Impfen in München – auf die Software kommt es an

Der Weg aus der Pandemie führt weder nach China noch nach Neuseeland oder Australien, wie manche meinen, sondern nach Israel. Nur schnelles Impfen bietet eine verlässliche Perspektive, das „neue Normal“ endlich hinter uns zu lassen. Die Vollversammlung am vergangenen Mittwoch bot die Gelegenheit zu erfahren, wie die Impfkampagne in München vorankommt. Und dabei zeigt sich, dass eine Software des Freistaats, mit der die Verteilung des zunächst sehr knappen Impfstoffs optimiert worden ist, sich zunehmend als Hemmschuh erweisen könnte, wenn es jetzt um das schnelle Hochfahren der Impfungen geht.

Ausgangspunkt der Beratungen im Stadtrat war wieder einmal der Sachstandsbericht von Wolfgang Schäuble, dem Leiter des städtischen Krisenstabes. Neben den bekannten Inzidenzzahlen (aktuell 45, Tendenz wieder leicht steigend) und den Corona-Auslastungen der Krankenhäuser (aktuell weniger als 30% der Spitzenwerte in der zweiten Welle, weiter fallend) lag der Schwerpunkt seines Vortrages auf der Erläuterung der Impfkampagne der Stadt.

Zentrales Planungswerkzeug für ganz Bayern ist die Software BayIMCO. Dieses Programm errechnet aus den bei der Registrierung zur Impfung eingegebenen persönlichen Daten (Alter, Vorerkrankungen etc.) eine individuelle Rangnummer. Diese Rangnummer bestimmt innerhalb der gerade zu impfenden Priorisierungsgruppe (gegenwärtig immer noch Priogruppe 1), die genaue Impfreihenfolge. Anschaulich gesprochen wird damit sichergestellt, dass beispielsweise der 95-jährige Pflegefall vor der rüstigen 81-jährigen Rentnerin geimpft wird.

Allerdings ist der Algorithmus vollkommen intransparent, d.h. die Kriterien, nach denen die Impfreihenfolge innerhalb einer Priorisierungsgruppe festgelegt wird, sind nicht erkennbar, nicht einmal für die Mitarbeiter des Münchner Impfzentrums oder des Gesundheitsreferats. Die Erfahrung mit dem System zeigt aber, so Herr Schäuble, dass das Alter für den Algorithmus ein ganz maßgeblicher Faktor ist. Nachdem die Pflegeheime im Wesentlichen durchgeimpft sind, ist die Impfung zwei Monate nach Beginn – sozusagen von oben – bei den 81-jährigen Münchnerinnen und Münchnern angekommen.

Mir scheint, dass mit dieser Planungssoftware die extrem knappen Impfstoffe in den vergangenen zwei Monaten optimal verteilt worden sind. Denn so wie über alle Altersgruppen hinweg, steigt auch innerhalb der Gruppe der über 80-jährigen das Risiko eines schweren Verlaufs der Krankheit mit fortschreitendem Alter weiter stark an, vgl. dazu die von Prof. Drosten in seinem Podcast mehrfach zitierte Übersichtsstudie.

Zusammenhang zwischen Corona-Risiko und Alter. Die verschiedene Punkte sind die Ergebnisse von zahlreichen Einzelstudien, die rote Gerade zeigt das Gesamtergebnis. Man beachte, dass die Y-Achse mit dem Risiko logarithmisch skaliert ist und somit das von 0,001 % (< 10 Jahre) bis über 50% (>90 Jahre) exponentiell ansteigende Risiko zeigt. Quelle : Lewin et al.

Eine Verteilung des bislang sehr knappen Impfstoffs, die diese Risikoverteilung berücksichtigt, rettet Leben.

