besser. Für die in 2020 aufgenommenen Kredite sind die Zinssätze zumeist negativ, wie man folgender Tabelle entnehmen kann:

Quelle: Schuldenbericht 2020, Seite 19
Wie man sieht, fallen positive Zinsen nur bei Laufzeiten von 10 Jahren und mehr an. An allen anderen Krediten „verdient“ die Stadt München Geld. In 2021 werden die gesamten Zinszahlungen daher trotz der erheblich gestiegenen Schulden auf unter 30 Mio EUR fallen.
Werden die Zinsen auch in Zukunft so niedrig bleiben? Das weiß niemand, aber der Schuldenbericht enthält im Anhang eine Tabelle mit den durchschnittlichen Zinsen seit 1980. Hier ein Auszug:

Quelle: Anlage 2 zum Schuldenbericht 2020
Verfolgt man die Spalten von oben nach unten, sieht man, dass in den letzten 20 Jahren über alle Krisen hinweg (Dotcom-, Finanz- und Eurokrise) sich das Zinsniveau von Jahr zu Jahr nur sehr selten drastisch geändert hat. Meistens liegen die Abweichungen unter 1%. Auf die Finanzierungskosten der Schulden Münchens schlägt jegliche Veränderung des Zinsniveaus ohnehin nur gedämpft durch, da das Kreditportfolio etwa zur Hälfte aus langlaufenden Krediten besteht:

Quelle: Schuldenbericht 2020 Seite 17
Und wer leiht der Stadt das Geld ? Zum größten Teil sind es Geschäftsbanken und öffentliche Kreditgeber wie Sparkassen und Landesbanken. Ausländische Kreditgeber machen laut Schuldenbericht nur einen ganz geringen Anteil aus, etwa 100 Mio EUR. Eine sich ändernde Bereitschaft zur Kreditvergabe dieser Gläubiger hätte nur einen geringen Einfluss auf die Münchner Schulden.
Was ergibt sich nun aus alledem? Im Folgenden sollen ein paar Schlüsse aus den vielen Zahlen gezogen werden:
- Schulden in Höhe von 2,8 Mrd EUR – etwa 40% des jährlichen Haushalts – sind eine erhebliche Belastung. Die finanziellen Möglichkeiten der Stadt in der Zukunft werden dadurch deutlich eingeschränkt, denn man kann diese Schulden nur einmal aufnehmen. Entweder es erfolgt eine Tilgung oder neue Schulden vergrößern den Schuldenberg. Das ist eine Binsenwahrheit, aber die Kernaussage, dass Schulden in dieser Höhe politische Gestaltungsmöglichkeiten in der Zukunft einschränken, halte ich für wichtig. Sie gilt nahezu unabhängig vom Zinsniveau.
- Die Finanzierung der bisherigen Schulden erscheint mir unproblematisch, sowohl in 2021 als auch in den nächsten zehn Jahren. Eine sprunghafte Steigerung des Zinsniveaus zurück zu den Werten von 2000 (~ 5%) oder sogar 1981 (~ 10%) wäre jedenfalls sehr überraschend. Aufgrund der vielen langlaufenden Kredite mit niedrigen und teilweise negativen Zinsen wird sich möglicherweise die absolute Zinslast noch weiter verringern. Das gilt selbst dann, wenn der Schuldenberg in den nächsten Jahren noch wachsen sollte.
- Der Blick in die Vergangenheit könnte als Richtschnur für das weitere Handeln dienen. Denn in den zehn Jahren von 2010 bis 2019 ist es gelungen, die Schulden Münchens um 1,7 Mrd EUR zu verringern (siehe erstes Schaubild oben). Und das, obwohl in diesem Jahrzehnt die Zinsen noch nicht negativ waren. Das mag zu einem gewissen Investitionsrückstau geführt haben. Aber es zeigt, dass es in München grundsätzlich möglich ist, in solch einem Zeitraum Schulden in diesem Umfang zu tilgen und damit finanzpolitische Handlungsfreiheit zurückzugewinnen. Das wäre wünschenswert, denn die nächste Krise und ihre Kosten kommen bestimmt.
Mit diesen Überlegungen verabschieden sich die Stadtratsberichte in die Sommerpause. Ende September, wenn die Kommunalpolitik im Münchner Stadtrat wieder Fahrt aufnimmt, geht es weiter.