Aufgrund von bundespolitischen Entscheidungen erfolgen jetzt Veränderungen der ursprünglich von der ständigen Impfkommission (STIKO) vorgeschlagenen Prioritätsreihenfolge. Damit sollen folgende Personen ab sofort geimpft werden:

Personenkreise, die ab sofort auch geimpft werden sollen. Quelle: Vortrag von Wolfgang Schäuble

In München sind das laut Aussage der Leiterin des Gesundheitsreferats, Beatrix Zurek, immerhin über 25.000 Personen.

Ob diese altersunabhängige Änderung sinnvoll ist, erscheint mir sehr fraglich. Denn das von Corona ausgehende Risiko ist für eine 30-jährige Erzieherin in etwa um den Faktor 100 (!) geringer als für eine 70-jährige Rentnerin, vgl. das obige Schaubild. Natürlich hat die Erzieherin bei wieder geöffneten Kitas deutlich mehr Kontakte als die Rentnerin, aber das kann diesen riesigen Unterschied wohl kaum ausgleichen. Und 25.000 Personen, die jetzt sofort geimpft werden, verzögern eben für 25.000 Ältere eine zügige Impfung.

Starten kann die Sonderimpfung für Erzieher und Lehrer, etc. allerdings erst, wenn die oben erläuterte Software vom Freistaat entsprechend angepasst worden ist. Bislang darf nämlich nur nach der darin festgelegten Reihenfolge geimpft werden. Wie lange die Anpassung dauern wird, war in der Vollversammlung am Mittwoch nicht zu erfahren. Eine weitere Änderung der Software wird erforderlich aufgrund der heute verkündeten Empfehlung der STIKO, den Impfstoff von AstraZeneca auch für Personen über 65 zu verwenden. Auch diese Änderung muss erst in der Software implementiert werden, bevor dieser Impfstoff entsprechend eingesetzt werden kann.

Zum richtigen Hemmschuh könnte die Software werden, wenn die Impfung auch von Hausärzten durchgeführt werden soll, was bereits für Ende März / Anfang April geplant ist. Denn auch hier ist bislang der Betrieb von BayIMCO Voraussetzung, was in jeder einzelnen Praxis umfangreichen Aufwand zur Anpassung und Installation der Software sowie zur Schulung der Mitarbeiter mit sich bringt. Um in München vorab erste Erfahrungen damit zu sammeln, wird das Gesundheitsreferat demnächst einen Pilotversuch mit drei Münchner Arztpraxen starten.

Mir kommen erhebliche Zweifel, ob die zentralistische Steuerung der ganzen Impfkampagne in Bayern mit BayIMCO auf Dauer der richtige Ansatz ist, insbesondere wenn in den nächsten Wochen immer mehr Impfstoff geliefert wird. Möglicherweise wäre es ab einem bestimmten Zeitpunkt besser, weil viel schneller, die Hausärzte eigenverantwortlich handeln zu lassen und nur noch grobe Richtlinien (z.B. „ab jetzt alle zwischen 60 und 70″) zentral vorzugeben. Zwar kann BayIMCO die exakte Einhaltung der vom Freistaat festgelegten Impfreihenfolge sicherstellen. Der Preis ist aber möglicherweise eine wochenlange Verzögerung beim Hochfahren der Impfungen. Und genau da liegt der entscheidende Unterschied zur Situation in den ersten zwei Monaten der Impfkampagne. Während es bei den bislang sehr geringen Impfstoffmengen enorm wichtig war, zuerst die „Richtigen“ zu impfen, sinkt die Bedeutung dieses Aspekts, wenn fortlaufend immer mehr Impfstoff zur Verfügung steht. Die exakte Einhaltung einer richtigen Reihenfolge wird dann zweitrangig. Dafür steigt der bürokratische Aufwand.

Bilder wie in Israel, wo es die Impfung in einer Bar zusammen mit einem Freibier gab, wird man in Bayern jedenfalls so schnell nicht sehen, vielleicht auch dann noch nicht, wenn beides, Impfstoff und Bier hinreichend verfügbar ist.